Griechenlands Schuldenproblem verschärft sich — die Bundesregierung denkt daher über neue Schritte nach: Wie die “Zeit” und die Nachrichtenagentur Reuters berichten, arbeitet das Finanzministerium an einem Notfallplan für eine Pleite Griechenlands. “Sie haben begonnen, das Undenkbare zu denken”, sagte ein Insider zu Reuters. Deutschland wolle dies nicht, stelle sich aber auf eine solche Situation ein. “Sie wären sonst nicht vorbereitet auf die Folgen für die Banken.”
Diese Zeilen sind viereinhalb Jahre alt. Und ob der Insider nun recht hatte oder nicht — es wäre doch zumindest fahrlässig, wenn sich die Bundesregierung nicht ständig auf alle Eventualitäten einstellen würde, also auch auf eine faktische Insolvenz Griechenlands.
Wie auch immer. Zehn Monate später, im November 2011, schrieb dann auch „Bild“:
Merkel lobte [den damaligen Griechenland-Premier] Papandreou, stellte weitere Hilfen in Aussicht. Doch in Wirklichkeit geht die Bundesregierung nach BILD-Informationen inzwischen davon aus, dass Griechenland pleitegehen wird – und zwar warscheinlich [sic] noch vor Weihnachten, wenn auch die nächste Hilfs-Rate aufgebraucht ist.
„Wir versuchen, eine Insolvenz Griechenlands zu vermeiden. Ich kann das aber nicht ausschließen“, sagte Merkel am Nachmittag laut Teilnehmern in der Sitzung der Fraktion von CDU/CSU.
Insofern übersetzt man das “Jetzt” in der heutigen (!) “Bild”-Schlagzeile also am besten mit: “seit vier Jahren”.
“Bild” schreibt:
Sie hat monatelang um Griechenland gekämpft. Doch seit vorletzter Nacht weiß Angela Merkel (60, CDU): Es war vielleicht umsonst …
Gut zwei Stunden verhandelte die Kanzlerin in Brüssel mit Frankreichs Staatspräsident François Hollande (60) und Griechen-Premier Alexis Tsipras (40).
Als das Trio gestern um 0.20 Uhr auseinanderging, war klar, was die deutsche Regierungschefin bisher nie wahrhaben wollte: Die Staatspleite Griechenlands ist womöglich nicht mehr aufzuhalten!
Darüber wird in vertraulicher Runde in Berlin jetzt offen gesprochen.
Aus, vorbei, GREXIT …!
Die einzige Quelle für die Behauptung ist wieder ein Insider, ein „Top-Diplomat“, der gesagt haben soll: „Auch die Kanzlerin weiß jetzt, dass die Zeit nicht mehr reichen wird …!“
Obwohl es da ja noch einen kleinen Haken gibt, wie “Bild” am Ende zugeben muss:
Eine letzte Frist hat Athen noch: Kommenden Donnerstag treffen sich in Brüssel die Finanzminister der Euro-Zone zur entscheidenden Sitzung. Sie wollen dann ein Konzept sehen, das bereits vom griechischen Parlament verabschiedet ist.
Egal, “Bild” hat trotzdem schonmal den Sekt kaltgestellt und ihn jetzt endgültig ausgerufen, den
Ach nee. Das war 2011.
Mit Dank an Andreas H.
Nachtrag, 13 Uhr: Aber im deutschen Medienbetrieb ist bekanntlich keine Meldung alt oder falsch genug, als dass sich nicht doch irgendwer finden würde, der sie blind abschreibt.
Die dpa vermeldete heute pünktlich um Mitternacht:
Berlin (dpa) – Nach einem Bericht der «Bild»-Zeitung bereitet sich Berlin auf eine Staatspleite Griechenlands vor.
Die Agentur zaubert sogar noch ein paar zusätzliche Quellen aus dem Hut:
Unter Berufung auf mehrere mit den Vorgängen vertraute Personen berichtet die Zeitung (Freitag), es gebe konkrete Beratungen, was im Falle einer Pleite zu tun sei.
„Mehrere mit den Vorgängen vertraute Personen“? Wir haben (wenn überhaupt) nur eine gezählt: den angeblichen Insider.
Auch Reuters sprach 20 Minuten später von „mehrere[n] mit den Vorgängen vertraute[n] Personen“ — und titelte:
Und schwupps — wird der alte Hut wieder überall als neu verkauft:
(stern.de)
(n24.de)
(blick.ch)
Bei FAZ.net finden sie zwar immerhin, dass es „wenig plausibel“ erscheine, „dass die deutsche Regierung sich jetzt erstmals mit einem solchen Szenario befasst“ — die „Bild“-Geschichte haben sie aber trotzdem mal abgeschrieben:
Derweil will die Bild-Zeitung erfahren haben, dass nun auch die deutsche Kanzlerin eine Staatspleite Griechenlands nicht mehr ausschließt.
Nachtrag, 15.05 Uhr: Nachdem sich die dpa über zwölf Stunden lang auf “Bild” verlassen hatte, ist ihr inzwischen doch noch aufgefallen, dass die vermeintliche Neuigkeit gar keine ist. Die aktuellste Meldung zum Thema (erschienen um 12.49 Uhr) ist überschrieben mit:
«Grexit»: Bundesregierung hat keine neue Haltung