Archiv für September 19th, 2008

“Bild”-Leserreporter wider Willen

“Mich interessiert ja überhaupt nicht, woher eine Geschichte kommt, sondern wie gut eine Geschichte ist.”

“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann über Leserreporter

Die Geschichte, dass Torwart Jens Lehmann gelegentlich mit dem Hubschrauber von seinem Wohnsitz, dem Örtchen Berg am Starnberger See, zum Training nach Stuttgart fliegt und der Hubschrauber auch schon mal mitten in der Gemeinde landet, ist zweifellos eine gute Geschichte. Andreas Ammer hat sie aufgeschrieben, vor vier Wochen, in “QUH”, seinem Blog aus der Gemeinde Berg.

Heute steht sie auch in “Bild”, die gute Geschichte. Armin Grasmuck und Burkhard Wittmann (mehr über ihn hier) sind jetzt die Autoren. Sie haben auf jeden Hinweis auf die Quelle verzichtet — ist ja egal, woher die Geschichte kommt. Und auch das knapp Din-A4-große Foto trägt keinen Urheberhinweis.

Andreas Ammer weiß, warum das so ist: Das Foto hat “Bild”, wie er es formuliert, aus seinem Blog “geklaut”. Das Blatt habe es “ohne unser Wissen, ohne unsere Erlaubnis und ohne Quellenangabe heruntergeladen und abgedruckt”. Dabei habe man die “Bild”-Leute, die gestern dauernd bei ihm angerufen hätten und Auskünfte verlangten (aber nicht bekamen), ausdrücklich darauf hingeweisen, dass die Rechte bei QUH liegen.

Nun hat “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann uns aber im Video-Interview erklärt, was der große Unterschied sei zwischen einem “journalistischen” Angebot wie “Bild” und nicht-journalistischen Angeboten wie YouTube oder Flickr: “Dort sind dann eben auch Inhalte, die nicht rechtmäßig zustande gekommen sind und deren Veröffentlichung nicht rechtmäßig ist.” Bei “Bild” werde dagegen “nachrecherchiert”.

Und in der Tat: “Bild” hat die Geschichte nicht einfach bei QUH abgeschrieben. Die Aussage “jetzt verbot ihm [Lehmann] der Bürgermeister die Landungen auf dem Fußball-Platz” steht da zum Beispiel gar nicht. Die steht nur in “Bild”.

Was daran liegen könnte, dass sie nicht stimmt. Bürgermeister Rupert Monn hat “Bild” gegenüber nur gesagt:

“Ich hoffe sehr, dass Herr Lehmann in Zukunft nicht mehr im Ort landet. Sonst werde ich persönlich mit ihm sprechen.”

Vielleicht ist das die ganz eigene “Bild”-Definition vom journalistischen Umgang mit User Generated Content: Die Profis von “Bild” verwenden Inhalte anderer gegen deren Willen und kombinieren sie mit eigenen Falschmeldungen.

neu  

Heute anonym XX

Seit gestern berichtet “Bild” in großer Aufmachung über “Berlins schlimmsten Schulschwänzer”. Sie hat immerhin seinen Namen geändert und nennt den Jungen:

Taran N.*
*Name geändert.

Die “Bild”-Leute haben sogar daran gedacht, auf dem Zeugnis von “Taran”, das sie heute zeigen, den richtigen Namen und seinen Geburtstag zu schwärzen. Sie haben nur übersehen, dass der richtige Vorname auch im Text zweimal genannt wird, wo man ihn mit ein bisschen Mühe ganz gut entziffern kann.

Komisch. Manche Dinge passieren “Bild” wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder und wieder.

Mit Dank an Heiko F., Christian K., Kai D., Marlon K., Thomas und Daniel J.!

“Bild” macht sich einen Sport aus Beleidigungen (2)

Was sich gestern andeutete, ist heute eingetreten: Die “Bild”-Zeitung entschuldigt sich beim Kapitän von Schalke 04, Marcelo Bordon und widerruft ihre Behauptung, Bordon habe den Schiedsrichter nach dem Spiel gegen Borussia Dortmund eine “Hure” genannt.

Der Kontrollausschuss des DFB hatte das Verfahren gegen Bordon, das er nach der “Bild”-Berichterstattung angestrengt hatte, gestern eingestellt.

Genau wie das Verfahren gegen den Trainer des VfL Osnabrück, Claus-Dieter Wollitz. Über den hatte “Bild”-Reporter Manfred Schäfer behauptet, er habe den gegnerischen Trainer einen “Wichser” genannt. Dieser Verdacht hat sich nach Angaben des DFB “nach Auswertung der vorliegenden Beweismittel nicht bestätigt”.

Hat “Bild” also heute auch diese Behauptung widerrufen und sich bei Pele Wollitz entschuldigt?

Nun ja. Nicht ganz:

Mit Dank an Jonas G., Markus S., Frank G. und Torsten B.!

6 vor 9

1. “Blame it on the Internet”
(coffeeandtv.de, Lukas)
“Dass die ‘Süddeutsche Zeitung’ ein eher gespaltenes Verhältnis zum Internet hat, ist ja schon länger bekannt. Insofern überrascht es wenig, dass vorgestern ein Artikel erschien, der diesen ganzen Internetkram und vor allem Google mal wieder als den Untergang von Abendland, Weltwirtschaft und Qualitätsjournalismus beschrieb.”

2. “Ypsilanti könnte zur Spaßbremse für Radiomacher werden”
(blogmedien.de, Horst Müller)
“‘Radio ffn’ hat richtig Ärger wegen eines Telefonstreichs [youtube.com] mit der hessischen SPD-Fraktionschefin Andrea Ypsilanti, obwohl das Stück vom Sender gar nicht ausgestrahlt wurde. Die Sache könnte sich durchaus zum Problem für viele Radiomacher entwickeln.”

3. Befragung des ZDF-Programmdirektors Nikolaus Brender
(cicero.de, Thomas Schuler)
“Unter Programmplanern gilt die Faustregel, dass jüngere Leute Sender wählen, die Spielfilme, Serien und Live-Sport bieten, bei Informationsprogrammen dagegen eher um- oder abschalten. Die Allzweckwaffe des ZDF heißt deshalb Johannes B. Kerner. Er moderiert für Brender Sport und für Bellut Talk. Ein Grund für die ‘Kernerisierung’ des ZDF ist, dass der Moderator unter den Talksendungen am Abend junge Zuschauer anspreche.”

4. Interview mit WAZ-Geschäftsführer Christian Nienhaus
(sueddeutsche.de, Caspar Busse und Dirk Graalmann)
Der WAZ-Geschäftsführer glaubt an das Geschäftsmodell Zeitung und an das Unmögliche: “Ich erwarte noch bessere Qualität zu geringeren Kosten” und “Ziel ist, die Qualität zu erhöhen und gleichzeitig Kosten zu sparen.” Immerhin sieht er ein: “Es ist einfach nicht sinnvoll, dass bei einem Spiel von Borussia Dortmund vier Redakteure von vier Titeln im Stadion sitzen, die vier mehr oder weniger gleiche Artikel schreiben.”

5. Am Jahreskongress der Schweizer Presse
(medienheft.ch, Wolf Ludwig)
“Gleich zum Auftakt des Programms gab’s die erste verpasste Chance. Denn die versammelten Chefredakteure auf dem Podium sprachen bei der Debatte über ‘Neue Medien – neue Chancen?’ und die ‘Herausforderungen des Journalismus’ hauptsächlich über Geld, Rendite und Auflagen. Bernhard Weissberg, Chefredaktor ‘Blick’, machte noch einen anderen Widerspruch deutlich: ‘Wenn der Verlegerverband über Neue Medien spricht, lädt er Zeitungsvertreter ein’, kommentierte er bissig.”

6. “Internet pur”
(freitag.de, Mathias Mertens)
“Zehn Jahre, ein Logo und ein bisschen Weiß: Die falsche Vorstellung hinter der richtigen Kritik an Google.”