Archiv für September 10th, 2008

“Bild” entdeckt Großteil in “Porno-Denkmal”

In der Gemeinde Bodman-Ludwigshafen am Bodensee passiert — vorsichtig ausgedrückt — nicht ganz so viel. Im Moment allerdings stauen sich die Schaulustigen: Ein neues Kunstwerk zeigt unter anderem nackte Politiker. “Unglaublich” fand “Bild” das — und brachte am Montag in seinen süddeutschen Ausgaben einen großen Artikel:

Merkel, Stoiber & Co beim Ringelpiez am Bodensee: Ärger um neues Porno-Denkmal

“Unglaublich” fand “Bild” auch dies:

Unglaublich: Bürgermeister Matthias Weckbach hat das Kunstwerk auch noch gefördert, ein Großteil der Kosten (35 000 Euro) kommt aus Steuergeldern - vom Touristikamt.

Vielleicht kommt es ein bisschen darauf an, wie man einen “Großteil” definiert. In diesem Fall wohl ungefähr so (der Großteil ist das Dunkle):

Geldgeber: Sonstige (95,53%), Gemeinde (4,47%)

An den Anschaffungskosten von 35.000 Euro ist die Gemeinde Bodman-Ludwigshafen nämlich mit 1.500 Euro (oder 4,47% 4,29%) beteiligt. Das ist der Zuschuss, den die “Kunstfreunde Bodman-Ludwigshafen e.V.” von der Gemeinde bekommen haben, wie Bürgermeister Matthias Weckbach im “Südkurier” klarstellte. Er hat sich deshalb beim deutschen Presserat über die Berichterstattung in “Bild” beschwert.

Möglicherweise hat “Bild” die Falschinformation schlicht aus einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa (hier bei der “Schwäbischen Zeitung”) übernommen.

Andererseits ist es nicht so, dass “Bild” nicht nachrecherchiert hätte, und das sogar mit verschärftem Einsatz: Ein “Bild”-Reporter (oder jemand, der sich als als solcher ausgegeben hatte) soll nach Angaben von Weckbach vor Erscheinen des Artikels mindestens ein Gemeinderatsmitglied telefonisch bedrängt haben, ihm gefälligst Auskunft zu geben. Der Anrufer habe wissen wollen, wie alt der Bürgermeister war und welcher Partei er angehörte.

Mit Dank an Christoph S. für den Hinweis und den Scan.

Urbi et Orbi?

Es hat natürlich eine gewisse Tragik, dass die Untersuchung der französischen Wissenschaftler über die Resistenz mancher Menschen gegen das HI-Virus ausgerechnet einen Zusammenhang mit der Ausbreitung des Römischen Reiches herstellte, wodurch das Thema quasi zwangsläufig in den Zuständkeitsbereich des Vatikan-Korrespondenten der “Bild”-Zeitung fiel, obwohl Wissen und -schaft eigentlich nicht dessen Spezialitäten sind.

So aber durfte oder musste Andreas Englisch sich der faszinierenden These annehmen, dass die Römer dafür sorgten, dass in Südeuropa weniger Menschen als in Nordeuropa eine Genvariante haben, die dafür sorgt, dass sie gegen Infektionen mit HIV relativ resistent sind. Die unterschiedliche Verbreitung dieser Genvariante in Europe weist verblüffende Ähnlichkeiten mit der Ausbreitung des Römischen Reiches aus. Eric Faure von der Universität der Provence in Marseille erklärt das laut “New Scientist” damit, dass die Römer in die von ihnen eroberten Regionen Moskitos mit Krankheitserregern brachten, für die besonders die Menschen anfällig waren, die eine Genvariante trugen, die heute gegen das HI-Virus schützt. Diese Menschen seien in den Bereichen, in die die Römer kamen, deshalb teilweise ausgestorben.

Bei Andreas Englisch liest sich das so:

Die Soldaten brachten Tiere mit sich, Lebensmittel und Krankheiten. Diese Krankheiten sorgten dafür, dass die Leute unter römischer Herrschaft andere Gene besitzen als die unabhängiger Regionen.

Die römischen Legionen, die durch das Gebiet des heutigen Deutschlands zogen, nahmen daher unseren Vorfahren die Chance das Schutzschild zu entwickeln.

Das ist, mit ein bisschen Mühe, wenigstens noch viertelrichtig. Grotesk ist aber der erste Satz, den Englisch für seinen Einstieg in das Thema gewählt hat:

Die Ausbreitung des römischen Imperiums und die Karte der Aids-Erkrankungen sind sehr ähnlich (…).

Nein. Bis nach Zentral- und Südafrika, Russland, Zentralamerika und Asien sind die Römer nicht gekommen.

Mit Dank an Uwe S.!

6 vor 9

1. “Plumpheit, dein Name ist Spiegel Online”
(letterofintent.wordpress.com, Wullenwever)
“Danke, Herr Schwabe, für diesen Beitrag! Und danke, Spiegel Online, dass Ihr so viel Wert auf Recherche legt und es für ausreichend erachtet, wenn einer Eurer (freien?) Mitarbeiter einfach bei CNN abschreibt. Meinetwegen soll er. Es dann aber noch deutlich schlechter zu tun, mit mehr Vermutungen und Behauptungen, weniger Klarstellung und Gegenrede – das grenzt an das Verfahren eines Schmierenblattes übelster Sorte. Was SPON offenbar schon längst geworden ist.”

2. “‘Subway’-Journalismus für alle”
(stefan-niggemeier.de)
Die PR-Agentur foleys, die Sendungen wie “Galileo” bei Pro7 “betreut”, bedauert, “evtl. missverständlich formulierte Aussagen” getätigt zu haben. Und entfernt die gestern noch online verfügbare Pressemitteilung vom April. Eine Unternehmenssprecherin von Pro7 sagte, wenig überraschend: “Niemand plaziert in irgendeiner Weise Beiträge in irgendwelchen Formaten von uns. (…) Die Einzigen, die bei uns Geschichten ‚initiieren’, sind Redakteure.”

3. “Nordkorea wirft Medien Verschwörung vor”
(tagesanzeiger.ch)
“Ein nordkoreanischer Diplomat hat Berichte über eine angeblich schwere Erkrankung des Staatschefs Kim Jong Il vehement dementiert. In den Medien wird weiter spekuliert.”

4. “Die Kaufzeitung als Übergangsphänomen”
(madial.blogspot.com)
“Auf tagesanzeiger.ch findet sich heute ein eher merkwürdiges Stück journalistischer Wirklichkeitskonstruktion: Unter dem Titel ‘Die Gratiszeitung als Übergangsphänomen‘ argumentiert sich David Vonplon ein baldiges Ende der Umsonstpresse zurecht.”

5. “Und was ist die ganze Wahrheit?”
(wdr5.de, Audio)
Dirk Kurbjuweit, Leiter des Spiegel-Büros in Berlin, im Interview.

6. “Wahlkampf 2.0”
(krone.at)
“Aktuelle Plakatsujets, ein paar unscharfe Bilder aus dem Wahlkampfzelt und eine bereinigte Schönwetterbiografie auf der Homepage – das war gestern. Die Parteien haben auf Web 2.0 umgestellt und bedienen sich an allem, was das Internet zu bieten hat.”