Archiv für März 15th, 2009

Die Amok-Opfer der “Bild am Sonntag”

Aus einem Internetforum:

Mein geschäft ist genau neben dem Geschäft von Herr K        , was meinst du wie viele Reporter zu mir kommen und mich belagerten und fragen gestellt haben. Am Samstag war es so gar so das die Bild am Sonntag für ein Bild von Herr K         mir 1500 € geboten und wenn die ganze Familie drauf sein sollte würde er sagar 4500 € zahlen, das meinte ich damit !!! Ich bekomm da ein hass !

Wir haben diese Behauptung sorgfältigst nicht überprüft. Wir können nicht sagen, ob sie stimmt. Unwahrscheinlich ist es nicht.

In der heutigen Ausgabe der “Bild am Sontag” findet sich kein Foto von Herrn K., dem Vater des Attentäters von Winnenden, sondern nur ein Foto, mit dem Tim K. sich für die kaufmännische Privatschule bewarb, ein Foto, das seine zugedeckte Leiche auf dem Parkplatz zeigt, ein Foto von ihm als Zweijähriger (“ein unschuldiges Lächeln”), ein Foto von Tim K. mit seiner Großmutter (“Der Amokläufer liebte ihre handgeriebenen Spätzle”), ein Foto vom Haus seiner Familie, ein Foto von ihrem Türschild und ein Foto, das angeblich den Teich im Garten zeigt (“Vater […] und Sohn Tim waren leidenschaftliche Sammler von Koi-Karpfen”).

Die “Bild am Sonntag” hat sich zudem entschieden, ihre Anteilnahme mit den Todesopfern dadurch auszudrücken, dass sie alle, von denen sie Fotos auftreiben konnte, und das sind 14 von 15, auf der Titelseite groß herausbringt:


(Unkenntlichmachung von uns.)

Auf fünf Seiten im Inneren zeigt sie noch einmal Fotos und erzählt Details aus dem Leben von jedem einzelnen der meist jungen Mädchen.

“Witwenschütteln” nennt man in der Branche die übliche Recherchemethode für solche Geschichten. Besonders groß scheint die Bereitschaft vieler Angehöriger und Freunde, der “Bild am Sonntag” den Stoff zu liefern, allerdings nicht gewesen zu sein. Einige der Artikel sind offenkundig mühsam aus dem zusammengestrickt, was die Internetseiten der Opfer zum Beispiel über ihre Hobbys verrieten. In den sozialen Netzwerken wie Kwick hat sich “Bild am Sonntag” auch bedient, um Fotos der Opfer zu bekommen.

Und über eines der getötetes Mädchen schreibt die “Bild am Sonntag”:

[…] hatte an die Haustür des Mehrfamilienhauses in […] einen Zettel geklebt, auf dem sie sich bei den Nachbarn entschuldigte, sollte die Party lauter werden. Unter den Gästen: bestimmt auch ihre beste Freundin, mit der sie oft zu Hip-Hop-Musik auf der Straße tanzte. Sie stellte ein Foto von […] am Ort des Schreckens auf. “Abf 4 ever” steht darauf — “Allerbeste Freunde für immer”. Es zeigt die beiden Mädchen in inniger Umarmung.

Auf dem Foto, das die “Bild am Sonntag” von dem Opfer zeigt, ist nur ihr Kopf zu sehen. Aber man kann noch erkennen: Es zeigt sie in inniger Umarmung mit einem anderen Mädchen. Auf dem Fotopapier scheinen Regentropfen zu liegen. Es ist leicht zu erraten, wie die “Bild am Sonntag” wohl an dieses Foto gekommen ist.

Mit Dank an Andreas S.!

Die kranke Welt der “Bild”-Zeitung (2)

Am Freitag zeigte “Bild” in gewaltiger Größe ein aus dem Internet stammendes Foto eines zehnjährigen Jungen und behauptete fälschlicherweise, es handele sich um den Amokläufer von Winnenden, Tim K. (wir berichteten).

Gestern veröffentlichte “Bild” neben Fotos von Tim K. als Tischtennisspieler, als Konfirmand und als Zweijähriger folgenden Text:

Der Amoklauf von Winnenden. Fotoverwechslung! Bei der Berichterstattung über den Amoklauf von Winnenden ist es in unserer gestrigen Ausgabe zu einem bedauerlichen Fehler gekommen. Zu einem Artikel auf Seite 2 zeigten wir das Foto eines zehnjährigen Jungen mit einem Luftgewehr und schrieben: "Das Auge am Visier, den Finger am Abzug: Früh lernte Amokläufer Tim K. den Umgang mit Waffen. Das Foto zeigt ihn als Zehnjährigen beim Schießen mit einem Luftgewehr." Das ist falsch! Der Junge auf dem Foto ist nicht Amokläufer Tim K. als Kind, mit dem Drama von Winnenden hat er nichts zu tun. BILD bittet den Jungen und seine Eltern um Entschuldigung. Dass diese Verwechslung trotz sorgfältigster Prüfung geschehen ist, bedauert niemand mehr als wir selbst. Die BILD-Redaktion

Nachtrag, 16.3.2009: Wie die “Stuttgarter Nachrichten” berichten, wurde wegen der Foto-Veröffentlichung inzwischen eine Einstweilige Verfügung gegen die “Bild”-Zeitung erwirkt. Außerdem soll “Bild” dem Jungen “bereits Schadenersatz angeboten” haben.

Vom Nutzen des Latinums im Alltag

Wenn dpa meldet, dass aus den Trümmern des Kölner Stadtarchivs Dokumente von Konrad Adenauer und dem Philosophen Albertus Magnus (Albert der Große) geborgen werden konnten, welche Überschrift wird Bild.de dem Ganzen geben?

Genau:

Archivschätze von Adenauer und Magnus in Köln geborgen

(Die Formulierung im Text von den “Magnus-Handschriften” stammt allerdings von dpa.)

Mit Dank an Norbert W. aus Köln, der die viel schönere Überschrift “Vom Alten und Großen” vorschlug.