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“Bild” entdeckt Jacinta Kerabu

Laut “Bild” gibt es da also eine 42-jährige Kenianerin namens Jacinta Kerabu, die seit Mitte der 80er Jahre in Nairobis Slum-Viertel Majengo als Prostituierte arbeitet. Das Besondere an der Frau, die “Bild” Jacinta Kerabu nennt, fasste “Bild” gestern in ihrer AfrikaAusgabe dahingehend zusammen, “dass Jacinta kein Aids bekommen kann”.

Das klingt nach einer wissenschaftlichen Sensation!

Und um so erstaunlicher ist es deshalb, dass der einzige Treffer, den diverse Datenbanken und Google dazu liefern, eine eher beiläufige Meldung in der “Taipei Times” zu sein scheint, veröffentlicht offenbar im August 2006, in der es ebenfalls heißt, dass sich die 42-jährige Jacinta Kerabu — obwohl seit Mitte der 80er Jahre Prostituierte in Majengo — erstaunlicherweise nicht mit dem HI-Virus infiziert habe.

Andererseits berichtete der britische “Daily Telegraph” schon im April 2006 von einer 45-jährigen Frau namens Salome Simon, die — obwohl seit Mitte der 80er Jahre als Prostituierte in Majengo tätig — offenbar immun gegen das HI-Virus sei (und veröffentliche ein Foto, das der Jacinta Kerabu aus “Bild” erstaunlich ähnlich sieht).

Die “Neue Zürcher Zeitung” (nicht frei online) wiederum berichtete bereits im Juli 1998 von einer damals 35-jährigen Frau, die — obwohl seit Mitte der 80er Jahre als Prostituierte in Majengo tätig — “offenbar gegen das Virus, das die Immunschwächekrankheit auslöst, resistent” sei. Die “NZZ” nannte sie Mariam Chepkemoy.

Und die Nachrichtenagentur dpa wusste sogar schon im Juni 1996 über eine Prostituierte in Majengo (dpa nannte sie schlicht “Lucy”) zu berichten, “sie solle immun sein gegen das todbringende HI-Virus” — und kein Einzelfall. Zudem ließ dpa schon damals nicht unerwähnt, dass das “Rätsel” immerhin seit Mitte der 80er Jahre u.a. von Wissenschaftlern der Universitäten von Nairobi, Oxford, Manitoba und Washington untersucht werde.

Insofern jedenfalls mag es nicht verwundern, dass die kleine Gruppe der offenbar HIV-resistenten Prostituierten von Majengo seither in zahlreichen Artikeln der Tages- und Fachpresse weltweit immer wieder für Schlagzeilen sorgte.

Verwunderlich ist eigentlich nur, dass “Bild” gestern behauptete:

Nun entdeckten Wissenschaftler, dass Jacinta kein Aids bekommen kann.
(Hervorhebung von uns.)

Mit Dank an Bloggwurst.de für die Anregung.

Post von Diekmann

“Bild” hatte ja jüngst — sichtlich widerwillig, aber gehorsam — eine Rüge des Presserats abgedruckt. Grund für die “Bild”-Rüge war laut Presserat Schleichwerbung für Aldi.

Und das Fachblatt “kress report” berichtet nun von einem Brief, den “Bild”-Chef Kai Diekmann offenbar an den Presserat geschickt hat, weil “Bild” die Aldi-Rüge “nicht nachvollziehen” könne. Weiter heiße es in Diekmanns Brief:

Nach Vorstellung des Presserates darf nicht über Preise und Bezugsquellen eines neuen Produktes berichtet werden. Sie ziehen die Grenze des Zulässigen schon bei Angabe von Telefonnummer und Internetadresse. Jede deutsche Publikation wäre danach künftig gezwungen, den Service-Charakter ihrer Berichterstattung radikal zu beschneiden.

Beigefügt sei dem Brief an den Presserat (der angeblich kein Alleingang Diekmanns sei, sondern von vielen deutschen Chefredakteuren unterstützt werde) ein “Ordner mit 100 Seiten aus 100 aktuellen Zeitungen und Zeitschriften”. Ob “Fahrradzubehör in der ‘Süddeutschen’, Motorradanzüge in der ‘FAZ’, (…) die neue ICE-Strecke Frankfurt-Paris in der ‘FR’, Osterdeko in ‘BamS’ oder die neue H&M-Edelmarke Cos in ‘Bild’ selbst” — alle Artikel enthielten ebenfalls konkrete Angaben zu Anbietern, Preisen, Bestellrufnummern oder Online-URLs. Laut “kress” hat “Bild” zwar ausdrücklich darauf verzichtet, alle Artikel als Beschwerde einzureichen, bittet den Presserat aber um Prüfung der “eingereichten Einzelfälle” und darum, die eigenen Standards “den aktuellen Leserbedürfnissen sowie einer modernen Wirtschaftsberichterstattung anzupassen”.

Beim Presserat, heißt es, begrüße man die “transparente Diskussion” und verspreche, sich mit dem “interessanten Material, das unsere Spruchpraxis kritisch begleitet”, eingehend zu befassen.

Wie “Bild” mit alten Fehlern umgeht

Weil ein “Amok-Fahrer” gestern vor einem Gerichtsgebäude mit einer Bierflasche in der Hand fotografiert wurde zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, berichten heute verschiedene Medien noch einmal über den Unfall, bei dem der “Amok-Fahrer” im Januar 2006 einen Berliner tödlich verletzte. Auch “Bild” berichtet und schreibt:

Beifahrer Christian S. (31) wurde aus dem Auto geschleudert und starb vor Ort.

Direkt daneben druckt “Bild” dann zur weiteren Illustration noch die damalige, inzwischen fast 16 Monate alte Schlagzeile:

"Betrunkener rast mit fast 100 Km/h einen Fußgänger tot"

Und so berichtete “Bild” am 9. Januar 2006 auch:

“Dort [am Unfallort] lief gerade Christian S. (41) über die Kreuzung. Das Auto erfasste den Fußgänger. Er wurde meterweit durch die Luft geschleudert, krachte auf den Harten Asphalt. (…) Der Notarzt versuchte den Fußgänger zu reanimieren. Es klappte nicht.”

 
Seltsam, nicht wahr? Zumal heute in “Bild” nirgends von einem toten “Fußgänger”, sondern nur vom toten “Beifahrer” die Rede ist…

Nun ja, ein Anruf bei der Berliner Polizei klärt auf: Die “Fußgänger”-Version entsprang einer Zeugenaussage, entstammte einer Polizeimeldung, wurde damals nicht nur von “Bild” weiterverbreitet — und hat sich erst im Nachhinein als falsch herausgestellt (und wurde anscheinend nicht korrigiert).

Worin allerdings der Sinn bestehen soll, die alte, falsche Schlagzeile ohne irgendein erklärendes Wort heute noch einmal rauszukramen und herzuzeigen, weiß wohl nur “Bild”.

Über den Sinn von Copy & Paste

In der aktuellen “Bild am Sonntag” schreibt Kolumnist Peter Hahne über Pfingsten. Seine “Gedanken zum Sonntag” sind überschrieben mit den Worten “Über den Sinn von Pfingsten und den Beginn einer Mission” und 76 Zeilen lang. Wir zitieren die Zeilen 31 bis 71:

(…) Pfingsten ist das Fest des Heiligen Geistes. Das Wort kommt aus dem Griechischen: “Pentekoste” bedeutet fünfzig. Gemeint sind die 50 Tage zwischen Ostern und diesem Wochenende. Gefeiert wird dieses Fest als der Geburtstag der Kirche. Die Bibel erzählt die uralte Geschichte, die sich vor rund 2000 Jahren ereignete: Nach Tod und Auferstehung von Jesus Christus waren seine Anhänger verunsichert und versteckten sich in ihren Häusern in Jerusalem. Doch dann – eben nach diesen 50 Tagen – die Wende: Die Jünger bekamen wieder Mut und wagten sich in die Öffentlichkeit. Das taten sie nicht aus eigener Kraft, sondern erfüllt vom Heiligen Geist – vom Geist Gottes. Eine Kraft, die wir uns selber nicht geben können. Eine Kraft, die uns wieder auf die Beine hilft, wenn wir resignieren, die uns im Leid tröstet und in Verzweiflung Zuversicht und Hoffnung schenkt.. Die Bibel zeichnet dazu folgendes Bild: Vom Himmel kam ein Brausen, und über ihren Köpfen erschienen Feuerzungen. Die Menschen strömten zusammen und hörten die Jünger predigen. Das Wunder: Jeder Besucher der “Multi-Kulti-Hauptstadt” Jerusalem verstand sie in seiner eigenen Sprache! Die Bilanz dieses ersten Pfingsttages: Rund 3000 Menschen wurden Christen und ließen sich taufen – die erste Gemeinde war entstanden, Beginn der weltweiten Mission. Bis heute werden Menschen von diesem Glauben angesteckt. Sie sind entflammt und begeistert – von Pfingsten stammt die Redewendung “Feuer und Flamme sein”. (…)

Schön hat er’s aufgeschrieben, der Hahne — allerdings nicht für die aktuelle “BamS”. Neu an den Zeilen ist die von uns kursiv gesetzte Passage im Mittelteil. Der Rest stand identisch auch schon in Hahnes Pfingstkolumne des vergangenen Jahres — und (nebenbei bemerkt) ebenfalls fast wortgleich in der Pfingst-“BamS” des Jahres 2003.

Aber vielleicht markieren Hahnes Pfingstkolumnen ja bloß traditionell den Beginn der Sommersaison.

Warum bloggen wir eigentlich Pfingsten?

Im November 2004 gab’s die “Volksbibel” von “Bild”, im Dezember 2004 die “Goldbibel”, im März 2006 die “Immendorff-Bibel”, im November 2006 die “Dürer-Holzbibel” — und im Juni 2007 kommt ja bekanntlich die “Benedikt-Bibel” bzw. “Papst-Bibel” auf den Markt.

Reingeschaut hat man bei “Bild” offenbar mal wieder in keine davon. Denn auf die Frage “Warum feiern wir eigentlich Pfingsten?” antwortete das Blatt gestern:

BILD erklärt’s. (…) Laut Neuem Testament (Johannes, Kapitel 14) fuhr der Heilige Geist am 50. Tag nach Ostern auf die Apostel herab (“es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer”).
(Link von uns.)

Tatsächlich aber steht das sog. “Pfingstwunder” im Neuen Testament im 2. Kapitel der Apostelgeschichte des Lukas.

Mit Dank an Michael O. für den Hinweis und Uli W. für die Illustration!

Nachtrag, 29.5.2007: “Bild” hat den Fehler in der heutigen “Korrekturspalte” berichtigt.

“Bild” macht aus Neonazis “Autonome”

manche meinen
lechts und rinks
kann man nicht velwechsern
werch ein illtum
(Ernst Jandl)

Gestern berichtete “Bild” in ihrer Hamburg-Ausgabe über “erste Festnahmen von G8-Gegnern in Hamburg” und schrieb groß über einem Foto:


"Kurz nach Mitternacht +++ Chaoten (18, 24, 25) auf der Flucht geschnappt: Die ersten Festnahmen -- Hier liegen zwei Autonome am Boden. Sie hatten radikale Parolen gesprüht"

Wie “Bild” darauf kommt, dass es sich bei den beiden jungen Männern um “Autonome” handelt, ist uns ein Rätsel.

Beim Radiosender NDR-Info hieß es dazu jedenfalls gestern:

Tatsächlich aber handelt es sich bei den Festgenommenen (…) um stadtbekannte Neonazis, die nichts mit der autonomen Szene zu tun haben [und] einschlägig auch dem Verfassungsschutz bekannt sind. (…) Gegen die beiden ermittelt der Staatsschutz. Die “Bild”-Zeitung beruft sich auf Informationen der Hamburger Polizei. Die aber erklärt gegenüber NDR-Info, die “Bild”-Reporter hätten nach dem politischen Umfeld der Festgenommenen überhaupt nicht gefragt.

Auch die “taz” berichtet über den “Irrtum” heute unter der Überschrift “Zu früh gefreut ‘Bild’-Zeitung”. Und uns bestätigte die Hamburger Polizei, bei den “radikalen Parolen” der Festgenommenen handele es sich um “ein Hakenkreuz und die Worte ‘Zionisten sind Mörder'”.

Mit Dank an die Hinweisgeber und NDR-Info sowie Christian S., Werner H. und andere für den Scan!

“Bild” klaut “Nacktfotos” von “Topmodel”-Hana

Haben Sie’s gemerkt? “Bild” kommt heute mal ohne “Seite-1-Mädchen” aus.
Ob’s am Papst und seiner Bibel liegt oder daran, dass anderweitig “wunderschöne Nacktfotos aufgetaucht” seien (siehe Ausriss), wer weiß das schon.

Zu sehen ist auf den Fotos Hana Nitsche, Finalistin in der ProSieben-Castingshow “Germany’s Next Topmodel”, die heute zu Ende geht. Und “Bild” kriegt sich über die “Nacktfotos” (die, wenn wir ehrlich sind, höchstens Halbnacktfotos sind) gar nicht mehr ein: “sinnlich, erotisch” seien die Bilder, “sinnlich und erotisch”, “sehr erotisch, ungewöhnlich freizügig und kunstvoll inszeniert”, “zauberhafte Aufnahmen” — kurzum: “eine wunder-wunderhübsche Überraschung”. Und “Bild” fragt:

Aber wo kamen plötzlich die Bilder
nur einen Tag vorm Finale her?

Die Frage ist berechtigt, bleibt in “Bild” aber unbeantwortet. Stattdessen heißt es:

BILD erfuhr: (…) Die Fotodesignerin Uta Seelos aus Schriesheim schoss die Bilder (…).

Das ist offenbar nur die halbe Wahrheit. Denn auf der Homepage der Fotografin heißt es dazu in einer “Erklärung zum Artikel in der heutigen Ausgabe der Bild Zeitung”:

"Die Redaktion der

Seelos’ Agentur teilt uns auf Anfrage mit, die in “Bild” veröffentlichten Fotos stammten zwar tatsächlich von ihrer Homepage, seien dort aber auf Wunsch von Hana (bis auf zwei Aufnahmen) bereits vor mehreren Monaten entfernt worden. Gestern dann habe jedoch jemand, der sich als “Bild”-Mitarbeiter ausgab, “die Bilder für 800 Euro kaufen” wollen. (Anschließend habe sich auch ProSieben gemeldet und einen noch deutlich höheren Preis geboten.) Abgelehnt habe man die Angebote, “weil Hana das nicht wollte”.

Die Fotografin habe wegen des ungenehmigten Abdrucks in “Bild” einen Anwalt eingeschaltet:

“Uns geht es dabei nicht ums Geld, sondern um das Vertrauen unserer Modelle. Davon leben wir.”

Mit Dank auch an die vielen Hinweisgeber.

Brandanschlag auf Kai Diekmanns Auto verübt

Tatzeit: 22.05.2007, 02:43 Uhr

Tatort: Hamburg-Harvestehude

Unbekannte Täter haben am frühen Morgen in Hmb.-Harvestehude einen Pkw Daimler Benz in Brand gesetzt und sind anschließend geflüchtet. Da ein politischer Hintergrund nicht ausgeschlossen werden kann, hat die Staatsschutzabteilung (LKA 7) die Ermittlungen übernommen. (…)

Soweit eine Pressemitteilung der Hamburger Polizei. Bei dem in Brand gesetzten Pkw Daimler Benz handelt es sich um das Auto des “Bild”-Chefredakteurs Kai Diekmann, einen R-Klasse-Mercedes. Der Nachrichtenagentur dpa sagte Diekmann zu dem Vorfall:

Das war kein Luxusauto, sondern ein Familienkombi.
(Link von uns.)

Zum Anschlag und den möglichen Motiven der Täter wollte sich der “Bild”-Chef nicht äußern.

Nachtrag, 27.5.2007: Am vergangenen Mittwoch ist bei der Nachrichtenagentur dpa ein Bekennerschreiben einer linksextremen Gruppierung namens “Militante Kampagne” eingegangen, das von der Hamburger Polizei für authentisch gehalten wird. Wie dpa und andere melden, begründeten die anonymen Absender ihre Tat mit den bundesweit durchgeführten Polizeirazzien, aber auch mit ihrer ablehnenden Haltung gegenüber “Bild”, die mit ihrer “Meinungsmacht” eine “bedeutende Säule für den Erhalt des kapitalistischen Systems in der BRD” spiele. Weiter heißt es in dem Schreiben: “‘Bild’ lügt, hetzt, erniedrigt, mordet, vergewaltigt jeden Tag.” “Nach MOPO-Informationen” lässt Diekmann sein Haus rund um die Uhr von Objektschützern bewachen.

Lieber Claus Strunz,

wir beide wissen, dass sich Ihre “Bild am Sonntag” im Vergleich zur werktäglichen “Bild” ja gemeinhin etwas wohlerzogener gibt: Statt “Wichsvorlage” will die “BamS” lieber “informativ, enthüllend und hintergründig” sein, “Anwalt des Bürgers und kritischer Beobachter” und “Service-Dienstleister für alle Lebenslagen”. Sogar eine “Korrektur”-Rubrik haben Sie im Blatt — eingeführt, lange bevor Ihr Chefredakteurs-Kollege und Herausgeber Kai Diekmann auf die Idee kam, ähnliches auch für “Bild” zu reanimieren.

Aber ich muss schon sagen: Sonderlich pfleglich scheint Ihre Zeitung mit dem zur Schau getragenen Sonntagsstaat nicht umzugehen. Schauen Sie sich, was etwa die erwähnten “Korrekturen” anbelangt, doch mal an, was die “BamS” in diesem Jahr berichtigte: dass “Vichy-Homme Contrôle” nicht bei Schlecker, sondern “ausschließlich über Apotheken vertrieben” werde (4.3.2007), dass nicht Seelöwinnen, sondern Seemövinnen Eier legen (11.3.2007) und auf einem “Teppich in Holzoptik” keinen Mops, sondern eine Französische Bulldogge abgebildet gewesen sei (8.4.2007). Und seien wir ehrlich, Herr Strunz: Letzte Woche, diese “Berichtigung” zu einem mehr als zwei Monate alten Artikel, die haben Sie doch nicht freiwillig gedruckt, oder?

Andererseits erinnern Sie sich doch bestimmt noch, wie Sie unlängst bereits versäumt hatten, Ihre Leser nachträglich über einen weitaus peinlicheren, aber womöglich nicht einmal selbst verschuldeten Irrtum aufzuklären.

Und nun?

Nun stand vor acht Tagen schon wieder großer Quatsch im Blatt: Da hatte Ihre Zeitung das Opfer eines Gewaltverbrechens ausführlich zu Wort kommen lassen, doch sah sich im Nachhinein nicht nur das Opfer selbst sinnentstellend wiedergegeben. Nein, die ganze Geschichte war nach Polizeiangaben nichts weiter als eine Falschmeldung. Ich weiß das. Und Sie, Herr Strunz, als bekennender BILDblog-Leser, wissen das auch.

In der gestrigen “BamS” aber findet sich dazu kein Wort. Warum eigentlich nicht?

Herzlichst,
Ihre Clarissa

PS: Sollte meine Frage nicht in Ihre Rubrik “Der Chefredakteur antwortet” passen, kann ich alternativ natürlich auch die folgende anbieten: “Wie schaffen Sie es eigentlich, Woche für Woche so eine wunderbare Zeitung zu machen?”

Verfassungsschutz: Fehlalarm bei “Bild”

Vorgestern, einen Tag vor der offiziellen Vorstellung des Verfassungsschutz-Berichtes 2006, berichtete vorab bereits “Bild”:

Und “Bild”-Chefkorrespondent Einar Koch schrieb:

DER VERFASSUNGSSCHUTZ SCHLÄGT ALARM: In der linksextremistischen Szene gibt es immer mehr “terroristische Ansätze”!

Der neue Verfassungsschutz-Bericht (…) warnt: Sogenannte “militante Gruppen (mg)” planen “weitergehende, über Sachbeschädigung hinausreichende Aktionsformen”.
(Hervorhebungen von “Bild”)

Doch weil Einar Koch das offenbar zu abstrakt für die “Bild”-Leser fand, hatte er anschließend noch mal in eigene Worte gefasst, was das Zitat aus dem Verfassungsschutz-Bericht seiner Ansicht nach “im Klartext” bedeute:

Im Klartext: Der Verfassungsschutz schließt Anschläge auf Politiker und Manager nicht mehr aus! In der Szene würden bereits Aktionen gegen “Handlanger und Profiteure des Systems” diskutiert (“Knieschüsse”, “Exekutionen”).

Doch entweder war der “Bild”-Chefkorrespondent vorab nicht sonderlich gut informiert, oder er kann nicht richtig lesen. Denn im nun veröffentlichten Verfassungsschutz-Bericht selbst [pdf], lesen sich die von “Bild” zitierten (und zunächst von vielen Medien weiterverbreiteten) Passagen irgendwie anders.

Über die angeblich geplanten “über Sachbeschädigungen hinausreichenden Aktionsformen” steht im Bericht nur, die “Militante Gruppe” setzte “eine Diskussion über die Legitimität ‘weitergehender’, über Sachbeschädigungen hinausreichender Aktionsformen — die so genannte Militanzdebatte — fort.”

Und zu den “terroristischen Ansätzen” heißt es zwar:

Innerhalb der autonomen Szene haben sich einzelne Strukturen verfestigt, die bei ihren Anschlägen die Grenze zu terroristischem Gewalthandeln überschreiten.

Doch der Bericht resümiert:

Insgesamt war wiederum keine signifikante Entwicklung in der Militanzdebatte feststellbar. Nach wie vor überwiegen kritische Einschätzungen (…).

Insofern ist dann auch nicht verwunderlich, dass die Medien heute, nach der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes durch Heinz Fromm, etwas ganz anderes berichten, als “Bild” vor zwei Tagen. Hier eine kleine Auswahl:

Schlechte Nachrichten für die Fans der Panikmache vor dem G-8-Gipfel: (…) Spekulationen über einen neuen RAF-Terrorismus seien “völlig gegenstandslos”, versicherte Fromm. Er habe vielmehr zuletzt “ein paar sehr zugespitzte Überschriften” in der Presse gelesen. (…) Und was ist mit der Meldung der Bild-Zeitung, der Verfassungsschutz schließe von Linksextremen begangene “Anschläge auf Politiker und Manager nicht mehr aus”? In der Szene würden auch “Exekutionen” diskutiert? Im Moment habe sein Amt keine Hinweise, dass militante G-8-Gegner Anschläge auf Menschen planten, sagte Fromm.
(“taz”)

Verfassungsschutz-Chef Heinz Fromm trat Befürchtungen entgegen, militante Globalisierungsgegner könnten im Zusammenhang mit dem Treffen Anschläge auf Menschen planen. “Im Moment können wir das nicht erkennen”, so Fromm. Spekulationen etwa über die Entwicklung einer neuen “Rote Armee Fraktion” seien völlig gegenstandslos.
(tagesschau.de)

Drei Wochen vor dem G-8-Gipfel in Heiligendamm ist der Verfassungsschutz Befürchtungen entgegengetreten, militante Globalisierungsgegner könnten im Zusammenhang mit dem Treffen Anschläge auf Menschen planen. “Im Moment können wir das nicht erkennen”, sagte Behörden-Chef Heinz Fromm bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2006 am Dienstag in Berlin. Diskussionen darüber, ob eine Rückkehr zu Anschlägen auf Menschen politisch zweckmäßig sei, gebe es in der linken Szene seit Jahren. Eine Veränderung der Lage sei aber nicht feststellbar und Spekulationen etwa über die Entwicklung einer neuen “Rote Armee Fraktion” seien völlig gegenstandslos.
(Reuters)

Usw.

In der heutigen “Bild” ist von all dem keine Rede — und schon gar nicht von den “zugespitzten Überschriften”.

Mit Dank an Astrid G. für den Hinweis.

Nachtrag, 21.30 Uhr: Würde sich Einar Koch mit Verfassungsschutz-Berichten auskennen, wüsste er bestimmt auch, dass die “terroristischen Ansätze”, die er zitiert, zunächst nichts weiter sind als eine Kapitelüberschrift (!), die wortgleich auch den Berichten vergangener Jahre auftaucht, und die “weitergehenden, über Sachbeschädigungen hinausreichenden Aktionsformen”, die er zitiert, nichts Neues, sondern eine Formulierung, die im Zusammenhang mit der “Militanzdebatte” ebenfalls identisch in verschiedenen Vorjahresberichten steht, die übrigens unter verfassungsschutz.de jedermann rund um die Uhr zugänglich sind.

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