Archiv fü 2005

Blöde Frage

Fragen wird man ja wohl noch dürfen, sagt man bei “Bild”. Stimmt. Und eine gute Zeitung erkennt man auch daran, dass sie die richtigen Fragen stellt.

Als immer deutlicher wurde, dass die Sat.1-Telenovela “Verliebt in Berlin” mit Alexandra Neldel ein Riesenerfolg ist, hätte eine gute Frage gelautet: “Verlängert Alexandra Neldel bei ‘Verliebt in Berlin’?”

Weil “Bild” aber gerade damit beschäftigt war, einen Kleinkrieg mit Frau Neldel zu führen, stellte sie vor drei Wochen stattdessen diese Frage:

Schmeißt Alexandra Neldel bei Verliebt in Berlin hin?

Seit heute lautet die Antwort darauf nicht mehr nur: Was für eine blöde Frage?, sondern auch: Nein, im Gegenteil.

Allgemein  

Irgendwie anders

Genau: So sehen die bislang erschienenen, deutschsprachigen “Harry Potter”-Bände aus. Oder auch so:

Am 1. Oktober 2005 erscheint Band 6, und wie immer gibt es auch diesmal vor dem Erscheinen wilde Spekulationen über den Inhalt, worüber am 25. Mai auch “Bild” berichtete.

Abgebildet hatte “Bild” dabei auch ein Buchcover mit der Aufschrift “Harry Potter 6”, das irgendwie anders aussah als die der vorangegangenen fünf Bände (siehe Ausriss), und dazugeschrieben:

“So soll der Buchtitel von Harry Potter 6 aussehen”

Natürlich stimmt das nicht, weshalb der Carlsen-Verlag anschließend unter dem Titel “Falsche Coverabbildung von Harry Potter VI in der Bildzeitung” auch eine Presseerklärung herausgab, in der es heißt:

Es gibt noch kein Cover für die deutschsprachige Harry Potter-Ausgabe. Dieses wird wieder von Sabine Wilharm gestaltet, die auch diesmal zwei Entwürfe anfertigen wird. Im Rahmen einer Coverabstimmung im Internet werden die Harry Potter-Leser dann wieder entscheiden können, wie der Umschlag des Buches aussehen soll. Diese Entscheidung trifft keinesfalls die “Bild”-Zeitung!

Dem ist in seiner Deutlichkeit nichts hinzuzufügen – außer vielleicht, dass das angebliche Cover von der Elbenwald GmbH gestaltet und am 24. Mai auf deren Website veröffentlicht wurde. Direkt darüber steht dort der Zusatz:

Alternativcover. Original lag bei Artikel-V.Ö. noch nicht vor.

Um Erlaubnis für den sinnentstellenden Abdruck des “Alternativcovers” gefragt hat “Bild” bei der Elbenwald GmbH übrigens nicht.

Mit Dank an Sebastian W. und Reinhard J.

Nachtrag, 10.6.2005 (mit Dank an Dirk):
Heute nun musste “Bild” deshalb eine entsprechende Gegendarstellung des Carlsen-Verlags abdrucken.

Exklusiv: Mit “Bild” auf Recherche-Tour

(Mai 2005, Infodesk im Hessischen Hauptstaatsarchiv, Mosbacher Str. 55, 65187 Wiesbaden)*

Auskunftspersonal: Guten Tag, kann ich Ihnen helfen?

BILD-Reporter: Ja, wir hätten da mal ‘ne Frage. Und zwar haben wir da mal vor fünf Jahren, am 25.5.2000 oder so, in der ARD diese Dokumentation über Rosemarie Nitribitt gesehen gehabt. Die lief damals in der Reihe “Die Großen Kriminalfälle”. Ham Sie vielleicht auch gesehen. Hatte über dreieinhalb Millionen Zuschauer, wurde seitdem auch schon öfter wiederholt…

Auskunftspersonal: Ich erinnere mich. Der Film war doch von der Helga Dierichs vom Hessischen Rundfunk. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte sie damals sogar eine Schutzzeitverkürzung für die Einsichtnahme in unsere Akten hier bekommen – und außerdem im Keller eines Kripobeamten überraschenderweise Briefe, Postkarten und ein Tonband voll sehnsüchtiger Liebesbekenntnisse von Harald von Bohlen und Halbach gefunden. Hatte der Mann die Nitribitt nicht “Mein Fohlen” genannt? (Kichert leise.) Tolle Recherche damals…

BILD-Reporter: Ach? Na, jedenfalls wir wollten mal fragen, ob…

Auskunftspersonal: Bohlen mit “H”, Halbach mit einem “L” war das, richtig?

BILD-Reporter: Äh, ja. Die Unterlagen müssten hier bei Ihnen…

Auskunftspersonal: Ja, ja. Frau Dierichs hat sie damals an uns weitergeleitet. Da wollen seitdem immer mal wieder Journalisten Einsicht nehmen. Und weil die Schutzfrist inzwischen abgelaufen ist, dürfte das auch für Sie jetzt kein Problem sein. Warten Sie, ich schau mal… (Schaut ins Dokumentationssystems Ledoc.) Ah, ja… Wollen Sie’s hier im Lesesaal durchschau’n? In den Lesesaal bestellte Archivalien werden nach Möglichkeit innerhalb einer Stunde ausgehoben und vorgelegt…
*) sinngemäße Rekonstruktion (leicht fiktionalisiert)
 
Und so kam es, dass der Anfang einer großen “Bild”-Story über “Deutschlands bekannteste Hure” gestern so lautete:

Jetzt aufgetauchte Liebesbriefe enthüllen die pikante Beziehung zwischen Rosemarie Nitribitt und dem Millionär Harald von Bohlen und Halbach. 48 Jahre war es nur ein Gerücht, jetzt haben BILD-Reporter die eindeutigen Dokumente gefunden
(Hervorhebungen von uns.)

Mit Dank an das Hessische Hauptstaatsarchiv für die freundliche und sachdienliche Unterstützung – sowie Thomas H. und Ron für den Link.

Symbolfoto IX

Heute testen wir einmal Ihre Medienkompetenz. Wenn Sie in “Bild” ein Foto von einem Zug sehen, und unter diesem Zug steht die Überschrift “Dieser Intercity hat sich verfahren”, wovon gehen Sie aus?

(a) Der abgebildete Zug hat sich verfahren.
(b) Ein Zug, der so aussieht wie der abgebildete Zug, hat sich verfahren.
(c) Ein Zug, der keinerlei Ähnlichkeit mit dem abgebildeten Zug hat, hat sich verfahren.
(d) Weder dieser Intercity, noch sonst irgendein Zug hat sich verfahren.

Vor der Auflösung die Geschichte.

Dieser Intercity hat sich verfahren

“Bild” berichtete am Dienstag, dass ein InterCity, der nach Hamburg fahren sollte, stattdessen in Köln auf die Strecke in Richtung Frankfurt geleitet wurde:

Erst nach 18 Minuten bemerkte der Lokführer (37) den Fehler. Der “InterCity” wurde bei Köln-Kalk (NRW) gestoppt. Die Lok mußte über ein Nebengleis an das Zugende rangiert werden. Dann ging es endlich Richtung Hamburg.

Das Rangiermanöver mit der Lok in Köln-Kalk wurde von der Bahn bestätigt — womit klar ist, dass der InterCity nicht ausgesehen haben kann wie der Zug auf dem Foto in “Bild”. Darauf ist nämlich ein Zug mit Steuerwagen abgebildet. Bei diesen Modellen wird die Lok nicht mehr von einem Ende des Zuges zum anderen umgesetzt; der Lokführer wechselt einfach den Führerstand.

Die richtige Antwort lautete also (c): Der abgebildete Zug hat sich nicht verfahren; es handelt sich nicht einmal um das gleiche Modell.

Nachtrag, 14.00 Uhr: Ja, das dachten wir, aber so einfach ist es nicht. Dieses ganze Steuerwagen-Lok-Geschäft bei der Bahn ist ein kompliziertes, und möglicherweise hat “Bild” zufällig ein Foto von einem Zug herausgesucht, der dem betroffenen ähnlich sieht. Aufgenommen wurde es allerdings weder in Köln-Kalk (NRW), noch in Hamburg, sondern, wie Kenner an den Stromschienen erkennen, am Bahnhof Zoo in Berlin.

Auch die “Bild”-Behauptung, man habe das Versehen erst nach 18 Minuten bemerkt, scheint übrigens falsch zu sein. Die Bahn sagt, es habe sich nur um drei Minuten gehandelt. Der Zug sei dann absichtlich von Köln-Deutz noch bis Köln-Kalk zum Rangieren weitergefahren. Das ist nicht nur, wie “Bild” in der Klammer schreibt, immer noch in “NRW”, sondern sogar der nächste Bahnhof. Um dahin überhaupt 18 Minuten zu brauchen, müsste man schon sehr, sehr langsam fahren.

Mit Informationen aus der Diskussion in der Newsgroup de.etc.bahn.misc.

2,5 Millionen Zeugen

Kürzlich berichtete Bild.de betont wohlwollend über McDonald’s über die Nachwuchsschauspielerin Julia Dietze, und angekündigt wurde die (irgendwie aschenputtelig anmutende) Dietze-Story wie folgt:

Oder auch so:

Und so, wie der Text online angekündigt wurde, steht’s (wie zum Beweis) auch drin:

“In der TV-Werbung für McDonald’s kostet bei ihr alles ”n Euro’ (…). Übernächste Woche ist sie bei PRO 7 in einer Hauptrolle zu sehen.”

Und ja, es stimmt: Am 3. Januar 2005 startete McDonald’s seine “Einmaleins”-Kampagne, und Dietze ist in einem dazugehörigen Werbe-Spot zu sehen. Außerdem spielt das “1-Euro-Mädchen” die weibliche Hauptrolle im ProSieben-Film “Mädchen Nr. 1”, den der Sender am Donnerstag, dem 9. Juni 2005 ausstrahlen wird.

Nur: Falsch ist die Geschichte trotzdem, wofür es mindestens 2,5 Millionen Zeugen gibt. Soviele Zuschauer nämlich sahen den Film bereits bei seiner Erstausstrahlung am Donnerstag, dem 18. September 2003, weshalb es (in “Bild”-Logik) eigentlich heißen müsste:

Mit Dank an Jörg F. für den sachdienlichen Hinweis.

Wahlkampf II

Macht Macht schön?

Die “Bild”-Zeitung behauptet, dass Angela Merkel “binnen einer Woche” (also mutmaßlich seit der gewonnenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen) “eine auffällige Metamorphose durchgemacht” habe und aus ihrem “müden Blick” ein “strahlendes Lächeln” geworden sei — und beweist dies mit einem Vorher-Foto, das laut “Bild” vor über einem Jahr entstand, und einem Nachher-Foto, das laut “Bild” vor einer Woche entstand, unmittelbar nach der NRW-Wahl.

Nachtrag, 12.50 Uhr. In einem Interview mit tagesschau.de sagt die Merkel-Biographin Evelyn Roll:

Es müsste eigentlich allen auffallen, dass sich das Bild von Angela Merkel ständig verändert. Es gibt immer beides: Sie macht, wenn sie sich konzentriert oder nicht zeigen will, was in ihr vorgeht, immer das doofe Gesicht. Aber sie macht immer auch — und so ist sie auch im persönlichen Umgang — dieses heitere, gelassene Gesicht. Ich denke, man kann immer an den Fotos, die von Angela Merkel in den Medien sind, erkennen, wie ihre ungefähren Popularitätswerte sind. Im Moment sehr hoch, dann suchen die Redakteure eher diese strahlenden, verschmitzten Bilder von ihr aus. Und wenn Hängepartie ist, dann Hängegesicht.

Danke an Christian R. für den Hinweis!

neu  

Symbolfoto VIII

Am Mittwochabend stürzte bei einem Auftritt von Schlagersängerin Nicole in Lüdenscheid eine Beleuchtungskonstruktion ins Publikum. Und, um es positiv zu formulieren: Das Foto, das “Bild” dazu am Freitag abdruckt, zeigt tatsächlich Nicole und nicht Plumpaquatsch, und das grenzt angesichts dessen, was “Bild” im übrigen über den Unfall schreibt, an ein Wunder.

Um zu illustrieren, was passierte, zeigt das Blatt dieses Foto:

Darunter steht:

Dieser Beleuchtungsträger stürzte ins Publikum, verletzte acht Menschen.

“Dieser Beleuchtungsträger” hat mit dem ganzen Unfall nichts zu tun. Umgekippt ist eine Traverse, die auf zwei Stativen befestigt war, die links und rechts vor der Bühne standen (genauer nachzulesen hier). Die Scheinwerfer hingen also oben quer über der Bühne. Die betroffene Konstruktion ist der, die “Bild” zeigt, nicht einmal ähnlich.

Zu dem Unglück kam es, weil Unbekannte an den beiden Stativen jeweils zwei von vier Fußstützen abmontiert hatten, und zwar die, die in den Zuschauerraum hineinragten. Möglicherweise geschah das in böser Absicht. Die naheliegendste Erklärung aber ist, dass jemand sie einfach für Stolperfallen hielt. Diese Möglichkeit fehlt in “Bild” komplett.

“Bild” beschreibt den Vorfall außerdem so, als sei das Gerüst mit großer Geschwindigkeit in die Zuschauer gestürzt (“kracht auf einen Tisch”). Dabei senkte sich die Konstruktion, weil sie teilweise noch gehalten wurde, langsam nach unten, wie in Zeitlupe, und verletzte mehrere Menschen. Die “Westfälische Rundschau” beschreibt es so: “Zudem reckten mehrere Zuschauer ihre Arme hoch und versuchten, die Verstrebungen abzubremsen.” Auch in der “Bild”-Zeitung kommt die Zeitlupe vor, aber nur in einem Zitat von Nicole, das klingt, als habe die Dramatik ihre Wahrnehmung verzerrt:

“Alles passierte wie in Zeitlupe. Überall waren Schreie und Blut.”

In einem weiteren Artikel am Samstag stimmen zwar ein paar mehr Fakten über den Unfallhergang. Dafür geht aber die Fantasie vollends mit “Bild” durch.

Wollte ein Irrer Nicole töten?

lautet nun die Überschrift. Und im Text (online unter der bezeichnenden Adresse “…/nicole__anschlag.html”) heißt es:

Jetzt kommt ein furchtbarer Verdacht auf: Trachtet etwa ein Irrer Nicole nach dem Leben?

“Bild” kann im Text niemanden aufbieten, der diesen “furchtbaren Verdacht” äußert. Kein Wunder: Dieser “Irre” müsste schon ganz besonders irre sein. So irre, dass er, um jemanden umzubringen, der auf einer Bühne steht, die Gerüstkonstruktion so sabotiert, dass sie gar nicht auf die Bühne fallen kann.

Danke an Tobias N. für den Hinweis!

“Bild” macht Sonne geil

Im Juli vergangenen Jahres veröffentlichten Forscher von der Wake Forest Universität eine Studie über den Effekt von ultravioletter Strahlung. 14 Testpersonen ließen sich auf zwei Sonnenbänken bräunen. Eine enthielt ultraviolette Strahlung ähnlich dem Sonnenlicht, die andere nicht. Das Ergebnis: Nach dem Sonnenbad mit UV-Licht waren die Probanden entspannter als nach dem ohne UV-Licht. Die Forscher sahen in diesem Entspannungs- und Wohlfühleffekt eine Erklärung dafür, warum Menschen trotz der bekannten Gesundheitsgefahren immer wieder das Sonnenbad suchen. Sie vermuteten, dass das UV-Licht Glückshormone, Endorphine, im Körper freisetzt.

Spannende Studie? Nicht spannend genug für “Bild”. Dort lautet die Überschrift und die Kernaussage:

Sonne macht geil!

Neben eine entsprechende Illustration schreibt “Bild”:

Bianca (24) reißt sich das Röckchen vom Leib – und kann doch nichts dafür. Die Sonne ist stärker als sie: Das Licht macht uns alle geil, US-Forscher haben es jetzt bewiesen.

(Das Wort “jetzt” ist hier in seiner üblichen “Bild”-Bedeutung als Ausdruck für einen unbestimmten Zeitpunkt in der ferneren Vergangenheit zu verstehen.)

Am Ende der Studie meinten 95 Prozent: Das UV-Licht ist einfach besser. Sie fühlten sich glücklicher, entspannter — und hatten Lust auf Flirts und Sex. Sonnenlicht setzt im Gehirn das Glückshormon Endorphin frei, kurbelt dazu die Produktion von Sexualhormonen an. Wir fühlen uns tatsächlich geiler!

Hallo? Wo kommt plötzlich der ganze Sex her? Nicht aus der Studie jedenfalls. Endorphine werden zwar generell mit der Produktion von Sexualhormonen in Verbindung gebracht. Aber der Zusammenhang zwischen UV-Licht und Endorphinen war bei der Studie nur eine Theorie, nicht Teil der Untersuchung. Die offizielle Pressemitteilung zitiert den Forschungsleiter Steven Feldman so:

Weil wir die Endorphine nicht gemessen haben, wissen wir nicht sicher, dass diese Substanzen für das Phänomen verantwortlich sind.

Sagen wir es direkt: Die Wahrheit war “Bild” einfach nicht geil genug.

Danke an Stefan R. für den sachdienlichen Hinweis!

Wahlkampf

Neuerdings ist ja Wahlkampf. Und am vergangenen Dienstag stand in der “Süddeutschen Zeitung” ein Artikel über die Grünen, der mit einer launigen Passage (siehe Ausriss) anfing.

Tags drauf, am Mittwoch, schrieb “Bild”:

“Laut ‘Süddeutscher Zeitung’ trauen immer weniger Parteifreunde dem Metzgerssohn (geschätzt: 112 Kilo) noch zu, daß er den körperlichen Streß eines Wahlkampfes packt.”

Viel mehr als das “Süddeutsche”-Zitat hatte die “Bild”-Zeitung nicht zu bieten – außer eine Titelseite, die gestern so aussah:

Und heute? Heute ist Joschka Fischer laut “Bild” schon “130 Kilo” schwer und in einer “BILD-Fotomontag” sogar noch schwerer:

Was uns daran erinnert, was “Bild” vergangenen Dienstag an anderem Ort geschrieben hatte. Da nämlich hieß es vorwurfsvoll:

"Journalisten, die Politik machen, sollten Politiker werden!"

Mit Dank an Marc D. für die Pointe.

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