Archiv für September 11th, 2008

Von Äpfeln, Birnen, Weintrauben und Kiwi

Anfang der Woche verkündete “Bild” “eine echte TV-Sensation”: Andrea Kiewel, von der sich das ZDF im vergangenen Jahr wegen Schleichwerbevorwürfen getrennt hatte, wird im Oktober als Gast bei einer Gala der Welthungerhilfe auftreten, die das ZDF zeigt. “Bild” glaubt, dass das “eine behutsame Vorbereitung – auf Kiewels Komplett-Rückkehr” sein könnte und fragt:

Kriegt Andrea Kiewel wieder den Fernsehgarten?

Tja, wer weiß. “Bild” offenbar nicht, und das ZDF sagt, es handele sich um “reine Spekulation”, was natürlich nicht bedeutet, dass es nicht am Ende so kommen könnte.

Die Nachrichtenagentur AP und viele Medien berichteten über die mögliche Rückkehr Kiewels zum ZDF, und sie übernahmen nicht nur die (nicht nachprüfbare) Spekulation, sondern auch (leicht nachprüfbare) Tatsachenbehauptungen von “Bild”. AP zum Beispiel meldet unter Bezug auf “Bild”:

[Kiewel] habe als Moderatorin des “Fernsehgartens” im Durchschnitt 2,3 Millionen Zuschauer gehabt, ihr Nachfolger Ernst-Marcus Thomas im August nur 1,3 Millionen.

“Spiegel Online” kürzte aus der Formulierung sogar noch die Zeitangaben und berichtete:

[Kiewel] habe als Moderatorin des “Fernsehgartens” im Durchschnitt 2,3 Millionen Zuschauer gehabt. Ihr Nachfolger Ernst-Marcus Thomas habe dagegen nur 1,3 Millionen erreicht.

Das ist noch falscher als das, was “Bild” geschrieben hatte:

Sieben Jahre lang hatte [Kiewel] tolle Quoten für die TV-Show geholt – im Schnitt 2,3 Millionen Zuschauer. Nach ihrer Kündigung versuchte Kiewels Nachfolger Ernst-Marcus Thomas (35) sehr engagiert sein Glück – vergeblich.

Im August lag die Zuschauerzahl bei nur noch bei [sic] 1,3 Millionen.

Eigentlich muss man nicht einmal recherchieren, um zu erkennen, wie unfair die Rechnung wäre, selbst wenn sie stimmen würde: “Bild” vergleicht die Quoten von sieben Jahren mit den Quoten von einem Monat.

Aber die angegebenen Zahlen stimmen nicht einmal. 1,3 Millionen Zuschauer hatte die schlechte Sendung im August — insgesamt lag die Zahl in dem Monat bei 1,46 Millionen.

In den sieben Jahren, in denen Kiewel moderierte, hatte der “Fernsehgarten” im Schnitt 1,94 Millionen Zuschauer (wie “Bild” auf 2,3 Millionen kommt, ist dem ZDF schleierhaft). Und im Jahr 2008 hatte die Sendung mit Ernst-Marcus Thomas bisher im Schnitt 1,53 Millionen Zuschauer — wodurch der Abstand zu Kiewel nicht, wie “Bild” in der Kiwi-Euphorie seiner Exklusiv-Spekulation behauptet, eine Million Zuschauer beträgt…

… sondern nur rund 400.000.

Die “Bild”-Zeitung vergleicht Äpfel mit als Birnen getarnten Weintrauben. Und AP, “Spiegel Online” und die anderen kaufen ihr die Grütze auch noch ab.

6 vor 9

1. “Dubioser Professor, unglaubliche Studien”
(spiegel.de, Marvin Oppong und Markus Becker)
“Hat ein vermeintlich führender Psychologieexperte jahrzehntelang deutsche Medien genarrt? Henner Ertel wurde jetzt von einem Wissenschaftler wegen Missbrauchs akademischer Titel angezeigt. Die Universität, deren Rektor Ertel sein will, existiert offenbar nur auf dem Papier.”

2. “Das Paradox des Online-Journalismus”
(perlentaucher.de, Robin Meyer-Lucht)
“Nachrichtensites feiern sich für hohe Leserzahlen – doch tatsächlich haben sie nicht ein Nutzungsproblem, sondern auch eines mit der geringen Loyalität ihrer Leser. Welt Online löst dies auf wenig erquickliche Weise.”

3. “Rücktritt Beck: Politiker-Intrigen im Blätterwald”
(ndr.de, Video, 7:01 Minuten)
SPD-Chef Kurt Beck musste gehen, weil er die Medien nicht ‘bedient’ habe. Was in der Provinz noch funktioniert habe, sei in Berlin gescheitert. An den elitären Hauptstadtjournalisten, denen Politiker, die Rollmöpse verteilen und nicht alltägliche Teile vom Schwein verspeisen, suspekt sind.

4. “Widerliches TV-Format für 5000”
(frank.geekheim.de)
“In der Schule meines Sohnes wurde gerade in der Elternversammlung debattiert, ob die Klasse an einem “TV-Projekt” teilnehmen möchte. Sozial sollte es sein, engagiert und interessante Fragen aufwerfend. Nun, das wird schon seine Richtigkeit haben dachte ich als das Thema zuerst vor ein paar Wochen aufkam, bis dann der Vertrag der Produktionsfirma auf dem Tisch lag und Details klar wurden.”

5. “Hitlers Kameramann Walter Frentz”
(einestages.spiegel.de, Hans Michael Kloth)
“Er war des Teufels Fotograf: Von 1939 bis 1945 setzte Walter Frentz Adolf Hitler und seine Entourage in Szene. Seine Propagandafilme und Farbfotos vom ‘Führer’ prägen bis heute das Bild vom Diktator – sich selbst sah Frentz trotzdem immer nur als unbeteiligten Beobachter.”

6. “Natürlich gibt es Ausserirdische!”
(nzzfolio.ch, Ulrich Schmid)
Ein schönes Interview mit dem Kosmonaut Sergei Krikaljow im NZZ Folio: “Nehmen Sie das dumme Märchen, man könne vom Weltraum aus die Chinesische Mauer sehen. Man kann sie nicht sehen – wie sollte man auch? Sie ist schmal und aus Stein, also von der gleichen Farbe wie die Berge, über die sie sich hinwegzieht.”