Zum Anschlag in Solingen am vergangenen Freitag, bei dem drei Menschen getötet worden sind, und ein Mann aus Syrien als Tatverdächtiger gilt, fragen die “Bild”-Medien heute:
Wie schaffte es der Solingen-Terrorist, das deutsche Asylsystem auszutricksen?
Laut “Bild” so:
[Issa al H.] umging seine Abschiebung, indem er beim ersten Termin nicht auftauchte und die sechsmonatige Frist verstreichen ließ. Danach meldete er sich wieder, bekam den Schutzstatus und durfte bleiben.
(Das ist eine recht kurze Zusammenfassung des Geschehens. Ausführlicher kann man das beispielsweise hier oder hier nachlesen.)
Die nächste Frage der “Bild”-Medien:
Woher wusste er, dass das funktioniert?
Da hat die Redaktion eine mögliche “Beraterin” ausfindig gemacht, “eine Rechtsanwältin, die auf Abschiebe-Verhinderung spezialisiert” sei:
Nach BILD-Informationen vermuten Behörden, dass sie [al H.] erklärte, wie er die Abschiebung abwenden und wann er wieder risikofrei mit staatlichen Stellen in Kontakt treten konnte.
“Bild” schreibt recht ausführlich über die Rezensionen, die die Anwältin von früheren Mandanten bekommen haben soll, über den von der Kanzlei betriebenen Instagram-Account und lässt einen anonymen “Branchenkollegen” den “Internet-Auftritt der Anwältin” “analysieren”; irgendetwas Illegales, was die Frau gemacht haben soll, speziell im Zusammenhang mit der möglicherweise stattgefundenen Beratung für Issa al H., kann die “Bild”-Redaktion hingegen nicht nennen. Im Gegenteil. Sie schreibt:
Was fragwürdig klingt, ist Alltag in Deutschland. So wie Steuerberater versuchen, mithilfe von Schlupflöchern Steuern zu sparen, suchen Asylanwälte nach Lücken im Asylsystem. Die Anwältin von [al H.] ist eine von Tausenden.
Die Frau scheint einfach ihren Job als Anwältin gemacht zu haben. Und der besteht nun mal unter anderem darin, für die eigenen Mandantinnen und Mandanten das beste Ergebnis herauszuholen, das die Gesetzeslage bietet. Nichts Verbotenes. Dennoch präsentiert “Bild” sie heute wie sonst Schwerverbrecher:
Die großflächige Unkenntlichmachung stammt von uns. In “Bild” ist ein riesiges Foto der Frau zu sehen, die “Bild”-Redaktion hat ihr Gesicht verpixelt. Genauso auf der Bild.de-Startseite:
Dass “Bild” die Frau als “Asyl-Anwältin des Solingen-Terroristen” präsentiert, ist bestenfalls fahrlässig formuliert und schlimmstenfalls eine böswillige Verzerrung der Tatsachen: Den Schutzstatus hat Issa al H. Ende 2023 bekommen, also mehrere Monate vor dem Anschlag in Solingen. Er soll zuvor nie als Straftäter aufgefallen sein. Die Frau ist also nicht “die Anwältin des Solingen-Terroristen”, sondern die Anwältin des Mannes, der später wohl als “Solingen-Terrorist” drei Menschen getötet hat. Trotzdem macht die “Bild”-Redaktion sie sprachlich schon fast zu einer Art Komplizin, wenn sie schreibt, “dass diese Anwältin dem Solingen-Terroristen erklärte, wie er die Abschiebung abwenden” konnte.
In derart aufgeladenen Zeiten, in denen schon für Kleinigkeiten Hass und Hetze und Drohungen über Menschen ausgegossen, sie teils tätlich angegriffen werden, ist das unverantwortlich.