Archiv für April 3rd, 2009

Aus BILDblog wird BILDblog für alle

Nicht erschrecken: BILDblog verändert sich. Aber wir bleiben uns treu.

Aus BILDblog wird am Montag BILDblog für alle. Wir schauen über “Bild” hinaus und nehmen uns auch anderer Medien an. Sie haben es sich verdient.

Es ist nicht so, dass uns der Stoff ausgegangen wäre. Wir haben zwar den Eindruck, dass die Zahl der besonders krassen Lügengeschichten in “Bild” seit einiger Zeit zurück gegangen ist; der neue Unterhaltungsschef scheint weniger auf erpresserische Methoden bei der Informationsbeschaffung zu setzen, und Bild.de ist nicht mehr ganz das Schleichwerbeportal, das es einmal war.

Andererseits spricht wenig dafür, dass “Bild” im Kern eine bessere Zeitung geworden wäre und plötzlich Respekt vor so abwegigen Dingen wie der Wahrheit oder den Persönlichkeitsrechten von Menschen entwickelt hätte.

Aber es ging uns nie nur um die “Bild”-Zeitung, sondern um ihre Macht als (trotz allem noch) viel gelesenes und für wichtig genommenes Leitmedium. Von Anfang an stand über unserer Arbeit der Satz: “Was heute in ‘Bild’ steht, steht morgen überall”. In den vergangenen viereinhalb Jahren haben wir eine Menge darüber erzählt, was so “in ‘Bild'” steht. Jetzt haben wir Lust, uns dem “überall” zuzuwenden.

Beim Amoklauf von Winnenden zeigte nicht nur die “Bild”-Zeitung mit ihrer Mischung aus Schlampigkeit und Skrupellosigkeit ihr wahres Gesicht. Auch die Berichterstattung vieler anderer Medien über dieses Ereignis war erbärmlich. Am Sonntag versuchte die “Bild am Sonntag”, mit privaten Bildern der Opfer auf der Titelseite Auflage zu machen — am Montag erschien der “Focus” mit fast identischem Cover. Fernsehsender überschritten viele Grenzen. Die “Welt am Sonntag” veröffentlichte ein großes Foto von einem Jungen und erweckte den Eindruck, es handele sich um den Attentäter — dass es sich nur um einen unschuldigen Besucher der Trauerfeier handelte, stellte das Blatt auch im Nachhinein nicht klar; Nachfragen ignorierte der Chefredakteur Thomas Schmid einfach.

Es gibt viele Beispiele dafür, wie deutsche Medien ihrer Verantwortung nicht gerecht werden. Oft fehlt es schon an der schlichten Bereitschaft, eigene Fehler zu korrigieren. Sinkende Werbeerlöse und der Medienumbruch bedrohen gerade die Qualität: Die Verlockung wächst, mit Schleichwerbung die Einnahmen aufzupeppen; oft fehlt es an Geld oder Personal, um nicht nur Texte von Kollegen oder PR-Leuten abzuschreiben, sondern selbst zu recherchieren. Noch nie war es so leicht für Falschmeldungen, in kurzer Zeit weite Verbreitung zu finden.

Was wir dagegen setzen wollen, ist dasselbe wie bisher: Aufklärung. Wir glauben, dass es hilft, die Fehler und Abgründe öffentlich zu machen — die kleinen Pannen und die große Desinformation. Damit deutlich wird, wie wichtig es ist, in Qualität zu investieren.

Im vergangenen Dezember haben wir das Konzept “BILDblog für alle” schon einmal ausprobiert und unter anderem berichtet, wie die “Frankfurter Allgemeine Zeitung” im Reiseteil für die Lufthansa wirbt und “Spiegel Online” im Autoteil für Audi, wie der “Remscheider General-Anzeiger” an dem Versuch scheitert, über HIV und Aids aufzuklären, und wie der “Spiegel” die Geschichte klittert, um Stimmung für ein Konjunkturprogramm zu machen. An diesen Versuch wollen wir ab Montag anknüpfen. Und wir sind dabei, wie schon bisher, auf Ihre Mithilfe angewiesen. Bitte unterstützen Sie uns durch “sachdienliche Hinweise”, wenn Ihnen Fehler und Falschmeldungen auffallen, in welchem Medium auch immer. Nach dem alten BILDblog-Motto: “Die kleinen Merkwürdigkeiten und das große Schlimme.”

Stefan Niggemeier und Lukas Heinser sind wie bisher dabei; neu ins Team kommt der freie Journalist, Blogger und Journalistenausbilder Christian Jakubetz. Den Namen BILDblog wollen wir beibehalten, weil er für die Art von unideologischer Medienkritik steht, die wir weiter pflegen wollen. Es ist zu befürchten, dass “Bild” darin auch in Zukunft eine tragende Rolle spielen wird.

Danke für die sensationelle Unterstützung in den vergangenen fast fünf Jahren! Wir hoffen, dass Sie uns gewogen bleiben.

 

Ebenfalls zum Thema:

Leichen wachsen nicht in den Himmel

Am Montag fand ein Spaziergänger in Bruckberg bei Landshut die Überreste einer Leiche. Die Polizei vermutet, es könnte sich um einen Mann handeln, der 1980 verschwand, um sich das Leben zu nehmen.

Der Mann sei “in elf Meter Höhe in einer Fichte” gefunden worden, weiß “Bild” und folgert:

Offenbar wuchs die Leiche nach dem Selbstmord mit dem Baum in die Höhe.

Das wäre allerdings eine botanische Sensation. Denn Bäume wachsen bekanntlich nur an ihrer Spitze. Kindern erklärt man das (aus naheliegenden Gründen) meist nicht mit festgebundenen Selbstmördern, sondern in die Borke geritzten Herzen: Die befinden sich auch Jahrzehnte später noch auf derselben Höhe.

Mit Dank an Alexander H., Gereon H., Florian J., Torsten R. und René K.!

6 zur re:publica'09: Leerlauf, Internetgemüse, Babykotze

1. “Die Blogger-Twitter-Internetgemüse-Riege”

(mevme.com/lizblog)

“Ich frage mich, für wen diese Veranstaltung eigentlich gemacht ist? Zum einen tummelt sich die Blogger-Twitter-Internetgemüse-Riege in einem Kreis und schmiert sich entspannt Smalltalk auf die Tastatur, zum anderen werden in Panels und Diskussionsrunden Dinge erklärt, von denen ich dachte, die seien Grundvoraussetzungen, um an dieser Veranstaltung teilzunehmen.”

2. “nett, aber ein bisschen zu wenig”

(misscaro.blogspot.com)

“bei der re:publica soll es um netzkultur gehen, nicht um weltprobleme, und deshalb ist das babykotze-panel auch genau richtig und wichtig. wo, wenn nicht hier? was aber nicht gut ist, ist der inhalt der panels. das ist alles so verdammt basic. und dann auch noch größtenteils verdammt schlecht vorgetragen. und immer noch so ohne jeden diskurs, jeden streit, jedes disagreement, so vollkommen ohne eier.”

3. “Linkschleudern im Leerlauf”

(maerkischeallgemeine.de, Jörg Giese)

“Ausgerechnet auf einem Treffen von und für Blogger, deren Selbstverständnis verlangt, in Online-Tagebüchern permanent über ihren Alltag zu kommunizieren, war das Web weg, leuchteten die schicken Laptops funktionslos im Saal. Zum Trost fotografierte man sich gegenseitig mit dem I-Phone.”

4. “Referenten elektronisch angeranzt”

(morgenpost.de, Dirk Nolde)

“Im Friedrichstadtpalast projiziert ein Beamer Twitter-Kommentare und SMS-Beiträge auf die Leinwand. Alles flimmert sofort, in bunte Grafik-Blasen eingesetzt, im Raum – im Rücken derer, die auf der Bühne stehen. Was das Publikum teils diebisch freut. Bei der Diskussionsrunde ‘Die Medienwelt im Wandel’ beschwerte sich Helmut Lehnert, Leiter des Programmbereichs Film und Unterhaltung beim RBB, dass die Kommentare hinter ihm erscheinen, wo er sie gar nicht sehen kann. Reaktion auf der Twitterwall: ‘Heul doch.'”

5. “Internet wird weltweit zensiert”

(taz.de, Ben Schwan)

“Auf der Web-Konferenz re:publica in Berlin stellte der US-Think Tank ‘Freedom House’ eine Untersuchung zur Online-Freiheit vor. Das Ergebnis: Das Netz ist fast überall zensiert.” (Studie als pdf-file auf freedomhouse.org)

6. “Erst ein Erfahrungsbericht – dann ein Aufruf zur Rettung der Welt”

(maeandertal.de/blog)

“Es wird verflucht noch mal Zeit, dass die Akteure des Web 2.0, die Social Networker, Twitterer und vor allem die Blogger, von sich ablassen, die selbstbeschworene Macht ausüben und ihren Fokus auf die Probleme unserer Zeit richten! Vom Pathos hingerissen, möchte ich sagen: Nehmt die Zügel in die Hand, macht Stimmung im Land, reißt die Grenzen ein und zeigt der Politik wo der Hase läuft.”

Basteln, verlautbaren, rausschneiden

1. “Der Preis der Freiheit”

(freitag.de, Lotta Suter)

“Viele traditionsreiche US-Zeitungen verlagern ihre Berichterstattung aufs Netz. Doch die E-Medien brauchen den ‘alten Journalismus’ – droht das Ende der Pressefreiheit?”

2. “Wie man sich eine Journalismus-Studie bastelt”

(journalistiklehrbuch.wordpress.com, Klaus Meier)

Klaus Meier, Professor für Journalistik an der Hochschule Darmstadt, hält nicht viel von der Studie “Journalismus 2009” des Marktforschungsinstituts YouGovPsychonomics (Pressemitteilung auf psychonomics.de). Eine Bastelanleitung mit 7 Tipps.

3. “FAZ enteignet den Papst”

(perlentaucher.de, Anja Seeliger)

“Zeitungen spielen sich gerne als Hüter des Urheberrechts auf, das vom Internet ausgehöhlt werde. Die eigentliche Enteignung der Urheber findet aber in Zeitungen statt.”

4. “Es steht schlecht um den ORF”

(diepresse.com, Reinhard Christl)

“Der ORF ist das einzige öffentlich-rechtliche Medienunternehmen der Welt, das offiziell davon ausgeht, weiterhin 40 Prozent Marktanteil halten zu können. Internationalen Vergleichen zufolge wären in zehn Jahren dreißig Prozent durchaus ein Erfolg.”

5. Gelehrter Verlautbarungsjournalismus in Russland

(dradio.de, Stefan Koldehoff und Robert Baag)

“Und diese Geisteshaltung, Journalisten zu behandeln wie – im sowjetischen Jargon würde man sagen – Transmissionsriemen, das heißt, es wird etwas verlautbart und Journalisten haben es gefälligst weiterzugeben, vor allen Dingen aber nicht negativ zu sein, das ist mittlerweile auch eine Haltung, die auch an Journalistenschulen durchaus so weitergegeben wird und zum Berufsverständnis gehört.”

6. “‘Schmidt & Pocher’: Seitenhieb auf Herres rausgeschnitten”

(dwdl.de, Thomas Lückerath)

“Das hervorragende Finale von ‘Schmidt & Pocher’ dürfte auch dem Programmdirektor des Ersten gefallen haben. Da die Aufzeichnung etwas zu lang geraten war, musste gekürzt werden, wobei zufällig kritische Worte Oliver Pochers über Volker Herres herausgeschnitten wurden.”