Archiv für September 30th, 2008

“Bild” verliert “Verlierer”

Natürlich darf es einer Nachrichtenagentur nicht passieren, etwas zu melden, das nicht stimmt — und sei es nur für 24 Stunden für 16 Minuten. Solange dauerte es nämlich gestern morgen, bis die Agentur AP widerrief, dass nach der CSU-Wahlniederlage die CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer zurücktreten müsse.

Für “Bild” sind Fehler und Eingeständnis immerhin Grund genug, AP heute zum “Verlierer” des Tages zu machen (siehe Ausriss).

Dass jedoch “lediglich ein CSU-Bezirksvorstand (…) Haderthauers Rücktritt gefordert” hätte, wie “Bild” behauptet, ist wiederum ein Fehler, der so zwar auch im AP-Widerruf stand, aber in “Bild” so nicht stehen dürfte. Denn bereits gestern Nachmittag, also lange vorm “Bild”-Redaktionsschluss, war klar, dass Haderthauer selbst ihren Rücktritt angeboten hatte, ihr Angebot aber (zunächst) parteiintern abgelehnt worden war.

Heute morgen nun, als “Bild” mit ihrer “Verlierer”-Meldung millionenfach am Kiosk lag, hat sich die “Eil-Ente” von AP dann aber doch bewahrheitet: Haderthauer hat (wie auch CSU-Chef Erwin Huber) öffentlich ihren Rücktritt angekündigt.* Weshalb die Agentur mit ihrer “Falschmeldung!” spätestens morgen eigentlich – zumindest für die “Bild”Redaktion – als glücklicher “Gewinner” dastehen müsste.

*) Laut Bild.de stand Haderthauers Rücktrittsbeschluss übrigens bereits gestern “gegen 23 Uhr” (also noch vorm finalen “Bild”-Redaktionsschluss) fest.

Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit

Direktor: (...) Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen, Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus. Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; Und jeder geht zufrieden aus dem Haus. Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken! Solch ein Ragout, es muß Euch glücken; Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht. Was hilfts, wenn Ihr ein Ganzes dargebracht? Das Publikum wird es Euch doch zerpflücken. (...) Ich sag Euch, gebt nur mehr und immer, immer mehr, So könnt Ihr Euch vom Ziele nie verirren Sucht nur die Menschen zu verwirren, Sie zu befriedigen, ist schwer – (...) Lustige Person: In bunten Bildern wenig Klarheit, Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit, So wird der beste Trank gebraut, Der alle Welt erquickt und auferbaut.

“Die übliche Heuchelei” und einen “PR-Gag allererster Güte” nannte Hans Leyendecker vor einer Woche auf sueddeutsche.de (und in einem ähnlichen Text in der “Süddeutschen Zeitung”) die erste öffentliche Blattkritik der “Bild”-Zeitung und schrieb über den “Bild”-Chefredakteur:

(…) Diekmann, der bei der heimlichen Hochzeit von Altkanzler Helmut Kohl Trauzeuge, Reporter und Ministrant war, ist ein Virtuose des Scheins. Ihm wäre die Chuzpe zuzutrauen, dass er sich auf Goethe und Heine beruft, wenn er Bild erklärt. (…)

Heute nun druckt die “Süddeutsche” dazu folgenden Leserbrief:

Den raren Moment, einmal mit meinem geschätzten SZ-Kollegen Hans Leyendecker übereinzustimmen, möchte ich nicht ungewürdigt verstreichen lassen: Völlig zu Recht traut er mir zu, mich "auf Goethe zu berufen", wenn ich "die Bild-Zeitung erkläre". Nur, die mir unterstellte Chuzpe ist überflüssig - schließlich sagte Goethe zu Eckermann: "Wer aber nicht eine Million Leser erwartet, sollte keine Zeile schreiben." Dieser virtuose Ratschlag vom 12. Mai 1825 wird heute leider viel zu selten beherzigt.

6 vor 9

1. “Die EU kauft Berichterstattung ein”
(faz.net, Hajo Friedrich und Martin Wittmann)
“Man staunt und glaubt es kaum: Die EU zahlt für genehme Berichte. Propaganda sei das nicht, heißt es in Brüssel auf die Frage nach der seit Jahren geübten Praxis. Doch was ist es dann?”

2. “Springers Abschiebebahnhof”
(taz.de, Günter Herkel)
“Mit der Beilage ‘Gesund’ legt die 2007 gestartete Entwicklungs- und Serviceredaktion von Springer einen seltenen Tätigkeitsnachweis vor. Vom ‘Totenschiff’ ist die Rede.”

3. “Google-PageRank: F.A.Z. und Süddeutsche legen zu”
(faz-community.faz.net/blogs/netzkonom, Holger Schmidt)
“Google hat den PageRank abermals aktualisiert. Wie Sistrix schreibt, ist der PageRank vieler Seiten gestiegen. Unter den Medienseiten haben FAZ.NET und Sueddeutsche.de ihren Wert von 7 auf 8 erhöht; die Werte der anderen Seiten, die in der Grafik aufgeführt sind, sind gleich geblieben. Der Maximalwert beträgt 10.”

4. “Uri Geller sucht Außerirdische. Auf dem Jupiter.”
(medienrauschen.de, Thomas Gigold)
Radiowellen sind ziemlich schnell, sie “bewegen sich im Vakuum mit 299.792,5 Kilometer pro Sekunde fort”. Aber so schnell, als dass Uri Geller in einer bald auf Pro7 zu sehenden Sendung Kontakt mit dem Jupiter aufnehmen könnte, sind sie auch wieder nicht.

5. “Mit Journalismus hat das nichts mehr zu tun”
(main-rheiner.de, Janina Plato)
David Witzthum, Moderator und Chefredakteur im Ersten Israelischen Fernsehen, erklärt bei einem Vortrag seinen Arbeitsalltag: “‘Von 7 bis 19 Uhr sitze ich in der Redaktion in Jerusalem, die Kopfhörer griffbereit und warte darauf, dass ein Anschlag passiert.’ Ist es soweit, eilt er, genauso wie seine Kollegen der zahlreichen Privatsender, in das Aufnahmestudio und setzt sich vollkommen unwissend vor die Kamera.”

6. “Die Verbravung der Schweizer Journalisten”
(stoehlker.ch/weblog, Fred David (Kommentar))
“Wer sich als Journalist nicht artig verhält, erhält keine Informationen mehr, keine Interviews, er wird aus sogenannten Hintergrundzirkeln ausgeladen etc. Die Verbravung der Schweizer Journalisten ist schon sehr weit fortgeschritten. Affären wie etwa der Fall Nef kommen nur ans Licht, wenn Interessengruppen wollen, dass sie ans Licht kommen. Das ist eher selten. Meistens wollen Interessengruppen, dass etwas nicht ans Licht kommt. Und dann kommt es nicht ans Licht, wenn das pressure potential gross genug ist.”