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Gericht: Springer verhöhnt “Bild”-Opfer

Das Landgericht München I hat die Axel Springer AG heute zu einer Zahlung von 50.000 Euro an eine Frau verurteilt, über die die “Bild”-Zeitung im September 2005 in unzulässiger und beleidigender Weise berichtet hat. Weil der Artikel auch gesundheitliche Probleme der Frau mitverursacht habe, muss der Verlag zudem für die Kosten aufkommen, die ihr dadurch entstanden sind oder noch entstehen. Neben der Axel Springer AG haften auch Clemens Hagen, der presserechtlich Verantwortliche der entsprechenden Ausgabe, sowie Rolf Hauschild, der Leiter von “Bild-München” — obwohl er am Produktionstag nicht in der Redaktion gewesen sein soll.

Dokumentation

Eine ausführliche Darstellung der Hintergründe des Prozesses:

Nach Ansicht des Gerichtes hat der “Bild”-Artikel das Persönlichkeitsrecht der Klägerin “in einer besonders schweren Weise” verletzt. Die Kammer wies die Gegenargumente der Axel-Springer-AG deutlich zurück und sah in dem Verhalten des Justiziariats des Verlages “eine zusätzliche Verhöhnung” des “Bild”-Opfers. Die Anwälte Springers hatten bereits vor dem Urteil angekündigt, in Berufung zu gehen. Einen vom Gericht angeregten Vergleich hatte der Vorstand der Axel Springer AG offenbar abgelehnt.

Es geht um eine Frau aus München, deren türkischer Ehemann bei seiner Einreise nach Deutschland am Flughafen unter dem Verdacht verhaftet wurde, elf Jahre zuvor seine damalige Freundin umgebracht zu haben. In einem “Bild”-Artikel war die Frau identifizierbar: Die Zeitung nannte ihren richtigen Vorname, der durch eine besondere, in Deutschland seltene Schreibweise auffällt, den richtigen Anfangsbuchstaben des Nachnamens, ihr Alter, ihren Beruf, den Stadtteil, in dem sie wohnt — und beschrieb sogar das Klingelschild an der Wohnungstür. Das Gericht erklärte in seiner Urteilsbegründung:

Unter diesen Umständen ist die Annahme, dass die Klägerin nicht zumindest in ihrem privaten und beruflichen Umfeld erkennbar ist [wie Axel Springer behauptet hatte], lebensfremd.

Die Frau habe ein Recht darauf, nicht erkannt zu werden, so das Gericht. Schon bei dem Ehemann, der damals noch nicht verurteilt war, sei zweifelhaft, ob er hätte identifiziert werden dürfen.

Umso mehr muss die Presse dafür Sorge tragen, dass Personen des privaten Umfeldes, die mit der vorgeworfenen Straftat nichts zu tun haben, nicht in erkennbarer Weise in die Öffentlichkeit gezogen werden.

(…) Hinzu kommt noch, dass über die Klägerin in weitem Umfang gerade nicht in Zusammenhang mit der Straftat berichtet wird. So ist weder der Umstand, dass es sich bei der Klägerin um eine                  aus                  handelt, noch der Umstand, dass sie zehn Jahre älter als ihr Ehemann ist oder welcher Name auf dem Klingelschild steht, von irgendeiner Relevanz für die Berichterstattung über die Strafverfolgung.

(…) Schon die Überschrift (…) — “Münchnerin heiratete diesen eiskalten Killer” – (…) stellt in reißerischer Manier die Beziehung der Klägerin zum Verdächtigen heraus.

Der Eingangssatz “Mit Mitte 40 noch mal einen zehn Jahre jüngeren Mann abgreifen – für die Münchner                                  . war’s wie ein Hauptgewinn im Lotto.” Stellt eine Beleidigung der Klägerin dar. Die Klägerin wird herabgewürdigt, indem ihr unterstellt wird, aus einer Art “Torschlusspanik” heraus eine Beziehung zu ihrem Ehemann eingegangen zu sein. Damit wird ihr gleichzeitig unterstellt, normalerweise für eine Beziehung zu alt und nicht mehr attraktiv zu sein.

Unter diesen Umständen sind die Ausführungen in der Klageerwiderung, der Artikel wecke Mitleid mit der Klägerin und Erleichterung, dass ihr nichts passiert sei, eine zusätzliche Verhöhnung der Klägerin.

Das Gericht kam nach einem psychologischen Gutachten zur Überzeugung, dass der “Bild”-Artikel die Gesundheit der Betroffenen beeinträchtigt habe. Er sei für verschiedene Störungen zumindest “mitursächlich” gewesen. Deshalb müssen Springer und die “Bild”-Redakteure auch für materielle Schäden wie Verdienstausfälle oder Behandlungskosten aufkommen, die der Frau aufgrund des Artikels entstanden sind oder in Zukunft noch entstehen. (Im Justizdeutsch heißt das: Sie haften “dem Grunde nach”.)

Zudem müssen sie 50.000 Euro Schmerzensgeld zahlen. Die Höhe der Summe begründete das Gericht damit, dass die “Bild-München” eine starke Verbreitung aufweise, die Klägerin “in reißerischer Form” hervorgehoben habe und ohne Anlass herabgesetzt worden sei. Der Betrag soll auch abschreckend wirken.

iPhone hält sich nicht an “BamS”-Wissen

Apple hat sein neues iPhone vorgestellt. Und es ist fast rührend, mit welcher Treuherzigkeit Bild.de nicht nur berichtet, wie es aussehen wird und was es kann, sondern gleichzeitig zu einem Blick ins eigene Archiv animiert:

Denn wer darauf klickt, sieht nicht die ersten Bilder vom UMTS-iPhone und erfährt auch nicht, wie es “wirklich” aussieht. Er kann sich aber einen guten Eindruck von der Kompetenz der Redaktion machen.

Der verlinkte Artikel stammt aus der aktuellen “Bild am Sonntag”, und er beginnt mit den Worten:

Das wird Apple-Chef Steve Jobs stinken. Eigentlich wollte er das neue iPhone der Welt selbst als erster zeigen. Es sollte die Sensation zum Auftakt der Entwicklerkonferenz WWDC am Montag in San Francisco werden (19 Uhr, MEZ).

Doch vorab sind schon erste Fotos des neuen Super-Handys im Internet aufgetaucht.

Wenn Steve Jobs sie überhaupt zur Kenntnis genommen hat, die Fotos und Berichte, wird er sich gut amüsiert haben. Denn die Bilder haben ungefähr nichts mit dem tatsächlichen neuen iPhone gemein. Es kommt weder in “schreienden Farben” daher, wie die “Bild am Sonntag” behauptete, noch hat es eine zweite Kamera an der Vorderseite, wie die “Bild am Sonntag” vermutete.

Irgendjemand hat mit seinem Grafikprogramm herumgespielt, und die “Bild am Sonntag” ist darauf hereingefallen. Dabei gehören solche Fakes zur traditionellen Apple-Folklore, und in diesem Fall mangelte es den Bildern auch nicht an Warnsignalen — für den, der sie sehen wollte. Bei einem der abgebildeten Telefone fehlt zum Beispiel der Einschaltknopf. Das einschlägige Blog “Engadget” hatte darüber deshalb schon am Samstag das Wort “Faaaaake” geschrieben (mit 24 “a”). Andererseits hat das Wort “geheim”, das die “Bild am Sonntag” stattdessen wählte, ja eine ähnliche Bedeutung.

Mit Dank an Olaf, Sebastian H., Jörg H. — und das fscklog!

Nachtrag, 21:30 Uhr. Na sowas: Bild.de hat den großen Hinweis auf den peinlichen Artikel im Archiv entfernt.

Allgemein  

Wie sich “Bild” gegen ein “Bild”-Opfer wehrt

In der kommenden Woche wird die Axel Springer AG vermutlich zu mindestens 50.000 Euro Schmerzensgeld verurteilt, weil die Münchner “Bild”-Zeitung die Persönlichkeitsrechte einer Frau in “schwerwiegender Weise” verletzt und sie auch noch beleidigt habe. Das Landgericht München I verkündet am Mittwoch das Urteil in einem seit zweieinhalb Jahren laufenden Rechtsstreit.

Die Geschichte dieses Falls ist nicht nur eine Geschichte darüber, wie “Bild” berichtet und mit welchen Methoden sie recherchiert. Es ist unserer Meinung nach vor allem eine Geschichte darüber, mit welchen Methoden sich der Verlag dagegen wehrt, Verantwortung für die Folgen seines Handelns zu übernehmen — und mit welchem Zynismus er Beleidigungen in die “Erweckung von Mitgefühl” uminterpretiert.

neu  

Presserat rügt teils frei erfundenen “Bild”-Bericht

Der Presserat hat aufgrund einer Beschwerde von BILDblog eine Rüge gegen die “Bild”-Zeitung ausgesprochen. Der Artikel der “Bild Bremen” (Ausriss rechts) habe gegen das Persönlichkeitsrecht zweier Kinder, das Wahrheitsgebot und die Sorgfaltspflicht verstoßen.

Das Gremium erklärte:

BILD (Bremen) erhielt eine nicht-öffentliche Rüge wegen eines Verstoßes gegen die Ziffern 8, 2 und 1 des Pressekodex. Die Zeitung hatte berichtet, dass zwei Mädchen im Alter von eins und vier Jahren auf Veranlassung ihrer Mutter zur Beschneidung nach Afrika gebracht werden sollten, was aber durch den Vater und einen Polizeieinsatz habe verhindert werden können. Ausschlaggebend für die Rüge war ein beigestelltes Foto, das beide Kinder ungeblendet zeigte. Hierfür gab es nicht die Einwilligung beider Eltern. Die Veröffentlichung dieses Fotos verletzt die Persönlichkeitsrechte der Kinder nach Ziffer 8 des Pressekodex.

Einen Verstoß gegen das Wahrheitsgebot aus Ziffer 1 des Pressekodex sah der Ausschuss zudem im Einstieg des Beitrages, wonach in einer dunklen Hütte in Afrika bereits ein Medizinmann auf die Mädchen gewartet habe. Dies war offenbar frei erfunden.

Die Zeitung verletzte außerdem die Sorgfaltspflicht nach Ziffer 2 des Pressekodex. Als Quellen für den Bericht wurden neben der Polizeimeldung und den Aussagen des Vaters nicht auch die Aussagen der Mutter berücksichtigt. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass die Mutter Beschneidungen ablehnt und ihre Kinder nicht zu diesem Zweck nach Afrika bringen wollte. Der Ausschuss hält es zwar für zulässig, dass die tagesaktuelle Berichterstattung im Wesentlichen auf der Polizeimeldung beruhte. Dies hätte jedoch für den Leser deutlich erkennbar sein müssen.

Aus Opferschutzgründen verzichtete der Ausschuss darauf, die Zeitung zum Abdruck der Rüge zu verpflichten.

Mehr über die gerügte “Bild”-Berichterstattung:

Scheiß rassistische Engländer!

Dabei wollen wir doch eigentlich nur eines: Uns endlich mit euch vertragen, damit auch am Urlaubsort Frieden einkehrt!

Bild.de-Wunsch an die Engländer

Ein Gericht in Stoke-on-Trent urteilte in der vergangenen Woche, dass eine britische Familie Anspruch darauf hat, rund ein Fünftel ihrer Urlaubskosten erstattet zu bekommen, weil es in ihrem griechischen Hotel praktisch keine Angebote in englischer Sprache gab. Das Hotel war fast ausschließlich von Deutschen besucht und bot zum Beispiel Unterhaltungsprogramme für Kinder nur auf deutsch an. Nach Ansicht des Gerichtes war der englische Prospekt, der darauf nicht hinwies, schwer irreführend.

Damit war nach Ansicht von “Bild” offenbar der ohnehin fragile Waffenstillstand zwischen Engländern und Deutschen gebrochen.

Auf einen mittelhämischen Artikel in der “Sun” reagierten Bild.de und “Bild” mit dem vollen Arsenal aus Verdrehungen, Rumgepöbel, Vorurteilen — und abwegigen Fußballvergleichen.

Den Auftakt machte Bild.de am Wochenende mit der verwegenen Behauptung:

Unglaublich, aber wahr: Ein britischer Urlauber bekommt von seinem Reiseveranstalter Schadenersatz — weil ihm im Hotel zu viele Deutsche waren! Das Gericht erkannte das als eindeutigen Mangel an.

Über den Artikel stellte Bild.de das Motto:

Liebe Tommies, ihr wollt nicht mit uns Urlaub machen? Kein Problem. Wir spielen diesen Sommer ohne euch Fußball…

Und am Ende hieß es im Geist der Völkerverständigung:

Liebe Briten, listen carefully: Wir Deutschen erklären euch jetzt mal, warum wir nicht nur Schadenersatz, sondern sogar Schmerzensgeld verdient haben, wenn wir die kostbarste Zeit des Jahres ausgerechnet mit euch teilen müssen (oben im Kasten).

“Oben im Kasten” hat ein Bild.de-Praktikant sämtliche Vorurteile über Briten aus der Mottenkammer geholt. Zum Beispiel:

Was uns an den Briten stört – Der Anblick

Knallrotes Gesicht, wabblig-weiße Bierbäuche, raspelkurze Haare – der britische Standardtourist ist meilenweit zu erkennen und wahrlich kein schöner Anblick. Wenigstens die richtige Anwendung der Sonnencreme könntet ihr doch lernen...

Das Benehmen

Saufen, grölen, pöbeln – wer das Pech hat, in einer britischen Urlaubshochburg zu landen, wähnt sich schnell in der Hölle. Kein Wunder, dass das Wort Koma-Saufen vom englischen "Binge-Drinking" kommt. Das Saufen bis zum Umfallen ist eindeutig eine britische "Erfindung".

Das Essen

Hotels, die sich an ihren britischen Gästen orientieren, stellen auch gern die Küche darauf ein. Für Gäste anderer Nationen eine Zumutung! Minzsoße, Würstchen zum Frühstück, Kidneys (Nierchen) als Nachtisch? Bah...

Gestern dann übernahm die gedruckte “Bild”-Zeitung. Sie hatte das Wochenende genutzt, auf dem Niveau vom Samstag zu bleiben, und schlagzeilte:

DIE SPINNEN, DIE BRITEN! Zu viele Deutsche im Hotel. SCHMERZENSGELD FÜR ENGLÄNDER

Und nachdem die beiden Autorinnen durch geschicktes Weglassen und Übertreiben die Chance minimiert hatten, dass die Leser das Urteil zumindest halbwegs nachvollziehen konnten, endeten sie mit dem Zitat einer deutschen Vertreterin eines Reiseveranstalters:

“Wir weisen unsere Kunden darauf hin, welche Nationalitäten in dem gebuchten Hotel zu erwarten sind.”

Und die “Bild”-Autorinnen fügen hinzu:

Sollte man in England vielleicht auch so machen …

Aber dass das exakt die Begründung für das Urteil war, dass auch in England Kunden ein Recht auf solche Hinweise hätten, das haben sie in ihrem “DIE SPINNEN DOCH, DIE BRITEN!”-Rausch nicht gemerkt. Vielleicht konnten sie aber auch nicht mehr darüber nachdenken, weil ihnen gerade das Sauerkraut in die Tastatur gerutscht war und sich ihre Dirndln in den Nazi-Schreibtischstühlen verheddert hatten.

PS: Und die “Bild”-Geschichte ist nun wieder Thema in den britischen Medien usw. usf.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Fest-geklitterte “Zeit”-Geschichte

Nicolaus Fest, Mitglied der “Bild”-Chefredaktion, hat sich über einen Artikel in der “Zeit” geärgert. Das kommt in den besten Familien vor, und zum Glück hat Fest ja eine Kolumne auf Bild.de, in der er seinem Ärger gründlich Luft machen kann. Soweit, so unspektakulär.

Das Bemerkenswerte aber ist, dass es gleich zwei Möglichkeiten gegeben hätte, wie der Ärger von Nicolaus Fest zu vermeiden gewesen wäre. Erstens, wenn die “Zeit” nicht diesen Artikel geschrieben hätte. Zweitens, wenn Nicolaus Fest ihn verstanden hätte.

Fest zitiert aus dem “Zeit”-Artikel von Christoph Dieckmann:

“Gysis größtes Verdienst betrifft die deutsche Einheit. Es ist ihm maßgeblich zu verdanken, dass eine enorme Menge der staatsnahen DDR-Bevölkerung sich zur parlamentarischen Demokratie überreden ließ.”

Und kommentiert:

Aha. So war das also. Die Demonstranten in Leipzig, Dresden und Ost-Berlin wollten zunächst gar nicht die parlamentarische Demokratie, wollten kein selbst bestimmtes, ungegängeltes “Leben der Anderen”.

In Wahrheit waren sie, trotz “Wir sind ein Volk” und der überragenden Zustimmung zum Beitritt, im November 1989 gar nicht sicher, ob sie ihre verfallenden Städte, die Fürsorge der Stasi und die Bruderschaft mit den russischen Besatzungstruppen tatsächlich gegen Reise- und Meinungsfreiheit, D-Mark und Rechtstaatlichkeit eintauschen sollten.

Lange schwankten sie, ob sie wirklich Begrüßungsgeld nehmen, ob sie Golf statt Trabi fahren, ob sie das Grau ihrer Häuser wie ihres staatlich überwachten Lebens den Billionensubventionen der alten Bundesländer opfern sollten.

Er hat sich richtig in Rage geschrieben. Nur: Er hat nicht gemerkt, dass die “Zeit” gar nicht behauptet, Gysi habe das Volk in der DDR zur parlamentarischen Demokratie überredet. Die “Zeit” schreibt, Gysi habe einen großen Teil “der staatsnahen DDR-Bevölkerung” überredet. Sie spricht ausdrücklich von den SED-Mitgliedern und “Armee, Polizei, Geheimdienst”. Auf sie bezieht sich die Formulierung vom “überreden”.

Aber vielleicht hat Nicolaus “Hieb und Stich” Fest das gar nicht missverstanden, sondern missverstehen wollen. Denn als nächstes schreibt er über die DDR-Bürger:

Doch dann wurde ihnen, so Dieckmann, “im Dezember 1989, kurz vor Mitternacht, ein kurioser Heiland geboren” — Gregor Gysi.

Da hat Fest den Anfang des Satzes weggelassen. Weglassen müssen, denn sonst wäre aufgefallen, worauf sich die “Heiland”-Formulierung wirklich bezieht:

Die SED hatte vor der Wende 2,3 Millionen. Sie befehligte noch Armee, Polizei, Geheimdienst, als ihr im Dezember 1989, kurz vor Mitternacht, ein kurioser Heiland geboren wurde. Nur in tiefster Krise konnte dieser intellektuelle Entertainer Honecker und Krenz beerben.

Dieckmann behauptet nicht, dass Gysi der Erlöser für die DDR-Bürger war. Dieckmann behauptet, dass Gysi der Erlöser für die SED war — und begründet das u.a. damit, dass er “der PDS gewordenen SED [half], ihr Parteivermögen zu retten” und dank seiner “die PDS am 18. März 1990 bei den freien Wahlen 16,3 Prozent” erreichte.

Gegen Schluss schreibt Fest:

Irgendwann, so sagen Ältere, war DIE ZEIT mal eine ernst zu nehmende Zeitung.

Das Problem hat er bei seiner Zeitung natürlich nicht.

Allgemein  

Heiß, hüllenlos – und 13

Im Sommer 2003 suchte die “Bild”-Zeitung das “Sommer-Girl 2003”. Täglich zeigte sie auf ihrer ersten Seite eine junge Frau, die die Jahreszeit als Vorwand nutzte, wenig Kleidung zu tragen, und schrieb Sätze dazu wie:

Die Hitze lässt die Knospen sprießen… Aileen (17) zeigt uns ihre schönsten Seiten des Sommers.

Bei allen Kandidatinnen gab “Bild” wie bei Aileen das Alter an: Susan war (18), Jasmin (23), Doreen (18), Aicha (23), Bea (22). Am Ende gewann Sakina (27).

Sämtliche Kandidatinnen hatten ein Alter — bis auf die erste: Melanie aus Leipzig.

Allerdings hätte “Bild” auch schwerlich das richtige Alter des halbnackten Mädchens angeben können: Melanie war 13.

Der Chefredaktion sei das Alter des Mädchens damals nicht bekannt gewesen, sagte ein Sprecher der “Bild”-Zeitung gegenüber dem “Spiegel”, der in seiner aktuellen Ausgabe über die erst jetzt “durch eine Indiskretion” bekannt gewordene Angelegenheit berichtet. Laut “Bild” sei das Foto gegen Honorar und mit schriftlicher Zustimmung der Mutter des Mädchens veröffentlicht worden. Nun habe man das Bild aber aus dem Archiv gelöscht, um eine erneute Veröffentlichung auszuschließen.

Warum die “Bild”-Zeitung völlig entgegen ihrer Gewohnheit bei der 13-jährigen auf eine Altersangabe verzichtete, wissen wir nicht. Im Nachhinein wirkt auch der Text beunruhigend treffend, mit dem sie den fünften Teil der “Sommer-Girl”-Serie bestritt:


Wer sagt eigentlich, dass nur die ganz jungen Mädchen Chancen haben, das BILD-Sommer-Girl 2003 zu werden?

Kurz korrigiert (463-468)

Der Eurovision Song Contest vergangene Woche hatte nicht “nur 3,47 Millionen” Zuschauer und “11 Prozent Marktanteil”, sondern 6,38 Millionen Zuschauer und 27,9 Prozent Marktanteil.

 

Thomas Hermanns hat den deutschen Vorentscheid zum Grand-Prix nicht seit 2005, sondern erst seit 2006 moderiert (2005 moderierte Reinhold Beckmann).

 

Auch wenn sich Bild.de-Kolumnist Alex von Roon anders erinnert (und nur 20 Minuten entfernt wohnt): Die Indiana-Jones-Achterbahn steht nicht in den Universal Studios, sondern im Disneyland.

 

Wenn der Kandidat bei “Schlag den Raab” “um 1.27 Uhr siegte”, war das nicht, wie Bild.de scheinminutiös protokolliert, “nach nervenaufreibenden fünf Stunden und 27 Minuten”, sondern nach nervenaufreibenden fünf Stunden und 12 Minuten.

 

Das ist nicht das belgische Brügge, sondern der Stadtteil Bryggen im norwegischen Bergen.

 

Und das ist nicht der kleine Skoda Fabia Greenline, sondern der große Skoda Superb.

Aber das nur am Rande.

Mit Dank an eko, Andre M., Joachim, Gregor G., Nat, Christian E. und Chris B.!

Nachtrag, 3. Juni. Die Redaktion von Bild.de hat sich in ihrer unergründlichen Weisheit dafür entschieden, die letzten beiden Fehler zu korrigieren, die vier anderen aber weiter zu verbreiten.

Allgemein  

Anonyme Anonymisierungsgestörte

Die Frau Dr. Carla Thiele, Sexualtherapeutin und Internistin, die seit einigen Wochen bei “Bild am Sonntag” eine “Sex-Sprechstunde” anbietet, scheint eine Nette zu sein. Wenn ihr ein Zwanzigjähriger schreibt und um Hilfe bei seinen Erektionsstörungen bittet, dann gibt sie nicht nur gute Tipps, sondern ist auch so aufmerksam, in ihrer Antwort seinen Namen abzukürzen — muss ja nicht der ganze Betrieb und die Nachbarschaft wissen von seinem Problem.

Noch größer wäre unsere Bewunderung für Dr. Carla Thiele natürlich, wenn sie es irgendwie schaffen könnte, der “Bild am Sonntag” beizubringen, den vollen Vor- und Zunamen dann nicht unmittelbar darüber im Anschreiben zu veröffentlichen:

Aber an wen wendet man sich bei Anonymisierungsstörungen?

Mit Dank an Felix!

Bild.de verliert bei US-Vorwahlen

Eigentlich hatten die Demokraten in den USA beschlossen, die Ergebnisse der Vorwahlen in Florida und Michigan nicht zu zählen, weil sie zu früh stattfanden. Vor allem Hillary Clinton, die in beiden Bundesstaaten gewonnen hatte (in Michigan war Obama wegen des Regelverstoßes gar nicht angetreten), hatte in den vergangenen Wochen darum gekämpft, diesen Beschluss rückgängig zu machen. Gestern einigte sich die Demokratische Partei auf einen Kompromiss: Die Stimmen werden nun doch berücksichtigt, aber nur zur Hälfte. Hillary Clinton holt damit auf — aber nicht so sehr, wie sie gehofft hatte und vermutlich nicht genug, um noch gewinnen zu können.

Es gibt natürlich viele Möglichkeiten, diese Nachricht anzukündigen. Die von Bild.de gewählte gehört nicht dazu:

Denn in beiden Staaten hat Clinton gewonnen, in beiden Staaten erhält sie die Mehrheit der Delegierten, und überhaupt wurden nach den bisherigen Regeln Florida und Michigan ja gar nicht bewertet.

Über dem Artikel selbst steht dann:

Hillary verliert Stimmen aus Michigan und Florida

…was immerhin weniger falsch, aber auch nicht richtig ist. Das ist aber kein Wunder, denn bei Bild.de hat man den Beschluss, dass die Delegierten aus Florida und Michigan mit halber Stimme zählen, nicht einmal im Ansatz verstanden:

Die Führung der Demokraten hat entschieden, die Delegierten-Stimmen werden aufgeteilt -- 50:50, jeder bekommt die Hälfte.

Nö.

Nachtrag, 2. Juni. Bild.de hat den Artikel aktualisiert, um die Vorwahl in Puerto Rico zu berücksichtigen, hält aber an der falschen Fifty-Fifty-Variante fest. Und in der neuen Dachzeile lässt die Präposition “in” erahnen, dass Bild.de nach wie vor ahnungslos ist, um was es eigentlich geht.

Mit Dank an Dennis S., Udo G., Jörg F. und veet!

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