Archiv für April 2nd, 2009

“Bild” als Wahlkämpfer – das Beispiel 2002

Als die “Financial Times Deutschland” ihren Lesern am 16. September 2002 in einem ganzseitigen Leitartikel empfahl, bei der Bundestagswahl für die CDU/CSU zu stimmen, löste das große Aufregung aus. Die “Bild”-Zeitung sprach davon, dass die Zeitung “ein journalistisches Tabu in Deutschland” breche und behauptete: “Erstmals in der Pressegeschichte der Bundesrepublik gibt eine Zeitung eine Wahlempfehlung zugunsten einer Partei ab!”

Dabei gibt die “Bild”-Zeitung selbst regelmäßig Wahlempfehlungen ab — sie steht nur nicht dazu.

Quelle:

Frank Brettschneider und Bettina Wagner: “‘And the winner should be…’ Explizite und implizite Wahlempfehlungen in der ‘Bild-Zeitung’ und der ‘Sun’.” In: Massenmedien als politische Akteure. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2008.

Die Politologin Bettina Wagner und der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider haben die Berichterstattung von “Bild” in den vier Wochen vor jener Bundestagswahl 2002 untersucht (siehe Kasten rechts). Sie werteten alle Berichte aus, die sich auf die SPD oder CDU/CSU oder ihre Spitzenkandidaten Gerhard Schröder und Edmund Stoiber bezogen, und untersuchten sie u.a. nach den enthaltenen Wertungen.

Das Ergebnis war eindeutig:

Über die Union und Stoiber berichtete “Bild” im Saldo neutral. Schröder und noch stärker die SPD wurden hingegen deutlich negativ bewertet. Dieser negative Effekt wurde sogar noch dadurch verstärkt, dass “Bild” in den untersuchten Wochen viel häufiger über Schröder berichtete als über Stoiber.

Eine Zeitung kann auch dadurch implizite Wahlempfehlungen aussprechen, dass sie “opportune Zeugen” auswählt, also solche Akteure zu Wort kommen lässt, die sich im Einklang mit den eigenen Einstellungen oder der redaktionellen Linie befinden. Brettschneider und Wagner haben auch untersucht, wer sich in “Bild” über die jeweiligen Kandidaten äußern darf — und mit welcher Tendenz. Auf einer Skala von -1 (ausschließlich negativ) bis +1 (ausschließlich positiv) ergab sich folgendes Bild:

Dass sich Unions-Politiker negativ über Schröder äußerten und SPD-Politiker negativ über Stoiber, ist kein Wunder. Frappierend ist aber, dass die Aussagen von SPD-Politikern über ihren eigenen Kandidaten, die in “Bild” wiedergegeben wurden, nur moderat positiv sind — und nicht annähernd so überschwänglich wie die Aussagen von Unions-Politikern über ihren eigenen Kandidaten, die “Bild” zitierte.

Die Parteilichkeit von “Bild” wird auch dadurch deutlich, wen das Blatt zu Wort kommen ließ. In den vier Wochen vor der Wahl fanden sich in “Bild” über Gerhard Schröder fast doppelt so viele Aussagen von Unions-Politikern wie von SPD-Politikern. Bei Stoiber ist das Verhältnis noch deutlicher: 46 Aussagen von SPD-Politikern über den Spitzenkandidaten der CDU/CSU stehen 111 Aussagen von Unions-Politikern gegenüber.

Die Berichterstattung von “Bild” im Wahlkampf 2002 hatte also in jeder Hinsicht Schlagseite. Oder wie die Forscher formulierten:

“Insgesamt betrachtet kann also eindeutig von einer Bevorzugung der Union gesprochen werden.”

Sie stellten zudem fest, dass die Wirtschaftspolitik, die eher als Kompetenzbereich der Union wahrgenommen wurde, die Berichterstattung von “Bild” dominierte — die dieses Thema deutlich prominenter behandelte als andere deutsche Medien, was man ebenfalls als einen Hinweis auf eine implizite Wahlempfehlung deuten könne.

Das Fazit der Wissenschaftler:

  • “Bild” berichtete häufiger und negativer über die SPD als über die Union
  • In “Bild” kamen häufiger Befürworter der Union zu Wort
  • In “Bild” stand ein für die Union günstiges Thema an der Spitze der Agenda

Die Untersuchung verglich die Berichterstattung von “Bild” auch mit der der britischen Boulevardzeitung “Sun” im Wahlkampf zum Unterhaus 2001. Die “Sun” hatte sich explizit für Labour und Tony Blair ausgesprochen. Die Forscher kamen zu dem Ergebnis, dass die implizite Wahlempfehlung von “Bild” dennoch intensiver war als die implizite Wahlempfehlung der “Sun”:

Demnach war die “Bild”-Berichterstattung auch ohne offenes Endorsement weniger objektiv als die Berichterstattung der “Sun”. Medien können auch dann als politischer Akteur auftreten, wenn sie nicht eine explizite Wahlempfehlung aussprechen.

Die Untersuchung zeigt, dass dabei die Parteinahme nicht einmal so offensichtlich sein muss wie zuletzt im Fall des thüringischen Ministerpräsidenten. Insgesamt finden in diesem Jahr übrigens fünf Landtagswahlen, acht Kommunalwahlen, die Europawahl, die Bundestagswahl und die Bundespräsidentenwahl statt.

Apropos. Heute “meldet” “Bild”:

Schwan-Wahl "Probelauf für Rot-Rot-Grün". Berlin -- Für die SPD ist die Wahl des Bundespräsidenten "ein Probelauf für ein rot-rot-grünes Bündnis nach der Bundestagswahl".

Erst im nächsten Satz stellt sich heraus, dass es sich dabei nicht um eine Tatsache handelt und das Zitat trotz der Formulierung “Für die SPD…” nicht von der SPD stammt. Der Artikel geht nämlich so weiter:

Diesen Vorwurf erheben die Vorsitzenden der CDU-Landtagsfraktionen von Hessen und Baden-Württemberg, Christean Wagner und Stefan Mappus.

Die SPD kommt in der Meldung nicht zu Wort.

6 zur re:publica'09: Klowände, Augenringe, Hosenträger

1. “Sind Blogs die ‘Klowände des Internets’?”

(welt.de, Michael Miersch)

Alan Posener, Henryk M. Broder, Juliette Guttmann, Frank Schäffler und Thierry Chervel äussern sich über dieses neue Internet. Chervel: “Ich habe im Jahr 2000 bei der ‘Süddeutschen’ gekündigt, wo man mich angeguckt hat wie ein Auto, weil sich die SZ für die beste Zeitung der Welt hält und man den Redakteursstatus als Adelsprädikat begreift.”

2. “01. april 2009”

(wirres.net, Felix Schwenzel)

Der erste April mit Felix Schwenzel an der re:publica: “robert basic grüsst mich und fängt an mit mir zu reden. ich verstehe jedes wort. er ist wirklich nett. allerdings finde ich heraus, dass er gar keine getönte brille trägt, sondern seine dunklen augenringe schatten aufs brillenglas werfen. kosmars neue brille ist dagegegen getönt. ”

3. “Twitter ist nicht genug”

(netzeitung.de, Maik Söhler)

“Im Internet kann derzeit man kaum noch eine Webseite aufrufen, ohne dass einem von dort sofort allerlei Sätze übers Twittern entgegenpurzeln. Twitterer sind überall, schreiben über alles, posten Fotos und Videos, ‘followen’ diesem und jenem und fassungslose Medien verstehen immer noch nicht, um was es dabei überhaupt geht. Aber auch sie twittern nun.”

4. “Shift happens: Nur wo?”

(carta.info, Matthias Schwenk)

“Ein Vergleich zeigt, dass allein die Harvard University unter ihren Dozenten der Business School aktuell 39 Blogs auflisten kann, während das Berkman Center der Harvard Law School auf 48 Blogs kommt. Darf man da fragen, warum in den USA bald schon jeder namhafte Professor ein Blog führt, während sich bei uns die führenden wissenschaftlichen Köpfe immer noch vornehm zurückhalten?”

5. “Die alte Garde”

(dondahlmann.de)

“Jakob Augstein, Inhaber und Verleger der ‘Freitag’ zum Beispiel, der heute auf dem Panel zum Thema ‘Medien im Wandel’ etwas schlecht gelaunt rum saß, war ein schönes Beispiel. Er stellte klar, dass es, zumindest im Moment, keine Alternative zum Print gibt. Nicht, weil die Angebote im Netz schlecht wären, sondern weil für große Teile der Politik und der Fakten-schaffenden Elite (Lobbys, Pressesprecher, Spin-Doktoren etc.) das Netz einfach nicht existent ist.”

6. “helden in hosenträgern”

(flannelapparel.blogspot.com)

“Warum die mutigen Medien, die in ihrem Biotop kein Blatt vor den Mund nehmen und immer wissen, was morgen schon wieder von gestern ist, nicht den Mut besitzen, am Tag der Eröffnung zarte Pflänzchen vor das Publikum zu lassen, Gesichter, die noch kaum jemand kennt, die etwas sagen, dass noch nicht von Blogs und anderen Medien zerkaut wurde, und die mehr Grips als Eitelkeit besitzen, fragt sich vermutlich das bunt gemischte Publikum.”

Einpeitscher, Mehdorn, Nutzungsrechte

1. “Medien = Einpeitscher!”

(martina-kausch.de)

Martina Kausch macht ein paar Screenshots aus Newsportalen, die über den aktuellen G20-Gipfel in London berichten. “Ich habe mir erlaubt, einmal die Fotografen optisch hervorzuheben. Und wenn Ihr Euch die weiteren Bilder anseht, werdet Ihr schnell feststellen, dass mehr Fotografen am Schauplatz des Geschehens waren als Demonstranten oder Polizisten.”

2. “Überwachungssystem Bahn: Kampf gegen kritische Journalisten”

(ndr.de, Video, 8:20 Minuten)

Der zurückgetretene Bahn-Chef Hartmut Mehdorn zeigte den Medien lieber Zugreisende massierende Betreuer der Bahn als masslos überfüllte Züge. Mit angebrachter Kritik konnte er kaum umgehen und reagierte darauf mit Schimpftiraden per Fax und Telefon sowie mit Anzeigenboykotten.

3. “ZEIT MAGAZIN: über Luxusuhren schreiben und gleichzeitig für sie werben”

(spiegelblog.net, T. Engelbrecht)

Das Zeit Magazin Leben, eben bei den Lead Awards 2009 zum Leadmagazin des Jahres gewählt, schreibt erst im redaktionellen Teil über achteinhalb Seiten werbewirksam über Luxusuhren – und druckt dann auf der Rückseite ihres Magazins eine ganzseitige Anzeige der Luxusuhrenmarke Breitling ab.

4. “Zitieren Sie nicht die FAZ!”

(perlentaucher.de/blog, Anja Seeliger)

Die Frankfurter Allgemeine schreibt einen Brief an den Perlentaucher und fordert Nutzungsrechte in der Höhe von 590 Euro. Darauf meldet sich der Autor des Artikels, Thomas Hürlimann: “Ich meine, dass das Copyright immer noch bei mir ist. Deshalb können Sie das Zitat gern wieder aufnehmen.”

5. “Zwei sind weniger als eins”

(blog.persoenlich.com, Roger Schawinski)

Roger Schawinski äussert sich zur neuen Tages-Anzeiger-Chefredaktion: “Man greift auf zwei hauseigene Leute zurück, die man viel zu lange in der Warteschlaufe schmoren liess. Alles wirkt so, als ob man eine bessere Lösung gesucht hat und dabei gescheitert ist.”

6. “Endlich verstehen: Wer wird Millionär?”

(christophkoch.wordpress.com)

Über die Sendung “Wer wird Millionär”: “Doch welchen Joker wann einsetzen? In Russland gilt: Nie das Publikum fragen! Denn hier hat sich die Tradition eingebürgert, dass das Publikum absichtlich falsche Antworten gibt, um dem Kandidaten zu schaden.”