Autoren-Archiv

Informationsgier, Newskanal, Push-up-BHs

1. Müssen wir sie als Helden sterben lassen?
(faz.net, Judith Brosel)
Judith Brosel fragt in der “FAZ”, ob wir zur Aufarbeitung von Taten wie dem Münchner Amoklauf unbedingt Gesicht und Name des Täters brauchen: “Einer meiner Klassenkameraden beging selbst einen Amoklauf, nachdem wir im Unterricht über Winnenden sprachen. Unsere Gier nach Informationen fordert Nachahmer geradezu heraus – warum wollen wir trotzdem alles über die Täter wissen?”

2. Brauchen wir einen öffentlich-rechtlichen Newskanal?
(br.de, Daniel Bouhs, Audio, 4:27 Min.)
Am Freitagabend sei die ARD-Tagesschau nahtlos in die Tagesthemen übergegangen, die bis nachts um ein Uhr informierten. Ähnlich sei es beim ZDF gelaufen. Damit hätten die Sender auch auf Kritik nach Nizza und dem Türkei-Putschversuch reagiert, als ihnen vorgeworfen wurde, zu wenig Sondersendungen angeboten, zu viel Normalprogramm gesendet zu haben. Daniel Bouhs fragt, ob das ausreicht und ob wir einen öffentlich-rechtlichen Newskanal brauchen.

3. Amoklauf verändert das Bild von München im Ausland
(sueddeutsche.de, Julian Dörr)
Julian Dörr hat sich für die “SZ” durch die vielen internationalen Medienberichte zum Amoklauf von München geklickt und gibt in einer kleinen Presseschau die Sichtweise einiger ausländischer Medien wieder. Das Klischee von München als sicherster Stadt sei angekratzt…

4. Gestern in Reutlingen
(rkklha.wordpress.com, David Höhnerbach)
In Reutlingen kam es nach einem Streit zu einer Gewalttat, bei der die genaue Motivlage noch unklar ist. David Höhnerbach hat die lokale Berichterstattung dazu verfolgt. Er moniert die von den Medien verbreitete Erwähnung, um was es sich bei der Tat wohl nicht gehandelt habe: “Dabei geht es gar nicht um die in letzten Tagen vielfach diskutierte Frage, was Terror ist und was Amok, sondern dass ohne einen stichhaltigen Anhaltspunkt schon der mögliche terroristische Hintergrund erwähnt wird, nur um ihn dann zu negieren. Es stellt sich doch die Frage, warum derartige subtile Gefühle der Unsicherheit damit indirekt bestätigt werden. Denn es handelt sich doch um einen sehr seltsamen Effekt: ein blutiger Gewaltakt in der Öffentlichkeit, der vermutlich ohne politischen Hintergrund war, wird so in die Nähe des Terrors gerückt, obschon diese Nähe sogleich verneint wird.”

5. Dunja Hayali über die Arbeit beim ZDF
(youtube.com, Thilo Jung, Video, 1:15 Stunde)
Thilo Jung unterhält sich mehr als eine Stunde mit der Journalistin und Fernsehmoderatorin Dunja Hayali. Unter anderem auch darüber, warum uns die Nationalität eines Täters so brennend interessiert: “Die Schüler haben mich gefragt, warum gestern in der Zeitung stand, dass ein Deutsch-Marrokaner etwas geklaut hat. Dann haben sie gesagt: Wenn das jetzt ein Deutsch-Schwede gewesen wäre, würde es da doch nicht stehen. Und dann dachte ich: Wow, das stimmt! Wie kann das sein?”

6. Das passiert, wenn ich nur noch Überschriften lese
(welt.de, Peter Praschl)
“Überschriften sind die Push-up-BHs im Journalismus”, behauptet Peter Praschl in seiner “Welt”-Glosse. Trotz gepimpter Schlagzeilen falle es immer schwerer, die Aufmerksamkeit der Leser zu gewinnen: “59 Prozent aller auf Twitter geteilten Artikel werden nie gelesen. Von keinem einzigen Menschen, nicht einmal von jenen, die sie geteilt haben. Es kann also durchaus sein, dass einem auf Twitter ein Text empfohlen wird, dessen Überschrift “Bessere Orgasmen durch ‘Pokémon Go'” verspricht, in dem aber bloß steht, dass Elvis Presley wieder einmal gesichtet wurde, und niemandem würde es auffallen.”

Außerdem: Unsere gestrige “6 vor 9”-Sonderausgabe mit ausgesuchten Medienlinks zum Münchner Geschehen.

„6 vor 9“-Sonderausgabe: Amoklauf in München

1. OEZ und ein Abend mittendrin…
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz ist ein bekannter Journalist und Medienprofi. Und seine Münchner Wohnung liegt in der Nähe der U-Bahn-Station Olympia-Einkaufszentrum. Kein Wunder, dass er in den Stunden des Geschehens ein gefragter Interviewpartner und für mehrere Stunden bei “BBC World” und “Deutsche Welle TV” on air war. Jakubetz schreibt auf seinem Blog über seinen persönlichen Zwiespalt bei der Bewertung des Geschehens. Und geht selbstkritisch mit sich ins Gericht, weil er trotz des Bemühens um journalistische Sorgfalt auch Dinge verbreitet habe, die sich später als Falschmeldungen herausgestellt hätten: “Jetzt, mit dem Abstand von einer paar Stunden, weiß ich nicht mehr, warum ich diese Meldungen abgesetzt habe, ohne sie gegenzuchecken. Allerdings, ohne dass das eine Ausrede sein soll: Man steht da plötzlich mehr oder weniger unvorbereitet und Radio- und TV-Stationen aus der ganzen Welt wollen von dir im Minutentakt etwas Neues haben. Ernsthaft hätte ich nicht mehr sagen können außer: Es gab eine Schießerei, es gibt wohl Tote, nein, wir wissen nichts über den oder die Täter. Aber so kann man natürlich keine Live-Schalte bestreiten und außerdem: Ich war an dem Abend beides, Betroffener und Journalist. Und ich habe an mir selbst festgestellt, wie groß mein Bedürfnis nach irgendwelchen Informationen ist, wie ich alles aufgesaugt habe ohne jegliche professionelle Distanz. Wie soll man auch distanziert und ruhig bleiben, wenn in deiner Nachbarschaft neun Menschen erschossen werden?”

2. Unverantwortliche Angstmacherei mit «Terror»
(infosperber.ch, Urs P. Gasche)
Der Schweizer Journalist und ehemalige Fernsehmoderator Urs P. Gasche bezeichnet die vielen Terror-Schlagzeilen in Zusammenhang mit dem Amoklauf in München als unverantwortliche Angstmacherei: “Die unbedarften, aber quotenbringenden Schlagzeilen dienen in den meisten Ländern Westeuropas der extremen Rechten. Je stärker die verbreitete Angst, je grösser die gefühlte Unsicherheit, je intensiver das Gefühl, dass die heute Regierenden den Terror nicht in den Griff bekommen, desto grösser das Echo auf Rufe nach der starken Partei, dem starken Mann oder der starken Frau. Desto bereitwilliger akzeptiert eine Bevölkerung den Ausnahmezustand, die totale Überwachung und eine polizeiliche und militärische Aufrüstung.”

3. Der Amoklauf von München – so war es in einer Nachrichtenredaktion
(michael-draeger.com)
Michael Draeger ist Journalist und arbeitet als Nachrichtenredakteur beim NDR. Von der Schießerei im Olympiaeinkaufszentrum in München erfährt er bei der Arbeit: Draeger ist an dem Abend für die Spätnachrichten bei “N-JOY ” und “NDR2” eingeteilt und muss aus einem Wust an verschiedenen und teils widersprüchlichen Informationen herausfiltern, was stimmt. Am Ende seiner Schilderung über den besonderen Arbeitstag bricht Draeger eine Lanze für das Medium Radio: “Wer im Breaking-News-Fall statt dem stetigen Nachrichtenfluss kompakte und verlässliche Informationen sucht, der sollte stattdessen Radio hören. Sie verpassen nichts Wichtiges, versprochen. Gleichzeitig ersparen Sie sich jede Menge Spekulationen, Gerüchte und Halbgares. Auch mit gefälschten Bildern müssen Sie sich nicht herumschlagen.”

4. fiene & dann lasst uns auf text umschalten
(danielfiene.com)
Journalist Daniel Fiene ist zu Hause, als er von einer möglichen Schießerei in München erfährt. Nach Rücksprache mit den Kollegen vom Newsdesk fährt er kurzerhand zurück in die Redaktion, um dort bis tief in die Nacht zu arbeiten. Fiene ist Social-Media-Profi und Fan von Tools wie Periscope und Facebook Live. Dennoch fragt er sich, ob das Veröffentlichen von Bildern und Videos immer zweckdienlich sei. “Ich nehme mir auf jeden Fall vor, bei künftigen extremen Nachrichtensituation —egal ob nah dran, oder beobachtend— auf meinen eigenen Accounts in den Textmodus zu wechseln. Es gibt Leute, die das schätzen werden und Leute, die das schätzen lernen werden und vielleicht den Textmodus auch für sich entdecken. Wir können Vorbild sein.”

5. Das Vielfache von Entsetzen
(fraumeike.de, Meike Lobo)
Meike Lobo schreibt über den Impuls, bei schlimmen Ereignissen in die Timeline der sozialen Medien abzutauchen. Aus dem Bedürfnis nach Informationen, aber auch, um die Nähe von anderen zu suchen. Meike Lobo fragt sich, welchen Sinn es habe, immer wieder hektisch auf Aktualisieren zu klicken und beantwortet diese Frage für sich, indem sie irgendwann Twitter abschaltet: “Gruppendynamik bedeutet nichts anderes als dass wir Dinge sagen, tun und fühlen, weil andere sie auch sagen, tun und fühlen. Das Handeln der Allgemeinheit begründet das Handeln des Einzelnen. Menschen sind soziale Wesen; sich nach anderen zu richten, ist normal, natürlich und in vielen Fällen sinnvoll. In aufgeregten Zeiten aber, das hat der gehetzte Eilmeldungsjournalismus der letzten Jahre genauso gezeigt wie die Erfolge der AfD, macht Gruppendynamik genau eines: die Menschen noch aufgeregter. Denn das Vielfache von Entsetzen ist nicht Trost, sondern Panik.”

6. Wie die deutschen Medien Udo Ulfkotte die Wahrheit über München verschwiegen
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Udo Ulfkotte hat den Bestseller “Gekaufte Journalisten” geschrieben und ist bekannt für seine vielen Geschichten über die “Lügenpresse”. Auch am Abend des Amoklaufs wittert er eine Verschwörung der deutschen Medien und fragt auf Facebook: “+++ Wieso muss ich ausländische Zeitungen lesen, um aus LONDON zu erfahren, was wirklich gerade in München los ist +++ mindestens 6 Tote , die Zahl meldet noch KEIN deutscher Journalist …++”. Stefan Niggemeier dokumentiert auf “Übermedien” mit zahlreichen Beweisfotos, warum dies Mumpitz ist.

Hoax erkennen, Anschlagsadoption, Schwiegertochter gesucht

1. Hoax: Wie erkenne ich Falschmeldungen?
(digitalcourage.de)
Immer wieder werden Falschmeldungen im Internet lanciert, die teilweise jahrelang die Runde machen. Ob über E-Mail oder Messenger, als Tweets oder auf Webseiten. Doch wie erkennt man, dass es sich um ein falsches Digitalgerücht (“Hoax”) handelt? Der sich für “Grundrechte, Datenschutz und eine lebenswerte Welt im digitalen Zeitalter” engagierende Verein “Digitalcourage” listet die Indizien auf, die für einen Hoax sprechen könnten und gibt Tipps für einen Faktencheck. Damit man sich “hinterher nicht auslachen lassen muss, weil man irgendeinen Unsinn geglaubt und weitergegeben hat.”

2. Die Schlacht um die Netzneutralität ist geschlagen und wir Journalisten haben es versemmelt
(djv-bw.de, Peter Welchering)
Beim Thema Netzneutralität haben die Netzaktivisten trotz einer groß angelegten Petition anscheinend die entscheidenden Schlachten verloren. Es gelang nicht, eine breitere Öffentlichkeit für das Thema zu interessieren. Journalist Peter Welchering lastet dies in seinem Zwischenruf vor allem seinen Berufskollegen an. “Nicht selten steckte da die mangelnde Bereitschaft dahinter, sich mit technischen Fragen auseinanderzusetzen. Unschöne Erinnerungen an den Mathematikunterricht längst vergangener Tage waren da leider allzu oft Triebfeder des Nicht-Handelns. Also müssen wir Journalisten mit dem Vorwurf vieler Internet-Ingenieure leben: Das mit der Netzneutralität haben wir Journalisten versemmelt. Und wir haben keine Entschuldigung dafür.”

3. 100 Jahre Elektrischer Reporter: So geht es weiter
(sixtus.net, Mario Sixtus)
Mario Sixtus feiert das zehnjährige Jubiläum des “Elektrischen Reporters”. Knapp 200 Folgen des Kurzmagazins rund ums Digitale entstanden bis zur aktuellen Sendung, die zugleich die letzte Sendung ist. Doch keine Sorge: “Aber das ist mitnichten das Ende des Elektrischen Reporter, im Gegentum! Künftig werden wir unter diesem Label für ZDFinfo Dokumentarfilme zu Digitalthemen produzieren. Die Zeiten haben sich geändert, vierminütige Beiträge werden dem Digitalen des Jahres 2016 einfach nicht mehr gerecht. Deswegen werden es künftig 45 Minuten sein. Zwei dieser Filme befinden sich bereits im Stadium der Vorproduktion.”

4. Wenn der IS Anschläge adoptiert
(zeit.de, Yassin Musharbash, Video, 5:05 Min.)
Der für das Investigativressort der “Zeit” tätige Journalist Yassin Musharbash spricht über die Probleme bei der Täterzuschreibung nach Attentaten. Die Anschläge von Orlando, Nizza und Würzburg seien beispielsweise von der IS-nahen Medienstelle Amaq dem IS zugeschrieben worden. Musharbash sortiert und bewertet die verschiedenen Aspekte und rät zum Schluss zu Skepsis und sorgfältiger Prüfung. Auch, wenn dies Zeit koste: “Alleine, weil der IS etwas behauptet, ist es noch nicht wahr. Es ist oft wahr, es ist aber oft auch nur halbwahr. Und dann gilt es auch die Ermittlungsarbeiten der Sicherheitsbehörden abzuwarten, was sich in Übereinstimmung bringen lässt. Und ehrlich gesagt: Dann dauert es halt eine Woche, bis wir wissen, ob Amaq und der IS die Wahrheit gesagt haben.”

5. 21.07.1816 – Geburtstag von Paul Julius Reuter
(wdr.de, Ronald Feisel, Audio 14:36 Min.)
Mit vierzig Brieftauben überbrückte Paul Julius Reuter 1849 die Telegrafen-Lücke zwischen Aachen und Brüssel. Was so klein begann, sollte später Milliarden wert sein: Die nach Reuter benannte Nachrichtenagentur wechselte im Jahr 2007 für stolze 13 Milliarden den Eigentümer und ist nun im Besitz der kanadischen Thomson-Gruppe. In “WDR-Zeitzeichen” geht es um den umtriebigen Agenturgründer und die bewegte Unternehmensgeschichte.

6. Regeln gesucht
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Es gibt Sendungen, in denen regelmäßig medienunerfahrene Menschen mit oft geringem Bildungsgrad vor den Augen der Fernsehnation lächerlich gemacht werden. “Schwiegertochter gesucht” von RTL ist ein derartiges Format. Nachdem Jan Böhmermann („Neo Magazin Royale“) RTL einen falschen Bewerber untergejubelt hatte, gelobte der Sender Besserung. Nun hat man mit der Niedersächsischen Landesmedienanstalt „eine Reihe von Vorgaben zur Auswahl und Präsentation der Bewerber“ vereinbart. Boris Rosenkranz hat sich die Angelegenheit näher angeschaut und nachgefragt. (Um es positiv auszudrücken: Fans des unappetitlichen Demütigungs- und Voyeurformats mit ihren über den Tisch gezogenen und als skurril-schaurige Jahrmarktsattraktionen vorgeführten Mitwirkenden, brauchen sich keine allzu großen Sorgen um ihre Lieblingssendung machen.)

Abgetrumpte Michelle, Kollateralschäden, Titelmühle Focus

1. Melania Trump: Wie Jarrett Hill die Schummelei aufdeckte
(spiegel.de, Veit Medick)
Viele haben die Gegenüberstellung der Passagen in den letzten Tagen gesehen: Melania Trump kupferte Teile ihrer Rede bei Michelle Obama ab! Losgetreten wurde die Affäre jedoch nicht von professionellen Faktencheckern oder dem gegnerischen Wahlkampfteam, sondern von einem Ex-Journalisten, der in Los Angeles in einem Café saß und von seiner Beobachtung twitterte. Veit Medick über die Geschichte eines Zufalls und seine weitreichenden Folgen.

2. Holt uns die Gewalt bei Facebook ein?
(wired.de, Max Biederbeck, Audio, 10:43 min)
Ob wir es wollen oder nicht: Unsere Feeds werden von der aktuellen Nachrichtenlage bestimmt und das bedeutet, dass wir immer öfter Augenzeuge von Gewalt werden. “Wired”-Redakteur Max Biederbeck diskutiert im “detektor.fm-Interview”, was das mit Staat, Medien und Usern macht.

3. Brief an die WAZ
(facebook.com, Pascal Hesse)
Die “WAZ” berichtete umfangreich über die SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Hinz, die ihren Lebenslauf gefälscht hat und gegen die es seit längerem Mobbingvorwürfe gibt. Dies geht jedoch auf die Recherchen von Pascal Hesse zurück, der beim “Informer Magazine” als Erster davon berichtete, wie er auf Facebook schreibt. Die “WAZ”-Kollegen hätten seine Rechercheergebnisse ohne Quellenangabe einfach übernommen. Entsprechend reagiert Hesse: “Schade, dass es offenbar in Essen keine Fairness mehr unter Kollegen gibt. Und die WAZ die Erfolge anderer nun bundesweit medial für sich beansprucht. Und die Bild, n-tv Der Nachrichtensender, DER SPIEGEL, tagesschau und andere dann auch noch die falsche Quellenangabe übernehmen. Weil sie es nicht anders wissen können und darauf vertrauen, dass das, was ihr schreibt, liebe WAZ, richtig ist.” Die “WAZ” hat in den Kommentaren geantwortet, (was eine weitere Diskussion auslöste), ihren Text nachträglich angepasst und die Quelle genannt.

4. Trotz Web 2.0: Gatekeeper bleiben relevant
(de.ejo-online.eu, Nadia Leihs)
Nadia Leihs hat sich das Buch “Gatekeeping” von Ines Engelmann angesehen, in dem diese einen Zeitraum von knapp 70 Jahren auf etwa 100 Seiten anschaulich zusammengefasst habe. Damit empfehle sich der Band vor allem für Studienanfänger, die einen ersten Überblick über das Forschungsfeld erhalten wollen, aber auch zur Rekapitulation und Auffrischung vorhandenen Wissens.

5. Kollateralschäden eines unsinnigen Gesetzes
(zeit.de, Patrick Beuth)
Seit drei Jahren ist das “Leistungsschutzrecht für Presseverleger” in Kraft. Es geht auf den Wunsch der Verlage zurück, daran mitzuverdienen, wenn Suchmaschinen und andere Dienste Textauszüge (“Snippets”) einblenden. Doch das Gesetz ist handwerklich schlecht gemacht wie viele Juristen finden. Gerechnet hat sich das Ganze eh nicht. Eingenommen hat man laut “irights.info” gerade mal 715.540 Euro, die Kosten für die juristische Auseinandersetzung betrugen jedoch mehr als drei Millionen Euro. Vom Branchenriesen Google hätten die Verleger keinen Cent bekommen. Stattdessen ginge es nun kleinen Startups an den Kragen, mit denen man sich juristische Scharmützel liefert.

6. Was meint ihr?
(facebook.com, Steve Kroeger)
Die Leistung von Coachs, Motivatoren und Speakern ist wegen ihrer Abstraktheit (und im Einzelfall wegen der vielen heißen Luft) nicht einfach anzupreisen. Da ist man besonders glücklich, wenn man auf Awards, Siegel und andere prestigeträchtige Auszeichnungen verweisen kann. Dies weiß anscheinend auch der “Focus”. Steve Kroeger macht auf seiner Facebookseite ein unmoralisches Angebot des Magazins öffentlich: “Für nur €5.000,- zzgl. MwSt. kann ich mir das unabhängige! FOCUS-Siegel kaufen.” Kroeger hat das “Focus”-Anschreiben samt schicker Urkunde gepostet, dem praktischerweise gleich ein Bestellschein beiliegt.

Nachrichtenkanal, Lehrstück, Livestream

1. WikiLeaks veröffentlicht AKP-Mails
(tagesschau.de)
Die Enthüllungsplattform Wikileaks hat ihre Ankündigung wahrgemacht und unzählige E-Mails (es sollen mehr als 294.000 sein) der türkischen Regierungspartei AKP öffentlich zugänglich gemacht. Die neueste Mail sei am 6. Juli dieses Jahres verschickt worden, die älteste stamme aus dem Jahr 2010. Viele Mails seien auf Türkisch, ein Teil der Korrespondenz aber auch auf Deutsch. Die Mails sind in einer Datenbank erfasst und lassen sich nach darin vorkommenden Begriffen durchsuchen.

2. Warum es keinen öffentlich-rechtlichen Nachrichtensender geben wird
(meedia.de, Stefan Winterbauer)
In bewegten Nachrichtenzeiten wird immer wieder der Ruf nach einem öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal laut, der rund um die Uhr sendet. Warum es dazu nicht kommen wird, schreibt Stefan Winterbauer: “Es fehlt im bestehenden System also am Geld und am Willen, einen öffentlich-rechtlichen Nachrichtenkanal aufzubauen. Möglich wäre dies nur, bei einer umfassenden, grundlegenden Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks insgesamt. Und die wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Der öffentlich-rechtliche Newskanal in Deutschland bleibt also leider Wunschdenken.”
Ergänzung: Auch der “Tagesspiegel” beschäftigt sich mit den “News als Politikum”.

3. Live: Kleine Chronologie der vergangenen Wochen
(mobile-journalism.com, Marcus Bösch)
Marcus Bösch hat sich die Mühe gemacht und eine kleine Chronologie der Liveberichterstattung der letzten Wochen zusammengestellt. Unterteilt in fünf Kapitel “zur Dokumentation eines neuen Status Quo mit neuen Gatekeepern und alten Verhaltensregeln”.

4. “Ein Chronist, der lügt, ist erledigt”: Ein Lehrstück über Fehler, ihre Entstehung und die Entschuldigung
(kress.de, Paul-Josef Raue)
Wenn ein Journalist und Herausgeber des Buchs “Das neue Handbuch des Journalismus” über eine Veranstaltung des “Netzwerk Recherche” schreibt und in dem Beitrag Leute zu Wort kommen lässt, die gar nicht anwesend waren, ist dies ein besonders bemerkenswerter Vorgang. Nachdem Stefan Niggemeier den “Rutschunfall” des Kollegen bereits bei “Übermedien” aufgearbeitet hat, meldet sich dieser mit einigen Tagen Verspätung bei “kress.de” wortreich zu Wort. Zu Beginn des Beitrags bittet der Autor kurz um Entschuldigung, das gerät jedoch im weiteren Verlauf immer mehr in den Hintergrund. Die Angelegenheit sei ein “Lehrstück”, er verfüge über keine Dokumentations- und Verifikationsabteilung wie “Spiegel” und “Stern” und – so lässt er den Beitrag enden – auch Reporterlegende Egon Erwin Kisch hätte sich dereinst mal was aus den Fingern gesaugt.

5. Alles muss ans Licht
(faz.net, Harald Staun)
Millionen von Menschen haben das Video von Lavish Reynolds gesehen, das sie nach dem tödlichen Schuss auf ihren Freund via Livestream auf Facebook postete. Der Tod werde heute live im Internet übertragen. Der wahre Horror aber sei, was wir nicht sehen, findet Harald Staun in seiner Auseinandersetzung mit der radikalen medialen Transparenz. Gegen Rassismus würden keine Bilder helfen und: “Wenn gesellschaftliche Probleme nur noch danach entschieden werden, wer die glaubhafteren Beweise hat, wird nicht nur das Vertrauen zerstört, ohne das keine Gemeinschaft überleben kann; sondern, was womöglich viel schlimmer ist, auch das Misstrauen in die Bilder, die tun, als zeigten sie eine objektive Wahrheit.”

6. Kann ich bitte alle Informationen schon vor der ersten Eilmeldung haben?
(udostiehl.wordpress.com)
Udo Stiehl ist Journalist, Redakteur und Mitbetreiber der “Floskelwolke”, die täglich 2000 Nachrichtenseiten auf Phrasen hin untersucht und daraus ein Ranking erstellt. Weil er sich derzeit im Urlaub befindet, hat er die aktuellen Nachrichten und Reaktionen aus einem anderen Blickwinkel, nämlich dem des Konsumenten, verfolgt. Dem in den sozialen Medien oftmals erschallenden Ruf nach Schnelligkeit setzt er entgegen: “Es ist dringend geboten, dem rasenden Geschäft der „Klick-Geier“ und „Schnell-Melder“ mit Qualität und Recherche das Handwerk zu legen. Ja, das kostet im Berichtsfall Zeit, die man uns nachträglich als Versäumnis vorwerfen wird. Und es kostet Geduld, die uns – insbesondere bei öffentlich-rechtlichen Medien – als Geldschneiderei unterstellt wird. Aber wenn wir dem Druck nachgeben und damit journalistische Grundwerte über Bord werfen, dann haben wir vielleicht sogar kurzfristig eine tolle Quote, aber langfristig das eigene Grab gegraben.”

Internet-Wegezoll, Terrorhelfer Zuckerberg, Rentner-Bravo

1. Netzneutralität: Warum der Internet-Wegzoll verhindert werden muss [Kommentar]
(t3n.de, Stephan Dörner)
“t3n.de”-Chefredakteur Stephan Dörner begründet in seinem Kommentar, warum er die bedrohte Netzneutralität für wichtig hält und warum eine Abschaffung das Internet als großen Innovationsmotor gefährden würde. Die ungehinderte Kommunikation aller Teilnehmer untereinander sei die Grundidee des offenen und freien Internets – und die Basis für seinen Erfolg. Dörners Kritik an der Politik: “Oettinger und andere EU-Politiker scheinen derzeit vor allem eine Politik zu betreiben, die Europas Industrie-Giganten hilft. Wer den Worten eines Telekom-Lobbyisten lauscht und diese mit den Reden von Oettinger vergleicht, wird auffällig viele fast wortgleiche Formulierungen finden.”

2. Ohne Kompass
(faz.net, Mathias Müller von Blumencron)
“Ist Zuckerberg ein Terrorhelfer, ein gewissenloser Förderer von Gewalt und Mord?”, fragt Mathias Müller von Blumencron provozierend und überlegt, wieviel Verantwortung einem Kommunikationsunternehmen wie Facebook zukomme. Die Fragen sind vielfältig, Antworten darauf nicht einfach. Blumencron kommt am Ende zu dem Schluss: “Hätte es Facebook im 20. Jahrhundert schon gegeben, wäre der Menschheit kein Blutvergießen erspart geblieben, keine Machtergreifung und kein Regime. Zuckerberg ist da nichts anders als der Wirt einer gigantischen Stammtischkneipe. Er verdient an der Wahrheit, er verdient an der Lüge. Zumindest, solange die Gäste die Einrichtung nicht zerlegen.”

3. Rory McIlroy oder: Wie ehrlich wollen wir unsere Sportler?
(spieltgolf.de, Rüdiger Meyer)
Ein Golfer gibt auf einer Pressekonferenz seinen Olympiaverzicht bekannt, ohne sich allzu diplomatischer Floskeln zu bedienen oder gesundheitliche Gründe oder andere Dinge vorzuschützen. Dies wird ihm nun von allen Seiten um die Ohren gehauen, so Rüdiger Meyer: “Er hat den Kardinalsfehler begangen, das zu sagen, was er denkt. Das negative Echo darauf und die Art und Weise, wie man sich auf bestimmte Teilaspekte einer äußerst bemerkenswerten Pressekonferenz stürzt, beweist allerdings wieder einmal, dass wir das nicht wollen. Wir wollen von unseren Sportlern angelogen werden. Wir wollen von ihnen hören, was wir empfinden und nicht was sie empfinden.”

4. Vertrauensfrage
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
“Tagesspiegel”-Autor Markus Ehrenberg beschäftigt sich mit der oft als “Rentner-Bravo” geschmähten “Apotheken Umschau”. Die Werbepostille sei ein findiges Geschäftsmodell: Gut 90 Prozent der 20 000 Apotheken hierzulande würden dem “Wort & Bild Verlag” die Auflage von 9,5 Millionen Heften abkaufen. Fast jeder dritte Deutsche lese Monat für Monat das Magazin. Ob das vermehrt in die Hypochondrie treibe, sei jedoch unbekannt, so Ehrenberg.

5. Rolf-Dieter Krause „Ich muss den Fahrtwind spüren“
(berliner-zeitung.de, Peter Riesbeck)
Rolf-Dieter Krause, 65, hat mehr als 20 Jahre als EU-Korrespondent für die ARD berichtet. Bevor es nun in den Ruhestand geht, hat Krause der “Berliner Zeitung” ein Interview gegeben. Es geht um Stationen seiner Karriere, aber auch um Reaktionen der Politik auf seine Arbeit. Zum Schluss spricht Krause noch über sein Motorrad-Hobby: Ich muss den Fahrtwind spüren. Das macht großen Spaß. Aber keine Sorge, ich fahre nicht riskant. Ich bin nun eindeutig zu alt, um Organe zu spenden.”

6. Hörbar Rust: Patricia Schlesinger
(radioeins.de, Bettina Rust, Audio 1:08 h)
In der auch als Podcast verfügbaren Radiosendung “Hörbar Rust” plaudert Bettina Rust jeden Sonntag zwei Stunden mit einem Promi über dessen Leben. Unterbrochen von Musikstücken, die Gast und Gastgeberin ausgesucht haben. In der aktuellen Folge ist die Journalistin und Fernsehmoderatorin Patricia Schlesinger zu Besuch, die auf ein bewegtes Journalistenleben zurückblicken kann mit Stationen in Singapur und Washington. Die Journalistin war aber auch häufig beim Satire-Magazin “Extra 3” zu sehen und moderierte mehrere ARD-Brennpunkte. Seit 1. Juli 2016 ist Patricia Schlesinger nun Intendantin des RBB.

Dachdecker-Journalisten, Kopflose Frauen, Türkei

1. Das Dilemma der vorschnellen Berichterstattung
(wolfgangmichal.de)
Wolfgang Michal schreibt über das Dilemma der vorschnellen Berichterstattung und macht dies an der Amokfahrt von Nizza und dem Putschversuch in der Türkei fest: Die Berichterstattung unter dem Diktat der Hochgeschwindigkeit werde für den Leser zu einem zeitfressenden, sich endlos dahin windenden Annäherungsprozess an die Wahrheit. Michal hat für die vorschnelle Berichterstattung der Medien einen Vergleich: “Das ist so, als würde ein Dachdecker einem Hausbesitzer sagen, ich habe zwar keine Ahnung vom Dachdecken, aber Sie können mir dabei direkt über die Schulter schauen, oder noch besser: Wir decken das Dach gemeinsam. Eine solche Haltung mag außerordentlich sympathisch sein, führt aber über kurz oder lang zu der Einstellung, dass man besser nichts von dem glauben sollte, was berichtet wird.”

2. “Deutsches Serial” – gute Podcasts, miese Vermarktung
(marckrueger.tumblr.com)
Der “Rundfunkfritze” Marc Krüger freut sich über den amerikanischen Podcast-Erfolg “Serial”. Dadurch könnten Radiomacher immer etwas Großes, Erfolgreiches nennen, wenn sie nach Innovationen gefragt werden. Krüger beschreibt, warum “Serial” so erfolgreich geworden ist. Aber auch in Deutschland seien einige serial-artige Produktionen entstanden, die jedoch wenig bekannt seien. Damit dies nicht so bleibt, nennt er einige seiner Lieblingsproduktionen, inklusive Inhaltsbeschreibung und Downloadlink.

3. Warum die Medien sofort aufhören müssten, über Nizza zu berichten
(vice.com, Matern Boeselager)
“Warum ignorieren wir den Terror nicht einfach”, fragt Matern Boeselager. Terror funktioniere nur, weil wir ihm Aufmerksamkeit schenken. “Angenommen, die Medien würden nach einem solchen Anschlag nur melden, dass er passiert ist. Ansonsten würde nur mitgeteilt, was unbedingt notwendig ist: Die Opferzahlen, ob der Täter noch auf freiem Fuß ist oder nicht, ob der Flughafen gesperrt ist. Niemand würde den Namen des Täters nennen, niemand seine Tagebücher oder Fotos seines Hauses veröffentlichen. Niemand würde ihn unsterblich machen.”

4. Verschleiern oder «köpfen», das ist hier die Frage
(infosperber.ch, Jürgmeier)
Die Webseite «The Headless Women of Hollywood» (Die kopflosen Frauen von Hollywood) sammelt Filmplakate, auf denen Frauen als gesichtslose, austauschbare Objekte vorkommen. Der Artikel des “Infosperber” zieht einen Vergleich der “geköpften” Filmplakatfrauen mit der Verschleierung. Dabei geht es vor allem um den Mann: “Ein kurzer Blick auf nackte Haut kann ihn nachhaltig verwirren & ins sündige Elend stürzen. Davor muss er mit der Verschleierung «des Weiblichen» geschützt oder durch das Köpfen «der Frau» zumindest verhindert werden, dass sie ihn, so die Unterstellung, bei gierigen Blicken oder unzüchtigen Phantasien angesichts ihres (zerstückelten) Körpers ertappt. Das heisst für «die Frau»: Asexueller Kopf oder verführerischer Leib. Verschleiern oder «köpfen». Das ist hier die Frage.”

5. „So etwas interessiert einfach jeden“
(taz.de, Jens Mayer)
Jens Mayer von der “taz” macht auf das vielfach ausgezeichnete Interaktiv-Team der “Berliner Morgenpost” und ihre Produktionen aufmerksam. Neben “Zeit Online”, der 2010 gegründeten Agentur “Open Data City” und dem gemeinnützigen Recherchezentrum “Correctiv” gehöre die “Berliner Morgenpost” zu den populärsten Vorreitern des Datenjournalismus in Deutschland. Mayer hat mit Teamleiter Julius Tröger über einige der populären Anwendungen wie den “Zugezogen-Atlas” gesprochen, für die die Morgenpost Netz-Berühmtheit erlangte.

6. „6 vor 9“-Sonderausgabe zu den aktuellen Geschehnissen in der Türkei
(bildblog.de, Lorenz Meyer)
Ausnahmsweise ein BILDblog-Verweis: Unsere “6 vor 9”-Sonderausgabe von gestern. Mit ausgewählten Medienlinks zum Geschehen in der Türkei.

“6 vor 9”-Sonderausgabe zu den aktuellen Geschehnissen in der Türkei

1. Wie der Putschversuch zwei Journalistinnen berühmt machte
(sueddeutsche.de, Hakan Tanriverdi & Carolin Gasteiger)
Die “SZ” berichtet von zwei Journalistinnen, die das aktuelle Geschehen zu Personen der türkischen Zeitgeschichte gemacht hätte. Tijen Karaş, Nachrichtensprecherin beim regierungsfreundlichen Fernsehsender TRT, musste im Fernsehen eine Botschaft der Putschisten verlesen, während die Aufständischen ihre Waffen auf sie richteten. Başak Şengül moderierte sogar noch weiter, als bereits Soldaten im Gebäude waren. Ihre letzten Worte lauteten: “Ich möchte das Studio nicht verlassen.”

2. Putschisten besetzen Medien, töten Fotograf
(reporter-ohne-grenzen.de)
“Reporter ohne Grenzen” verurteilt das Vorgehen der Putschisten in der Türkei. Bei dem gescheiterten Umsturzversuch am Wochenende hatten aufständische Soldaten die Sitze mehrerer wichtiger Medienhäuser besetzt. Außerdem kam es zu Angriffen auf Journalisten, die als vermeintliche Putsch-Sympathisanten verdächtigt wurden, darunter der CNN Türk-Reporter und der Istanbul-Korrespondent der “Hürriyet”. Der Fotograf Mustafa Cambaz von der Zeitung Yeni Safak wurde von Soldaten erschossen, die auf eine Menschenmenge feuerten.

3. Putschversuch in Echtzeit: Wie Erdogan vom Netz profitiert hat
(spiegel.de, Christoph Seidler)
Der türkische Präsident ist in der Vergangenheit oft als Gegner des freien Internets aufgetreten. Nun haben ihm die sozialen Medien dabei geholfen, im Amt zu bleiben. Christoph Seidler schreibt dazu: “Natürlich ist es ironisch, dass ausgerechnet Erdogan von sozialen Netzwerken profitiert. Zehntausende missliebige Webseiten hat die türkische Regierung sperren lassen. Wieder und wieder hat der Präsident Front gemacht gegen Twitter, Facebook, YouTube und Co., vor allem nach den Gezi-Protesten. Nun haben ihm diese Dienste beim Erhalt seiner Macht entscheidend mitgeholfen.”

4. Warum sich die Öffentlichkeit nicht mehr aussperren lässt
(rp-online.de, Susanne Hamann)
Susanne Hamann macht darauf aufmerksam, dass sich die Öffentlichkeit nicht mehr aussperren lässt. Während des Putschversuchs in der Türkei seien die sozialen Medien und teilweise auch das Fernsehen gesperrt worden. Trotzdem hätte die ganze Welt verfolgen können, was in den Straßen Ankaras und Istanbuls vor sich ging: Per Livestream auf dem Smartphone.

5. Beim Putschversuch fehlte ein echter Nachrichtensender
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
Nach Markus Ehrenberg offenbart der nächtliche Putschversuch in der Türkei erneut Schwächen in der Live-Berichterstattung. ARD und ZDF würden nur sehr sporadisch senden. Bei N-tv und N24 sei ebenfalls wenig zu sehen. Ehrenberg denkt über die möglichen Gründe nach.

6. Die Welt geht unter? Der “Tatort” bleibt
(welt.de, Christian Meier)
Auch “Welt”-Medienredakteur Christian Meier sieht das Verhalten von ARD und ZDF kritisch und stellt die Frage, wie es sein kann, dass der bestfinanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk der Welt bei einem solch dramatischen Ereignis wie dem Putschversuch in der Türkei einfach mit seinem lange geplanten Programm weitermache. “ARD und ZDF werden Jahr für Jahr mit acht Milliarden Euro finanziert. Da sollte zumindest auf dem ‘Ereigniskanal’ Phoenix das Programm umgeworfen werden. Doch da lief ‘Unter Eisbären — Überleben in der Arktis’.” Nachtrag: Marcel Pohlig hat zum Artikel von Christian Meier einige kritische Anmerkungen.

Intransparenz, Rutschunfall, Wortallergien

1. „Honorare offenlegen!“
(tagesspiegel.de, Joachim Huber)
Joachim Huber vom “Tagesspiegel” hat sich mit dem Justiziar des Südwestrundfunks unterhalten, der in der ARD federführend für das Rundfunkgebührenrecht zuständig ist. Es geht um den geheimnisvollen ARD-Vertrag mit Ex-Fußballprofi Mehmet Scholl. Huber erkundigt sich danach, wann die ARD die vielbeschworene Transparenz walten lasse und die Honorare ihrer Experten, Moderatoren und anderer Vertragspartner offenlege: “Ist das nicht ulkig? Ich weiß, was jeder Intendant einer ARD-Anstalt verdient, aber das Honorar für Mehmet Scholl oder Anne Will bleibt ein Sendergeheimnis.”

2. Männer machen Medien
(medienwoche.ch)
“Medienpranger.ch” versteht sich als Blog gegen sexistische Berichterstattung in Schweizer Medien. Die Autorinnen des Watchblogs haben für die “Medienwoche” einen Gastbeitrag verfasst, in dem sie ihre Motive erklären und auf typische Muster frauenfeindlicher Berichterstattung und Rollenklischees hinweisen, die sie als die Wurzel des Problems betrachten.

3. Wo war BILD?
(djv.de, Hendrik Zörner)
Auf der Ausstellungseröffnung “PresseFoto Hessen-Thüringen 2015” gab es bereits bei der Eröffnung kritische Worte über die sich verschlechternden Arbeitsbedingungen von Bildjournalisten. Hendrik Zörner macht für die Abwertung des Fotografenberufs auch die “BILD” und die von ihr erfundenen “Leser-Reporter” verantwortlich. “Und die Bildjournalisten, die für BILD arbeiten? Ihre Honorare liegen bei rund 50 Euro pro Foto – eine Unverschämtheit gegenüber den fürstlichen Gagen, die die Leser-Reporter bekommen. Wie lange wollen sich die Kollegen Springers Honorarpolitik noch gefallen lassen?”

4. 10 Texte zur Journalistenausbildung – Jetzt geht es ans Auswerten
(journalist.de)
Die Branchenseite “journalist.de” und das Onlinemagazin “vocer.org” haben im Mai gemeinsam eine Serie zur Ausbildung von Journalisten gestartet. Mittlerweile sind zehn Teile zusammengekommen, in denen vor allem junge Journalisten erzählen, welche Inhalte für eine zeitgemäße Ausbildung wichtig sind. In einer Übersicht werden die Beiträge vorgestellt und verlinkt.

5. Rutschunfall bei „Netzwerk Recherche“-Recherche
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Wenn Paul-Josef Raue, langjähriger Zeitungschef, Mitverfasser des Werks „Das neue Handbuch des Journalismus“ und Autor von Artikeln wie Recherchiere immer, von der Jahrestagung des „Netzwerkes Recherche“ berichtet, bei der er selbst auf dem Podium saß, freut man sich besonders auf eine spätere Einordnung. Raue hat dies auf “kress.de” getan und dabei eine ganze Reihe von Personen genannt und zitiert, die gar nicht auf der Veranstaltung waren.

6. Noch und nöcher
(rnd-news.de, Ulrike Simon)
RND-Kolumnistin Ulrike Simon leidet unter Wort-Allergien. “Content” ist eines dieser Allergene. Zum anaphylaktischen Schock kommt es bei Simon jedoch, wenn Interviewpartner nachträglich das Wörtchen “noch” einfügen.

Boulevard-Beißhemmung, Widerstands-Ikonen, Artefiziell

1. Beißhemmung auf dem Boulevard
(sueddeutsche.de, Hans Leyendecker)
Hans Leyendecker schreibt über die “Beißhemmung auf dem Boulevard”. Immer häufiger würden sich Prominente gegen falsche Berichte wehren. Er führt dies u.a. auf die gewachsene Zahl von Medienanwälten zurück, von denen er einige auch zu Wort kommen lässt. Da es mit Facebook und Co. eigene Vertriebskanäle zur Selbstvermarktung gäbe, würden die Stars generell seltener mit dem Boulevard zusammenarbeiten. Zudem werde bei Falschberichterstattung häufiger und schneller vor den Pressekammern geklagt. Leyendecker schließt mit einer absurden Geschichte: “Als im Frühjahr Das Goldene Blatt eine Geschichte über den klagefreudigen Grönemeyer machen wollte, erkannten Leser nur sein Foto und konnten die Überschrift lesen: “Mit 60 am Ziel seiner Träume”. Der Rest war Blindtext – wirre Buchstabenreihen. Ohne Sinn. Immerhin: Gegen diesen Text konnte der Sänger nicht klagen.”

2. Wie Steinbach auf die Recherche zu ihrem berüchtigten Tweet reagierte
(onlinejournalismus.de, Fiete Stegers)
Die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach hat vor einiger Zeit einen umstrittenen Tweet verbreitet, der ein blondes Kind inmitten dunkelhäutiger Kinder zeigte. Die Intention war, auf die angeblichen Gefahren einer “Überfremdung” aufmerksam zu machen. Der Journalist Fiete Stegers hat sich seinerzeit für die Mediensendung “ZAPP” auf die Suche nach dem Ursprung des Bilds gemacht und nach einiger Detektivarbeit die Quelle ermittelt. Das Bild wurde in einem indischen Kinderheim von den australischen Eltern des abgebildeten blonden Jungen aufgenommen und geistert seitdem durchs Netz. Sowohl Eltern als auch Kinderheim hatten keine Zustimmung zur Veröffentlichung des Bilds gegeben und äußerten sich empört wegen der politisch motivierten Nutzung. Stegers fasst die Reaktionen von Steinbach zusammen, die im Wesentlichen aus Abwiegeln, Ausreden und Ablenken bestehen.

3. Beisst es oder will es nur spielen?
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
Mehr als 1,6 Milliarden Menschen sind bei Facebook (Stand März 2016). Damit ist das Unternehmen nicht nur das größte Social-Media-Netzwerk, sondern zusammen mit Google auch der mächtigste Vermittler und Verteiler von Medieninhalten. Adrian Lobe erklärt in seinem Artikel, wie sich dieser Umstand auf Medienhäuser und Medienkonsum auswirkt. Und weist daraufhin, welche Verantwortung das Unternehmen mit seinem Newsfeed-Algorithmus hat: “Facebook ist mehr als eine «personalisierte Zeitung», zu der sie Mark Zuckerberg ausstaffieren will, sondern bereits heute ein globaler Kiosk, von dem man erwartet, dass er ein Stück weit die Pluralität des Meinungsspektrums abbildet. Ohne den geringsten Content zu produzieren, avanciert Facebook zum größten Medienakteur der Welt. Daher ist es nur billig, dass den Internetkonzern gewisse Pflichten treffen. Dazu gehört auch, die Modifizierung der Newsfeed-Algorithmen, die einer redaktionellen Entscheidung kommen, transparent zu machen.”

4. Journalisten bei Protesten festgenommen
(reporter-ohne-grenzen.de)
In Zusammenhang mit den Protesten gegen Polizeigewalt in den USA wurden mehrere Journalisten festgenommen. Bei “Reporter ohne Grenzen” ist man besorgt und kommentiert den Vorgang wie folgt: “Die USA sind zu Recht stolz auf die traditionell starke Stellung der Pressefreiheit in ihrer Rechtsordnung. Es ist unwürdig, wenn dort Journalisten festgenommen werden, nur weil sie über Proteste gegen Polizeigewalt berichten!” Die USA stünden auf der jährlich herausgegebenen Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 41 von 180 Staaten, was vor allem an NSA-Überwachung, Whistleblower-Verfolgung und dem Umgang des Präsidentschaftsbewerbers Trump mit Medien liege.

5. Ikonen des Widerstands
(taz.de, Katrin Gottschalk)
Immer wieder erlangen Bilder Berühmtheit, auf denen sich Frauen der Staatsgewalt entgegenstellen. Katrin Gottschalk von der “taz” zeigt einige berühmte Beispiele und beschreibt ihre Wirkung beim Betrachter: “Im Prinzip denken wir Frauen noch immer als wehrlos und schwach. Sie bleiben damit passive Objekte und werden nicht zu handelnden Subjekten – obwohl sie sich hier entgegenstellen. Gleichzeitig dichten wir ihnen moralische Überlegenheit an. So lösen Frauen wie Evans, Asplund und Sungur Mitleid und Bewunderung zugleich aus. Die Bilder bewegen sich zwischen Widersprüchen, die aufgrund spezifischer Geschlechterbilder fortdauern. Und schließlich sind die Frauen auf den Fotografien auch schöne Unnahbare, eine sexuelle Fantasie. Eine Projektion.”

6. Nicht die feine Arte
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Der TV-Sender “Arte” hat dabei zugesehen, wie sich Leute auf eine fiktive Stellenausschreibung einer Arte-Sendung beworben haben. Wohl mit dem Hintergedanken, die Bewerbervideos später in der Arte-Reihe “Summer of Scandals” auszustrahlen. Man ist etwas ratlos ob dieser seltsamen Aktion und auch Boris Rosenkranz, der bei Arte nachgehakt hat, kann ob der Motivlage nur mutmaßen: “Und, wer weiß: Vielleicht war es genau so vom Sender angelegt. Eine Fake-Ausschreibung bringen, sie als Fake auflösen, den Zorn dokumentieren – und damit zeigen, wie man so etwas herstellt: einen Skandal im „Summer of Scandals“”

Blättern:  1 ... 233 234 235 ... 246