Autoren-Archiv

neu  

Freunde fürs Leben

Bild.de berichtet heute ausführlich über eine Studie, wonach verheiratete Männer länger leben als unverheiratete, Frauen durch die Ehe dagegen anscheinend ihre Lebenserwartung reduzieren. Und ergänzt:

Trotzdem überleben Ehefrauen ihre Partner meist um gute viereinhalb Jahre, da die durchschnittliche weibliche Lebenserwartung (91 Jahre in Deutschland) höher ist als die männliche (86 Jahre).

Komisch, nach der jüngsten Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes liegt die durchschnittliche Lebenserwartung rund zehn Jahre unter den “Bild”-Zahlen: Ein neugeborener Junge kann danach nur damit rechnen, 76 zu werden, ein Mädchen 82.

Wie kommt Bild.de auf die höheren Zahlen?

Vermutlich über die Freunde aus der Versicherungsbranche. Die “Allianz” hat nämlich vor einigen Monaten erklärt, die Deutschen schlössen zu niedrige private Rentenversicherungen ab, weil sie ihre Lebenserwartung dramatisch unterschätzten. Die “Allianz” beruft sich dabei auf die Daten der “Deutschen Aktuarvereinigung”, die von 86 Jahren bei Männern und 91 Jahren bei Frauen ausgeht.

Nur beziehen sich diese Zahlen nicht auf die Gesamtbevölkerung, sondern allein auf die Versicherten. Und da zum Beispiel Menschen, die aufgrund einer chronischen Krankheit von einer kurzen Lebensdauer ausgehen, natürlich weniger solcher Langzeit-Policen abschließen, ist die realistische Alterserwartung deutlich niedriger, als von der “Allianz” und von Bild.de angegeben.*

Nachtrag, 17.30 Uhr. Die Bild.de-Rechnung, dass Frauen ihren Ehemann im Durchschnitt um gute viereinhalb Jahre überleben, ist natürlich kompletter Unfug: Das hängt ja auch davon ab, wie groß der durchschnittliche Altersunterschied von Eheleuten ist. Und darüber geben die Statistiken über die Lebenserwartung keine Auskunft.

*) Der Vollständigkeit halber: Die realistische Alterserwartung ist allerdings höher als die offiziellen Zahlen vom Statistischen Bundesamt, was daran liegt, dass das den zu erwartenden medizinischen Fortschritt in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nicht berücksichtigt.

Danke an Michael H., Uwe R. und Frohmut W.

Sensation: “Bild” veröffentlicht Kekilli-Rüge!

Die Freiwillige Selbstkontrolle der Presse funktioniert. Im Februar des Jahres 2004 berichtete “Bild” unter Überschriften wie “Deutsche Filmdiva in Wahrheit Porno-Star” mehrfach verächtlich über die Schauspielerin Sibel Kekilli*. Nur zehn Monate später kassierte das Blatt dafür eine heftige Rüge vom Deutschen Presserat. Und nur fünfzehn weitere Monate später, insgesamt also über zwei Jahre nach ihren ursprünglichen Berichten, entledigt sich “Bild” der Selbstverpflichtung, diese Rüge zu veröffentlichen. Heute, fast ganz unten auf Seite 4:

Presserat rügt BILD. Wegen der Berichterstattung im Februar 2004 über die Schauspielerin Sibel Kekilli hat der Deutsche Presserat eine Rüge gegen BILD nach Ziffer 1 und 12 Pressekodex ausgesprochen.

(Ja, das ist die komplette Meldung. Und als Größenvergleich rechts im gleichen Maßstab ein kleines “g” der Hauptschlagzeile von Seite 1.)

Natürlich wissen die “Bild”-Leser, dass sich hinter Ziffer 1 des Pressekodex “die Wahrung der Menschenwürde” als eines der “obersten Gebote der Presse” verbirgt. Und hinter Ziffer 12 das Verbot, jemanden aufgrund seines Geschlechtes oder seiner Zugehörigkeit zu einer “rassischen, ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe” zu diskriminieren. Klar, das musste “Bild” nicht erklären.

Und sicher war den “Bild”-Lesern auch bekannt, wie der Presserat seine Rüge begründete. Dass nämlich die “Bild”-Berichterstattung die Betroffene “entwürdigt” hätte. Denn, so wörtlich:

“Das öffentliche Interesse deckt eine Form der Berichterstattung nicht, in der die Persönlichkeit der Betroffenen auf das reduziert wird, was man über diese in den Klappentexten von Pornofilmkassetten lesen kann.”

Diesen Satz — und damit genug der Ironie — hat “Bild” nicht verstanden. Aus der Rüge sei für die “Bild”-Redaktion “nicht eindeutig” hervorgegangen, über welche Verfehlungen sie die Leser hätte informieren wollen, sagte im Februar 2005, ein Jahr nach den ursprünglichen Berichten, ein “Bild”-Sprecher. Man habe daher den Presserat gebeten, die Ausführungen zu präzisieren. Die Zwischenzeit hatte “Bild” genutzt, in anderer beleidigender Form über Kekilli zu berichten. Zweimal untersagten Gerichte dies, einmal mit der Begründung, Kekilli sei im Rahmen einer Kampagne von “Bild” “in höhnischer Weise herabgesetzt und verächtlich gemacht” worden. “Ein derartiger Eingriff in die Würde eines Menschen” sei durch die Freiheit der Berichterstattung “nicht mehr gedeckt”.

Ein knappes Jahr später hatte der “Bild”-Sprecher eine neue Begründung dafür, dass “Bild” die Rüge noch nicht abgedruckt hatte. Im Januar 2006 sagte er, die Rüge sei “unter schweren Verstößen gegen die Verfahrensordnung zustande gekommen” und man warte seit vielen Monaten auf eine Erklärung des Presserates, wie nun zu verfahren sei. Gleichzeitig wartete der Presserat nach eigener Auskunft darauf, dass “Bild” die insgesamt sechs noch nicht abgedruckten öffentlichen Rügen aus dem Jahr 2004 noch drucken würde.

Offenbar hat man inzwischen miteinander gesprochen, verhandelt, gefeilscht, erklärt. Und damit die Mühe nicht umsonst war, zeigen wir einfach noch mal das Ergebnis dieses jahrelangen Vorgangs:

Das wird “Bild” eine Lehre sein.

*) Die “Bild”-Autoren Bernhard Kelm und Patricia Dreyer veröffentlichten die Details über Kekillis Vergangenheit unmittelbar nachdem der Film “Gegen die Wand” mit ihr in der Hauptrolle den Goldenen Bären gewonnen hatte. Die Zeitung “berichtete” über Kekilli unter anderem: “Blasen gehört neben Doggystyle zu ihren bevorzugten Sexualpraktiken” und veröffentlichte, auch online, Bilder aus den Pornos (“klicken Sie hier”). Kekilli sagte danach gegenüber der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung”: “Die ‘Bild’-Zeitung sagt mir zum Beispiel: Wir wollen jetzt an deine Eltern ran. Aber wir können sie in Ruhe lassen, wenn du uns ein Interview gibst. Ich laß mich ganz bestimmt von denen nicht erpressen.”
 

(Weiterlesen: Presserat: Mehr Rüge muss nicht sein.)

Was “Bild” die Renten-Kampagne bringt

Und warum macht “Bild” überhaupt eine Kampagne gegen die gesetzliche Rentenversicherung, lügt, übertreibt, verbreitet Panik und verrechnet sich? Das ARD-Magazin “Monitor” glaubt, um private Rentenversicherungen zu verkaufen. Bild.T-Online bietet gemeinsam mit der Allianz seit September 2005 die “Volks-Rente” an und bewirbt sie mit Sprüchen wie: “Rente sich, wer kann!” 80.000 Verträge wurden nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr abgeschlossen. Das Angebot wird auch aktuell auf Bild.de beworben, allerdings nicht mehr unter dem Namen “Volks-Rente”, sondern als “RiesterRente”.

Eine gemeinsame Volks-Aktion von Allianz und Bild.T-OnlineDie “Bild”-Zeitung sagte gegenüber “Monitor”, dass man nie im redaktionellen Teil für dieses Angebot geworben habe. Das mag man im Hinblick auf die aktuelle Renten-Kampagne anders sehen. Die Aussage steht zudem im Widerspruch zu einer internen Vertreter-Information der Allianz, die “Monitor” präsentierte:

Die Informationen zur VolksRente werden in zwei Formen aufbereitet - als Anzeige und als redaktionelle Artikel

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die berufliche Vorgeschichte des Wirtschaftschefs der “Bild”-Zeitung, Oliver Santen, der auch selbst über die “Schrumpf-Rente” schreibt. Santen war bis Mai 2004 Pressesprecher der Allianz.

Die Renten-Lügen von “Bild”

Wenn die “Bild”-Zeitung von Renten-Lügen redet, weiß sie, wovon sie spricht.

Am 18. Januar war Ilka Hillig auf der ersten Seite der “Bild”-Zeitung. Unter der Überschrift “SCHRUMPF-RENTE – Wovon sollen wir im Alter leben?” stand ihr Foto und das Zitat: “Ich habe Angst, im Alter zu verarmen!” Das ARD-Magazin “Monitor” hat die Frau besucht und gefragt, ob sie Angst habe, im Alter zu verarmen. Ilka Hillig antwortete, sie habe keine Angst, im Alter zu verarmen. Und warum hat “Bild” das dann geschrieben?

“Das weiß ich nicht, warum die das geschrieben haben, das habe ich auf jeden Fall nicht gesagt.”

Am Tag zuvor hatte “Bild” (wie berichtet) ebenfalls auf Seite 1 eine große Tabelle veröffentlicht: “Schrumpf-Rente! So wenig ist sie künftig nur noch wert”. Als Quelle gab “Bild” das “Deutsche Institut für Altersvorsorge” an, einer Lobby-Organisation der privaten Finanz- und Versicherungsbranche (was “Bild” verschwieg). Doch selbst die distanziert sich von den Daten, die sie “Bild” angeblich geliefert hatte. Bernd Katzenstein, Sprecher des DIA, sagte gegenüber “Monitor” auf die Frage, ob er die Zahlen für seriös halte:

“Nein, sie sind eine unnötige Panikmache. Denn es wird nicht so sein, dass wir auf Jahrzehnte überhaupt keine Rentenerhöhung haben und dann noch eine Inflation, die mit zwei Prozent gerechnet wird. Das ist zu pessimistisch.”

Noch einen Tag vorher hatte “Bild” auf Seite 1 getitelt: “Finanzexperte fürchtet: Nur noch Renten-Nullrunden!” Der Finanzexperte war Bernd Raffelhüschen, ebenfalls ein Lobbyist der privaten Altersvorsorge. Und auch er distanzierte sich gegenüber “Monitor” von der Schlagzeile: Wenn man, wie “Bild” es getan hat, die Bedingung für diese Aussage weglasse — dass es nämlich nur dann Nullrunden geben werde, wenn die Bruttolöhne nicht signifikant steigen sollten — dann sei es “eine schlichte Falschmeldung” und insofern “keine wirkliche Meldung und richtige Meldung.”

“Bild” streicht “Bild”

Uli Hoeneß, der Manager von Bayern München, hat dem “Stern” ein Interview zur öffentlichen Debatte um Bundestrainer Jürgen Klinsmann gegeben. Seine Aussagen kann man unterschiedlich interpretieren. Der “Stern” selbst moderierte sie in seiner Vorabmeldung mit den Worten an: “Der Manager des FC Bayern München, Uli Hoeneß, unterstützt den umstrittenen Bundestrainer Jürgen Klinsmann und stellt in Aussicht, dass die Bundesliga sogar weitere Länderspiele vor der WM möglich machen könnte.” “Bild” wählte die Variante: “Hoeneß faltet Klinsi zusammen.”

“Bild” zitiert Hoeneß aus dem “Stern” unter anderem so:

Klinsmann braucht diesen großen Befreiungsschlag. Er muß einsehen, daß Sturheit und Eigensinn keine Chance haben. Da steht ein Volk von knapp 80 Millionen Leuten dagegen, mit all deren Bataillonen, die jetzt aufgefahren werden. Das hält kein Mensch aus. Die Mächte sind gegen ihn.”

Doch das Original-Zitat ist länger. “Bild” hat es u.a. in der Mitte gekürzt. Im “Stern” nennt Hoeneß Namen:

Da steht ein Volk von knapp 80 Millionen Leuten dagegen, mit all den Bataillonen, die jetzt aufgefahren werden. Von der “Bild”-Zeitung bis zur “Süddeutschen”. Alle. Das hält kein Mensch aus.

Ja, die eigene Rolle fand “Bild” da wohl nicht so relevant. Man fährt ja bekanntermaßen keine Kampagne gegen Klinsmann.

PS: “Focus Online” hat Hoeneß’ Zitat auf die gleiche Art gekürzt. Dort tauchte das Thema auch erst heute auf, nachdem “Bild” darüber berichtete — und nicht schon gestern nach der Meldung des “Stern”. “Focus Online” zitiert aus dem langen “Stern”-Gespräch nichts, was nicht in dem viel kürzeren “Bild”-Artikel stand. Grad so, als hätte man die “Stern”-Zitate nicht aus dem “Stern”, sondern aus “Bild” abgeschrieben.

Danke an Michael L. für den Hinweis!

Lange Feindschaft

Das NDR-Medienmagazin “Zapp” berichtete gestern in einem ausführlichen Beitrag über “das Geben und Nehmen zwischen Profi-Fußball und “Bild”-Journaille” und die erstaunliche Macht, die die “Bild”-Zeitung in diesem Bereich hat und mit zweifelhaften Methoden aufrecht erhält. Unter anderem ging es dabei auch um die Hintergründe der Kampagne gegen Jürgen Klinsmann, mit dem “Bild” eine jahrelange Feindschaft verbindet.

Freddie Röckenhaus, Sportjournalist: “Die ‘Bild’-Zeitung ist natürlich gewöhnt, dass die wichtigen Figuren im deutschen Fußball mit ihr besonders kooperieren. Das heißt, dass die ‘Bild’-Zeitung Zugang zu besonderen Informationen hat, diese Informationen früher bekommt und so weiter. Das hat sich ja über die Jahrzehnte eingeschliffen, weil eigentlich alle wichtigen Personen im deutschen Fußball immer kooperationsbereit waren. Klinsmann ist das von Anfang nicht gewesen.”

Moritz Müller-Wirth, “Die Zeit”: “Das beste Beispiel ist, dass die ‘Bild’-Zeitung immer schon am Spieltag der Länderspiele die korrekte Mannschaftsaufstellung im Blatt hatte – als einzige Zeitung und als einziges Medium. Klinsmann hat das abgeschafft und hat die Mannschaftsaufstellung seither immer am Spieltag allen Journalisten gleich zur Kenntnis gegeben.”

(Die Sendung wird am Freitag um 15.30 Uhr auf 3sat wiederholt.)

“Bild” wird gerügt und nicht gerügt

Der Deutsche Presserat hat die “Bild”-Zeitung für mehrere Artikel über einen Mann gerügt, den sie als “Attentäter” bezeichnete, obwohl er nach allem, was man weiß, kein Attentäter war. Er war zwar in der Türkei in Abwesenheit zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden — aber nach Erkenntnissen des Presserates nur wegen der Teilnahme an einer Demonstration, an deren Ende es zu einem tödlichen Brandanschlag kam. Wegen eines Tötungsdelikt sei er nicht angeklagt worden. Die Berichterstattung der Rhein-Neckar-Ausgabe von “Bild” sei “falsch und vorverurteilend” gewesen, befand die zweite Beschwerdekammer des Presserates, und habe gegen die Ziffern 2 und 13 des Pressekodex verstoßen.

Presseethisch nicht zu beanstanden war nach Ansicht des Gremiums dagegen die vielfach kritisierte Aufmacher-Schlagzeile “Wird sie geköpft” unter einem Foto der entführten Susanne Osthoff im vergangenen Herbst: “Die Mitglieder äußerten Verständnis für die von Emotionen geprägten Beschwerden beim Presserat, gleichzeitig weist die Kammer jedoch darauf hin, dass die Zeitung hier eine reale Gefahr in Worten abgebildet hat. Auch grausame Realitäten zu schildern und darüber zu berichten, gehört zu den Aufgaben der Presse.”

Warum hat er “Bild” das nicht vorher gesagt?

Es hat dann doch noch jemand Franz Josef Wagner Bescheid gesagt, dass nicht die Sonne und die Temperaturen ausschlaggebend dafür waren, dass Jürgen Klinsmann die vergangene Woche an seinem Wohnsitz in Kalifornien verbracht hat. Und “Bild”-Kolumnist Wagner, der den Bundestrainer gestern noch beschimpft hat, schreibt deshalb heute einfach nochmal an Klinsmann.

Die Frage, ob man es Klinsmann als Ausrede durchgehen lassen kann, dass er den einjährigen Todestag seines Vaters mit seiner Mutter verbringen wollte, beantwortet Wagner klar mit Ja (“Eine Mutter ist immer mehr wert als ein Pokal”) und Nein (“Es geht nur um die WM”). Und findet einerseits, “daß Klinsmann seine Mutter aus dem Spiel herauslassen muß”, und fragt andererseits, “warum haben Sie uns das nicht vorher gesagt?”

Nun ja, auf diese letzte Frage hätte Wagner eine Antwort finden können. Im ZDF-Interview, das Klinsmann am Sonntag gab:

Ich hab’ meine privaten Gründe, und möchte die niemandem weitererzählen. (…)

Alles, was ich immer [gegenüber dem DFB] kommuniziert habe, stand am nächsten Tag in der Zeitung. Und das sind Dinge, die gehören nicht in die Zeitung. Das sind Dinge, die gehören ins Familienleben. In Deutschland nimmt man sich das Recht heraus, über Leute zu urteilen, die man zum einen nicht kennt, und zum anderen auch die Inhalte nicht weiß. Ich ziehe über irgendjemanden her, nur weil ich Lust habe oder weil ich irgendein Gerücht höre, dann hab ich das Recht, den zu verurteilen. (…)

Wenn es ins Private geht oder soweit geht, dass dann mir Journalisten hinterherfahren in Los Angeles vorm Haus, dich verfolgen, wie du den Kleinen in die Schule bringt, rumschnüffeln in Deiner Nachbarschaft, um zu erfahren, was macht der eigentlich in seinem normalen Alltag, wie jeder andere Mensch auch, ich finde, irgendwo hast du ‘ne Grenze überschritten und das ist jetzt halt passiert.

Zum Vergleich: “Bild” schrieb vor zehn Tagen in einer Art Porträt über Klinsmann (“Wer steckt hinter der Grinsi-Maske?”):

Sein Haus, seine Burg: “Die Öffentlichkeit hat kein Recht auf mein Privatleben.” So hielt es der ehemalige Bäckergeselle aus Geislingen schon immer: den öffentlichen Ruhm als Torschütze ließ sich Jürgen Klinsmann mit Millionen belohnen.

Doch der Mensch klappte zu wie eine Auster.

Keine Frage: Die “Bild”-Kampagne gegen Jürgen Klinsmann dient den eigenen Interessen der Zeitung.

Mord, was sonst?

Die 21. Große Strafkammer des Frankfurter Landgerichts muss derzeit klären, ob Armin Meiwes, der sogenannte “Kannibale von Rotenburg”, einen Mord beging, als er einen Menschen auf dessen Wunsch schlachtete und aß. Meiwes war in erster Instanz nur wegen Totschlages verurteilt worden. Die Staatsanwaltschaft legte dagegen erfolgreich Revision beim Bundesgerichtshof ein. Der verlangte vom Gericht, drei Mordmerkmale zu prüfen: Töten zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus niedrigen Beweggründen und zur Ermöglichung weiterer Straftaten.

Das Gericht prüft also, ob Armin Meiwes juristisch gesehen einen Mord begangen hat.

Vielleicht ist das angesichts der Unfassbarkeit des Geschehens zu abwegig für Bild.de. Dort steht heute:

Im ersten Prozeß hatte ihn das Landgericht Kassel nur wegen Totschlags zu achteinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Können sie dem “Kannibalen von Rotenburg” jetzt den Mord nachweisen?

Den Mord. Als sei längst klar, dass es sich genau darum gehandelt habe. Mit einem einzigen kleinen Wort macht Bild.de aus einem Bericht eine Vorverurteilung.

Nachtrag, 21.30 Uhr. Offenbar hat Bild.de unsere Argumentation eingeleuchtet. Zumindest steht dort plötzlich nicht mehr “den Mord” sondern “einen Mord”.

Der mächtigste Mann des deutschen Sports

Die Titelgeschichte des aktuellen “Spiegel” beschäftigt sich mit Bundestrainer Jürgen Klinsmann. In dem langen Stück geht es unter anderem auch um die “Bild”-Zeitung und ihren stellvertretenden Chefredakteur und Sportchef Alfred Draxler:

Zwei Tage nach dem Spiel [gegen Italien] schrieb er in “Bild”: “Wenn Klinsmann jetzt wirklich in dieses Flugzeug steigt, dann sollte er am besten gleich ganz in Amerika bleiben.” (…)

Draxlers Büro liegt im zehnten Stock des Axel-Springer-Hauses in Hamburg. Er hat einen wunderbaren Blick über die Stadt, in seinem Regal stehen ein kleiner Humidor und ein Großer Brockhaus, von dem die Bände 13 bis 22 fehlen. Er trägt ein weißes Hemd, eine schwarze Hose und hellbraune Schuhe. Sein Haar ist nach hinten gekämmt. Er ist der mächtigste Mann des deutschen Sports.

Gleichzeitig ist er die ganz große Unschuld des deutschen Sports. Seine beiden zentralen Sätze lauten: “Der Vorwurf einer Kampagne gegen Klinsmann ist völlig absurd.” Und: “Wir berichten sachlich.”

Ist “Grinsi-Klinsi” sachlich?

“Grinsi-Klinsi ist eine Boulevard-Zeile.”

Da ist er natürlich fein raus, wenn alles, was eine Boulevard-Zeile ist, nicht im Widerspruch zur Sachlichkeit steht. Da kann er fleißig holzen, und das macht er auch. (…)

Es gibt verschiedene Gerüchte. “Bild” führe eine Kampagne gegen Klinsmann, weil man für dessen alten Widerpart Matthäus ist, weil es vor zehn Jahren mal einen Rechtsstreit wegen eines Fotos gab. In Wahrheit geht es wohl wieder um Unabhängigkeit. Draxler ist es gewöhnt, dass die Größen des Fußballs eng mit “Bild” zusammenarbeiten, Kolumnen schreiben oder jederzeit Informationen ausplaudern.

“Bild” ist Teil des Fußballbetriebs, Klinsmann nicht. Wenn etwas ausgeplaudert wird, nennt er das “Informationskorruption”. Er steht “Bild” nicht jederzeit zur Verfügung, schon gar nicht mit privaten Geschichten. Er will in seinem Umfeld keine Leute, die mit “Bild” eng verbunden sind. Er will die traditionelle Macht von “Bild” über die Nationalmannschaft brechen.

Draxler bleibt auch in diesem Punkt geschmeidig: “Wir arbeiten sehr gut zusammen, sehr professionell, wir haben jederzeit Zugang.”

Heute, nach vielen, vielen, vielen, vielen, vielen, vielen, vielen bissigen Bemerkungen über den Sonnenschein und die Temperaturen in Kalifornien, räumt “Bild” übrigens ein, dass Klinsmann einen auch für “Bild” akzeptablen Grund dafür hatte, nach dem Italien-Spiel nicht in Deutschland zu bleiben. Einen privaten Grund, den er gestern gegenüber dem ZDF und auf der DFB-Homepage nannte und den “Bild” zitiert:

“In dieser Woche (am 8. März – die Red.) war der erste Jahrestag des Todes meines Vaters. Und ich hatte meiner Mutter schon lange versprochen, daß wir diese für sie schweren Tage gemeinsam in Kalifornien verbringen.”

“Bild” kommentiert das mit den Worten:

Klinsi hätte sich viel Ärger ersparen können, wenn er früher seinen Grund für das Schwänzen des FIFA-Workshops verraten hätte.

Klar: Wenn er sowas nicht mit “Bild” abspricht, muss er halt die Konsequenzen tragen und wilde Unterstellungen von “Bild” über seinen Sonnenhunger in Kauf nehmen.

Ach, und leider hat gestern niemand rechtzeitig Franz Josef Wagner Bescheid gesagt.

Blättern:  1 ... 65 66 67 ... 115