Zum Wesen von Verhandlungen gehört es, dass man, solange sie laufen, nicht weiß, wie sie am Ende ausgehen.
Zum Wesen von “Bild” gehört es, aus Möglichkeiten Tatsachen zu machen.
Keine gute Kombination. Und im Fall der Verhandlungen, ob Jürgen Klinsmann Nationaltrainer der USA wird, hatte kaum eine Tatsachenbehauptung von “Bild” Bestand.
Eine kleine Chronologie der Berichterstattung von “Bild”, “Bild am Sonntag” und Bild.de.
Dass Klinsi ab 2007 den Job als US-Nationaltrainer annimmt, gilt als so gut wie sicher.
Er wird einen Vertrag bis 2010 bekommen, rund 2,5 Millionen Euro pro Jahr verdienen.
(…) Grund für Klinsis Rückzug soll nicht das Thema Geld (rund 2,5 Mio. pro Jahr) gewesen sein. Es ging Klinsi hauptsächlich darum, seine konzeptionellen Vorstellungen zu verwirklichen. Doch die konnte er nicht durchsetzen.
Prinzipiell natürlich sehr aufmerksam von der “Bild”-Zeitung, den Nicht-Anatomen unter ihren Lesern mithilfe einer “BILD-GRAFIK” zu illustrieren, was da genau bei diesem Basketballer kaputt gegangen ist, der seinen Fuß plötzlich “auf 3 Uhr” sah.
Wobei man da sogar als Laie stutzig werden könnte: Das Innenband des Fußes befindet sich also an der Außenseite des Fußes? Und das Syndesmoseband, das das Schien- mit dem Wadenbein verbindet, sitzt deutlich unterhalb von Schien- und Wadenbein?
Ist natürlich Quatsch. Wenn Sie sich die korrekten Orte der diversen Verletzungen bitte auf diesenGrafiken selbst raussuchen möchten, vielen Dank.
Wer in der Grafik einen Rechtschreibfehler findet, darf ihn behalten.
So sah die “Bild”-Zeitung am 30. Mai dieses Jahres aus. Verpixelt war im Original nur das Gesicht der Lehrerin — nicht das des zwölfjährigen Schülers. Auf Seite 3 der Ausgabe Berlin-Brandenburg berichtete “Bild” auf fast einer ganzen Seite und zeigte den 12-jährigen Jungen erneut ohne irgendeine Unkenntlichmachung auf einem rund 20 Zentimeter hohen Foto. Auch am folgenden Tag zeigte “Bild” ein weiteres großes Foto des Jungen.
Für diese Berichterstattung wurde “Bild” nun vom Presserat gerügt. Es habe “kein öffentliches Interesse” gegeben, “das die Identifizierbarkeit der Personen gerechtfertigt hätte”. “Bild” verstieß gegen die Ziffer 8 des Pressekodex, wonach die Presse “das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen” achten soll. In Richtlinie 8.1 heißt es:
Die Nennung der Namen und die Abbildung von Opfern und Tätern in der Berichterstattung über (…) Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren (…) sind in der Regel nicht gerechtfertigt.
Der Presserat verurteilte auch diesen “Bild”-Artikel vom 17. Mai 2006 über eine Familientragödie in Erftstadt:
“Bild” zeigte große Fotos von dem Vater sowie seiner Frau und ihrem gemeinsamen zehnjährigen Sohn, die er erschossen haben soll — nach dem Urteil des Presserates zu unrecht. “Bild” hatte nur das Gesicht des überlebenden jüngeren Sohnes verpixelt.
Gerügt wurde die “Bild”-Zeitung außerdem dafür, dass sie das Foto einer Frau veröffentlichte, die verdächtigt wurde, ihr neugeborenes Kind erstickt zu haben.
Schließlich berichtete “Bild” im Sommer detailliert über den Selbstmord einer Mutter, die zuvor offenbar ihr Kind getötet hatte. Die Richtlinie 8.5 des Pressekodex lautet:
Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen und die Schilderung näherer Begleitumstände.
Diese Regel hat einen sehr konkreten Hintergrund: Es gilt als wissenschaftlich erwiesen, dass ausführliche Berichte in den Medien über Selbstmorde dazu führen, dass mehr Menschen Selbstmord begehen.
“Bild” berichtet dennoch immer wieder detailliert, identifizierbar und unter Schilderung der konkreten Begleitumstände über Selbstmorde, wird dafür immerwiedergerügt und ist von diesen Rügen offenbar nachhaltig unbeeindruckt.
Im konkreten Fall zeigte “Bild” nicht nur ein großes, unverpixeltes Foto der Mutter, die sich das Leben nahm, und des Hauses, von dem sie in den Tod sprang, inklusive eines kleinen roten Pfeils, der ihren Sturz symbolisierte. “Bild”-Autor Moritz Stranghöner spekulierte auch ausführlich für das Motiv ihres Suizids, schilderte die Lebensumstände der Frau und erzählte minutiös den Ablauf des Dramas nach.
Der Presserat sprach eine öffentliche Rüge aus.
Bei Bild.de ist der gerügte Artikel unverändert online. Bereits in einem früheren Fall hat die “Bild”-Zeitung uns gegenüber deutlich gemacht, dass eine Rüge für sie kein zwingender Grund ist, einen Artikel aus dem Angebot von Bild.de zu entfernen oder zu ändern.
PS: In den ersten drei Fällen muss “Bild” die Rügen nicht veröffentlichen. Dies sei “im Sinne der Betroffenen”, erklärte der Presserat. “Nicht-öffentliche Rügen” werden angeblich ausgesprochen, um die Opfer zu schützen. Inwieweit es ihr Leben erschütterte, wenn die “Bild”-Zeitung in, sagen wir: ein oder zwei Jahren einen einzigen kryptischen Satz über die Rüge auf einer hinteren Seite versteckt, weiß wohl nur der Presserat.
Zu den ungeklärten Mysterien von Bild.de gehört das Phänomen, dass der Online-Ableger der “Bild”-Zeitung, wenn er Artikel von der gedruckten “Bild”-Zeitung übernimmt, offenbar nicht automatisch die letzte und korrekteste Fassung eines Artikels bekommt.
Gestern wieder. In Bild.de steht über einen Basketballspieler von Alba Berlin:
Vor einem Jahr verletzte sich Matej Mamic (31) schwer. Der Kapitän prellte sich das Rückenmark, blieb querschnittgelähmt.
Und das ist sehr abwegig, da gerade indenvergangenenWochen viele Medien die erstaunliche Geschichte erzählten, wie Matej Mamic wieder gehen lernte und nun sogar ein Comeback nicht ausschließt.
Der Bild.de-Artikel stammt aus der gedruckten “Bild”. Dort aber liest sich die Stelle, zumindest in einigen Ausgaben, etwas anders:
Vor einem Jahr verletzte sich Matej Mamic (31) schwer. Der Kapitän prellte sich das Rückenmark, blieb querschnittgelähmt auf dem Parkett liegen.
(Hervorhebung von uns.)
Und das ist vielleicht etwas irreführend, aber nicht falsch. Vielleicht war das einfach zu korrekt für Bild.de.
Manchmal lässt sich ganz eindeutig dokumentieren, wie “Bild” ein Zitat verfälscht. Bei diesem “Bild”-Artikel vom Montag über den Grünen-Parteitag zum Beispiel:
Die “Bild”-Zeitung gibt ihren Lesern nur eine Möglichkeit, das Zitat von Claudia Roth zu interpretieren: als pampige Reaktion auf das schlechte Wahlergebnis.
Diese Interpretation ist ohne jeden Zweifel falsch. Claudia Roths Satz bezieht sich keineswegs, wie “Bild” suggeriert, auf ihr schlechtes Wahlergebnis, sondern auf mögliche Koalitionen. Vollständig lautet er nämlich so:
“Wir hecheln anderen Parteien nicht hinterher, wir bieten uns nicht an wie Sauerbier.”
Dass Claudia Roth den Satz nicht so gemeint haben kann, wie “Bild” behauptet, ist offensichtlich und muss auch “Bild” bekannt gewesen sein. Sie sagte ihn nämlich nachweislich am Freitag. Das schlechte Wahlergebnis bekam sie aber erst am Samstag.
Und man möchte sich nun gar nicht ausmalen, wie “Bild” mit Zitaten umgeht, die nicht so gut dokumentiert sind.
Wir suchen einen Artikel, der vor einigen Wochen in “Bild” Aachen erschienen ist. Wer hat Zugang zu einem Archiv und kann uns dabei helfen? Bitte melden unter: [email protected].
Vielen Dank!
Danke an alle für die Mithilfe — hat sich erledigt!
Kurz vor Ende der Bewerbungsfrist haben wir dann doch noch einen neuen Favoriten für den Preis der peinlichsten Zurschaustellung eigener Ahnungslosigkeit in einem Online-Artikel 2006.
Ganz schlimmer Mode-Fehlgriff bei Dolly Parton (60). (…) Im bauchnabeltief ausgeschnittenen, weißen Flitter-Fummel sah der scheinbar alterslose Star aus wie sein eigenes Püppchen (…). Nicht zu vergessen das Regenbogen-Band, das ihre zwei Doppel-Dollys dezent in Szene setzte.
Alles in Allem: Schreeecklich! Ein kleiner Tipp: Liebe Frau Parton, eine Auszeichnung fürs Lebenswerk bekommt man nur einmal. Und darum sollte man sich auch wenigstens einmal dem Anlass entsprechend kleiden!
Ein kleiner Tipp, liebe Bild.de-Redaktion: Das peinliche Regenbogenband, das Frau Parton sich scheinbar zur Betonung ihres Bauchnabels ihrer Brüste umgehängt hat, ist dem Anlass der Preisverleihung ganz außerordentlich entsprechend.
Öhm, wie bringen wir Ihnen das jetzt schonend bei?
Vielleicht dachten die “Bild”-Leute am vergangenen Donnerstag, dass diese Schlagzeile ihre Leser noch nicht genug aufregen würde:
Zum Glück wussten sie aber einen einfachen Trick, um das Empörungspotential dieser Schlagzeile locker zu verdoppeln:
Denn das weiß der “Bild”-Leser: Beamte haben es immer besser. Ihre Zeitung bestätigte ihnen das noch am selben Tag durch zwei Tabellen, die den “RENTE MIT 67”-Artikel einrahmten:
Was ein ziemlich eindrucksvoller Vergleich ist. Denn während Beamte je nach Berufsgruppe schon in einem Alter zwischen 48,1 und 63,4 Jahre in den Ruhestand gehen, müssen “wir” (!) zwischen 65 und 67 Jahre alt werden, um eine volle Rente zu bekommen.
Das eine ist die reale Arbeitszeit, das andere die nominale. In diesem Sinne könnte “Bild” auch beweisen, dass Schokolade in der Nähe von Beamten weniger lange hält, indem die Zeitung einfach die tatsächliche Zeit, bis eine Tafel Schokolade in einem Beamtenhaushalt aufgegessen wurde, mit dem Haltbarkeitsdatum einer Tafel Schokolade in “unseren” Haushalten vergleicht.
Aber wie sieht es jetzt aus mit der Rente ab 67, die “für Politiker und Beamte nicht gilt”? Dass die Schlagzeile falsch war, konnte schon ahnen, wer den zugehörigen Artikel zu Ende las. “Die Bundesregierung will die Rente mit 67 auch auf Beamte im Bund übertragen”, stand dort — das sei nur “noch nicht beschlossen”.
Am Tag drauf, als “Bild” erneut über die “Rente mit 67” berichtete, fand sich in dem Artikel sogar folgender Satz:
Regierungssprecher Wilhelm stellte klar: Die Verlängerung der Lebensarbeitszeit solle künftig auch für Bundesbeamte und Minister gelten: “Das wird so schnell wie möglich umgesetzt.”