Archiv für Januar 23rd, 2007

Was “Bild” (nicht) am Fall Steinmeier interessiert

Man kann wahrlich nicht behaupten, “Bild” berichte übermäßig viel über die Vorwürfe gegen Frank-Walter Steinmeier, die nach Veröffentlichungen der “Süddeutschen Zeitung” vielen Medien in den vergangenen Tagen die ein oder andere Titelgeschichte Wert waren. Der Außenminister soll in seiner Rolle als Kanzleramtsminister dafür verantwortlich gewesen sein, dass die Entlassung des in Guantanamo inhaftierten Türken Murat Kurnaz über Jahre verzögert oder verhindert wurde. Bis heute bestand der ausführlichste “Bild”-Bericht über den Fall aus einer Meldung vom vergangenen Samstag. “Verhinderte Berlin Freilassung von Kurnaz?” hieß es dort auf Seite 2. Der Name des Außen- und ehemaligen Kanzleramtsministers kommt im Text nicht mal vor.

"Beck stützt Steinmeier"Am Montag fand “Bild” dann Platz für eine weitere kleine Meldung (siehe Ausriss), die besagt, dass der SPD-Vorsitzende Kurt Beck “das Verhalten von Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) im Fall Kurnaz als ‘einwandfrei’ bezeichnet” habe. Das hatte Beck so direkt zwar nicht gesagt, aber er scheint sich immerhin sicher zu sein, dass Steinmeier, wenn er im eingesetzten Untersuchungsausschuss aussagt, klarstellen könne, “dass er auch in dieser Frage sich einwandfrei verhalten hat”.

Heute widmet “Bild” sich etwas ausführlicher dem Fall Kurnaz/Steinmeier:
"Warum ist eigentlich die deutsche Regierung für diesen Türken zuständig?"

Im Text heißt es:

Der Vorwurf lautet: Die rot-grüne Bundesregierung und ihr damaliger Kanzleramtsminister Steinmeier hätten verhindert, dass Kurnaz schon vor Jahren von den USA freigelassen wurde.

Mehr allerdings erfährt der “Bild”-Leser nicht von den Vorwürfen gegen Steinmeier, über die andere Medien (unter ihnen übrigens auch die “BamS”) so intensiv berichten und berichteten. Im Gegenteil, aber dazu gleich. Zunächst fragt “Bild” — gerade so, als hätte die Religion eines Menschen irgendeinen Einfluss darauf, ob sich die Bundesregierung für ihn einsetzen müsse oder nicht:

Was ging das Schicksal des türkischen Staatsbürgers und streng gläubigen Muslims die deutsche Bundesregierung überhaupt an?
(Hervorhebung von uns.)

Eine Antwort auf diese Frage indes bleibt “Bild” (anders als übrigens die “FAZ” auf ihrer heutigen Seite 2) schuldig und schreibt, dass Kurnaz zwar in Bremen geboren sei, aber “nie einen deutschen Pass” gehabt habe, dass er “drei Wochen nach den Terror-Anschlägen auf das World Trade Center” nach Pakistan gereist sei, um den “Islam zu studieren”, und dass er dort “im November 2001 unter Terrorverdacht gefangengenommen — und ins US-Hochsicherheitslager in Guantánamo/Kuba gebracht” worden sei. Dass kaum Zweifel an Kurnaz’ Unschuld bestehen können, und dass schon seit langem bekannt war, dass Gefangene in Guantanamo gefoltert wurden, erwähnt “Bild” hingegen nicht.

So richtig merkwürdig und vollends irreführend wird der “Bild”-Artikel allerdings erst danach. Plötzlich heißt es nämlich:

Warum bemühte sich die rot-grüne Bundesregierung seit Februar 2002 in Washington um die Freilassung des Bremer Türken?

Dabei geht es bei den aktuellen, schwerwiegenden Vorwürfen gegen Steinmeier doch genau darum, dass die Bundesregierung sich eben nicht um die Freilassung Kurnaz’ bemüht, sondern sie womöglich aktiv verhindert habe. Was “Bild” als Fakten darstellt, ist lediglich die Version der Bundesregierung(en). Die “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” schreibt heute beispielsweise:

Die Dokumente widersprechen zumindest auf den ersten Blick vollkommen der bisherigen Darstellung der Regierung, der zufolge sie, insbesondere aber das Auswärtige Amt, sich zwischen 2002 und 2005 unermüdlich aber leider vergeblich um eine Freilassung von Kurnaz bemüht habe.

Um das klarzustellen: Es geht uns nicht darum, dass “Bild” genau so vorverurteilend berichten soll, wie wir es leider von ihr gewohnt sind — sondern darum, dass sie leider genau so irreführend berichtet, wie wir es von ihr gewohnt sind.

Mit Dank an Jason M. für den sachdienlichen Hinweis.

“Bild”-Enttarnung enttarnt

“Bild” behauptete gestern:

"BILD enttarnt Z9"

Eigentlich aber zeigte “Bild” nur zwei (als “Fotomontagen” gekennzeichnete) Computerzeichnungen, die beispielsweise bei auto-motor-sport.de schon mindestens seit September 2006 zu begutachten sind — und (wenn uns nicht alles täuscht) damals auch schon bei Bild.de zu sehen waren.

PS: Bild.de behauptet derweil außerdem auf der Startseite, es handle sich dabei um “erste Bilder”, zeigt aber zumindest noch zwei Fotos eines getarnten (!) Z9-Erlkönigs, die kürzlich jedoch auch schon anderswo zu sehen waren.

Mit Dank an Albert G. für den Hinweis.

Aufstand ohne Buback

Ja, auch “Bild” berichtet heute über die mögliche vorzeitige Entlassung der inhaftierten, ehemaligen RAF-Terroristen Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar. Und zum Schluß des Artikels mit der Überschrift “Aufstand der RAF-Opfer! Angehörige lehnen Entlassung der Terroristen ab” zitiert “Bild” den Sohn des 1977 von der RAF ermordeten Siegfried Buback, Michael Buback:

Buback zu BILD: “Wer von Gnade redet, sollte wenigstens den Ablauf der Tat offenbaren, für die er gebüßt hat.”

Hier endet der heutige “Bild”-Artikel. Und das ist erstaunlich, denn mit genau dem selben Satz wird Buback seit gestern abend auch in Agenturmeldungen und anderen Medien zitiert — allerdings nicht mit der Quellenangabe “zu BILD”, sondern meistens mit dem Zusatz:

(…) sagte Michael Buback “Spiegel Online”.

Zudem heißt es bei “Spiegel Online” seit gestern abend weiter:

Buback sagte, es sei gut, dass die Angehörigen nicht über die Begnadigung zu entscheiden hätten, und kündigte an, die Entscheidung zu akzeptieren. “Wenn andere zum Urteil kommen, die Inhaftierten gehören auf freien Fuß, werde ich mich nicht sträuben.” Es sei für ihn grundsätzlich kein Problem, dass Klar und Mohnhaupt in Freiheit lebten.

Im “Aufstand der RAF-Opfer” der “Bild”-Zeitung ist davon nirgends die Rede — ebensowenig wie von den ebenfalls wenig aufständischen Worten Bubacks, die bereits seit gestern nachmittag der Radiosender NDR Info verbreitet:

“Ich bin froh, dass Angehörige nicht beteiligt sind an Begnadigungen. Das müssen andere tun, die sicher eine Prognose abgeben können über die Frage, ob noch eine Gefahr von einem Täter ausgeht oder ob das nicht der Fall ist”, sagt Michael Buback im Exklusiv-Interview mit NDR Info. Dies gelte auch für den speziellen Fall von Christian Klar: Es sei für sein Wohlbefinden oder Unwohlbefinden unerheblich, ob er noch in Haft sei oder nicht, so Buback. “Ich möchte auch keinesfalls, dass er wegen meines Wohlbefindens länger in Haft bleibt, als es sinnvoll und richtig ist.”

Mit Dank an Jos G. für den Hinweis.

neu  

Heute anonym XI

Gestern berichtete die Aachener Regionalausgabe der “Bild”-Zeitung über einen jüngst verurteilten Sexualstraftäter in Düren. Im Vergleich zur Berichterstattung etwa der “Aachener Nachrichten” und der “Aachener Zeitung” finden sich darin jedoch mehrere Ungereimtheiten: So behauptete “Bild” beispielsweise pauschal, der Mann habe “fünf Jungen (…) in über 14 Fällen sexuell missbraucht” und sei “wegen schweren sexuellen Missbrauchs an fünf Kindern” verurteilt worden — wohingegen die Lokalzeitungen (übrigens vor knapp einer Woche!) berichtet hatten, er sei zwar “für insgesamt 14 Taten” bzw. “14 Taten von sexuellem Missbrauch und sexueller Nötigung” verurteilt worden, allerdings habe es sich nur “in einem Fall um schweren sexuellen Missbrauch gehandelt”.*

“Bild” zeigt zudem ein Flugblatt (“Warnung vor diesem Mann!!!! Er hat meine 6-jährige Tochter sexuell missbraucht!!!!”, siehe Ausriss), das eine Mutter der missbrauchten Kinder vor dem Prozess in der Nachbarschaft verteilt hatte. Und man mag darüber streiten, wie sachdienlich es ist, dieses Flugblatt abzubilden, obwohl ausgerechnet der auf dem Flugblatt geäußerte Vorwurf “vor Gericht nicht zweifelsfrei zu beweisen” gewesen sei, wie die “Bild”-Zeitung schreibt, die den Artikel trotzdem mit den Worten beginnt: “Er soll eine Sechsjährige missbraucht (…) haben.”

Unstrittig aber ist, dass sich die Kollegen der Aachener “Bild”-Redaktion offenbar alle Mühe gegeben haben, den Verurteilten unkenntlich zu machen: Im Text ist sein Name durchgängig abgekürzt, und das Foto des Mannes (immerhin) mit einem schwarzen Balken versehen.

Genutzt allerdings hat die ganze Mühe nichts: Denn zwar hat “Bild” auch das Foto auf dem abgebildeten Flugblatt unkenntlich gemacht, nicht aber (siehe Ausriss) den vollen Namen und die komplette Adresse des Verurteilten, die von der Mutter ebenfalls auf ihrem Flugblatt notiert worden waren…

Mit Dank an Martin M. für den Hinweis, den selbstlosen “Bild”-Zeitungskauf und den Scan!

*) Übrigens lagen die Lokalzeitungen offenbar zumindest näher an der Wahrheit als “Bild”. Wie uns das Landgericht Aachen auf Anfrage mitteilt, wurde der Mann für insgesamt 14 Fälle von sexuellem Missbrauch, versuchtem sexuellen Missbrauch und sexueller Nötigung verurteilt, darunter zwei Fälle von schwerem sexuellen Missbrauch.

6 vor 9

PR-Attacke auf die Bloggerwelt (+ +)
(taz.de, Lisa Rank)
Für Außenstehende ist das Universum der Netztagebuch-Schreiber schwer durchschaubar. Nur Werber haben die User der “Blogosphäre” längst als Zielgruppe entdeckt.

Die Jagd nach dem Publikum (+)
(focus.de)
Das Internet stellt Medien erneut vor eine große Herausforderung. Verlage und Sender müssen ihre Position auch gegen Blogs und Videoplattformen verteidigen.

Der Besserwisser
(faz.net, Roland Lindner)
Sein Online-Lexikon kennt jeder. Jetzt will der Wikipedia-Gründer Jimmy Wales mit einer neuen Mitmach-Suchmaschine Google angreifen – und endlich Geld verdienen.

Erfolg ist der Feind
(sueddeutsche.de, Bernd Graff und Hans-Jürgen Jakobs)
Nicholas Negroponte ist einer der Vordenker der Digitalen Revolution. Sein Buch “Being Digital” gilt als Bestseller. Derzeit macht mit dem 100-Dollar-Laptop für die Dritte Welt von sich reden. Im Interview spricht er über den den Wert von Informationen.und zieht Bilanz darüber, was geworden ist aus der Revolution.

Die Vernetzten
(berlinonline.de, Jakob Schlandt)
Digitalpionier Tim O’Reilly über das Web 2.0, kollektive und künstliche Intelligenz und das Herunterladen von echten Stühlen aus dem Internet.

Warum eine chinesische Firma einen deutschen Blogger verklagt
(welt.de, Johnny Erling)
Der Fall ist obskur: Ein chinesischer LKW-Hersteller verklagt einen Berliner Blogger – weil der über angeblichen Produktklau berichtet hatte. Jetzt soll der Deutsche nach China fliegen und sich dort vor einem Gericht verantworten. WELT.de ließ sich das harte Vorgehen von der chinesischen Firma erklären.