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Das Märchen vom Wolf und den fünf Experten

Am Dienstag veranstaltete das Bundesumweltministerium in Berlin eine Tagung “Wer hat Angst vorm bösen Wolf?”. Es ging darum, wie bei einem solch konfliktreichen, emotionalisierten Thema wie der Wiederansiedelung des Wolfes in Deutschland eine sachliche Auseinandersetzung gelingen kann.

Am gleichen Tag demonstrierte die “Bild”-Zeitung, wie leicht es ihr fällt, bei diesem Thema jede sachliche Auseinandersetzung zu torpedieren. Jürgen Helfricht, in Dresden bei “Bild” der Mann fürs Grobe und einschlägig bekannt, schrieb diesen Artikel:

EXPERTEN FORDERN: Schießt die deutschen Wölfe ab!

(…) Jetzt warnen internationale Experten vor den Tieren, fordern ihren Abschuss! Lesen Sie selbst, was die Fachleute sagen.

Was die fünf “Fachleute” aus drei Ländern sagen, liest sich tatsächlich erfrischend eindeutig. Einer behauptet:

“Menschen sind die natürlich Beute des Wolfes.”

Ein anderer:

“Ich erwarte, dass bald Kinder von den Wölfen getötet werden.”

Hinter die Warnungen schreibt “Bild” noch den erschütternden Satz:

Sachsens Umweltminister will die Experten ignorieren.

Und fügt, ein bisschen verwirrend, die Information hinzu:

Eine Umfrage des “Internationalen Tierschutz Fund” (IFAW) ergab: Seit Jahrzehnten kam es in keinem europäischen Land mit Wolfsbestand zu Angriffen auf Menschen.

Ach.

Eine Umfrage auf der Tagung des Bundesumweltministeriums ergab nach Angaben einer Teilnehmerin, dass keiner der anwesenden internationalen Experten die “internationalen Experten” von “Bild” kannte. Allerdings scheinen sich die “internationalen Experten” von “Bild”, wie ein Gruppenfoto in “Bild” andeutet, untereinander zu kennen. Sie sitzen alle gemeinsam auf einem Sofa mit Joachim Bachmann. Und den kennen wir.

Bachmann ist Jäger, Gründer des Vereines “Sicherheit und Artenschutz”, der dafür kämpft, die Wölfe in Deutschland wieder auszurotten. Er empfindet es laut “FAZ” als eine Ehre, unter den Wolfsfreunden in der Lausitz als “Wolfsfeind Nummer eins” zu gelten. Die “Sächsische Zeitung” zitiert ihn mit den Worten: “Mit dem Wolf ist es wie mit dem Krebs im Körper. Wenn sie ihn frühzeitig bekämpfen, haben sie hohe Heilungschancen. Wenn sie warten, bis die Metastasen da sind, haben sie nur noch fünf Prozent Heilungschancen.”

Das Wildbiologische Büro “Lupus”, das in der Lausitz die Rückkehr der Wölfe fachlich begleitet und von “Bild” und Bachmann heftig kritisiert wird, sagte gegenüber BILDblog, die “internationalen Experten” von “Bild” seien allesamt von Bachmanns “Sicherheit und Artenschutz e.V.” in die Lausitz eingeladen worden. Was natürlich erklärt, warum ihre Forderungen so sehr übereinstimmen. Und warum sie in keiner Weise repräsentativ sind.

Mit der gleichen Logik, mit der “Bild” diese Leute schlicht zu Wolfs-“Experten” macht, könnte sie auch CDU-Politiker zu Fachleuten für die SPD erklären (“Experten fordern: Wählt keine Sozialdemokraten!”). Oder sich selbst zum Experten für Wahrheit.

PS: Gestern legte Jürgen Helfricht in einem weiteren “Bild”-Artikel nach. Der Text begann mit den Worten:

“Die Angst der Menschen vor den rund 30 Lausitz-Wölfen wächst von Woche zu Woche!”

Na, woher das wohl kommt.

Danke auch an Benjamin S.!

RAF — Freilassung fordert erstes Opfer

Sie sind oft klein und unscheinbar, bloßer Kitt zwischen Satzteilen. Aber es wäre ein Fehler, Konjunktionen gering zu schätzen. Franz Josef Wagner weiß das. Als er noch Chefredakteur der Berliner Boulevardzeitung “B.Z.” war, verdankte er der Konjunktion “aber” diese legendäre Überschrift:

Pandabärin unfruchtbar — aber Schumi zweites Baby

Lustig.

Wir wissen nicht, ob sie in der “Bild”-Redaktion gestern auch gelacht haben, als ihnen ein ähnlicher Trick mit einer anderen Konjunktion für die heutige Schlagzeile einfiel:

Terroristin kommt FREI! ...und Witwe Schleyer nach Kollaps in Klinik

Weniger lustig, aber viel wirkungsvoller.

Denn wer liest schon bis ganz ans Ende der zugehörigen, fast ganzseitigen “Bild”-Berichterstattung, um dort zu erfahren, dass es gar keinen Zusammenhang zwischen der Gerichtsentscheidung und dem “Kollaps” der Witwe von Hanns-Martin Schleyer gibt. Dass es ihn nicht einmal geben kann, weil Frau Schleyer laut “Bild” bereits “am Freitag, drei Tage vor der Entscheidung des Stuttgarter Oberlandesgerichts” ins Krankenhaus eingeliefert wurde.

Danke auch an Josh M.!

Allgemein  

“BamS” stellt Wahrheit richtig

In der vergangenen Woche stand ein Artikel über die ehemalige “No Angels”-Sängerin Vanessa Petruo in der “Bild am Sonntag”. Darunter standen die Kürzel von nicht weniger als vier Autoren. Und darüber in der Schlagzeile ein großes Wort: “Wahrheit”.

VANESSAS ungeschminkte Wahrheit

Auch in dieser Woche steht ein Artikel über die ehemalige “No Angels”-Sängerin Vanessa Petruo in der “Bild am Sonntag”. Darunter steht der Name ihres Anwaltes. Und darüber in der Schlagzeile ein anderes großes Wort:

RICHTIGSTELLUNG

Die “Bild am Sonntag” hatte behauptet, Vanessa sei niedergeschlagen, wolle sich nicht wieder “dem Druck der Erfolgsmaschinerie” aussetzen, solle an Depressionen leiden und deshalb in Behandlung sein, die Musik sei allerdings ihr “Rettungsanker”, und sie habe schon neue Songs im Studio aufgenommen. Jeden einzelnen dieser Punkte bestreitet Vanessa Petruo. Und dadurch, dass die Zeitung über den Text von Vanessas Anwalt nicht “Gegendarstellung”, sondern “Richtigstellung” schrieb, räumt sie ein, dass Vanessa recht hat — und an dem Ursprungsartikel ungefähr nichts stimmte.

Außer das Zitat aus der E-Mail, die Vanessa der Redaktion geschickt hatte:

“Ich möchte wirklich keinen Kommentar abgeben. Ich hoffe, ihr könnt das akzeptieren.”

Natürlich nicht.

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“…dass sich das nicht wiederholt”

Am vergangenen Freitag gab “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann im Hamburger NDR-Radio 90,3 eines seiner seltenen Interviews. Angesprochen auf die Rügen durch den Presserat sagte er:

“Wir drucken diese Rügen selbstverständlich ab und achten auch sehr darauf, dass sich das nicht wiederholt. Es gibt, um ein Thema zu sagen, das Thema der Selbstmorde. Da hat sich eben etwas verändert, auch in der öffentlichen Wahrnehmung. Bei uns muss jede Berichterstattung über einen Selbstmord vom Chefredakteur abgesegnet werden, ob das zulässig ist oder nicht zulässig. Egal, ob das in einer Regional- oder einer Lokalausgabe ist. Das muss mit mir abgestimmt werden. Einfach um zu verhindern, das wir in diesem Bereich — weil wir das insgesamt in dem Pressekodex, den wir uns als Printmedium gegeben haben, sehr sehr eng sehen.”

Kai Diekmann ist seit 1. Januar 2001 Chefredakteur der “Bild”-Zeitung.

Im selben Jahr rügt der Presserat “Bild” dafür, “in ausführlichen Bildstrecken und unter voller Namensnennung den Tod eines jungen Mannes dargestellt” zu haben, “der erfolgreich an einem Selbstmordversuch gehindert wurde, beim Abstieg von einem Gerüst jedoch zu Tode stürzte.”

Ebenfalls 2001 rügt der Presserat “Bild” dafür, “ohne erkennbares öffentliches Interesse über den Selbstmord eines jungen Mannes berichtet” zu haben.

2002 rügt der Presserat “Bild” dafür, dass die Zeitung von einer Frau, die sich auf einem Friedhof angezündet hatte, das gut erkennbare Leichenfoto gezeigt, “jegliche Zurückhaltung vermissen” gelassen und sich hinterher nicht öffentlich entschuldigt habe.

2003 rügt der Presserat “Bild” dafür, dass die Zeitung identifizierbar über den Tod eines Mannes berichtet und die Zurückhaltung bei der Berichterstattung über Selbstmorde “grob missachtet” habe.

2005 rügt der Presserat “Bild” dafür, über den Freitod eines Polizisten unangemessen sensationell berichtet und keine Rücksicht auf das Leid der Opfer und die Gefühle der Angehörigen genommen zu haben.

2006 rügt der Presserat “Bild” dafür, detailliert, identifizierbar und mit ausführlichen Spekulationen über den Selbstmord einer überschuldeten Mutter berichtet zu haben.

Andererseits: Seit wann die behaupteten Vorsichtsmaßnahmen in der “Bild”-Redaktion in Kraft sind, hat Diekmann ja nicht gesagt.

PS: Der zuletzt vom Presserat gerügte Selbstmord-Artikel aus dem Jahr 2006 ist bei Bild.de nach wie vor unverändert online.

Aua, aua! Dieses Bild ist ein dicker Klops

Irgendwie war wohl auf der Seite, auf der die “Bild am Sonntag” heute darüber spekuliert, ob Bernd Schuster von der kommenden Saison an Trainer beim FC Bayern wird, noch ein bisschen Platz. Und irgendwer kam wohl auf die lustige Idee, den Lesern mit einer Foto-Montage schon einmal zu zeigen, wie das dann aussähe, wenn es wahr würde:

DIE BAYERN-ZUKUNFT? In der BamS-Fotomontage gibt Bernd Schuster schon mal Scholl (r.) und Salihamidzic die Richtung vor

Leider war offenbar niemand in der Nähe, der sich ein bisschen mit Fußball auskennt. Die Frage “BAYERN-ZUKUNFT?”, die über der Fotomontage steht, lässt sich jedenfalls klar mit “Nein” beantworten. Denn selbst wenn Schuster in der nächsten Saison zum FC Bayern kommen sollte, gäbe er Mehmet Scholl und Hasan Salihamidzic nicht “die Richtung vor”. Die beiden verlassen den Verein bekanntlich zum Saisonende.

Und wie nennt man so einen Fehler? Einen “dicken Klops”? Aber mindestens.

Mit Dank an Florian L., Christoph F., Robin A., Salman und Christoph W. und Gruß an Urs von W.!

Allgemein  

Jennifer Anistons Nasendialektik

Die Welt ist verwirrend.

Aber es stimmt: Jennifer Aniston wehrt sich gegen das Gerücht, sie habe eine Schönheits-OP vornehmen lassen, gibt aber zu, dass sie sich aus medizinischen Gründen die Nasenscheidewand richten ließ.

Also, diesmal alles richtig gemacht, Bild.de. Quasi.

Danke an Jens S.!

Mars jetzt mit neuer Füllung

Hartwig Hausdorf ist in der “Bild”-Zeitung ein gern gesehener Gast. Sie nennt ihn abwechselnd “China-Forscher”, “Buchautor”, “Phänomenforscher”, “Ufologe”, “Alien-Wissenschaftler” und “Deutschlands seriösesten Archäo-UFO-Forscher” — gerne aber auch schlicht: “der deutsche Schriftsteller und Privatgelehrte”. Was Hausdorf zu erzählen hat, ist aber auch nie langweilig. In den vergangenen Jahren berichtete er der staunenden “Bild”-Leserschaft unter anderem:

  • von einem kleinwüchsiges Volk in China: “Die Zwerge sind Nachkommen von außerirdischen Havaristen, die vor 12.000 Jahren über China abgestürzt sind.” (“Bild”, 2. Dezember 1995)
  • dass “Außerirdische auf die Erde kommen, um zu töten”, “wahrscheinlich seit Jahrhunderten”: “Vielleicht sind wir nichts anderes als die Laborratten der Außerirdischen.” (“Bild”, 9. Mai 1998)
  • nach der Wahl George W. Bushs im Jahr 2000 von dem “Todesfluch des Indianer-Häuptlings”, der “allen amerikanischen Präsidenten den vorzeitigen, unnatürlichen Tod prophezeite, die in einem ‘Null’-Jahr gewählt wurden”: William Henry Harrison, 1840 gewählt, “war der erste, auf den der Fluch wirkte”. (“Bild”, 28.12.2000).
  • und über die Wahrscheinlichkeit, dass immer noch Dinosaurier durch den Dschungel von Afrika schleichen. (“Bild”, 16.06.2004)

So gesehen, kann man diesen heutigen “Bild”-Artikel quasi als natürlichen Lebensraum für Hausdorf bezeichnen:

Mars-Menschen leben im Mars! Darum ahben wir sie auch noch nie gesehen

Geschrieben hat ihn Attila Albert, der inoffizielle “Bild”-Beauftragte für außerirdische Esoterik und missverstandene Wissenschaft. Ihm war es offensichtlich nicht aufregend genug, dass britische und schweizer Forscher festgestellt haben, dass mögliche Spuren von Leben auf dem Mars, Sporen oder Bakterien, längst aufgrund der niedrigen Temperaturen und der Strahlung vernichtet worden wären. Wenn überhaupt, könne man Zellen nur in einer Tiefe von mindestens zwei Metern unter der Mars-Oberfläche finden.

Ja nun.

Zum Glück kennt Attila Albert Hartwig Hausdorf, und so konnte er aus einer für Laien nur mittelaufregenden Wissenschaftsgeschichte eine für Gutgläubige superaufregende Außerirdischen-Geschichte machen:

“Möglicherweise gibt es komplexe Höhlenstädte”, sagt Autor Hartwig Hausdorf (51). Er sieht in Felsformationen wie dem “Marsgesicht” Monumente einer verlorenen Kultur: “Vielleicht hat der Mars eine Klimakatastrophe erlebt, wie sie uns noch bevorsteht. Die Bewohner flohen in die Tiefe.”

(Desillusionierender Link von uns.)

Natürlich steht selbst “Bild” einer solch umstrittenen Quelle kritisch gegenüber. Das mit dem “möglicherweise” und dem “vielleicht” hat man Hausdorf zum Beispiel für die “Bild”-Schlagzeile nicht geglaubt.

Okay, jetzt wissen wir also, wo die Marsmenschen leben. Jetzt müssen sich Bild.de (Ausriss oben) und die gedruckte “Bild”-Zeitung (Ausriss unten) nur noch darauf einigen, wie die Marsmenschen wohl aussehen.

Angesichts der neuesten Enthüllungen wäre unser Tipp ja: etwa so.

Danke an Alexander B. und Kauli.

Nachtrag, 6. Februar. Der Mikrobiologe Lewis Dartnell, auf dessen aktuelle Studien sich “Bild” vermeintlich beruft, stellt uns gegenüber klar:

Wir glauben ganz bestimmt nicht, dass es humanoide Mars-“Menschen” unter der Oberfläche [des Mars] gibt, und ich persönlich halte es auch nicht für wahrscheinlich, dass sich jemals einfache Tiere oder Pflanzen auf dem Mars entwickelt hatten — selbst vor langer Zeit war die Umgebung auf dem Mars wahrscheinlich nur geeignet für zählebiges bakterielles Leben, wenn überhaupt.

Endlich, aber leider

“Hä?”

haben sich die Mitarbeiter des Bundesinnenministeriums gefragt, als sie heute morgen in der “Bild”-Zeitung diese Überschrift sahen:

Nicht alle bekommen die Pensionen gekürzt? Wer denn nicht?

Im “Bild”-Artikel steht es nicht. Im heute von der Bundesregierung beschlossenen Gesetzesentwurf steht es nicht. Und auf unsere Nachfrage fällt dem Innenministerium auch nicht ein, was “Bild” meinen könnte.

Im Gegenteil: Die Einschnitte gelten (sobald der Bundestag das Gesetz verabschiedet hat) bereits für die Mitglieder dieser Bundesregierung. Die Altersgrenze, ab der sie eine Pension beziehen, wird angehoben, die Mindestamtszeit erhöht, die Höchstdauer des Übergangsgeldes gesenkt. Und auf ihre Pensionen werden, anders als bisher, andere Einkommen und Renten angerechnet. Mit anderen Worten: Sie werden gekürzt. Für alle im Kabinett.

Lustigerweise hat bei Bild.de jemand offenbar die “Bild”-Unterzeile auch nicht verstanden und versucht, sie zu konkretisieren:

Endlich! Regierung kürzt Luxuspensionen für Minister ...aber nur, wenn sie nicht lang genug im Amt waren

Netter Versuch, aber: Doch, auch dann.

Im Zweifel gegen den Angeklagten

Wenigstens kann man “Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner nicht vorwerfen, die Leser über sein Verständnis von den Grundlagen eines Rechtsstaates im Unklaren zu lassen. Im Zusammenhang mit dem Fall Kurnaz/Steinmeier schreibt er heute:

Der Bremer Türke ist für mein Leben nicht so wichtig. Wichtig ist für mich die Sicherheit.

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