Archiv für November 6th, 2005

Blutschande.Kinder und Volks.Glaube

“Patrick (27) und Susan (20) — seit dem
BILD-am-SONNTAG-Artikel vor einer Woche
ist kaum ein Tag vergangen, an dem nicht in
Zeitungen und TV-Beiträgen über die verbotene
Geschwisterliebe berichtet wurde.”
(“Bild am Sonntag” vom 22.8.2004)

“Bild” und “Bild am Sonntag” berichten seit August vergangenen Jahres über die von “Bild” und “Bild am Sonntag” wahlweise “Inzest-Paar”, “Inzest-Pärchen” oder “perverses Paar” genannten Geschwister Patrick Stübing und Susan Karolewski, das in den vergangenen Jahren gemeinsam vier “Blutschande-Kinder” gezeugt hat.

Am 16. August 2004 berichtete “Bild”:

Susan bekam einen Sohn. Er ist heute 3 Jahre alt, kann nicht laufen, nicht sprechen. Er ist geistig zurückgeblieben, weil seine Eltern Geschwister sind. Der Gen-Pool ist zu ähnlich! (…) Töchterchen Sarah kam zur Welt. Sie ist heute 17 Monate alt, auch sie geistig zurückgeblieben.

Am 17. August 2004 berichtete “Bild”:

Zwei ihrer Kinder sind geistig zurückgeblieben. Der Junge (3) kann noch nicht sprechen und nicht laufen. Ob das dritte Inzest-Kind (3 Monate) das gleiche Schicksal wie seine Geschwister hat, ist noch unklar.

Am 19. August 2004 berichtete “Bild”:

Zwei der Kinder sind geistig zurückgeblieben (BILD berichtete). Der älteste Sohn, Eric (3), kann noch nicht laufen, nicht sprechen.

Am 22. August 2004 berichtete “Bild am Sonntag”:

Die zwei älteren, Eric (3) und Sarah (17 Monate), leben wie das jüngste bei Pflegeeltern und sind geistig zurückgeblieben. Nur bei der kleinen Nancy (4 Monate) besteht noch Hoffnung, dass sie die verbotene Liebe ihrer Eltern ohne bleibende Schäden überstanden hat.

Am 24. August 2004 berichtete “Bild”:

Die Kinder Eric (3) und Sarah (17 Monate) sind behindert. Auch bei Nancy (4 Monate) sind Folgen der Blutschande zu erwarten (BILD berichtete).

Am 20. Oktober 2004 berichtete “Bild”:

Die Kinder sind geistig zurückgeblieben (…).

Am 22. April 2005 berichtete “Bild”:

Bei den beiden älteren Kindern steht fest: Sie sind geistig zurückgeblieben, weil die Eltern Geschwister sind und sich deren Gene zu wenig unterscheiden.

Wie “fest” das steht, ist zumindest fraglich. Denn vergangene Woche berichtete auch der “Spiegel” über Stübing und Karolewski bzw. “die im Volksglauben wurzelnde Furcht vor genetisch-biologischer Schädigung der Nachkommenschaft”. Genauer gesagt heißt es dort:

Selbst die im Volksglauben wurzelnde Furcht vor genetisch-biologischer Schädigung der Nachkommenschaft hat die naturwissenschaftliche Forschung schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts relativiert. Einen Beweis dafür, dass Inzest-Kinder von Eltern, deren Erbanlagen gesund sind, kränker seien oder eher geistig behindert als Kinder Nicht-Verwandter, gibt es nicht. Zwei der Kinder von Patrick und Susan sind völlig gesund, eines ist in der Entwicklung noch etwas hintendran. Der Erstgeborene soll an Epilepsie leiden. Doch ob das daran liegt, dass seine Eltern Geschwister sind, oder ob das Kind dessen ungeachtet an Epilepsie leidet, steht dahin.

Am deutlichsten wird der große Rechtslehrer Claus Roxin: “Der ‘Verwandtenbeischlaf’ verstößt zwar gegen ein in unserem Kulturkreis seit unvordenklichen Zeiten überliefertes Tabu, aber wer oder was dadurch geschädigt wird, ist unklar.” Ehebrecherisches Verhalten, so Roxin, könne ebenso familienzerstörende Wirkung haben wie Inzest und sei doch nicht strafbar. Auch der Hinweis auf mögliche Erbschädigungen liefere kein tragfähiges Argument, da “ein solches Kind im Regelfall genetisch nicht geschädigt ist und weil die Verhinderung erbkranken Nachwuchses auch im Übrigen von unserer Rechtsordnung nicht mit strafrechtlichen Mitteln erstrebt wird”.
(Hervorhebung von uns.)

Mit Dank an Michael G. für den Hinweis.

Kurz korrigiert (26)

Bild.de wirbt derzeit für berichtet derzeit über den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses und berichtet deshalb u.a. dies:

Und es stimmt: Am 3. Februar 1945 wurde das Schloss zerstört. “Aber”, so heißt es auf der Website des Fördervereins Berliner Stadtschloss e.V. (von dem Bild.de obiges Foto hat), “das riesige Bauwerk war weniger zerstört als z.B. das Charlottenburger Schloss. In seinen Mauern stand es, zwar ausgebrannt, dennoch festgefügt da.”

Und deshalb zeigt das von Bild.de ausgewählte Foto vom Schloss, anders als Bild.de suggeriert, auch nicht wirklich die Zerstörung vom 3. Februar 1945, sondern – laut Förderverein – die “Sprengung weiterer Abschnitte der Südfassade bei Portal II” im Auftrag der DDR-Führung im Herbst 1950.

Mit Dank an Mortimer G. für den Hinweis.

Nachtrag, 9.11.2005:
Mittlerweile hat der DDR-Beauftragte von Bild.de seinen Dienst angetreten und die sinnentstellende Fotobeschriftung entsprechend korrigiert:

Unter Generalverdacht

In seiner Rubrik “Der Chefredakteur antwortet” geht Claus Strunz heute auf den Vorwurf eines Lesers ein, die “Bild am Sonntag” habe “alle Hartz-IV-Empfänger unter Generalverdacht gestellt” und betreibe eine “hetzerische Berichterstattung”.

Strunz antwortet:

Ihre Kritik nehme ich sehr ernst, da uns nichts ferner liegt, als ehrliche Mitbürger unter irgendeinen Generalverdacht zu stellen. Genau aus diesem Grund haben wir nicht die Schlagzeile “So plündern uns Hartz-IV-Abzocker aus” gemacht, sondern den Titel “So vergeudet der Staat unser Geld”.

Stimmt. So eine unzulässig pauschale Überschrift stand in der “Bild am Sonntag” nicht.

“Jetzt” V

Sex schützt vor Erkältung

So stand es gestern auf der Titelseite von “Bild”. Und weiter:

“London – Ohne Schnupfen, Husten & Co durch den Herbst? Zweimal Sex pro Woche hilft! Forscher der Uni Pennsylvania (USA) fanden jetzt heraus: Paare mit diesem Sexrhythmus haben das stabilste Immunsystem. (…)”

Nun wissen wir leider nicht, warum diese “Bild”-Meldung mit dem Wort London anfängt, wenn es sich doch eigentlich um eine US-Studie handelt. Was wir hingegen wissen, ist, dass die Forscher den Zusammenhang zwischen Sexualverhalten und Immunsystem mitnichten “jetzt” herausgefunden haben. All das, was da gestern, am 5.11.2005 also, über die Studie “The Effect of Sexual Behavior on Immune System Function” auf der Titelseite von “Bild” stand, ist seit über fünfeinhalb Jahren, genauer gesagt, mindestens seit dem 1.2.1999 bekannt.

Und davon, dass Sex vor Erkältung schützen soll, hat man auch im Hause “Bild” nicht erst gestern gehört.

Mit Dank an Peter K. für den Hinweis.

PS: Auch Fahrstuhlmusik kann vor Erkältung schützen! Zumindest haben das die Forscher aus Pennnsylvania ebenfalls “jetzt” [sic] herausgefunden.