Archiv für April 7th, 2010

Focus  

Kachelmann erwirkt einstweilige Verfügung

Seit mehr als zwei Wochen sitzt der Meteorologe und TV-Moderator Jörg Kachelmann in Untersuchungshaft. Zwei Wochen, die mit immer hilfloserer Berichterstattung gefüllt wurden, denn noch immer gibt es nichts Neues, worüber man schreiben könnte.

Außer vielleicht die Entscheidung des Kölner Landgerichts in der vergangenen Woche, das der Focus Magazin GmbH verbot, “Details zum angeblichen Tat- und Nachtatgeschehen sowie zur rechtsmedizinischen Untersuchung der Anzeigenerstatterin aus der Ermittlungsakte im Kachelmann-Verfahren” zu veröffentlichen, so Kachelmanns Anwalt.

Der “Focus” hatte in seiner Ausgabe vom 29. März ausführlich aus den Ermittlungsakten zitiert und zahlreiche Details aus den Aussagen der Frau wiedergegeben, die Kachelmann wegen Vergewaltigung angezeigt hatte. Noch am Veröffentlichungstag erwirkte Jörg Kachelmanns Anwalt Prof. Ralf Höcker vor der Pressekammer des Landgerichts Köln eine einstweilige Verfügung gegen die Zeitschrift.

Höcker erklärte dazu in einer Pressemitteilung:

Ermittlungsakten gehören nicht in die Öffentlichkeit, denn Ermittlungsverfahren werden bei der Staatsanwaltschaft und vor Gericht geführt und nicht in den Medien. Derart verfrühte Spekulationen zum Tathergang und zur Schuldfrage können das Bild eines Beschuldigten in der Öffentlichkeit so massiv beeinträchtigen, dass auch ein späterer Freispruch diesen Makel nicht mehr ausräumen kann.

Eine verhängnisvoll Affäre.

Der “Focus” hat den Artikel, der im Inhaltsverzeichnis mit “Die Vorwürfe gegen Jörg Kachelmann sind schlimmer als bislang bekannt” beworben worden war, aus dem eigenen Online-Archiv und aus weiteren Archiven entfernt, doch die Details aus den Ermittlungsakten sind noch immer in Umlauf: Denn noch ehe das Heft am Kiosk lag, hatte der “Focus” schon mal vorab eine “Kurzfassung” veröffentlicht, die von anderen Medien dankbar aufgegriffen wurde. Und weil die einstweilige Verfügung nur für die Focus Magazin GmbH gilt, kann im Moment auch noch bei “Focus Online” stehen, was die Print-Kollegen in den Ermittlungsakten gefunden haben.

Kachelmanns Anwalt Ralf Höcker erklärte uns gegenüber, dass seine Kanzlei zahlreiche Unterlassungserklärungen versandt habe, die von fast allen Medien unterschrieben worden seien. Und tatsächlich haben Webseiten wie Sueddeutsche.de oder general-anzeiger-bonn.de inzwischen ihre Artikel zum Thema offline genommen. Andere Onlinemedien gaben auf Anfrage an, noch keine Anwaltspost bekommen zu haben.

Der Sprecher des Landgerichts Köln berichtete uns, dass weitere Verfahren von Jörg Kachelmann gegen verschiedene Medien anhängig seien.

Nachtrag, 8. April: Nach einer weiteren einstweiligen Verfügung gegen “Focus Online” ist der Artikel auch dort offline genommen worden.

2. Nachtrag, 14. Mai: Auch nach der mündlichen Verhandlung hat das Landgericht Köln die Einstweilige Verfügung gegen den “Focus” aufrecht erhalten. Die Presse habe “aus gutem Grund” kein Einsichtsrecht in die Ermittlungsakten eines Strafverfahrens — die Akten seien vielmehr durch das Strafgesetzbuch gegen unbefugte Preisgabe geschützt, wie Kachelmanns Anwalt aktuell vermeldet.

Wikileaks, Estland, BDZV

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Wikileaks: Die Medien haben versagt”
(netzwertig.com, Peter Sennhauser)
Peter Sennhauser sieht das am Montag durch Wikileaks veröffentlichte Video als Blamage für die Mainstreammedien. “Entweder sie hatten das Video nicht – weil ihnen die Whistleblower nicht mehr trauen -, oder sie hatten es und veröffentlichten es nicht. Beides ist eine journalistische Bankrotterklärung.”

2. “US-Angriff als Video”
(blog.tagesschau.de, Kai Gniffke)
Bei der Tagesschau sind gemäss Kai Gniffke offenbar noch keine Strukturen da, um mit solchem Material jetzt schon umgehen zu können. “Ich bin mir sicher, dass die Zahl solcher Fälle in Zukunft zunehmen wird. Deshalb müssen wir intern Strukturen schaffen, die einen verantwortungsbewussten Umgang mit diesem Material ermöglichen.”

3. “Estland: Sorge um Informantenschutz”
(sueddeutsche.de, Matthias Kolb)
Heute wird im estnischen Parlament abgestimmt, ob Journalisten Informanten schützen können: “Justizminister Rein Lang von der liberalen Reformpartei plant ein so genanntes Pressequellenschutzgesetz, um in 50 Ausnahmefällen vor Gericht die Identität der Quellen offen legen zu können. Wer sich weigert, muss mit bis zu einem Jahr Gefängnis rechnen oder mit 500 Tagessätzen.”

4. Interview mit Dieter Kassel
(dirkvongehlen.de)
Dirk von Gehlen spricht mit Dieter Kassel, Moderator beim Deutschlandradio, über den Umgang mit den Hörern und dem daraus resultierenden Gewinn: “Natürlich gibt es welche, die nerven und manchmal bin ich auch erschreckt über gewisse Ansichten, aber alles in allem verleiht einem eine solche Sendung eine gewisse Bodenhaftung. Man merkt, dass die Dinge oft nicht so sind, wie man sie sich in Redaktionskonferenzen vorstellt.”

5. Interview mit Helmut Heinen
(stuttgarter-zeitung.de, Armin Käfer)
Helmut Heinen, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), sagt einerseits (zur Begrenzung der Online-Aktivitäten von ARD und ZDF): “Wir wollen keine neuen Gesetze.” Andererseits hält er “ein umfassendes Leistungsschutzrecht für erforderlich”.

6. “Sehr geehrte Frau Aigner!”
(fr-online.de, pb)
In einem von FR-online.de formulierten Brief antwortet Facebook-Gründer Mark Zuckerberg Bundesministerin Ilse Aigner auf den offenen Brief, den sie ihm am Montag schickte. “Nach eingehender interner Diskussion sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es uns einen feuchten Kehricht kümmert, ob Sie Ihr Profil löschen wollen oder nicht.”