Archiv für August 11th, 2009

Großer Bruder nicht im Haus

Wie vergangene Woche auf vielen deutschsprachigen Nachrichtenseiten zu erfahren war, werden die Bewohner von England nicht nur auf der Strasse oder in der Bank überwacht. Nein, sogar in den eigenen Räumlichkeiten!

“Überwachung in den eigenen vier Wänden ist in England schon Realität”, schrieb beispielsweise netzwelt.de, denn “Haushalte werden mit Überwachungskameras ausgestattet”, so derstandard.at. Auch der österreichische “Kurier”, das Schweizer “20 Minuten” sowie winfuture.de und gulli.com berichteten.

Wie die meisten dieser Medien zugeben, basieren ihre Storys auf einer Geschichte in der britischen Tageszeitung “Daily Express” vom 23. Juli 2009.

Die Hauptaussage dieses Artikels lautet:

The Children’s Secretary set out £400million plans to put 20,000 problem families under 24-hour CCTV super-vision in their own homes.

They will be monitored to ensure that children attend school, go to bed on time and eat proper meals.

(Das Erziehungsministerium hat 400 Millionen Pfund teure Pläne, 20.000 Problemfamilien in ihren eigenen Wohnungen unter 24-Stunden-Videoüberwachung zu setzen.

Sie werden überwacht, um sicherzustellen, dass Kinder zur Schule gehen, rechtzeitig ins Bett gehen und sich richtig ernähren.)

Tatsächlich werden in “family intervention projects” Familien mit unsozialem Verhalten von Sozialarbeitern besucht und überwacht. Aber persönlich, und nicht mit Überwachungskameras (CCTV), wie es im Artikel heißt. Wenn auch der “Telegraph” 2008 ein von Sozialarbeitern per Video überwachtes Paar vermeldete — von einer breitangelegten Videoüberwachung in englischen Wohnzimmern kann nicht die Rede sein.

Erziehungsminister Ed Balls bezeichnete deshalb den Vorwurf der Videoüberwachung in einem von mehreren Einträgen auf twitter.com als “complete and total nonsense”.

Auf der Website des “Department for Children, Schools and Families” dcsf.gov.uk heißt es dazu:

Families will not be monitored by CCTV in their own homes.

(Familien werden nicht per Video in ihren Wohnungen überwacht.)

Auch Blogs nahmen die Meldung auf und versuchten darauf, die Falschmeldung irgendwie zu retten. So schrieb Gadgetlab auf wired.com in einem Update, dass der Einsatz von Überwachungskameras zwar nicht speziell erwähnt, aber auch nicht dementiert wurde (doch, eben hier). Das Blog fefe.de wies in einem zweiten Update einfach mal auf eine Ausstrahlung des Films “1984” hin.

Über die Pressekonferenz, bei der der “Express” von den Plänen mit den Überwachungskameras erfahren haben will, berichteten übrigens auch diverse andere britische Medien — allerdings korrekt, ohne den “Big Brother”-Aspekt. Auf Europareise ging aber nur die spektakuläre Falschmeldung. Vermutlich steckt darin eine Lehre.

Mehr dazu auch im Notizblog von Torsten Kleinz.

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Kai Diekmanns “Sorgen”

Erinnern Sie sich an den Wahlkampf zur Hamburger Bürgerschaftswahl Anfang vergangenen Jahres? Also, den Wahlkampf von “Bild” für den CDU-Spitzenkandidaten Ole von Beust?

Das NDR-Medienmagazin “Zapp” hatte damals darüber berichtet und formulierte:

[…] Bild-Chef Kai Diekmann sorgte schon im letzten Wahlkampf [2004] dafür, dass sein Blatt für Ole von Beust trommelte.

“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann versucht seit eineinhalb Jahren, dem NDR diesen Satz verbieten zu lassen. Er argumentiert, dass die Formulierung, er habe “dafür gesorgt”, nur im Sinne einer konkreten Weisung, Vorgabe oder Leitlinie von ihm an die Redaktion zu verstehen sei, über von Beust durchgängig oder ganz überwiegend positiv zu berichten. Die habe er aber nicht erteilt.

Diekmann verlor sowohl in erster als auch in zweiter Instanz. Im Juni wies das Hamburger Oberlandesgericht Diekmanns Klage ab (324 O 442/08) und erklärte, die Aufmerksamkeit des Zuschauers werde nicht auf “interne Vorgänge im Bereich der BILD-Redaktion gelenkt, sondern es werden ausschließlich die im Jahr 2004 in der Zeitung erschienenen Beiträge als ein ‘Trommeln’ für von Beust bewertet”. Und weiter:

Der Begriff des “Sorgens” enthält in dem Kontext der Berichterstattung einen lediglich diffusen Tatsachenkern, der darin besteht, dass der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit als Chefredakteur die (positive) Berichterstattung gebilligt und ihre Veröffentlichung ermöglicht hat. Die Person des Klägers wird dabei als Chefredakteur und damit Vorgesetzter der anderen Redaktionsmitglieder in die Wertung einbezogen. Ob und in welcher Weise der Kläger persönlich von seiner tatsächlich bestehenden Möglichkeit, auf die kritisierte Berichterstattung Einfluss zu nehmen, Gebrauch gemacht hat, ist der beanstandeten Passage nicht zu entnehmen. Vielmehr wird mit dem Begriff des “Sorgens” lediglich darauf hingewiesen, dass er in seiner Funktion als Chefredakteur an der positiven Berichterstattung mitgewirkt habe.

Diese Aussage ist nicht unwahr.

Kai Diekmann ist nicht bereit, dieses Urteil zu akzeptieren. Weil das Oberlandesgericht keine Revision zugelassen hat, ließ er “Nichtzulassungsbeschwerde” einlegen, um weiter dagegen vorgehen zu können.

Spiegel, Otte, Meyer, Satiremagazine

1. “Reality-TV: Die Wahrheit setzt sich durch”

(faz.net, Stefan Niggemeier)

Stefan Niggemeier gibt zu bedenken, dass Reality-Formate oft unzulänglich sind und nicht als gutes Fernsehen bezeichnet werden können. Dennoch ist mit ihnen “die Realität mit großer Wucht ins Hauptabendprogramm der Privatsender geschwappt, in dem sie vor ein paar Jahren noch fast völlig fehlte.”

2. “SPIEGEL vs. SPON: Das doppelte Spiel”

(ennomane.de)

Ein Vergleich zwischen Print und Online beim Spiegel. Thema: das Internet.

3. Interview mit Romanus Otte und Oliver Michalsky

(meedia.de, Nils Jacobsen)

Romanus Otte, stellvertretender Chefredakteur von welt.de: “Die Zeiten, in denen Artikel in Print ‚wertvoller’ waren als in Online, sind definitiv vorbei. Ein guter Text ist ein guter Text ist ein guter Text! Ein Online-Text mag anderen Kriterien der Aufbereitung unterliegen – das wichtigste Kriterium bleibt immer die Qualität.”

4. “Frank A. Meyer: Basta, abtreten!”

(dorian.freeflux.net/blog)

Frank A. Meyer, der in einer Kolumne im SonntagsBlick “allen Ernstes das Internet für für die Finanzkrise verantwortlich” macht, wird gebeten, sich zurückzuziehen: “Herr Meyer, zeitgeschichtliche Entwicklungen lassen sich nicht einfach unterdrücken, auch wenn Sie das punkto Internet wünschen. In der Regel fressen sie diejenigen, die es versuchen. Deswegen und zu Gunsten des Medienhauses Ringer: Basta mit derart fahrigen Rundumschlägen, Herr Meyer – Abtreten!”

5. “Die Humorlosigkeit der Deutschen im Wandel der Zeit”

(netzfeuilleton.de)

Ein Blick zurück auf deutschsprachige Satiremagazine – mit vielen historischen Ausschnitten.

6. “Wir müssen wütend werden”

(byzero.de, Video, 3:50 Minuten)

“ein Ausschnitt aus dem Film ‘Network‘ aus dem Jahre 1976. Der Herr regt sich furchtbar auf. Und das zurecht.”