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Keine Extrawurst (Wahlkampf IV)

Mal angenommen, einem großen Konzern ginge es plötzlich wirtschaftlich ganz furchtbar mies. So mies sogar, dass er betriebsbedingte Kündigungen aussprechen müsste. Nehmen wir weiter an, rund 4.200 Mitarbeiter wären von der Entlassung bedroht. Das wäre schlimm für diese 4.200 Mitarbeiter. Oder?

Offenbar kann man das auch anders sehen, nämlich so wie “Bild” es sieht, wenn es um Bundestagsmitarbeiter geht:

Und im Text heißt es:

Ihre Arbeitsverhältnisse enden mit Ablauf der Legislaturperiode — wegen der geplanten Neuwahlen jetzt ein Jahr früher als erwartet.

Doch sie fallen weich!

Besonders langjährige Mitarbeiter werden großzügig versorgt: Wer zwei volle Legislaturperioden im Bundestag gearbeitet hat und älter als 30 Jahre ist, bekommt vier Monate sein volles Gehalt weiter. Über 50jährige werden sechs Monate weiterbezahlt. Wenn sie drei Legislaturperioden im Bundestag beschäftigt waren, sogar neun Monate.

Das mag man als großzügig empfinden. Zumindest, was die Unter-50-Jährigen angeht, unterscheidet sich die Praxis im Bundestag aber kein bisschen von dem, was in der freien Wirtschaft üblich ist. Auch dort bekommen Mitarbeiter nämlich für gewöhnlich, beispielsweise bei betriebsbedingten Kündigungen, eine Abfindung. Die beträgt pro Jahr Betriebszugehörigkeit ein halbes Monatsgehalt. Bei acht Jahren Betriebszugehörigkeit ergäbe sich so beispielsweise eine Summe, die vier Monatsgehältern entspricht. Die über 50-jährigen allerdings, die könnten im Bundestag wohl auf etwas mehr Geld hoffen, als in der Wirtschaft üblich.

Aber vielleicht meint “Bild” mit “Mehr Geld” ja auch dies hier:

Nach neuesten Plänen der SPD sollen nun auch Fraktions- und Abgeordnetenmitarbeiter mit weniger Dienstjahren zwei Monate lang ihr Gehalt weiterbekommen.

Das ist zwar bislang nur eine Idee, und auch deren Umsetzung würde wohl keine gravierenden Unterschiede zur Wirtschafts-Praxis ergeben. In Einzelfällen ist es aber durchaus möglich, dass Bundestagsmitarbeiter mehr Geld bekommen, als in der Wirtschaft üblich. Aber muss man deshalb, wie “Bild”, komplett unterschlagen, dass es sich bei Abfindungszahlungen nicht um eine Sonderregelung für den Bundestag handelt?

Aber kommen wir zum so genannten “Luxus-Arbeitsamt”. Dazu schreibt “Bild”:

Übrigens: Auch von der Bundesagentur für Arbeit bekommen die betroffenen Mitarbeiter eine Extrawurst serviert: Für sie wird eigens ein Büro im Bundestag eingerichtet – sie müssen dann nicht auf überfüllten Amtsfluren stundenlang auf einen Termin warten …

Und dazu kann man nun ganz und gar nicht stehen, wie man will: Dass es sich dabei um eine “Extrawurst” handeln soll, ist schlicht falsch. Es ist nämlich gängige Praxis der Bundesagentur für Arbeit (BA) bei Großkonzernen, in denen Massenentlassungen anstehen, Informationsveranstaltungen direkt im betroffenen Betrieb durchzuführen. Das, und noch ein wenig mehr, kann man übrigens einer Pressemitteilung des Deutschen Bundestags entnehmen.

Aber vielleicht kam es “Bild” ja gar nicht so sehr darauf an, ihre Leser möglichst vollständig und zutreffend zu informieren. Sondern auf etwas ganz anderes.

Symbolfoto X

“Bild” versteht es nicht: Planeten außerhalb unseres Sonnensystems lassen sich nicht nur außerordentlich schwer nachweisen, sie lassen sich auch noch schlechter fotografieren. Erstens, weil sie ziemlich weit entfernt sind, und zweitens werden sie von einem sonnenähnlichen Stern, den sie umkreisen, überstrahlt. Deshalb gibt es auch keine wirklich guten Bilder von ihnen. (Es gibt überhaupt erst ein bestätigtes Foto eines extrasolaren Planeten).

“Bild” allerdings hat auf Seite eins der heutigen Ausgabe und online ein gestochen scharfes “Foto” eines “Cousins unserer Erde” (siehe obigen Ausriss) — das, anders als “Bild” im Text behauptet, gar kein Foto ist, sondern eine künstlerische Darstellung des erdähnlichen Planeten Gliese 876 d.

Auf einem Foto (sofern es möglich wäre, eins zu machen) sähe Gliese 876 d wahrscheinlich ungefähr so aus — vielleicht aber auch ganz anders und bestimmt nicht so schön rund:


Darstellung von BILDblog

Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an Jan W.

“Bild” bastelt sich einen Christen-Test

Schwer zu sagen, ob es positiv oder negativ gemeint ist, wenn ein papsttreues Blatt wie “Bild” über jemanden schreibt, der “Heilige Geist” sei in ihn gefahren. Getroffen hat es jedenfalls Außenminister Joschka Fischer:

Um Himmels willen! Ist etwa der Heilige Geist in Außenminister Joschka Fischer (Grüne) gefahren?

Erst prüften seine Diplomaten an der Botschaft Tirana (Albanien) die Visa zu lasch, jetzt wird’s hammerstreng!

So stand es gestern im Text zu dieser Geschichte in “Bild”:

Und was Joschka Fischer angeblich wissen will, stand da auch. Insgesamt 14 Fragen hatte “Bild” abgedruckt, in Form eines Fragebogens. Recht offiziell wirkt das Ganze, schließlich steht sogar ein Briefkopf der Deutschen Botschaft in Tirana drüber. Und im “Bild”-Text dazu heißt es:

Nur wer den Christen-Test besteht, soll zum Weltjugendtag nach Köln einreisen dürfen.

Fragt man allerdings beim Auswärtigen Amt nach, erfährt man, dass der Fragebogen nicht existiere. Er sei nicht geplant, geschweige denn jemals ausgegeben worden. Nicht vom Auswärtigen Amt, nicht von der Deutschen Botschaft in Tirana, noch von irgendeiner anderen Botschaft. Außerdem werde es auch in Zukunft keinen derartigen Fragebogen geben, und auch keine ähnlichen Fragebögen. Die Fragen, die “Bild” in ihrem “Christen-Test” stellt, stammten aus Papieren des Auswärtigen Amtes, die lediglich “interne Überlegungen” darstellten, wie man überprüfen könne, ob Visumsbewerber auch tatsächlich nach Deutschland einreisen wollen, um am Weltjugendtag teilzunehmen.

Und zumindest die Tatsache, dass es den Bogen, den “Bild” abdruckt gar nicht gibt, die ist “Bild” sogar bekannt. Man findet dort nämlich folgende Bemerkung:

(*) zusammengestellt aus vier unterschiedlichen Fragebögen des Auswärtigen Amtes

Wobei “finden”, was die “Bild”-Druckausgabe betrifft, etwas zu einfach klingt, man muss schon ernsthaft danach suchen. Das Sternchen, das auf die Bemerkung hinweisen soll, steht zwar, wie auch online, am Titel der Lösung, allerdings steht die Lösung im Blatt auf dem Kopf. Und die eigentliche Aufklärung darüber, wo “Bild” die “Christen-Test”-Fragen her hat, die steht dann eben am Ende der Auflösung — also auch auf dem Kopf.

Fassen wir das Ganze noch mal zusammen und folgen dabei der Darstellung des Auswärtigen Amtes (AA): “Bild” verfügt über Informationen aus verschiedenen Papieren des AA, die “interne Überlegungen” wiedergeben. Diese stellt “Bild” dann so zusammen, dass sie den Anschein erwecken, sie stammten aus einem einzigen existierenden Fragebogen. Außerdem montiert “Bild” einen Titelkopf der Deutschen Botschaft in Tirana über den (nicht existenten) Fragebogen (und außerdem offenbar noch das Wort “Antragsteller” dort hinein) und gibt dem “Christen-Test” so einen offiziellen Charakter und den Anschein, als werde er tatsächlich eingesetzt. Weiterhin verschleiert “Bild” die wahre Herkunft der Fragen und schreibt einen Text dazu, in dem auch nochmal der Eindruck erweckt wird, dieser “Christen-Test” existiere tatsächlich.

“Bild” weiß: Wer wirklich brisante Dokumente veröffentlichen will, muss sie sich schon selber zusammenbasteln. Aber das ist ja bekannt.

Mit Dank an Ron und andere für die sachdienlichen Hinweise.

Trapattoni fliegt nicht

Es ist seltsam: Der Fußballtrainer Giovanni Trapattoni ist gerade mit seiner Mannschaft Benfica Lissabon portugiesischer Meister geworden und jetzt “fliegt” er. So steht’s jedenfalls bei Bild.de:

Trap feiert – und fliegt!

Und im Text heißt es dann:

Trotzdem hat Trap fertig. Fans und Presse lästern über seinen Mauer-Fußball.

Wir wissen natürlich nicht, welche Presse und welche Fans da gemeint sind, wundern uns aber doch etwas, dass hier zum Beispiel dieses steht:

Die Fans von Benfica Lissabon liegen “Maestro” Giovanni Trapattoni zu Füßen. (…) Auch die Gazetten stimmten in den Jubel-Chor um “Trap” ein. “Er kam, sah, triumphierte und sagt jetzt auf Wiedersehen”, titelte die Zeitung “A Bola”. “Die Großen sind unter Trapattoni wieder auferstanden”, schrieb Zeitung “Record”, “Danke, Trap, Benfica ist wieder da”, meinte “A Capital”.

Entsprechend ist auch die Überschrift bei Bild.de natürlich völliger Unsinn. Trapattoni “fliegt” nicht, er denkt lediglich über seinen Rücktritt nach, weil er seine Familie vermisst. Und das weiß sogar “Sport Bild”.

Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an Schon M.

Hauptsache, es gibt Streit

Am vergangenen Sonntag stand im “Tagesspiegel” ein Text von Marie Theres Kroetz-Relin. Kroetz-Relin ist die Tochter der Ende April verstorbenen Maria Schell, und sie beschreibt in diesem Artikel anschaulich und detailliert, “wie sie nach dem Tod ihrer Mutter von der Boulevardpresse belagert wurde”. Zwar nennt Kroetz-Relin keine Namen einzelner Boulevardmedien, es gibt in dem Text aber einen Absatz, bei dem man unweigerlich an diese, nein, diese – Verzeihung: bei dem man an folgende Geschichte erinnert wird, die am 29. April auf Seite vier in “Bild” stand:

Familienkrach am Grab von Maria Schell

In dem seitenfüllenden “Bild”-Text geht es um Maria Schells Bruder, Carl Schell. Der habe sich Jahre nicht um seine “kranke Schwester” gekümmert, sei jetzt aber “plötzlich wieder da” und wolle “an ihrer Beerdigung teilnehmen”.

Außerdem wird Kroetz-Relin in dem “Bild”-Text zitiert – allerdings nicht, ohne dass “Bild” noch ein paar Sätze dazuschreibt. So heißt es dort:

“Es gibt Leute, die sich jetzt auf Kosten meiner Mutter in den Vordergrund drängen.”
Wen sie damit meint, ist klar! Marias Bruder Carl Schell (77).
Hervorhebungen von “Bild”

Und der Text endet folgendermaßen:

Und niemand ist glücklich über das Wiedersehen!
Düster klingt, was Marie Theres Kroetz-Relin vor der Beerdigung sagt: “Wenn jemand, der da nicht hingehört, meiner Mutter am Grab zu nahe kommt, dann raste ich aus.”
Hervorhebungen von “Bild”

Das klingt tatsächlich nach Familienkrach – Kroetz-Relin hat es ja quasi bestätigt. Oder? Im “Tagesspiegel” allerdings klingt das völlig anders:

Nach so vielen Würdigungen war die Zeit reif für Schmutzwäsche: Eine Boulevardzeitung brauchte eine Story und konfrontierte mich mit Zitaten, die angeblich von meinem Onkel Carl stammen sollten. Ich verweigerte dazu jede Stellungnahme, da ich meinen Onkel 16 Jahre nicht gesehen hatte, und erklärte im strengen Ton, dass ich dieses pietätlose Verhalten der Journalisten widerlich finde und ich das auch öffentlich am Grab meiner Mutter sagen würde.
Hervorhebungen von uns

Anschließend erzählt Kroetz-Relin im “Tagesspiegel” vom Tag der Beerdigung:

Wütend rief ich den Journalisten an und schrie: “Wie kommen Sie dazu, meine Zitate zu entfremden und gegen meinen Onkel anzuwenden? Sie wissen genau, dass es gegen euch, die Medien, gerichtet war! Ich würde nie ein Wort gegen meine Familie sagen…” “Tut mir leid, aber die Story über Vicky Leandros ist ausgefallen, und da hab ich Ihre Antworten vom Band abgetippt…” Ich war fassungslos: Das Gespräch wurde ohne mein Wissen mitgeschnitten und meine Worte zum reißerischen Aufmacher verdreht.
Hervorhebungen von uns

“Bild” mischt heimlich Diesel mit Benzin

Diese ziemlich dämliche Frage stellt “Bild” heute auf Seite eins:

Und auch davon abgesehen verwirrt der Text dazu ein wenig. Dort heißt es nämlich eingangs:

Die Mineralöl-Multis Aral, Shell und Total mischen heimlich Bio-Kraftstoff aus Raps und Weizen in ihren Sprit: Bei Diesel und Normalbenzin sind es bis zu 5 Prozent pro Liter!

Und etwas später wird dann ein Sprecher von Total zitiert:

“Wir haben erhebliche Qualitätsprobleme, da sich in den Transport- und Lagertanks Wasser absetzt.”

Da wundert man sich schon, dass sich Total so offen zur heimlichen Rapsöl-Beimischung bekennt. Außerdem fragt man sich, warum die überhaupt Rapsöl verwenden, wenn sie doch finden, dass es damit Probleme gibt. Und eine Antwort könnte diese Pressemitteilung von Total geben, die die Überschrift trägt, “Richtigstellung zu fehlerhaftem Bericht der BILD Zeitung”. Da steht u.a. dies hier:

An keiner der rund 1200 Tankstellen von TOTAL in Deutschland wird Benzin mit Ethanol-Beimischung verkauft. (…) Insofern ist das Zitat in der BILD Zeitung zwar formal richtig, aber im falschen Zusammenhang: Es ist die Begründung, weshalb TOTAL kein Ethanol beimischt.

Und wer will, mag sich auch noch diese Pressemitteilung des Mineralölwirtschaftsverbands durchlesen, oder diese des Deutschen Bauernverbands. In allen Mitteilungen kann man auch erfahren, dass die Mineralölgesellschaften gar keinen Hehl daraus machen, dass sie dem Diesel, anders als dem Ottokraftstoff, durchaus Bioethanol Biokomponenten beimischen.

Natürlich muss man das nicht glauben, aber immerhin ergibt es Sinn — im Gegensatz zum “Bild”-Artikel.

Mit Dank für die sachdienlichen Hinweise an Jan M. und Stefan.

Allgemein  

Hunger nach Kannibalismus

Man will es bei “Bild” offenbar einfach nicht einsehen, deshalb noch mal: Wer kein Menschenfleisch verzehrt, ist kein Kannibale.

Und trotzdem stand in der gestrigen Berliner “Bild”-Ausgabe diese Doppelseite:

Das Wort “Kannibale” findet sich dort nicht nur in der Überschrift, sondern auch in zwei Bildunterzeilen – und im Text wird Ralf M. weitere vier mal als Kannibale bezeichnet. Und das, obwohl “Bild” nebenan sogar einen Auszug der Anklage abdruckt, aus der sich deutlich entnehmen lässt, dass es eben nicht zu Kannibalismus kam. Man muss also davon ausgehen, dass “Bild” den Angeklagten absichtlich und wider besseres Wissen als Kannibalen bezeichnet.

Außerdem geht es hier mal wieder um Ziffer 13 des Pressekodex’. Obwohl dort und in den Richtlinien dazu eindeutig festgelegt ist, dass Verdächtige vor einem gerichtlichen Urteil nicht als Schuldige hingestellt werden dürfen, tut “Bild” mal wieder genau das (wie sich auch in der Online-Version des Berichts auf Bild.de nachlesen lässt).

Möglicherweise kann man auch darüber streiten, ob die Fotos, die “Bild” zur Illustration des Artikels gewählt hat, Ralf M. aussehen lassen, wie ein Raubtier im Käfig. Man kann darüber streiten, ob es wirklich notwendig und angemessen ist, detaillierte, “grausige” (“Bild”) Auszüge der Aussage des Gerichtsmediziners abzudrucken. Und man kann darüber streiten, ob man Ralf M.s Geständnis, das “Bild” im Wortlaut abdruckt, tatsächlich als “Grusel-Geständnis” qualifizieren muss. Es gibt jedenfalls Passagen darin, die dem Eindruck widersprechen, es handele sich bei dem Angeklagten um ein gewissen- und willenloses Monster:

“Ich selbst stehe den Vorwürfen fassungslos gegenüber und finde nur unzureichende Erklärungen, wie es überhaupt so weit kommen konnte. (…)
Mir ist bewußt, daß dieser Teil meines Ichs medizinisch behandelt werden muß. Ich hoffe, mit Hilfe von Ärzten irgendwann einmal wieder ein normales Leben führen zu können.
Für die von mir begangene Tat schäme ich mich. (…)
Mir ist bewußt, welch schwere Schuld ich auf mich geladen habe. (…)
Bis zu der Tat habe ich irrig geglaubt, meine Fantasien im Griff zu haben. (…)
Ich weiß, daß ich in den nächsten Jahren unter gesicherten Bedingungen behandelt werden muß.”

Wie gesagt, “Bild” druckt all das im Wortlaut ab, und schreibt trotzdem darüber:

Sperrt ihn weg, er hat wieder Hunger!

Und in eine Bildunterzeile:

Offenbar hat er immer noch Hunger auf Menschenfleisch

Oder in der Bild.de-Version:

Denn Ralf M. hat immer noch Hunger auf Menschenfleisch!

Ob also die Art und Weise, wie “Bild” die Geschichte präsentiert, entwürdigend ist, und ob sie den Angeklagten Ralf M. wie einen tumben Zombie darstellt, der einzig und allein von seinem Hunger auf Menschenfleisch getrieben ist, darüber müsste man jetzt vermutlich immer noch streiten — wenn auch nur mit “Bild”.

Nachtrag, 6.5.:
Man könnte glatt meinen, “Bild” versuche heute sich für ihre “Kannibalen-Berichterstattung” zu rechtfertigen. Auf Seite acht der Berliner “Bild”-Ausgabe steht nämlich ein fast ganzseitiger Artikel, der die Überschrift trägt, “Jetzt winselt der Berliner Kannibale! Ich fühle mich wie ein gefährliches Tier im Käfig”. Und im Text wird Ralf M. folgendermaßen zitiert: “Ja, ich bin ein Kannibale, und ich fühle so wie einer.” Aber, liebe “Bild”-Mitarbeiter, mal angenommen, irgend eine geistig derangierte Person käme auf die obskure Idee, sich als “Bild”-Chefredakteur und Herausgeber zu bezeichnen, würden Sie ihn dann auch so nennen und darstellen?

Bild.de schießt zu schnell

Liebe Bild.de-Redakteure, heute haben wir einen informativen Lesetipp direkt von Ihrer Seite für Sie: Es geht um diesen Text (bitte lesen Sie zunächst nur den Text) über eine “Amokfahrt” in Kassel, bei der eine Frau zu Tode kam und mehrere Menschen verletzt wurden. Der Fahrer konnte erst durch gezielte Schüsse der Polizei gestoppt werden. Er wurde lebensgefährlich verletzt – und, ganz wichtig: der Fahrer selbst hatte keine Schusswaffe und hat folglich auch nicht geschossen. Nachdem Sie jetzt also Ihren Text kennen, der inhaltlich den Tatsachen entspricht, ist es wohl angebracht, noch einmal über die Überschrift nachzudenken. Denn diese ist wirklich extrem unpassend:

Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an René T.

Nachtrag, 26.4.2005:
Was auf Bild.de im Text steht, entspricht offenbar doch nicht so ganz den “Tatsachen”. Ob der Fahrer nämlich zunächst einer Frau eine Flasche auf dem Kopf zerschlug, wie Bild.de behauptet, war zumindest bis gestern noch ungeklärt, wie sich hier nachlesen lässt.

Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an Marek M.

Nicht “Bilds” Tag

Schon möglich, dass der 1. Oktober 2004 nicht Peter Neururers Tag war, und vermutlich ging es vielen Fans des VfL Bochum, dessen Trainer Neururer ist, ähnlich. Schließlich war der VfL am Abend zuvor gegen Lüttich aus dem UEFA-Cup ausgeschieden. Aber das spielte eigentlich gar keine Rolle – wenn “Bild” nicht gestern folgendes geschrieben hätte:

“Dieser 1. Oktober 2004 war nicht mein Tag.” Am Abend zuvor war der VfL gegen Lüttich im UEFA-Cup ausgeschieden. Wir erinnern uns: In allerletzter Sekunde durch das tragische “Luftloch” des Brasilianers Edu…

Das steht in einem Text, darüber, dass Neururer seinen Führerschein für einen Monat abgeben muss, vier Punkte in Flensburg bekommt und 137,50 Euro Bußgeld zahlen muss. Dass der 1. Oktober nicht sein Tag gewesen sei, soll Neururer laut “Bild” als “Entschuldigung” dafür angegeben haben, dass er auf der Autobahn zu dicht aufgefahren war und eine durchgezogene Linie überfahren hatte.

Und möglicherweise hat er das ja sogar zu “Bild” gesagt. Die Drängelfahrt aber, wegen der Neururer seinen Führerschein abgeben muss, fand gar nicht am 1. Oktober 2004 statt, sondern zwei Wochen zuvor, am 17. September (wie beispielsweise die Nachrichtenagentur dpa zutreffend berichtete). Das Datum macht durchaus einen Unterschied. Denn am Vorabend des 17. September hatte Bochum im UEFA-Cup-Hinspiel gegen Standard Lüttich 0:0 gespielt. Neururer war damals, wie sich beispielsweise hier nachlesen lässt, noch “stolz” auf seine Mannschaft und zuversichtlich, dass sie Lüttich im Rückspiel schlagen würde.

Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an www.vfl4u.de

Märchen vom schwulen Pilz


Tja, da wundert sich der Achtklässler. Schwule Killer-Pilze? Das klingt ja nun nicht gerade nach seriöser Wissenschaft. Ist es auch nicht, es ist kompletter Blödsinn. Es stimmt zwar, dass Cryptococcus neoformans (C.n.) ein nicht ganz ungefährlicher Krankheitserreger ist, davon, dass er schwul sei, kann allerdings keine Rede sein. Und das sagt einem ja eigentlich schon das Basis-Wissen Biologie – oder der gesunde Menschenverstand.

(Eine, etwas vereinfachte, wissenschaftliche Begründung wollen wir dennoch nicht unterschlagen: Zunächst mal haben Pilze streng genommen überhaupt keine Geschlechtschromosomen, sondern es gibt auf ihren Chromosomen Regionen, die das Geschlecht bestimmen. Die nennt man “mating type loci”. Auch deswegen unterscheidet sich die Sexualität der Pilze gravierend von menschlicher Sexualität, weshalb es Unsinn ist, hier mit dem Begriff schwul zu operieren. Außerdem verfügen Pilze über zwei verschiedene “mating types” (Paarungstypen). Da wäre “mating type a” und “mating type alpha”. Sexuelle Fortpflanzung zwischen Pilzen kann nur zwischen kompatiblen, also verschiedenen Paarungstyp-Zellen stattfinden. Darin unterscheidet sich C.n. nicht von anderen Pilzarten. Deshalb ist es, selbst wenn man unsinniger Weise das unter 1. gesagte außer Acht lässt, immer noch Quatsch Cryptococcus schwul zu nennen. Warum also kam man bei Bild.de auf die absurde Geschichte? Möglicherweise deshalb: Joseph Heitmann fand heraus, dass die Entwicklung der geschlechtsbestimmenden Regionen auf den Chromosomen von C.n. und deren Anordnung Ähnlichkeiten zum menschlichen Y-Chromosom aufweisen, welches ja bekanntlich mit männlichen Eigenschaften assoziiert wird. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das u.a. deshalb so interessant, weil man an C.n. die genetische Entwicklung von Geschlechtschromosomen studieren und Einblicke in die Ursachen für Unfruchtbarkeit gewinnen könnte.)

Deshalb wissen wir auch nicht, ob Nonsens-Sätze wie die folgenden aus Desinteresse, Dummheit, boshaftem Zynismus entstanden sind – oder schlicht aus Homophobie:

Der hefeähnliche Pilz Cryptococcus neoformans (Foto) ist nicht nur schwul, er zeugt mit seinem gleichgeschlechtlichen Partner sogar jede Menge Nachwuchs!
(…)
Gefährlich! Der schwule Pilz ist ein tödlicher Krankeitserreger. Er befällt den Menschen, verursacht lebensgefährliche Infektionen im Gehirn.
Hervorhebungen von Bild.de

Nachtrag, 22.4.2005:
Leider haber wir übersehen, dass es offenbar tatsächlich neue Erkenntnisse gibt, weshalb dieser Eintrag, so wie wir ihn gemacht haben, nicht stimmt. Wir bitten um Entschuldigung.

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