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Springers Leitlinien leiten nicht

“[Unsere journalistischen Leitlinien] sind ein Schutzwall für unabhängigen Journalismus. Wir haben sie in einer Zeit eingeführt, in der der kommerzielle Druck auf Redaktionen immer größer wird. Jeder wird natürlich beobachten, wie wir damit umgehen – das macht uns angreifbarer als diejenigen, die still ihre faulen Kompromisse machen.”

Mathias Döpfner, Vorstandschef Axel Springer AG, 13. März 2004

 

Ganz konkret zeigt sich der Umgang der Axel Springer AG mit diesen Leitlinien natürlich einfach daran, dass Bild.de sich konsequent weiter als Schleichwerbeportal positioniert und exakt dieselben Schleichwerbe-Praktiken pflegt, die Bild.de von Gerichten bereits zweimal untersagt wurden. (Oder daran, dass der Berater des “Bild”-Chefredakteurs seine jahrelange Werbekampagne für eine Nassrasierer-Marke im Blatt fortsetzt.)

Aber die Bedeutungslosigkeit dieser “journalistischen Leitlinien” ist noch grundsätzlicher. Im Sommer haben wir versucht, eine Stellungnahme des Verlages zu den merkwürdigen Werbepraktiken im Spiele-Ressort von Bild.de zu bekommen. Wir wollten, dass uns jemand erklärt, warum diese Praktiken, die wir als Schleichwerbung bezeichnen würden, anscheinend nicht gegen die “journalistischen Leitlinien” verstoßen.

Was dann passierte, ist vielleicht ganz aufschlußreich.

Wir haben eine Mail an Tobias Fröhlich geschrieben, der Pressesprecher für “Bild” und Bild.de ist. Nach mehreren Nachfragen bekamen wir die Antwort, er werde sich mit der Sache nicht befassen. Wir haben daraufhin eine Mail an Edda Fels geschrieben, die Leiterin Unternehmenskommunikation bei der Axel Springer AG. Wir baten sie, uns einen Ansprechpartner für unser Anliegen zu nennen. Sie gab uns zur Antwort, soweit sie wisse, sei Herr Fröhlich an der Sache dran. Als wir sie darauf aufmerksam machten, dass für Herrn Fröhlich die Sache längst erledigt sei und fragten, ob es “irgendeinen Ansprechpartner in der Axel Springer AG” gibt, der dem Vorwurf von Verstößen gegen die “journalistischen Leitlinien” nachgeht, bekamen wir keine Antwort mehr. Stattdessen meldete sich einige Tage später Herr Fröhlich und bat um Verständnis, dass er “jetzt nicht im Detail auf Ihre Darstellung in Ihren Fragen eingehen möchte”. Eine Antwort in der Sache erhielten wir nicht.

Als nächstes wandten wir uns mit einem Brief an Mathias Döpfner. Wir baten ihn um Unterstützung, da er noch wenige Wochen zuvor bei einer Tagung des “Netzwerk Recherche” die Bedeutung der “journalistischen Leitlinien” betont hatte. Wir fragten ihn:

Warum geht meinem Hinweis, Bild.de verstoße systematisch gegen die “Journalistischen Leitlinien”, niemand nach — und sei es nur, um den Vorwurf zu entkräften? Wer sorgt intern dafür, dass die “Leitlinien” nicht nur eine Monstranz sind, die auf Festtagen vorgezeigt wird, sondern eine tatsächliche Bedeutung im Alltag haben? Und an wen kann man sich wenden, wenn man einen Verstoß gegen die “Leitlinien” festgestellt zu haben glaubt?

Herr Döpfner hat uns nicht geantwortet.

An seiner Stelle schrieb uns wieder Edda Fels:

Wir können uns nur wiederholen, aber das tun wir gern.

1) Selbstverständlich gilt die Trennungsregel zwischen Redaktion und Anzeigen auch für Bild.T-Online.

2) Online und Print sind zwei unterschiedliche Mediengattungen, dies sieht auch die gängige Rechtsprechung mit Bezug auf Kennzeichnung von werblichen Inhalten so.

3) Sites mit werblichem Inhalt sind auch bei BTO [Bild.T-Online] gekennzeichnet.

Damit endeten unsere Versuche, jemanden in der Axel Springer AG zu finden, der für die Einhaltung der journalistischen Leitlinien zuständig ist. Unsere Vermutung: Es gibt niemanden. Möglichen Verstößen wird nicht nachgegangen. Die Leitlinien sind in der Praxis der Redaktionen ohne Bedeutung.

Eine Antwort auf unsere Fragen haben wir nicht bekommen. Aber natürlich ist auch das eine Antwort. Die journalistischen Leitlinien sind offenbar nur dazu da, dass Mathias Döpfner bei Medienkongressen und in Interviews über sie reden kann.

Kurz korrigiert (266)

Wir können uns nur wiederholen: Die “Bild am Sonntag”-Kolumne von Martin S. Lambeck heißt “Die Woche in Berlin”. Vielleicht sollte er das ernst nehmen und wirklich keine Abstecher mehr nach München, Brasilien, Washington — oder in den Kongo machen. Heute schreibt Lambeck, Verteidigungsminister Franz-Josef Jung hätte dort vergeblich darauf gewartet, von Präsident Laurent Kabila empfangen zu werden.

Kein Wunder: Laurent Kabila ist am 16. Januar 2001 ermordet worden. Präsident der Demokratischen Republik Kongo ist sein Sohn Joseph Kabila.

Danke an Karim A. für den Hinweis!

Nachtrag, 2. Oktober. Bild.de hat den Fehler inzwischen korrigiert.

Schleichwerbung für BILDblog

Unser Leser Dominik J. hatte angesichts der aktuellen Leser-Reporter-Schwemme und gewisser Defizite der “Bild”-Redaktion bei der Anonymisierung von Personen eine praktische Idee:

Der BILDblog-Balken — die Unkenntlichmachung für unterwegs. Schützt zuverlässig vor versehentlicher Identifizierung durch übereifrige “Bild”-(Leser-)Reporter.

(Nein, nicht im BILDblog-Shop erhältlich.)

Nachtrag, 1.10.2006: Mit Dank an Alexander S. gibt es den “BILDblog-Balken” jetzt immerhin zum Ausdrucken und Selberbasteln.

Für Geld verzichtet Bild.de auf Kritik

Heute spielen wir das beliebte “Sesamstraßen”-Spiel “Eins von diesen Dingen ist nicht wie die anderen”. Und wir spielen es mit der aktuellen Kino-Programmvorschau von Bild.de, in der uns “Bild.T-Online sagt, was top oder flop ist”:

Na? Welcher Anreißer ist anders als die anderen?

Kleiner Tipp: Hinter fünf dieser Ankündigungen sagt uns tatsächlich ein Journalist von “Bild” oder Bild.T-Online, ob der Film top oder flop ist. Hinter einer sagt es uns die Werbeabteilung des Filmverleihs (Überraschung: Sie findet ihn top).

Auflösung: Hinter Nummer 5, “Bierfest”, steckt kein redaktioneller Inhalt, sondern eine Anzeige. Und auf der Seite, auf die man nach einem Klick kommt, steht dann auch mehrmals klein das Wort “Anzeige” (was allerdings nicht ausreicht, um der gesetzlich vorgeschriebenen Trennung von Werbung und redaktionellem Inhalt genüge zu tun, wie Bild.de bereits zweimal von Gerichten nachdrücklich erklärt wurde). Abgesehen davon ist die Seite aber exakt wie eine redaktionelle Bild.de-Kinokritik gestaltet. Sogar der Smiley, der das Urteil zusammenfasst, ist identisch. Zum Vergleich: Redaktioneller Bild.de-Smiley (oben), bezahlter Werbesmiley (unten).

Und jetzt zum Vergleich, der Smiley, den die gedruckte “Bild”-Zeitung dem Film “Bierfest” gegeben hat:

Aha: Auf Bild.de steht in der redaktionellen Übersicht über die Neustarts der Woche anstelle der kritischen Besprechung aus “Bild” also ein teilweise als Artikel getarnter bezahlter Jubel-Text des Filmverleihs.

Und die Startseite von Bild.de sieht übrigens aktuell so aus:

Vielen Dank an Florian M. für den sachdienlichen Hinweis.

“Bild” ist die gefährlichste Zeitung

Wussten Sie, dass es viel gefährlicher ist, einen schwarzen Wagen zu fahren als einen gelb-grün karierten?

Gut, wir haben die genauen Zahlen gerade nicht zur Hand, aber jede Wette: Im vergangenen Jahr waren viel mehr schwarze Autos in Unfälle verwickelt als gelb-grün karierte. Also.

Was sagen Sie? Das sei Quatsch, denn es gebe ja viel mehr schwarze Autos als gelb-grün karierte und da müsste man für eine sinnvolle Angabe mit Prozentwerten arbeiten? Sagen Sie das mal dem Herrn Hoeren, der sich sonst bei “Bild” vor allem um Renten-Statistiken kümmert. Der zitierte gestern nämlich auf Seite 1 der “Bild”-Zeitung eine Statistik aus dem Jahr 2004, wonach 31.430 Verkäufer bei Arbeitsunfällen verletzt wurden — mehr als in jedem anderen Beruf.

Und was schloss “Bild” daraus?

Neue Statistik: Verkäufer ist der gefährlichste Beruf

Natürlich könnte die Überschrift trotzdem stimmen — aus reinem Zufall. Tut sie aber nicht. Im Jahr 2004 (auf das sich die “neue Statistik” von “Bild” beruft) gab es 1.259.624 Verkäuferinnen und Verkäufer* in Deutschland. Bei 31.430 Arbeitsunfällen ergibt sich daraus eine Unfallrate von 2,5 Prozent.

Maurer zum Beispiel wurden zwar nur 22.772-mal in einen Arbeitsunfall verwickelt. Da es aber auch nur 225.583 Maurer* gibt, liegt ihr Risiko, einen Arbeitsunfall zu haben, bei 10 Prozent — viermal so hoch.

*) nur sozialversicherungspflichtig Beschäftigte

Danke an Dietmar H., Jason M., Wolf Karsten V., Torsten W. und Andre G.!

Allgemein  

Zeitlichkeit ist der Seinssinn der Sorge

Manchmal entdecken die Tester von Bild.de selbst beim Vergleich von Autos derselben Kategorie erschütternde Qualitätsunterschiede.

Der Bentley Continental GTC:

Aber erst muss das Stoffdach runter. Das geht auf Knopfdruck gemächlich innerhalb von 25 Sekunden.

Dagegen der BMW M6 Cabrio:

Das BMW-Dach ist blitzschnell geöffnet: 24 Sekunden

Na, damit ist die Kaufentscheidung quasi gefallen.

Nachtrag, 14.15 Uhr. Ah: Weiter unten im Artikel sind auch die 24 Sekunden des BMW für Bild.de nicht “blitzschnell”, sondern eine “verdammt lange” Zeit. Verwirrend.

Danke an Günther P. — und die vielen anderen Hinweisgeber!

David Blieswood und seine Liebe zu Gillette

Der offizielle Berater des “Bild”-Chefredakteurs Kai Diekmann heißt Norbert Körzdörfer. Wenn er im Blatt schreibt, nennt er sich manchmal aber “David Blieswood” (ein Pseudonym, das er der “Süddeutschen Zeitung” so erklärte: “David ist unser Sohn, wir wohnen in Bliesdorf und träumten immer von Hollywood — so einfach ist das”).

Als Blieswood schrieb Körzdörfer auch schon für “Welt” und “Welt am Sonntag”. Und man könnte sagen, er ist sich über viele Jahre treu geblieben.

Blieswood am 25. September 2006 in “Bild”:

Ich nassrasiere mich mit einer Sensation: “Gillette Fusion” (5 + 1 Klinge). Ich bin ein Babypopo.

Blieswood am 29. März 2003 in der “Welt”:

Ein Milliardär hatte Geburtstag. Worüber freute er sich am meisten? Über neue Rasierklingen aus den USA. Ich komme ins Bad. Da liegt ein Geschenk meiner Frau: Die neuen “Gilette Mach3 turbo”-Anti-Friction- Klingen. Ein Mann braucht so wenig zum Glück.

Blieswood am 9. September 2002 in der “Welt”:

Mein Lieblings-Friseur, Gerhard Meir, empfahl mir jetzt ein Wunder-Öl: “Huile de Rasage” von “Clarins” (ca. 30 Euro). Man schmiert einige Tropfen Öl auf die nasse Gesichtshaut – und gleitet mit dem “Mach 3” von Gillette sanft drüber. Ein Gefühl wie beim Baby-Popo.

Blieswood am 23. August 1998 in der “Welt am Sonntag”:

Ich habe die Zukunft gespürt.

Sie heißt Gillette “Mach3”, kostet 7,99 Dollar. Es ist ein Quantensprung im jahrtausendalten Kampf Mann gegen Bart.

Angeblich über 500 Millionen Mark verschlang die Entwicklung der dreimesserigen Kompaktklinge. Blitztest: Das Gleiten ist wie Streicheln. Das Griffgefühl liegt zwischen Kartoffelschäler und Tapezierrolle.

Ein blauer Feuchtigkeits-Streifen löst die ewige Frage: Noch scharf oder fast schon stumpf? Wenn der Streifen weg ist, ist die Klinge verbraucht. Ein geniales Ding. Deutschland-Start: September. Preis: 13,99 Mark (Internet: www.gillette.com).

Danke an Nils M. für den Hinweis!

Nachtrag, 29. September. Aus David Blieswoods Buch “Das ABC der feinen Lebens-Art” (Ullstein, 1999), S.76:

Nur wer sich naß rasiert, fühlt sich wie früher. Seit 20 Jahren rasiere ich mich mit den Top-Modellen von Gillette. Da tritt Langeweile ein. Ich testete den neuen “Wilkinson FX Performer”. Sanfter, aber nicht besser. Rückkehr zu “Gillette Sensor Excel”.

Augen auf im Schriftverkehr!

Staat verschwendet 30 Milliarden Euro!

“Unfassbar!” findet “Bild”-Redakteurin Katharina Ugowski die Steuerverschwendung in Deutschland, wie sie der Bund der Steuerzahler gerade wieder in seinem “Schwarzbuch” dokumentiert, hat ihren Artikel darüber aber leider offenbar verfasst, bevor sie ihre Fassung wiederfand.

Sie schreibt:

Der Beschwerde-Ausschuss des bayerischen Landtags fuhr ausgerechnet nach China, um vom Beschwerde-Recht des kommunistischen Landes zu lernen. Kosten: 4345,98 Euro für jedes der 13 (!) Ausschussmitglieder.

Richtig ist: 4345,98 Euro ist das Budget, das jedem Ausschussmitglied während der gesamten fünfjährigen Wahlperiode zur Verfügung steht. Dieser Etat ist nach Angaben des Bayerischen Landtages, wie im Schwarzbuch nachzulesen, bislang noch nicht ausgeschöpft, obwohl der Ausschuß in der aktuellen Wahlperiode nicht nur nach China, sondern auch noch nach Rumänien gereist ist. Die China-Reise muss also deutlich weniger als 4345,98 Euro gekostet haben.

Anders als Frau Ugowski behauptet, kostete auch nicht “eine Brücke” über die A14 in Mecklenburg-Vorpommern, die für die Bauern zu schmal geworden ist, 480.000 Euro — das ist
nach Angaben des Bundes der Steuerzahler der Preis für “mehrere Brücken”.
*

Ugowskis Kollege Einar Koch fordert in seinem Kommentar zum Thema übrigens, Menschen, die Steuergelder verschwenden, “mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren”** zu bestrafen. Nicht auszudenken, wenn auch das falsche Abschreiben von Informationen unter Strafe gestellt würde!

Nachtrag, 18.45 Uhr. Möglicherweise hat “Bild” die Fehler nicht selbst gemacht, sondern aus einer fehlerhaften dpa-Meldung übernommen.

*) Korrektur, 28. September. Tatsächlich sind 480.000 Euro der Preis für eine Brücke. Die Angaben auf der Internet-Seite des Schwarzbuchs, wo etwas zweideutig von “mehreren Brücken” die Rede ist, seien “unglücklich formuliert”, wie der Steuerzahler-Bund auf Nachfrage einräumt.

Vielen Dank an Christoph S. und Arno L.!

**) Nur mal so zum Vergleich (und mit Dank an Robert S.): Eine Freiheitsstrafe “nicht unter drei Jahren” sieht das Strafgesetzbuch u.a. für Körperverletzung mit Todesfolge und schweren Raub vor.

Wie “Bild” die Interessen der Opfer wahrt

Am 29. Dezember 2004 machte die “Bild”-Zeitung groß auf mit den verwundeten Gesichtern der zehnjährigen Sophia und des neunjährigen Kevin, deren Eltern nach dem Tsunami in Thailand verschollen waren. “Bild” fragte:

Mama, Papa, wo seid ihr?

Im Inneren zeigte “Bild” weitere Kindergesichter, fotografiert von Till Budde, darunter das eines 13-jährigen Mädchens, das verletzt in einem Krankenhaus schläft.

BILD war im Vachiar-Hospital von Phuket. Auf der Station der traurigen deutschen Kinder.

Unter anderem von der 13-jährigen ließ sich “Bild”-Reporter Julian Reichelt schildern, wie sie das Unglück erlebt hatte, wie sie um ihr Leben kämpfte, wie sie von ihren Eltern getrennt wurde, die seitdem vermisst wurden. Er schrieb alles ausführlich auf.

“Bild” hat mit dieser Berichterstattung damals massiv gegen den Pressekodex verstoßen. Der Presserat urteilte nach einer Beschwerde des Onkels des Mädchens:

In Richtlinie 4.2 ist festgehalten, dass bei der Recherche gegenüber schutzbedürftigen Personen besondere Zurückhaltung geboten ist. Explizit genannt werden (…) u.a. Menschen, die sich nicht im Vollbesitz ihrer geistigen oder körperlichen Kräfte befinden oder einer seelischen Extremsituation ausgesetzt sind, sowie Kinder und Jugendliche. Jedes dieser Merkmale trifft auf das betroffene 13-jährige Mädchen zu. Das Foto wurde zudem unstreitig ohne die Einwilligung eines Erziehungsberechtigten gemacht. (…)

Die Zeitung untermauert die rechtmäßige Beschaffung ihrer Informationen damit, dass der Redakteur mit der 13-Jährigen und mit anderen Kindern gesprochen habe. Alle seien froh gewesen, sich in ihrer Heimatsprache mitteilen zu könne. Diese Schilderung bestärkt die Kammer in der Überzeugung, dass die Kinder und insbesondere die 13-Jährige hier durch die Extremsituation überfordert waren. Dies spricht ebenfalls dafür, dass die besondere Situation der Kinder zur Beschaffung von Informationen ausgenutzt worden ist. (…)

In beiden Veröffentlichungen werden die Persönlichkeitsrechte des 13-jährigen Mädchens verletzt. Es wird jeweils ohne jegliche Unkenntlichmachung und mit voller Nennung seines Vornamens abgebildet. Es wird — verletzt, schlafend und dadurch besonders wehrlos — für einen breiten Leserkreis erkennbar. Diese Abbildung widerspricht nicht nur dem Grundsatz von Richtlinie 8.1, wonach die Nennung der Namen und die Abbildung von Opfern in der Berichterstattung über Unglücksfälle in der Regel nicht gerechtfertigt ist. Auch der in Richtlinie 8.2 geforderte Schutz von Orten der privaten Niederlassung, wie z.B. Krankenhäusern, wird durch diese Veröffentlichung nicht beachtet.

Die Beschwerdekammer sprach “Bild” eine Missbilligung aus.

Das war praktisch für “Bild”, denn eine Missbilligung ist für die Zeitung folgenlos. Insbesondere werden Missbilligungen — anders als Rügen — vom Presserat nicht veröffentlicht. Sie erscheinen nur (im Fall der 13-Jährigen jetzt, also mit eineinhalbjähriger Verspätung) in dessen “Jahrbuch”, allerdings ohne Angabe der jeweiligen Zeitung. Wer nicht weiß, dass die Geschichte der “traurigen deutschen Kinder” von Phuket in “Bild” stand, kann die Missbilligung nicht der Zeitung zuordnen.

Kenner könnten es allenfalls schließen aus der unbeirrten Art, in der die Rechtsabteilung der Axel Springer AG die Berichterstattung von “Bild” gegenüber dem Presserat zu rechtfertigen suchte. Im konkreten Fall gab sie an, “Bild” habe “im allgemeinen Informationsinteresse” gehandelt und den Behörden beim Versuch der Familienzusammenführung geholfen. (Der Presserat stellte dagegen fest, dass “keines der Bilder etwa mit einem Suchaufruf oder ähnlichem verbunden wurde”.)

Das Springer-Justiziariat erklärte weiter:

Dass die Zeitung in diesem Rahmen die berechtigten Interessen der Opfer gewahrt habe, zeige sich u.a. darin, dass auf den Abdruck von Anzeigen neben den Berichten von der Flutkatastrophe verzichtet worden sei, um die menschliche Dimension dieses Ereignisses nicht durch banale Werbetexte zu relativieren.

Auf den Abdruck von Anzeigen “verzichtet”? Der Artikel mit dem Foto, um das es in der Beschwerde ging, erschien auf Seite 2 der “Bild”-Zeitung. Die zweite Seite der “Bild”-Zeitung ist grundsätzlich werbefrei. Jeden Tag.

Und die Bilder der neunjährigen Sophia und des zehnjährigen Kevin standen am selben Tag auf Seite 1 in “Bild”. Unmittelbar links davon war eine Anzeige für Schmerztabletten von “Neuralgin” (“Äußerst günstig!”). Rechts unten auf derselben Seite warb die Firma Quelle für eine Espresso-Maschine im neuen Quelle-Katalog.

Unsere Übersicht über die Presserats-Rügen für “Bild” enthält jetzt auch das Jahr 2005.

Die Union stürzt gar nicht “so” ab

“Bild” und Bild.de fragen heute groß:

Warum stürzt die Union so ab?

Und es stimmt ja auch: In der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Forsa haben CDU/CSU drei Prozentpunkte gegenüber der Vorwoche verloren. Erstmals seit der Bundestagswahl 2002 liegt die Union hinter der SPD.

Größer noch als der eigentliche Artikel in “Bild” ist die begleitende Grafik:

Die Kurve illustriert tatsächlich eindrucksvoll den “Absturz” von CDU/CSU. Sie hat nur einen Haken: Sie ist falsch. Das wird offenkundig, wenn man sich die “Bild”-Statistik genauer ansieht:

In “Bild” landet die Union nicht bei 29 Prozent, sondern unterschreitet sogar die 27-Prozent-Marke. Und die Kurve, die für die SPD steht, endet in “Bild” nicht bei 30 Prozent, sondern erreicht sogar die 31-Prozent-Linie.

Der Ein-Prozent-Vorsprung der SPD hat wohl nicht genug hergemacht, um den “Bild”-Lesern ein angemessenes Bild von der Dramatik der Lage zu geben. Und so haben “Bild” und Bild.de ihn optisch einfach mal vervierfacht.

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