Archiv für August 10th, 2009

Fehlen noch OSZE-Medienbeobachter …

Wenn man den Artikel heute in der Druckausgabe der “Financial Times Deutschland” (FTD) liest, ahnt man nicht, was für ein Aufsehen er vorab verursacht hat.

Er erzählt die unspektakuläre, aber interessante Geschichte, dass das Auswärtige Amt die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) eingeladen habe, die Bundestagswahl zu beobachten — ähnlich wie sie es in vielen demokratischen und nicht so demokratischen Ländern regelmäßig tut. In der Bundesrepublik waren sie allerdings noch nie. Vor Monaten schon habe das OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte zugesagt, und nun gebe es sogar eine “heikle Frage” zu prüfen: Ob es fair war, mehrere kleinere Parteien nicht zuzulassen.

Das ist allerdings nicht die Geschichte, die am Wochenende unter Berufung auf die “FTD” von den Nachrichtenagenturen verbreitet wurde und durch die Medien ging. Die stellte nämlich einen ganz anderen Zusammenhang zwischen den Wahlbeobachtern und der Nichtzulassung her:

dpa, 13:27 Uhr:

Die umstrittene Nichtzulassung kleinerer Parteien zur Bundestagswahl ruft jetzt internationale Wahlbeobachter auf den Plan.

dpa, 14:09 Uhr:

Die Kritik am Ausschluss mehrerer kleiner Parteien von der Bundestagswahl im September hat internationale Wahlbeobachter auf den Plan gerufen.

AP, 15:23 Uhr:

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) will dieses Jahr erstmals ein Expertenteam zur Beobachtung einer Bundestagswahl nach Deutschland schicken. Dies sagte OSZE-Sprecher Jens-Hagen Eschenbächer der “Financial Times Deutschland”. Hintergrund ist die umstrittene Entscheidung des Bundeswahlausschusses, mehreren Parteien, darunter den “Grauen” und “Die Partei” den Parteienstatus abzuerkennen.

Erst dann erreichte dpa endlich selbst jemanden von der OSZE und zitierte den OSZE-Sprecher Thomas Rymer, der dementierte, dass die Entscheidung der Anlass für die Wahlbeobachtung sei.

Und wie kamen die Agenturen darauf, am Sonntag unter Bezug auf die Montagsausgabe der “FTD” einen Zusammenhang herzustellen, den die Montagsausgabe der “FTD” so gar nicht herstellt? Nun, die “FTD” hatte den Agenturen vorab in einer E-Mail mitgeteilt, sie werde folgendes berichten:

Die umstrittene Nichtzulassung kleinerer Parteien zur Bundestagswahl wird ein Fall für die OSZE: Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wollen die Entscheidung des Bundeswahlausschusses prüfen, mehrere Parteien von der Bundestagswahl auszuschließen.

“Wir schicken in diesem Jahr zum ersten Mal ein Expertenteam zur Beobachtung einer Bundestagswahl nach Deutschland, sagte der Sprecher des OSZE-Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte”, Jens-Hagen Eschenbächer, der Financial Times Deutschland (Montagausgabe). “Da die Nichtzulassung mehrerer Parteien in Deutschland ein Thema ist, werden sich unsere Wahlbeobachter das genau ansehen.” (…)

Die Vorabmeldung der Zeitung lud also zu Fehlinterpretationen förmlich ein. AP und dpa mussten sie nur ein bisschen zuspitzen, um eine Falschmeldung zu verbreiten, die dann dementiert wurde, und als die Zeitung am nächsten Tag selbst berichtete, war ihr Artikel sauber und korrekt. So bizarr funktioniert der Vorabmeldungsjournalismus in Deutschland.

Focus  

Ulla Schmidt & die Quadratur der Parteikreise

Er wirkt heute ein bisschen selbstironisch, der Slogan “Kurz, präsise und schnell auf den Punkt”, den der “Focus” seiner Rubrik “Periskop” am Anfang des Heftes mitgibt:

Denn der Bericht war schon am Samstagmittag überholt — um nicht zu sagen: als Falschmeldung entlarvt. Um 14:37 Uhr brachte die Nachrichtenagentur dpa diese Eilmeldung:

Nach ihrer Entlastung durch den Bundesrechnungshof hat SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier Gesundheitsministerin Ulla Schmidt in sein Wahlkampf-Team geholt.

(Ursprünglich hatte dpa vor lauter Aufregung “Renate Schmidt” geschrieben, sich aber schnell verbessert.)

Für eine Korrektur der ExklusivFalschmeldung im gedruckten “Focus” war es da natürlich zu spät. Und die Redaktion war so stolz auf ihre Information “aus Parteikreisen” gewesen, dass sie sie vorab an die Agenturen gegeben und auf “Focus Online” veröffentlicht hatte — was dort für einen ziemlichen Eiertanz sorgte.

Die ursprüngliche Überschrift “Schmidts Karriere ist beendet” schwächte die Redaktion irgendwann ab zu “Schmidts Karriereende ist besiegelt”. Aber auch nachdem am Samstagvormittag bekannt geworden war, dass der Bundesrechnungshof keine Unregelmäßigkeiten bei der Verwendung des Dienstwagens in Spanien feststellen konnte, beharrte “Focus Online”:

Nach FOCUS-Informationen ist es für Schmidts politische Zukunft unerheblich, dass der Bundesrechnungshof keine Verstöße festgestellt hat.

Als “Focus Online” schließlich nicht mehr umhin kam zu melden, dass Schmidt doch von Frank-Walter Steinmeier ins Schattenkabinett berufen worden sei*, fehlt jeder Hinweis darauf, dass man genau das gerade noch ausgeschlossen hatte.

*) Erstaunlicherweise trägt die entsprechende dpa-Meldung auf “Focus Online” den Zeitstempel 10:02 Uhr, obwohl die Nachricht erst über vier Stunden später kam.

Lokaljournalismus, ZDF, Mosley

1. “Rupert Murdoch – die Kapitulation”

(perlentaucher.de, Thierry Chervel)

Thierry Chervel mit einem exzellenten Artikel über Verleger, die ihre Produkte in den letzten Jahrzehnten behandelten “wie x-beliebige Dosenfabriken”: “Noch argumentieren Journalisten und Verleger so, als würde das Netz sich im wesentlichen aus ihren Inhalten päppeln. Aber in Wirklichkeit ist es heute eher umgekehrt: Man liest in den Zeitungen Geschichten, die man zum ersten Mal zwei Tage zuvor im Internet fand. Oft in Blogs, denen sie wiederum von Lesern und anderen Whistleblowern zugetragen wurden.”

2. “Schafft das ZDF ab”

(cicero.de, Alexander Kissler)

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen kostet jährlich fast so viel, wie Deutschland an die EU zahlt. Alexander Kissler ist darum dafür, das Zweite Deutsche Fernsehen abzuschaffen.

3. “Panne im neuen heute-Studio”

(youtube.com, Video, 7:11 Minuten)

Nach 5:30 Minuten im Video streikt das neue ZDF-Studio. Der Ausschnitt ist aus der Sendung “heute in Europa”, Moderatorin die bemitleidenswerte Hülya Ökzan.

4. “Party mit Folgen”

(sueddeutsche.de, Hans-Jürgen Jakobs)

“Die Bild-Zeitung berichtete offenherzig über Mosleys Präsenz auf einer Party mit Sadomaso-Elementen. Der Formel-1-Chef klagte – und einigt sich jetzt mit Springer.”

5. “Wir waren Heimat”

(blog-cj.de, Christian Jakubetz)

“Statt also sich die Schlaglöcher der Umgehungsstraße genau anzusehen, statt die Menschen zu Wort kommen zu lassen, statt also kurz gesagt: das alltägliche wahre Leben abzubilden, liest, hört und sieht man in den Lokalmedien häufig ebenso Langweiliges wie Irrelevantes: Haushaltspläne werden in epischer Breite seziert (ganz so, als ob irgendein Normalbürger der Unterschied zwischen einem Vermögens- und einem Verwaltungshaushalt interessieren könte), Bürgermeister, Landräte und Abgeordnete dürfen sich nahezu ungehindert ausbreiten und dazwischen immer und immer wieder dröger Termin- und Verlautbarungsjournalismus.”

6. “Die Lokalreporter: Mitschreiben auf muensterland.de”

(muensterland.de)

“Sie möchten Pressemitteilungen veröffentlichen? (…) Zögern Sie nicht und werden Sie Lokalreporter! Schreiben Sie unserer Redaktion – wir freuen uns auf Ihre Nachricht!”