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Kalte Dusche

Schließen Sie bitte die Augen und stellen sich eine “Sex-Attacke” vor – Die “Sex-Attacke” einer Frau auf einen Mann. Sie ist wunderschön, weltberühmt, Oscar-Preisträgerin. Er ein Zwei-Meter-Hühne, Muskel bepackt, Schwergewichts-Boxer, mit Oberarmen so dick, wie anderer Leute Oberschenkel.

So.

Zur Abkühlung lesen Sie nun bitte, was Wladimir Klitschko wirklich mit Julia Roberts erlebte und in seiner “spannenden” (“Bild”) Biografie enthüllt, die nächste Woche erscheint, und aus der “Bild” vorab Auszüge veröffentlicht, was sie auf der Titelseite in fünf Zentimeter hohen Lettern ziemlich heiß ankündigt (s. Ausriss):

Bei einer Gelegenheit … spürte ich plötzlich, wie sie ihre Hand auf meinen Hintern legte. Ich hätte schwören können, dass sie ihn streichelte.

Und es wird noch doller:

Also ließ ich es mir nicht nehmen, sie zum Tanz aufzufordern. Gut möglich, dass die Sache mit meinem Hintern auch hierbei geschah.

Gut möglich auch, dass man sich unter einer “Sex-Attacke” für gewöhnlich etwas spannenderes vorstellt. Etwas mit mehr Sex und mehr Attacke zum Beispiel.

Hauptsache Porno


Aufregende Geschichte, oder? Da möchte man schon wissen, worum es eigentlich geht.

Darum geht’s: Einen lustigen Brief haben Abiturienten des Jesuitenkollegs zu St. Blasien an den Süßwarenhersteller Haribo geschrieben. Schauen Sie doch mal hier. Am 29.03.2004 war das. Haribo hat am 14.04.2004 zurückgeschrieben (lässt sich auch hier nachlesen). Eine alte Geschichte also, aber, wie gesagt, lustig.

Insofern spricht auch nichts dagegen, wenn ein Boulevardblatt (der “Kölner Express”) erst am 31.08.2004 einen Artikel dazu veröffentlicht, dessen Überschrift lautet: “Haribo: Internet-Spaß um heiße Früchtchen”.

Eine andere Boulevard-Zeitung (“Bild”), hat das Ganze tags drauf nochmal aufgeschrieben, und zitiert den stellvertretenden Schulleiter:

Der kuriose Brief stammt nicht von der Schulleitung, sondern von einigen unserer Abiturienten, die sich einen Spaß erlaubt haben.

Die Überschrift dazu kennen wir ja schon (s.o.), und fügte man irgendwo hinter “Haribo” und vor “Gefährdung der Sittsamkeit” die Wörter “im Spaß” ein, wäre sie zwar nicht mehr so richtig der Hammer, dafür aber präzise.

Übrigens steht im Text auch noch der schöne Satz, “Eine Kölner Lokalzeitung machte aus dem Schreiben einen Pornoskandal, spricht von ‘Sex-Posse’.” Der Satz, “Die ‘Bild’-Zeitung machte aus dem Schreiben einen Sex-Skandal, spricht von ‘Porno-Verdacht'”, der steht da leider nicht.

Mit Dank an Christian K. für den sachdienlichen Hinweis.

Ist ja auch egal

Es stimmt tatsächlich, Thomas Gottschalk “protestiert” gegen die neue Rechtschreibung. Schlägt man nämlich das Wort “protestieren” z.B. bei Langenscheidt nach, dann steht da u.a. “Ablehnung, Missfallen, Mangel an Übereinstimmung kundtun”. Genau das tut Gottschalk wirklich im “Bild”-Interview und so steht es auch in dessen Überschrift.

Laut “Bild”-Titelseite geht Gottschalk aber noch über den Protest hinaus. Jedenfalls steht dort das hier:

Und das hier steht bei “Bild”-Online:

Am Ende des Interviews allerdings steht dann folgendes:

BILD: Und wie soll’s weitergehen?
Gottschalk: Es ist nicht so, dass mir dieses Thema den Schlaf raubt. Meinetwegen soll jeder schreiben, wie er will. Ich lese lieber etwas Vernünftiges falsch geschrieben als richtig buchstabierte Dummheiten.

Da merkt man doch ganz deutlich: “Der Widerstand gegen die Schlechtschreibung wird immer mächtiger.”

Lügt das Bild?

Niemandem kann man mehr trauen heutzutage – nicht mal der Werbung. Das hat „Bild“ herausgefundenen und schreibt auf Seite 7 der Berlin-Ausgabe:

Platzeck wirbt mit falschem Lehrer …für bessere Bildung

Wie das? Nun, auf Wahlwerbeplakaten mit dem Slogan “Gemeinsam für bessere Bildung” ist Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck inmitten von Kindern zu sehen in einem Raum, der aussieht wie ein Klassenzimmer, im Hintergrund steht ein Mann. Doch, so „Bild“:

Auf dem Plakat ist nichts, wie es scheint.

Der Mann ist nämlich gar kein Lehrer, sondern Arbeitsrichter und seit 1982 in der SPD, wie „Bild“ enthüllt. Und:

Auch lernen die Kinder nicht in der Karl-Förster-Schule, in der das Bild entstand.

Und es gibt noch ein anderes Werbeplakat. Der Slogan lautet “Gemeinsam für mehr Arbeit”, und Platzeck scheint sich hier in einem Handwerksbetrieb zu befinden. Rechts von ihm steht ein Mann in einem blauen Kittel, schräg hinter ihm zwei Jugendliche, das Mädchen trägt eine Latzhose. „Bild“ hat wieder nachgefragt und fand heraus:

„Meister“ und „Azubis“ arbeiten hier nicht.

Außerdem soll der Betrieb, in dem das Foto entstand, in den letzten drei Jahren 40 Arbeitsplätze abgebaut haben (von wie vielen steht leider nicht in “Bild”). Diese Enthüllungen geben natürlich zu denken. Wenn schon in der Werbung der Schein trügt, wo dann noch?

Hefte raus, Klassenarbeit!

Das Bildungsministerium von Rheinland-Pfalz (das ist jenes Bundesland, in dem Doris Ahnen, laut “Bild” die “erbittertste Kämpferin für die neue Rechtschreibung”, Bildungsministerin ist) hat seit dem Jahr 2001 grob geschätzt etwa 500 Pressemitteilungen und Grußworte veröffentlicht, vielleicht waren es auch noch ein paar mehr. “Bild”, die seit Wochen einen erbitterten Kampf gegen die neue Rechtschreibung führt und bald zu den alten Regeln zurückkehren will, hat diese Grußworte und Pressemitteilungen nun gelesen und gibt zwar keinerlei Auskunft darüber, dass es rund 500 waren, fördert aber Erschreckendes zu Tage:

In Texten von Deutschlands mächtigster Kultusministerin Doris Ahnen wimmelt es von Fehlern

Tatsächlich fand “Bild” in den rund 500 Texten, die im Durchschnitt etwa die Länge eines langen “Bild”-Artikels haben dürften, insgesamt 11 Fehler. Das heißt also, dass es im Durchschnitt in jedem einzelnen Text von ca. 0,022 Fehlern nur so wimmelt.

Streng genommen müssten von den 11 Fehlern noch 4 abgezogen werden, weil es “Bild” ja explizit um die Unsicherheiten “in Sachen neue Rechtschreibung” ging. Einen, weil “So gehts” nach der neuen Regelung ebenso richtig ist, wie “So geht’s”; einen, weil “insbesonders” noch nie richtig war; und zwei, weil “Hausaufgabenbetreung” und “Unterrrichtskonzepten” doch wohl eher Flüchtigkeits- oder Tippfehler sein dürften. Rein rechnerisch blieben dann also nur noch 0,014 wimmelnde Fehler pro Text übrig. Aber, wir wollen mal nicht kleinlich sein.

P.S.: Wo wir schon beim Verschweigen von Zahlen sind: Auf der
“Bild”-Titelseite heißt es, “Überwältigende Mehrheit der Deutschen will zurück zur klassischen Rechtschreibung”. Was eine überwältigende Mehrheit ist, steht da nicht. Am 28. Juli allerdings, war in “Bild” dies zu lesen
.

Nachtrag, 12.08.04: Es stimmt, noch strenger genommen müssten zwei weitere Fehler von der “Bild”-Liste abgezogen werden, denn natürlich ist “grossen” nach der neuen Rechtschreibung ebenso falsch wie nach der alten, und tatsächlich erlaubt die neue Rechtschreibung “viele Tausende” ebenso wie “viele tausende”. Blieben also noch 0,01 Fehler pro Text. Aber wir wollten ja nicht…

Dank an Eleni S. und Julius B. für die “sachdienlichen Hinweise”

Meine kleine Welt

Nachdem “Bild” die neue Rechtschreibung am 29. Juli in einer Überschrift auf der Titelseite für “so gut wie abgeschafft” erklärte, weil die Kultusministerkonferenz (KMK) sich entschlossen hatte, die Rechtschreibreform im Oktober noch einmal auf die Tagesordnung zu setzen, und übrigens obwohl KMK-Präsidentin Doris Ahnen glaubt, dass sich an der Reform nichts ändern wird, wie man beispielsweise hier nachlesen kann, ist sich Anne Frey aus Kirchzarten in einem Leserbrief an “Bild” sicher:

Wenn “Bild” sich entschließen könnte, einfach wieder zur alten Rechtschreibung zurückzukehren, wäre die Reform endgültig gestorben.

Oben ohne

Rücksichtsvoll von der Online-Ausgabe der “Bild”-Zeitung, dass Uschi Glas’ Tochter, die sich mit drei Freundinnen eine “Marihuana-Zigarette” geteilt haben soll, dort mit einem schwarzen Balken über den Augen mehr oder minder unkenntlich gemacht wurde.

Wer allerdings das dringende Bedürfnis verspürt, sich die Fotos der 17-Jährigen ohne schwarzen Balken über den Augen anzuschauen, braucht nur am Kiosk einen Blick auf die Titelseite der gedruckten “Bild” zu werfen.

Nachtrag: Mittlerweile sind Artikel und Foto in der Online-Ausgabe der “Bild” nicht mehr “verfügbar”. Der Ausriss zeigt, wie die Geschichte bis zum Nachmittag präsentiert wurde.

Zack! Wuusch! Arrggh!

“Schreckensszenen” spielten sich laut “Bild” in der Boeing 757, Flug HP 029, aus Phoenix nach der Landung in Los Angeles ab, denn es passierte so etwas ähnliches wie “das Unfassbare”, als das “Tattoo-Monster” seine Drohung zumindest ansatzweise wahr machte:

Motherfucker, ich prügel dich zu Tode, hau dir auf die Fresse, wenn wir gelandet sind.

Ganz so schlimm kam es dann zwar nicht, immerhin sei aber “überall Blut” gewesen, nach der “Rucksackattacke” auf “TV-Star” Wolfgang Fierek. Ein Fotograf, der den “Horror”, wie Christiane Hoffmann das nennt, dokumentieren konnte, war offenbar nicht in der Nähe. Ein Problem? Nicht für “Bild”.

Wir müssen leider draußen bleiben IV

“Dunkle Sonnenbrille, genervter Blick:” Darüber, warum Bärbel Schäfer “so unglücklich” guckte, kann auch “Bild” nur spekulieren. Möglicherweise hing es damit zusammen, dass die “Bild”-Reporter Rukiye Öztürk und Mark Gellert ihr sonntagmorgens um 6.30 Uhr am Frankfurter Flughafen “einen guten Flug” wünschten.

Die schlechten ins Kröpfchen

Potzblitz! Ute Kusch hatte sich was ganz besonderes einfallen lassen: Sie kam “in ihrer schwarzen Amtsrobe“, “schlicht-schön und sehr dezent” statt “schmink-schön und schmuck-behangen” wie Tatjana Gsell, die im übrigen ein weißes Kostüm anhatte. Es ging hier – das merkte “Bild” sofort – um ein “Duell zweier grundverschiedener Frauen”, um “Die schrille Witwe und die Aschenputtel-Richterin”:

Die bescheidene Richterin arbeitete neun Jahre lang als Staatsanwältin. Jetzt leitet sie an die 350 Verfahren im Jahr. Sie hat eine Tochter, arbeitet Teilzeit. Tatjana Gsell nennt sich selbst „Diplomkosmetikerin“. Sie ist Millionenerbin, muss nicht arbeiten.

Vielleicht handelte es sich aber auch bloß um einen Verhandlungstermin im Prozess gegen Gsell wegen Versicherungsbetrug.

P.S. Im Märchen siegt Aschenputtel.

…kann “Bild” sich noch erinnern. Rucke di guh.

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