Archiv für Februar 18th, 2005

Unglaublich, aber nicht wahr

Nicht weniger als sieben “Bild”-Mitarbeiter haben einen Artikel über die drohende Pleite von Borussia Dortmund recherchiert geschrieben. Sie haben, so glauben behaupten sie jedenfalls, einen “Skandal” aufgetan, der “nicht nur Fußball-Fans, sondern jeden Arbeitnehmer, der Sozialbeiträge zahlt” betrifft:

Bei Insolvenz haben die Fußball-Millionäre erst mal Anspruch auf Gehalt aus der Arbeitslosenkasse. (…)

Sollte Dortmund insolvent gehen, müßten die Spieler ihr Geld drei Monate vom Arbeitsamt beziehen. Unglaublich: Bei rund 3 Mio im Monat an Spieler-Gehältern wären das 9 Mio für die Fußball-Millionäre…

Jaha, “unglaublich” und auch nicht wahr. Denn es gibt eine Beitragsbemessungsgrenze. Sie liegt aktuell bei 5200 Euro im Monat, davon sind noch Steuern und Sozialversicherungsbeiträge abzuziehen. Grob gerechnet liegt “Bild” mit seiner Angabe von neun Millionen Euro um mindestens 8,7 Millionen Euro daneben.

Auch die restliche Darstellung von “Bild” ist falsch. Denn die Borussia-Spieler hätten keineswegs “bei Insolvenz” “erst mal” Anspruch auf drei Monate “Gehalt”. Dieses Insolvenzgeld wird für nicht gezahlte Gehälter vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gezahlt. Das bedeutet: Zahlt Borussia Dortmund noch die Februar-Gehälter und meldet dann Insolvenz an, fließt kein Cent Insolvenzgeld vom Arbeitsamt. Und überhaupt: Das Insolvenzgeld wird zwar von der Bundesagentur für Arbeit (das “Arbeitsamt”, von dem “Bild” schreibt, gibt es längst nicht mehr) ausgezahlt, es wird aber von den Unfallversicherungsträgern und damit allein von den Arbeitgebern finanziert.

Danke an Sascha K. und Thomas D. für die sachdienlichen Hinweise!

Nachtrag, 21.02. Ja, Insolvenzrecht ist kompliziert, und wir müssen uns in einem Detail korrigieren: Mit der Stellung des Insolvenzantrages beginnt zunächst das Insolvenzeröffnungsverfahren, und dann erst das Insolvenzverfahren. Bis dahin würde den Spielern tatsächlich notfalls Insolvenzgeld gezahlt, höchstens drei Monate lang. Allerdings berechnet, wie gesagt, nicht auf der Grundlage der zigtausend Euro Gehalt eines Fußballprofis, sondern von höchstens 5200 Euro brutto im Monat.

neu  

Wortmonster

“Wortmonster”. So nennt die “Bild”-Zeitung Wörter, die ihr in neuer Rechtschreibung nicht gefallen. “Brennnessel” gehört dazu, vermutlich wegen der drei gleichen Konsonanten hintereinander. Warum “Sauerstoffflasche”, das sowohl nach alter wie nach neuer Rechtschreibung drei gleiche Konsonanten in der Mitte hat, kein “Wortmonster” ist, bleibt das Geheimnis von “Bild”. Aber das ist noch die harmloseste Ungereimtheit im neuen, ungefähr 197. Kapitel des Kampfes von “Bild” gegen die “Schlechtschreibreform”.

42 “Wortmonster”, die in den “Müll” gehören, hat “Bild” auf eine Tafel geschrieben. Links die alte, rechts die neue Rechtschreibung. Die gröbste Verfälschung dabei ist die, dass “Bild” in vielen Fällen so tut, als sei die neue Schreibweise Pflicht, wo sie nur ein Vorschlag ist. Wem “Jogurt” nicht gefällt, der darf auch nach neuer Rechtschreibung “Joghurt” schreiben. Das gilt auch für “Delphin”/”Delfin”, “Thunfisch”/”Tunfisch”, “Mayonnaise”/”Majonäse”, “Portemonnaie”/”Portmonee”, “Chicorée”/”Schikoree”, “Ketchup”/”Ketschup”, “Panther”/”Panter”, “Waggon”/”Wagon”, “Exposé”/”Exposee”, “Facette”/”Fassette”, “Graphit”/”Grafit”. In 12 Fällen sind also die “klassischen” Schreibweisen auch in neuer Rechtschreibung korrekt. Bleiben noch 30 “Wortmonster”.

Eines davon ist das “Blässhuhn”. Das durfte auch früher schon wahlweise “Bleßhuhn” oder “Bläßhuhn” geschrieben werden — hier hat sich nur das “ß” in ein “ss” verwandelt, das ist eigentlich der am wenigsten umstrittene Teil der Reform. Bleiben noch 29 “Wortmonster”.

Aus “hierzulande” wird laut “Bild” “hier zu Lande”, aber das ist ebenfalls eine Kann-Bestimmung. Ebenso verhält es sich mit “selbständig”, das auch weiterhin richtig ist, “selbstständig” kommt nur als Möglichkeit hinzu. Bleiben noch 27 “Wortmonster”.

Aus “bittersüß” soll laut “Bild” “bitter-süß” werden, aber das ist Humbug. Bleiben noch 26 “Wortmonster”.

Darunter sind die beiden merkwürdigen “Bewässrung” und “Erdrosslung”. “Bild” behauptet, das sei neu. Völliger Quatsch: “Bewässerung” und “Erdrosselung” sind wie eh und je richtig, und die Variante ohne “e” steht als selten, aber auch richtig im “Duden”. Bleiben noch 24 “Wortmonster”.

Von denen sind 6 Beispiele dafür, dass kein Konsonant wegfällt, wenn drei gleiche aufeinander treffen. Das war auch bislang schon so, wenn ein weiterer Konsonant folgte (“Sauerstoffflasche”, “Wetttrinken” etc.), aber da hat es “Bild” nie gestört. Lustig ist, dass Bild ausgerechnet das Beispiel “Bettuch”/”Betttuch” auflistet, dabei ist hier die alte Rechtschreibung viel unklarer: Handelt es sich um ein Tuch fürs Bett oder um eines zum Beten? Zieht man auch diese Fälle ab, die man nicht mögen muss, die aber zweifellos eine Vereinfachung der Rechtschreibung darstellen, bleiben noch 18 “Wortmonster”.

Und davon sind noch 5 Fälle, in denen nach neuer Rechtschreibung drei gleiche Konsonanten deshalb aufeinander treffen, weil aus einem “ß” ein “ss” wird, darunter ein Wort wie “Gussstahl”, das ohnehin viel zu selten gebraucht wird.

Und der Rest? Über den darf man natürlich streiten. Aus “fritieren” wird tatsächlich “frittieren”, und “fönen” tut man sich inzwischen wirklich mit “h”. Schlimm.

Noch schlimmer ist höchstens, wenn eine Zeitung sich bei einem Thema, zu dem sie eine so ausgeprägte Meinung hat, so wenig auskennt. (Oder auskennen will.)