Archiv für Dezember 5th, 2004

Allgemein  

Nichtigkeiten

Machen wir’s kurz: 2003 wurden bei der Bundeswehr 39 Todesfälle von Soldaten mit Verdacht auf Selbsttötung gemeldet. In den Jahren 2001 und 2002 waren es 41 und 32. Und in der Nacht zum Samstag hat sich ein 19-jähriger Wehrpflichtiger erschossen. Mit der Dienstwaffe. In einer Kaserne in Kempten. In einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa (siehe z.B.“Berliner Morgenpost”) heißt es dazu ausdrücklich:

“Nach Polizeiangaben steht der Selbstmord nicht im Zusammenhang mit mutmaßlichen Mißhandlungen von Ausbildern an Rekruten, die vor einer Woche aus der Kaserne bekannt wurden. Der Obergefreite habe mit dem kritisierten Ausbildungsprogramm nichts zu tun gehabt.”

Haben Sie die Wörter nicht und nichts gesehen? Gut, denn in einem etwas ausführlicheren Text bei Bild.de stehen sie auch. Dort heißt es:

“Nach ersten Ermittlungen steht der Selbstmord allerdings nicht im Zusammenhang mit den mutmaßlichen Mißhandlungen. Aus Kreisen der Polizei heißt es, der Obergefreite habe mit dem in die Schlagzeilen geratenen Ausbildungsprogramm nichts zu tun gehabt.”

Und wie präsentiert Bild.de die Meldung? Naja, über der Überschrift “Soldat († 19) erschießt sich in Kaserne” steht:


Und die dazugehörige Bild.de-Schlagzeile lautet:

neu  

Deutschlands schnellstes Magazin

Die Schlagzeile der heutigen “Bild am Sonntag” geht über fast eine halbe Seite und sieht so aus:

Der “Gebühren-Skandal” besteht darin, dass Harald Schmidt den Vertrag für seine neue Late-Night-Show in der ARD nicht, wie üblich, mit einer einzelnen Rundfunkanstalt abgeschlossen hat, sondern mit der ARD-Filmhandelstochter Degeto. Auf diese Weise sollen, so “Bild am Sonntag”, “die Details seines Millionenvertrages den üblichen Kontrollinstanzen nicht zur Überprüfung vorgelegt werden”.

Ob das so sauber ist, darüber darf man zweifellos verschiedener Meinung sein. Aber das durfte man auch schon letzte Woche, vorletzte und vorvorletzte. Am 12. November, also vor inzwischen 23 Tagen, erschien in der F.A.Z. ein Artikel zu dem Thema mit folgender Passage:

Daß Schmidts Show von der ARD-Tochter Degeto finanziert wird, ist ein besonders geschickter Schachzug der Verhandler (…). Dank der Degeto-Konstruktion müssen nicht — wie sonst — einzelne ARD-Sender für die Show in die Tasche greifen und vor ihrem Rundfunkrat Rechenschaft ablegen.

Drei Tage später stand in der “Financial Times Deutschland” zum gleichen Thema:

Vertragspartner auf Seiten der ARD ist die privatwirtschaftlich organisierte Filmhandelstochter Degeto. Das hat den Vorteil, dass der Vertrag nicht gegenüber einer Vielzahl von Vertretern oder gar Gremien des komplizierten Senderverbunds offen gelegt werden muss.

Danach dauerte es nur noch 20 Tage, bis es auch die “Bild am Sonntag” verstanden hatte und einer großen Aufmachergeschichte würdig fand.

“Bild am Sonntag” nennt sich übrigens “Deutschlands schnellstes Magazin”.

Nachtrag, 6.12.04, 14:23: Bereits am Sonntagnachmittag hat die ARD reagiert und in einer Pressemitteilung Stellung genommen. Unter anderem heißt es darin “1. Bild am Sonntag schreibt nichts Neues”, “2. Bild am Sonntag schreibt Falsches” und “3. Bild am Sonntag folgt Konzerninteressen”.