Archiv für Oktober 23rd, 2008

Allgemein  

“Bild” sicher: “Murat S.” fuhr den Todes-BMW

Für die “Bild”-Zeitung ist der Fall klar: Der Mann, den sie “Murat S.” nennt, hat am vergangenen Wochenende einen 77-Jährigen am Potsdamer Platz überfahren und tödlich verletzt. Daran ließ “Bild” schon gestern keinen Zweifel, als sie unter der Überschrift “Staatsanwalt sicher: ER FUHR DEN TODES-BMW” über den Fall berichtete:

"Staatsanwalt sicher: ER FUHR DEN TODES-BMW"

Im Text fand sich allerdings nichts, das diese Überschrift getragen hätte (das dafür aber gefettet oder in Großbuchstaben):

JETZT ZIEHT SICH DIE SCHLINGE ZU! HABEN SIE DEN TOTRASER BALD? (…)

Die Staatsanwaltschaft bestätigt: “Ja, wir führen einen 25-jährigen Mann als Beschuldigten.” (…)

Nach BILD-Informationen hat Murat S. in einer Vernehmung die Fahrt bestritten. Die Beamten versuchen jetzt durch gesicherte Spuren und Zeugenaussagen den Totraser zu überführen.

Wie der Staatsanwalt sich angesichts dieses Ermittlungsstands sicher sein kann, dass “Murat S.” den 77-Jährigen überfahren hat, lässt “Bild” offen. Uns sagte die Staatsanwaltschaft, dass es einen “Anfangsverdacht” gebe, und dass sie nicht “sicher” sei, ob der Beschuldigte tatsächlich gefahren sei. Oder, wie es heute in der “Welt” heißt:

Eine Sprecherin der Berliner Staatsanwaltschaft sagte gestern, dass die Verdachtsmomente gegen den mutmaßlichen Fahrer sehr spärlich seien. Weitere Zeugenbefragungen sollen Klarheit bringen. Ein Kriminalbeamter ist dagegen skeptisch: “Derzeit sieht es danach aus, dass der wahre Fahrer nicht ermittelt werden kann.”

Warum das womöglich so ist, kann man heute auch der “Bild”-Zeitung entnehmen. Die berichtet nämlich über “Fahndungs-Probleme der Polizei”:

"Fahndungs-Probleme der Polizei"

“Murat S.” behaupte, er habe den Wagen zwar am Tag des Unfalls gehabt, ihn jedoch am Abend an einen Verwandten verliehen. Da sich nahe Verwandte nicht gegenseitig belasten müssen, und die Spuren im Fahrzeug wohl nur beweisen können, was “Murat S.” schon zugegeben hat (dass er am Tattag den Wagen gefahren habe), kommt “Bild” zu dem Schluss:

"Es MUSS sich also mindestens ein Zeuge melden, der zu 100 % sagen kann: Ja, Murat S. ist gefahren."

Das ist eine Möglichkeit. Eine andere, die in der “Bild”-Zeitung indes nicht mal ansatzweise vorkommt, wäre freilich, dass sich ein Zeuge meldet, der zu 100 % sagen kann: Nein, “Murat S.” ist nicht gefahren.

Mit Dank an Benjamin H., Ivo B. und Lutz A. für den Hinweis.

P.S.: BILDblog-Leser Lutz A. fragt sich übrigens angesichts der Bild.de-Überschrift Murat (70 Seiten Polizei-Akte) tötet Rentner mit Luxus-Auto”, ob Bild.de sie wohl “genauso gewählt hätte, wenn der mutmaßliche Täter Herbert, Tim oder Peter mit Vornamen hieße”.

6 vor 9

1. “Wie Pianisten im Bordell”
(weltwoche.ch, Karl Lüönd)
Karl Lüönd erklärt stellvertretend für die Weltwoche-Journalisten das missglückte Titelblatt der letzten Woche. Und fragt sich, wie es geschehen konnte, dass Journalisten jeglichen Draht zu den Geschehnissen in der Wirtschaft verlieren konnten: “Nach wie vor gilt meine Wette: Nicht einmal die Hälfte der Wirtschaftsjournalisten in diesem Lande ist fachlich in der Lage, ­eine Bilanz zu lesen, geschweige denn hochkomplexe Vorgänge im Bankenbereich sachgerecht zu interpretieren.”

2. “Rangliste der Pressefreiheit 2008”
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Rangliste zur weltweiten Situation der Pressefreiheit ist da. Schweiz auf Platz 7, Österreich auf 14, Deutschland 20, USA 36. Am wenigsten Pressefreiheit gibt es in Eritrea, Nordkorea, Turkmenistan, Burma, Kuba, Vietnam, China, Iran, Sri Lanka.

3. “Zeitungsauflage – Die Tricksereien der Verlage”
(ndr.de, Video, 6 Minuten)
Von Welt Kompakt beispielsweise werden mehr Bordexemplare verteilt als am Kiosk verkauft. Fokus stützt seine sinkenden Kioskverkäufe durch Probeabos an Inhaber von GMX-Konten.

4. “‘Print-Retter’ gesucht!”
(zukunftsjournalist.de)
“Was kann man gegen sinkende Print-Auflagen tun? Der ‘Spiegel’ setzt auf Einzelgespräche mit Ex-Abonnenten. Freundlich motivierend und überzeugend – wer will da noch ins Internet abwandern?”

5. “Bildungsauftrag: erfüllt!”
(zeit.de)
“War das Fernsehen früher wirklich so viel anspruchsvoller? Ja! Eine Übersicht der Dritten Programme im ZEITmagazin vor 30 Jahren beweist es.”

6. “Frauenquote für Musikmagazine!”
(zoomer.de, Chris Köver, Video, 1:39 Minuten)
Chris Köver beklagt sich darüber, dass nur Männer in Musikmagazinen schreiben. Als Ausgleich will sie Männer dazu bringen, in Modemagazinen Schminktipps zu geben. Wie das geschehen soll? Natürlich mit einer Quotenregelung.