Archiv für Oktober 30th, 2008

Bauer sucht… Wahrheit in “Bild”

“Bild” sucht Story:


“(…) aus Heinrichs Dorf im Sauerland erfuhr BILD: Der Schäfer hat Anja inzwischen längst wieder vom Hof gejagt. Aus der Liebe wurde nichts! Freunden verriet Heinrich den Grund dafür: ‘Es gab ein Problem mit Anjas Körperhygiene.’ Im Klartext: Heinrichs Herzdame soll etwas gemüffelt haben …”

Vor drei Tagen hatte “Bild” über den westfälischen Schäfer Heinrich, Teilnehmer an der RTL-Dokusoap “Bauer sucht Frau”, berichtet, er habe die Kandidatin Anja “vom Hof gejagt” – “weil sie etwas gemüffelt haben soll…” (siehe Kasten). Heute jedoch berichtet die Lippstädter Zeitung “Der Patriot” von zwei “Bild”-Mitarbeitern, die den Bauern auf seinem Hof aufgesucht – und ihm eine Flasche Apfelkorn mitgebracht hätten:

Doch offensichtlich ließ sich Heinrich davon nicht blenden: “Wer hat sich den Quatsch bei euch ausgedacht, dass ich die Anja vom Hof gejagt hab”, wollte er von den Journalisten wissen (…). Doch erklären konnten sich das die “Bild”-Mitarbeiter auch nicht. “Das hat eine Kollege aus Berlin geschrieben”, so die junge Journalistin. Aber wie der darauf gekommen sei, das wisse sie leider auch nicht. Vielmehr interessierte die “Bild”-Mitarbeiter wenig später die Adresse seiner Hof-Frau Anja. “Aber die gebe ich nicht raus”, so der Schäfer entschlossen.

Überhaupt wirkte der Schäfer gestern sehr entschlossen und wollte einige Sachverhalte klargestellt haben: “Ich habe Anja nicht vom Hof gejagt. Und gemüffelt hat sie auch nicht.” (…) Die Zeitungen sollten künftig einfach bei der Wahrheit bleiben.

Die Produktionsfirma MME bestätigt uns auf Nachfrage den “Patriot”-Bericht: “Heinrich hat Anja nicht ‘vom Hof gejagt’, und ‘Körperhygiene’ war zwischen beiden nie Thema. Im Verlauf der Sendung wird der RTL-Zuschauer sehen, dass es nicht so war, wie ‘Bild’ schrieb.”

Mit Dank auch an Marcel M., Alfons S. und Jürgen L. für den Hinweis.

“Bild” nennt Sex-Täter (nicht) “Schwein”

Was “Bild” sich da heute leistet, findet auch Lutz Tillmanns vom Presserat “sehr …

Aber nein, fangen wir lieber gleich mit der “Bild”-Überschrift selber an:

"Schon wieder so ein brandgefährlicher Kinderschänder frei -- JUSTIZ LÄSST ******* LAUFEN (Schwein darf BILD nicht schreiben, sonst gibt es Ärger mit dem Presserat)"

Die Überschrift steht über einem Artikel zu einer aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über den Umgang mit einem Sexualstraftäter.

Und um das einmal ausdrücklich hinzuschreiben: Das Bekenntnis zur Achtung vor der Wahrheit, zur Wahrung der Menschenwürde usw. (wie der Pressekodex als “oberste Gebote der Presse” umreißt) ist freiwillig. Auch wenn die “darf nicht”-Formulierung, die “Bild” über das Wort “Schwein” gedruckt hat, einen anderen Eindruck erweckt: Niemand hat “Bild” das Wort “Schwein” verboten; “Bild” hat es selbst gewählt – und tut anschließend so, als sei der “unfassbare Fall” geradezu doppelt unfassbar: als dürfe über den Justiz-“Skandal” nicht einmal so berichtet werden, wie “Bild” es für angemessen hält.

Presserats-Geschäftsführer Lutz Tillmanns nennt die Überschrift auf Nachfrage* jedenfalls “sehr ungewöhnlich” und erkennt darin “eine gewisse Form von differenzierter Unsicherheit” – als versuche “Bild”, sich “von der ethischen Verantwortung zu entlasten”, die öffentliches Publizieren nun mal mit sich bringt. Doch könne auch der Presserat der “Bild”-Zeitung die eigene Verantwortung nicht nehmen.

*) Für die Frage, ob die “Bild”-Überschrift zulässig ist oder gegen den Pressekodex verstößt, sei laut Tilmanns der Beschwerdeausschuss zuständig, wenn denn dazu beim Presserat eine berechtigte Beschwerde eingehe.

6 vor 9

1. “ZDF versendet eigene PR-Meldung im ‘heute journal'”
(cartaweb.de, Robin Meyer-Lucht)
“Wie glaubwürdig ist eine Sendeanstalt, in dessen Verwaltungs- und Fernsehrat über 40 Berufspolitiker sitzen, die ihre eigenen PR-Mitteilungen im heute journal versendet. Wer glaubt da noch, dass es bei anderen hauseigenen Begehrlichkeiten nicht ähnlich läuft. Seine Immunität gegenüber PR im Allgemeinen weist Journalismus am besten durch Immunität gegenüber überzogener PR aus dem eigenen Haus nach. Diesen Nachweis hat das ZDF hier leider versäumt.”

2. “Interview mit Bildblog-Mitbegründer Christoph Schultheis”
(medien-mittweida.de, Janka Soltes)
“Wir finanzieren uns über Werbung, auch wenn das auf den ersten Blick nicht immer so aussieht. Gerade die Vermarktung von Weblogs ist nach wie vor eine etwas schwierige Angelegenheit. Dazu kommt, dass wir mit unserem Thema BILD-Zeitung nicht unbedingt das aller beliebteste Werbeumfeld für jedes Produkt sind. Viele Unternehmen und Agenturen arbeiten mit Springer und BILD zusammen und manche sehen dadurch natürlich Schwierigkeiten, bei uns zu werben.”

3. Interview mit Peer Teuwsen
(werbewoche.ch, elk)
Der Verantwortliche für die neuen Schweiz-Seiten der Zeit im Gespräch: “In der Schweiz werden durchschnittlich nur etwa 7000 Exemplare pro Woche abgesetzt. Wenn man sich vor Augen hält, dass die ‘Zeit’ insgesamt eine Auflage von rund 470’000 Exemplaren aufweist, ist das unverständlich wenig. Man will aber auch die bisher etwas vernachlässigte Berichterstattung über die Schweiz verbessern. In der Vergangenheit war das Land oft nur im Zusammenhang mit den Banken in der ‘Zeit’.”

4. “Die Kunst des Interviews”
(lettre.de, Georg Stefan Troller)
“Auch der beschlagenste Fragesteller kann nur das herausholen, was er in sich selbst vorgebildet findet. Anderes bleibt ihm verschlossen. Und hat er noch nie von politischer Allmacht, sexueller Ausschweifung, mystischer Weisheit oder lebensgefährdenden Wagnissen geträumt, so sollte er lieber die Finger davon lassen. Weil er sonst unvermeidlich die stupidesten Fragen stellen wird, die ihm je einfielen, etwa: Wollten Sie schon als Kind Gewichtheber … Bundeskanzler … Masochist werden? Oder: Haben Sie noch Lebenspläne jetzt zum Ende Ihrer Karriere?”

5. “5th Grade Reporter Interviews Senator Joe Biden”
(youtube.com, Video, 5:55 Minuten)
Keiner zu klein, ein Reporter zu sein. Der Fünftklässler Damon Weaver befragt den demokratischen Vizepräsidentschaftskandidaten, Joe Biden.

6. “48 Stunden ohne TV”
(sat1.de, Video, 12:40 Minuten)
Ein erschütternder Report zeigt anhand der Familie Mantel auf, wie sehr wir alle einige abhängig geworden sind von Unterhaltungselektronik. Must-see!