Online-Journalismus kann so einfach sein: Man klickt sich morgens durch die Artikel von anderen Redaktionen. Was einem gefällt, übernimmt man einfach. Weitere Recherche ist nicht nötig, das haben ja die Kollegen bereits getan. Noch ein paar Fotos ergänzen — fertig.
So ist wohl auch der Bild.de-Artikel über die Auktion eines “Apple 1” zustande gekommen, der von einem Bericht der “Daily Mail” mehr als nur inspiriert wurde. Hier wie dort erfährt der Leser, dass die Computer-Antiquität 524.000 mal weniger Speicher besitzt als heute übliche PCs, in beiden Artikeln erfährt der Leser vom – falschen – Mindestgebot von 150.000 Pfund. Immerhin hat Bild.de den Original-Artikel verlinkt.
Allerdings war Bild.de beim Abkupfern doch etwas sehr flüchtig:
Nun ja: Die “Daily Mail” zeigt ein Bild von einem Apple-Gehäuse mit handgearbeitetem Schriftzug. Dabei handelt es sich jedoch um das Exemplar eines frühen Computer-Enthusiasten, das im Smithsonian Museum ausgestellt ist. Das bei Christie’s zu versteigernde Exemplar hat hingegen kein Gehäuse.
Hätte der Bild.de-Redakteur den Artikel mit wachen Augen gelesen, wäre ihm das klar geworden. Hätte er dazu noch einen Klick auf die Auktionsseite gewagt, dann hätte er auch erfahren, dass die 150.000 Pfund nicht das Mindestgebot, sondern der höchste Schätzwert ist.
Aber Recherche — das ist halt etwas für die anderen.
Nachtrag 1, 14:45 Uhr. Mangelnde Recherche alleine reicht offenbar nicht aus. Um wirklich erfolgreich zu sein, muss man mehr Fehler machen als die Konkurrenz. Anders lässt sich dieser Teaser auf der Startseite von Bild.de kaum erklären:
Wie jeder Computer-Nostalgiker weiß, war der Apple 1 kein “Mac”, die Macintosh-Reihe begann erst 1984. Wer kein Computer-Nostalgiker ist, hätte auch einfach in die Bildergalerie zum Artikel über die Apple-1-Auktion schauen können. Dort steht es nämlich gleich zweifach:
Allerdings kann man das Misstrauen der Bild.de-Startseiten-Redakteure gegen die Bild.de-Bildergalerien-Texter verstehen. Denn in der gleichen Galerie findet man diese kühne Behauptung:
Wann genau die erste Computermaus der Welt präsentiert wurde, ist zwar nicht ganz klar — aber der Zeitpunkt lag mindestens 15 Jahre vor dem Apple Lisa.
Nachtrag 2, 16:30 Uhr. Nicht nur Bild.de leidet unter einer akuten Abschreibeschwäche – auch Dnews hat den Bericht der Daily Mail punktgerecht versemmelt – und erstaunlicherweise die gleichen Fehler gemacht:
Einer der ersten Apple-Computer, die Firmengründer Steve Jobs von der elterlichen Garage aus verkaufte, wird in London versteigert. Das Einstiegsgebot für das handgefertigte Sammlerstück aus Holz liegt bei 150.000 Pfund (ca. 176.550 Euro).
[…]
Bei dem zu versteigerndem Computer handelt es sich um ein Holzgehäuse mit eingeschnitztem “Apple“ Schriftzug.
Die Meldung samt Fehler wurde von pcgames.de und cynamite.de übernommen.
Und auch die Nachrichtenagentur dts will nicht hintenan stehen:
Im Londoner Auktionshaus Christie’s kommt am 23. November einer der ersten Apple Computer der Welt, der Apple 1, unter den Hammer. Medienberichten zufolge können Interessenten ab einem Einstiegsgebot von rund 176.000 Euro mitbieten.[…]Der Gewinner der Versteigerung darf sich im Anschluss über ein Komplettpaket freuen, dass aus dem “Gehäuse”, dem Computer, einer Bedienungsanleitung und einem Brief von Apple-Gründer Steve Jobs besteht.
Nachtrag 3, 16:45 Uhr. Inzwischen hat Bild.de den Rückwärtsgang eingelegt und Artikel, Teaser und Bildergalerie korrigiert. Nun heißt es:
Es ist der Urahn aller Apple-Computer! Einer der ersten Apple-PCs – ohne Tastatur, Monitor und Gehäuse – kommt in London unter den Hammer. Schätzwert: bis zu 150 000 Pfund (umgerechnet 176 550 Euro)!
Mit Dank an Alexander A., Florian, Paul B. und Oliver D.