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“Bild” verleugnet den Rechtsstaat

Anders, als es die Aufmachung vermuten lässt, berichtet “Bild” heute in einem großen Artikel (Ausriss rechts) vergleichsweise sachlich in Frage und Antwort über die Hintergründe der Hafterleichterung für den ehemaligen RAF-Terroristen Christian Klar. Umso perfider ist es, dass sie ihre Leser darin an einer entscheidenden Stelle desinformiert und die Rechtslage nicht so darstellt, wie sie ist, sondern so, wie “Bild” sie gerne hätte:

Warum muss Klar überhaupt freigelassen werden – trotz “lebenslänglicher” Strafe?

Das deutsche Recht will auch lebenslänglichen Häftlingen die Chance auf Wiedereingliederung in die Gesellschaft geben — wenn sie für andere keine Gefahr mehr darstellen und sich von ihren Taten glaubwürdig distanziert haben.

Man kann es nicht deutlich genug sagen: Das ist grundfalsch. Ob und wie glaubwürdig sich ein Täter von seinen Taten distanziert hat, ob er Reue zeigt und ob er ein Geständnis abgelegt hat, ist für die Entscheidung, ob er nach Verbüßung der Mindesthaftzeit auf Bewährung freigelassen wird, exakt so entscheidend wie seine Haarfarbe, seine Lieblingsspeise und der Mädchenname seiner Mutter.

Um es für die “Bild”-Redaktion auszusprechen, das bedeutet: gar nicht.

Entscheidend ist allein, ob er noch eine Gefahr darstellt. In den Worten von Strafanwalt Udo Vetter:

Das Gericht muss die Bewährung bewilligen, “wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann”.

Grundlage dafür ist §57a des Strafgesetzbuches. Er ist die Konsequenz aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1977, das sich auf nichts weniger als die Menschenwürde und das Rechtsstaatsprinzip beruft:

“Zu den Voraussetzungen eines menschenwürdigen Strafvollzugs gehört, daß dem zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilten grundsätzlich eine Chance verbleibt, je wieder der Freiheit teilhaftig zu werden. Die Möglichkeit der Begnadigung allein ist nicht ausreichend; vielmehr gebietet das Rechtsstaatsprinzip, die Voraussetzungen, unter denen die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ausgesetzt werden kann, und das dabei anzuwendende Verfahren gesetzlich zu regeln.”

Dass die “Bild”-Zeitung es schwer erträglich findet, in so einem Rechtsstaat zu leben, ist bekannt. Dass die “Bild”-Zeitung sich nicht einmal mehr traut, ihre Leser wahrheitsgemäß über die Grundlagen dieses Rechtsstaates zu informieren, ist erschütternd.

Danke an Daniel W.!

Neues von Knut

Man kann sie nur erahnen, die Anstrengung, die es die “Bild”-Redaktion kostet, Tag für Tag Artikel aus einem Eisbärbaby herauszupressen, aber sie scheint übermenschlich zu sein.

In der vergangenen Woche machte die Zeitung aus einem wirren Brief und einem Sicherheitsbeamten ein Szenario, als müsse Knuts Gehege aufgrund von Morddrohungen gesichert werden wie Heiligendamm vor dem G8-Gipfel.

Gestern verkündete “Bild”, Knut sei nun in die “Bärenpubertät”* gekommen, und präsentierte fast halbseitig seine “1. Freundin”, an der er neuerdings “strategisch seinen Teenie-Charme” teste: die alte Kragenbärin Mäuschen. Offenbar mit Erfolg, denn neben dem Foto von Mäuschen steht groß:

Bisher spielte die Kragenbärin immer mit einer Katze. Aber jetzt ist der kleine Eisbär da…

Und unterstehen Sie sich, das aufgrund der zwei zusammenmontierten Fotos (Ausriss rechts) für eines der üblichen “Bild”-Märchen zu halten, denn “Bild” hat ihn, den “Foto-Beweis”:

Wobei — das können wir toppen. Wir haben nämlich den Video-Beweis! Also, eigentlich hat ihn Knuts Haussender, der RBB. Er zeigte ihn der interessierten Weltöffentlichkeit (und den ARD-Zuschauern) bereits am 12. April:

Und auch da war die Bekanntschaft zwischen Knut und der Kragenbärin längst keine Neuigkeit mehr: Bereits am 16. März berichtete das Berliner Boulevardblatt “B.Z.” (eine Schwesterzeitung von “Bild”), dass Knut und Mäuschen bereits “Sicht- und Riechkontakt” aufgenommen hätten. Und bereits am 18. März beschrieb die “Berliner Morgenpost” (eine Schwesterzeitung von “Bild”), wie Knut “der uralten Kragenbärin Mäuschen auf dem Hof einen Besuch abstatten” wollte.

An der Pubertät liegt’s also nicht. Und schon dem inzwischen fünf Wochen alten “Morgenpost”-Artikel konnte man entnehmen, dass von einer Freundschaft keine Rede sein kann. Mäuschen findet Knut nämlich, wie Knuts Pfleger im RBB-Video sagt, “nicht so niedlich”. Regelmäßig muss er, zu seinem eigenen Schutz, von ihr ferngehalten werden.

Und heute? Heute staunt “Bild” halbseitig:

Knut soll Norweger werden!

Ja. Das stand am 19. April, also vor fünf Tagen, schon kurz in der “taz”. “Bild” aber hat zusätzlich noch ein Statement von Ragnar Kühne vom Berliner Zoo eingeholt, das erahnen lässt, wie sehr man sich dort über die Berichterstattung von “Bild” freut. Kühne antwortete auf die Nachfragen mit einem Satz, der der Dramatik der aktuellen Entwicklung wohl gerecht wird. Er sagte “Bild”:

“Wir haben einen Brief erhalten und ihn an die zuständige Abteilung weiter gereicht.”

Mit Dank an kuzy für den Norwegen-Hinweis!

*) Nachtrag: (mit Dank an Markus M.) Eisbären werden im Alter von fünf bis sechs Jahren geschlechtsreif.

Schimanski lässt “Bild” alt aussehen

Heute fragt “Bild”:

Ist Götz George (68) zu alt für Schimanski?

Kann man ja mal fragen (obwohl Schimanski gestern abend in der ARD eindeutig so alt war wie Zudem sinken Schimanskis Quoten von Mal zu Mal: Hatte er 2002 mit „Asyl“ noch 6,1 Millionen Zuschauer, warenGötz George, aber egal). Ein bisschen gewagt ist es allerdings, als ein Indiz für die These, Götz George könnte zu alt sein für Schimanski, die schlechte Quotenentwicklung zu nehmen (siehe Ausriss rechts). Denn welche Quoten Schimanski gestern hatte, konnte die “Bild”-Autorin ja noch nicht wissen, als sie ihren Text schrieb.

Tja. Inzwischen wissen wir: “Schimanski” hatte gestern 6,81 Millionen Zuschauer. Das ist die höchste Zahl seit 1999.

Danke an Sebastian V.!

Bild.de fährt mit Knut Trittbrett bei Ebay

Die Bild.T-Online.de AG & Co. KG ist ein sehr profitables Unternehmen. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete es nach offiziellen Angaben eine zweistellige Umsatzrendite. Womöglich liegt das nicht nur an großen Werbedeals, sondern auch an der Konsequenz, mit der Bild.de selbst vermeintlich kleine Einnahmequellen ausschöpft.

Seit gestern zum Beispiel in einem wie ein Artikel aussehenden Beitrag darüber, dass die Internetseite YouKnut.com von ihren Betreibern bei Ebay versteigert wird. Denn der Link, mit dem Bild.de seine Leser im Artikel zu dieser Auktion führt, ist keineswegs der direkte Link zur Seite (http://cgi.ebay.de/ws/eBayISAPI.dll? ViewItem&item=220103829285), sondern ein Werbelink:

Es handelt sich um einen sogenannten Affiliate-Link — dieselbe Art, die sonst in Ebay-Anzeigen auf Bild.de steckt. Je nachdem, welche Bedingungen Bild.de und Ebay vereinbart haben, verdient Bild.de vermutlich ein paar Cent an jedem Klick oder ein paar Euro an jedem, der sich neu bei Ebay anmeldet — selbst an Geboten, die jemand, der über den Bild.de-Werbelink zu Ebay gekommen ist, für ganz andere Auktionen abgibt, kann Bild.de so mitverdienen.

Mit anderen Worten: Es lohnt sich für Bild.de, über Ebay-Auktionen zu berichten. In jeder Hinsicht.

Danke an Boris H.!

Irak? Iran! Irak? Iran!

Ja gut, das kann vielleicht einmal passieren, im Eifer des Gefechts den Überblick zu verlieren, von welchem Land nun genau diese 15 britischen Soldaten gefangen genommen wurden:

Das US-Außenministerium bestätigte, dass Ahmadinedschad – anders als ursprünglich erwartet – nicht an der Ratssitzung teilnehmen werde. Nach Angaben der irakischen Regierung sollen die USA die erforderlichen Visa nicht rechtzeitig ausgestellt hätten. Washington bestritt dies entschieden.

Aber auf Dauer würde sich dann doch vielleicht ein Spickzettel, eine Eselsbrücke oder eine funktionierende Schlussredaktion lohnen:

Die Marineangehörigen, die knapp zwei Wochen Geiseln im Irak waren, werden von Medien und Militärexperten verhöhnt.

Danke an Jan K., Stefan R. und Rainer H.!

Kurz korrigiert (325)

So richtig firm sind sie bei “Bild” in der neuen Pflicht-Disziplin Klimaschutz noch nicht. Denn wenn das hier stimmte…

…müssten wir ja alle viel häufiger mit dem Flugzeug um die Welt reisen, um möglichst viel schädliches CO2 zu verbrauchen.

Danke an Alice B., Neil G. und Michael N.!

“Bild” enthüllt: Madl ist lieb und heißt nicht Erika

“Wer sich mit seinem Privatleben in die Öffentlichkeit begibt, um den eigenen Marktwert zu steigern, muß sich publizistische Kontrolle gefallen lassen. (…) Wer sein Privatleben privat lebt, bleibt privat.”

Wir wissen nicht, mit welchen privaten Geschichten sich ein bekannter deutscher Koch in die Öffentlichkeit begeben hat, um seinen Marktwert zu steigern. Uns ist keine aufgefallen. Aber er muss es getan haben, sonst hätte Kai Diekmann ja die Unwahrheit gesagt.

Denn am Donnerstag informierte die “Bild”-Zeitung die Öffentlichkeit darüber, dass dieser Koch eine uneheliche Tochter hat.

Welches berechtigte öffentliche Interesse an dieser Information besteht, bleibt offen: Die Mutter des Kindes wollte sich laut “Bild” gegenüber “Bild” nicht äußern. Der Koch bestätigte laut “Bild” gegenüber “Bild”, dass er zu dem Kind bei einem Treffen gesagt habe: “Bist ein liebes Madl.” Streit mit der Mutter gebe es nicht, alles sei bestens geregelt. “Ich möchte (…) nicht, dass das zu breit ausgetreten wird”, zitiert “Bild”-Reporter Stephan Kürthy den Koch in seinem 33 Zentimeter breiten Artikel.

Dessen zentraler Satz lautet:

Jetzt kommt heraus:                                         HAT EINE UNEHELICHE TOCHTER NAMENS ERIKA* (5).

*Name geändert

Der Name taucht danach nie wieder auf.

Aber vielleicht ist das irgendwie wichtig für “Bild” und uns alle: Ein bekannter Koch hat eine uneheliche Tochter, und sie heißt nicht Erika.

(Alle schwarzen Balken natürlich von uns.)

Vielen Dank an Christian M.!

Ach, ist doch eh Familienwurst

Haben Sie sich auch immer schon gefragt, wer eigentlich die tollen Werbetexte für die “Familienwurst für Deutschland” auf Bild.de und in “Bild” schreibt? Ob das Profis sind, Werbeleute, richtige Journalisten oder doch nur die Leute von Bild.de?

Da, anders als es bei der Familienwurst heißt, die TV-Moderatorin Daniela Fuß schon 37 Jahre alt ist und der Schauspieler Norbert Heisterkamp 44, haben wir da einen Verdacht

Danke an Joachim K.!

Böser Politiker mit acht Buchstaben

Irrer vom Iran,

weil die mehrfache Erwähnung Ihres Namens, Präsident Mahmud Ahmadinedschad, mich zeilenmäßig den halben Brief kostet, darf ich Sie im folgenden kurz Irrer nennen. Ihr militanter Haß auf Israel hat alle Symptome eines Geisteskranken. Größenwahn und Paranoia.

Franz Josef Wagner am 15. Dezember 2005 in “Bild”

Seit ungefähr einem Jahr nennt “Bild” den iranischen Präsidenten nicht mehr nur mit großer Berechenbarkeit den “Irren von Teheran”, sondern auch mit ähnlicher Konsequenz einen “Diktator” oder den “irren Diktator”.

Als “Diktator” werden heute landläufig politische Herrscher bezeichnet, die mit unbeschränkter, absoluter Macht regieren. Das trifft auf Ahmadinedschad nicht zu. Der Iran ist zwar ein autoritärer Staat, hat aber republikanische und demokratische Elemente. Ahmadinedschad wurde 2005 vom Volk aus sieben zugelassenen Kandidaten gewählt. Seine Amtszeit dauert vier Jahre, er kann nur einmal wiedergewählt werden. Der Präsident ist nur der zweithöchste Vertreter seines Landes. Der ungleich mächtigere Oberste Rechtsgelehrte Ajatollah Chamenei ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trifft wichtige außenpolitische Entscheidungen und hat überhaupt das letzte Wort. Aus seinem Umfeld ist in der letzten Zeit auch deutliche Kritik an Ahmadinedschad geäußert worden.

Natürlich kann man es sich, wie “Bild”, so einfach machen, die Staats- und Regierungschefs dieser Welt in Gut und Böse, gefährlich und ungefährlich teilen und die Bösen “Diktatoren” und die Gefährlichen “Irre” nennen. Man muss dafür allerdings die eigentliche Bedeutung des Wortes “Diktator” aufgeben.

BILDisch für Anfänger

Der Engländer nennt sie “false friends”: Wörter, die ähnlich aussehen, aber ganz etwas anderes bedeuten. Das englische Wort “gymnasium” ist für Deutsche so ein false friend, weil es “Turnhalle” bedeutet.

Auch die Sprache von “Bild” ist bekanntlich voller falscher Freunde. “Enthüllen” zum Beispiel bedeutet nicht dasselbe wie in der deutschen Sprache, sondern etwa: “längst bekanntes mit Verspätung aufgreifen”. Fast schulbuchmäßig demonstriert die “Bild”-Zeitung in der heutigen Ausgabe den Einsatz, wenn sie titelt:

"BILD enthüllt Kerkelings neuesten Coup - Hape jetzt als Schlittenhund in Norwegen unterwegs"

Das Hörbuch, das “Bild” meint, lässt sich (wie sogar “Bild” selbst bemerkt) längst im Buchhandel vorbestellen. Das Internet ist voll von Besprechungen. Am Mittwoch veröffentlichte die Frauenzeitschrift “Brigitte” ein langes Interview darüber mit Kerkeling. Vor fast zwei Wochen erschien in der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” ein großer Artikel darüber. Und vor über zwei Wochen las Hape Kerkeling selbst auf der lit.Cologne daraus vor.

Und wir merken uns: Etymologisch stammt das “Bild”-Wort “enthüllen” nicht, wie im Deutschen, von der Hülle ab, sondern von der Ente.

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