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“Bild” ist vor Ort

Christina Mänz hat einen beneidenswerten Job. Für die Zeitungen des Springer-Verlages kommt sie richtig viel rum in der Welt. Als Britney Spears heimlich heiratete, berichtete sie aus Los Angeles. Als herauskam, dass Prinzessin Diana “keinen Oralsex” wollte, schickte sie ihren Bericht aus London. Und nun fuhr sie eigens nach Oslo, um dieser schlimmen Geschichte nachzugehen und einen Aufmacher für die “Bild”-Zeitung daraus zu machen:

Interessanterweise erschien ein Artikel über das gleiche Thema bereits am vergangenen Sonntag im “Observer”, aber das ist ja nichts Schlimmes: Vermutlich ist “Bild” durch die britischen Kollegen auf das Thema gestoßen und hat dann vor Ort selbst ein bisschen recherchiert; im “Bild”-Artikel werden zum Thema z.B. der norwegische Fischerei-Minister Svein Ludvigsen und die Tierschützerin Gill Sanders zitiert …

… die zufälligerweise auch die Gesprächspartner des “Observer” waren und zufälligerweise in “Bild” dasselbe sagen wie im “Observer”. Wie sich überhaupt im “Bild”-Artikel keine einzige Information findet, die nicht im “Observer”-Artikel steht.

Bleibt die Frage, was Christina Mänz in Oslo gemacht hat. Und ob sie vielleicht keine Journalistin ist, sondern eher sowas wie eine Übersetzerin. Jedenfalls ein beneidenswerter Job.

Hofberichterstattung

Es ist noch keinen Monat her, da sagte Chefredakteur Kai Diekmann, “Bild” werde Konsequenzen aus dem sogenannten “Caroline-Urteil” ziehen und bis auf weiteres auf Homestories über Politiker verzichten. Wenn man nicht mehr kritisch über das Privatleben von Politikern berichten dürfe, sagte er dem “Focus”, wolle man es lieber gar nicht tun: “Wir müssen … beim Leser jetzt von vornherein jeden Anschein vermeiden, wir würden mit eingebauter Schere im Kopf nur noch Hofberichterstattung betreiben.” Laut “Bild” hätten die Straßburger Richter nämlich entschieden, “dass die Berichterstattung (z. B. Fotos) über Prominente nur noch mit deren Erlaubnis zulässig” sei.

Am Samstag hatte Gerhard Schröder einen Termin in Paderborn. Seine Mutter liegt dort im Krankenhaus. Sie konnte ihren Geburtstag nicht zuhause feiern, deshalb besuchte der Kanzler sie am Krankenbett, ohne Frau, Stief- und Adoptivtochter, dafür aber mit einem “prächtigen Herbststrauß”. Er trug ein “lässiges Polohemd, sportliches Jackett und eine Sporthose” und blieb eine Stunde.

Woher wir das alles wissen? Stand heute groß auf Seite 2 der “Bild”. Mit Foto vom Kanzler mit Herbstblumenstrauß. Ach, und er nennt seine Mutter “nur zärtlich ‘Löwe'” und liebt, wie sie, Pflaumenkuchen.

“Wir können gar nicht anders”, hatte der “Bild”-Chefredakteur noch gesagt, “als ab sofort zum Beispiel auf jedwede Art von HomeStorys über Politiker zu verzichten.” Aber der Kanzler ist ja auch in Hannover zuhause. Nicht in Paderborn.

“Bild”-Leser wissen mehr

Eine Gruppe von Deutschen hat in Bahrain einen russischen Spaceshuttle entdeckt, der dort unbeachtet in der arabischen Wüste vor sich hin lag. Es soll eine Sensation sein. Schön. Irgendwie ein Grund zur Freude.

Ganz besonders für die “Bild”-Zeitung, denn die drei Jungs, die so clever waren, dem Kronprinzen Scheich Salman bin Hamad al-Khalifa das Geheimnis zu entlocken, waren nicht irgendwelchen Deutschen, nein:

Jetzt haben BILD-Leser einen der russischen Raumgleiter in der arabischen Wüste gefunden!

Glückwunsch. Wohl dem Blatt, das so weitgereiste und geschickte Leser hat. Wer herausfinden will, wie diese Leute dazu kamen, mal eben so mit dem Kronprinzen zu plaudern (“Guten Tag, wir sind “Bild”-Leser und wollen Herrn Scheich Salman bin Hamad al-Khalifa sprechen, bitte”?), wird in dem “Bild”-Artikel allerdings nicht fündig. “Spiegel Online” jedoch hat dazu ein paar Antworten:

Ein Düsseldorfer TV-Team stieß bei Dreharbeiten zur Formel 1 in Bahrein zufällig auf das Gerücht vom russischen Spaceshuttle…

Genauer gesagt handelt es sich um die Firma von Chris G. Meier, der sonst für “Blitz”, “taff”, “RTL-Explosiv” etc. arbeitet.

Aber wer weiß, womöglich ist er auch “Bild”-Leser.

Danke an die BILDBlog-Leser Patrick C. und Simon R.

Sieben Monate später

Es sind ja nicht alle “Bild”-Geschichten falsch. Manche sind einfach nur alt.

17. Februar 2004, MSNBC:

4. März 2004, CBS:

14. März 2004, Spiegel Online:

23. September 2004, Bild:

Danke an Oliver B.!

Schnauze voll?

Zum Unterscheiden —

Schlimme platte Parolen von rechten Sprücheklopfern:

(NPD-Plakate)

Überfällige Notwehr-Aktion von abgezockten Autofahrern:

(“Bild”-Aufkleber)

Schon vergessen

“Was hat Wolfgang Thierse da bloß geritten?”, fragt der “Bild”-Kommentar heute und schreibt:

Der Bundestagspräsident hat laut über ein mögliches Bündnis der SPD mit der PDS in Brandenburg nachgedacht. Man sollte der PDS “schon ernsthaft” die Frage stellen, ob sie eine realistische und konstruktive Politik machen wolle.

Schon vergessen, Herr Thierse?

Dass die PDS in Brandenburg und Sachsen mit gnadenloser Anti-Reformhetze und Stimmungsmache gegen Kanzler Schröder der SPD die Wähler abjagte. Dass die PDS erklärtermaßen das Rad der Reformen zurückdrehen will, wo immer sie in Regierungsverantwortung kommt?

Die rhetorische Frage, ob Herr Thierse das “schon vergessen” hat, hätte “Bild” leicht selbst beantworten können, wenn sie ihn vollständig zitiert hätte. Gegenüber dem “Tagesspiegel” sagte er:

Man werde die PDS “daran erinnern müssen, dass sie einen geradezu gnadenlosen Wahlkampf gegen die Sozialstaatsreformen und die Arbeitsmarktreformen geführt hat”. Jetzt solle die PDS die Frage beantworten, ob sie eine realistische und konstruktive Politik machen wolle. “Aber die Frage sollte man ihr schon ernsthaft stellen.”

Allgemein  

We are the champions III

Wie war eigentlich diese Talkrunde zur Gebührenerhöung auf Sat.1, die der “Bild am Sonntag”-Chefredakteur Claus Strunz moderierte? Nun ja, kommt drauf an, wen man fragt.

Die “taz” fand es “tendenziös” und “inhaltsleer” und stellte fest, dass Strunz “langsam aber sicher die Gesprächsführung entglitt”.

Die “Frankfurter Rundschau” fand es “langweilig”, eine “Sehgurke” und meinte, die Runde sei “doch eine Nummer zu groß für den Chefredakteur” gewesen.

Der “Tagesspiegel” stellte fest, dass es dem Thema nicht gut tat, mit “Parolen und Emotionen” aufgeladen zu werden und betonte die Parteilichkeit des Moderators, weil doch die “Bild am Sonntag” im Axel Springer Verlag erscheint, der an der Senderfamilie Pro-Sieben-Sat.1 beteiligt ist, die die direkte Konkurrenz von ARD und ZDF ist.

Und “Bild” sah ein “Talk-TV der Extra-Klasse”, einen “spannenden Schlagabtausch” und einen “prickelnden Mix aus Information und Unterhaltung”.

…und machte den Moderator Claus Strunz, den Chefredakteur von “Bild am Sonntag”, kurzerhand zum “Gewinner des Tages” in der “Bild” am Dienstag. Er ist der sechste Gewinner aus dem Hause Axel Springer in den letzten 14 Erscheinungstagen. Am Ende des Monats wird bestimmt der Verlag selbst noch einmal “Gewinner des Tages”: Ausgezeichnet dafür, dass keine andere Institution der Welt so häufig “Gewinner des Tages” in “Bild” hervorbrachte wie er.

Die Geister, die sie riefen II

Oh Gottogottogott, Nazis im sächsischen Landtag. Da brauchen wir schnell einen Skandal. Die anderen Kandidaten sind aus dem Studio gegangen, als der NPD-Mann sprach, und die Interviewerin hat ihm das Mikrofon entzogen? Super, da machen wir eine “Pöbel-Attacke” raus. Macht schon mal ‘ne Schlagzeile fertig: Nazi-Eklat im ZDF-Studio. Oder: Politiker flohen aus ZDF-Studio. Oder besser gleich beides. Ham wir Fotos? Was? Nicht vom ZDF-Studio, nur vom ARD-Studio? Ist doch egal. Merkt doch kein Schwein. Hey, das sind Neonazis, da kann man sich die Fakten schon mal zurechtbiegen, wie es einem passt, um die zu bekämpfen.

Ob das ein “Nazi-Eklat im ZDF-Studio” war und ob die “Politiker aus dem ZDF-Studio flohen”, darüber kann man vielleicht noch streiten. Unbestreitbar ist, dass die Bilder unter diesen “Bild”-Schlagzeilen nicht das ZDF-Studio zeigen. Das sah — in dem Moment, als der erste Politiker ging — so aus:

Danke an gleich mehrere aufmerksame Hinweisgeber!

Die Geister, die sie riefen

Hoppla, was ist denn da passiert? Randale? Tätliche Angriffe? Ausländerfeindliche Ausfälle? Es scheint so, denn “Bild” spricht von einer “Pöbel-Attacke” und schreibt:

Gerade erst in den Landtag gewählt – und schon zeigen die Neonazis von der Sachsen-NPD im TV ihr wahres Gesicht!

Was hat der sächsische NPD-Spitzenkandidat Holger Apfel getan? Er sagte (korrekt zitiert in “Bild”) dies:

“Heute ist ein großartiger Tag für alle Deutschen, die noch Deutsche sein wollen, es ist die verdiente Quittung für eine immer asozialere Sozialpolitik, für eine asoziale Wirtschaftspolitik und…”

Währenddessen verließen die Vertreter der anderen Parteien den Tisch, an dem sie interviewt wurden. Die ZDF-Innenpolitikchefin Bettina Schausten entzog Apfel hektisch das Wort und reagierte hilflos und hysterisch, als er — weitgehend unverständlich für die Fernsehzuschauer — weitersprach.

Es besteht kein Grund, an der Gefährlichkeit der NPD zu zweifeln. Aber zu einer “Pöbelattacke” ist es im ZDF-Studio nicht gekommen, und auf die These mit der “asozialen Sozialpolitik” hätte Apfel prima durch Verfolgen der Hartz-IV-Berichterstattung der “Bild”-Zeitung kommen können — bis diese abrupt endete: “Irgendwann in diesem Sommer müssen sie bei Bild gemerkt haben”, schrieb Evelyn Roll am Samstag in der “Süddeutschen Zeitung”, “dass sie mit dem Schüren von Sozialangst zwar der Regierung schaden und der eigenen Auflage helfen, aber auch den Neonazis und der PDS. Und zwar tüchtig.”

Und, nein, die anderen Politiker mussten vor dem NPD-Mann auch nicht “fliehen”. Sie demonstrierten nur, dass sie nicht gewillt waren, mit Neonazis zu diskutieren.

Bestimmt wäre es hilfreich, wenn man im Kampf gegen die NPD die Mittel der Tatsachen-Verfälschung und grotesken Übertreibung den Rechtsradikalen überließe. Und wer ein paar populistische Sätze im Fernsehen als das “wahre Gesicht” der NPD bezeichnet, verharmlost die Gefahr dramatisch.

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