Fassen wir die Geschichte zur Sicherheit einmal trocken zusammen: Ein junges Pärchen (volljährig) war im vergangenen Winter im Schwimmbad, hatte dort (so eine Art) Sex, wurde erwischt, angezeigt und schließlich wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verurteilt.
Und jetzt in den Worten von “Bild”-Mann Jörg Völkerling:
Das war wirklich ungezogen, was diese liebestollen Teenager ausgezogen in der Erlebnisgrotte abzogen …
(kurze Pause, bis sich das Johlen im Publikum gelegt hat … so, weiter geht’s)
Feucht-fröhliche Liebesspiele im Spaßbad […] brachten Paul R.* (18) und seine Freundin Lisa M.* (19, *Namen geändert) jetzt vor das Augsburger Amtsgericht. Wegen (heftiger) Erregung öffentlichen Ärgernisses!
Besonders einsichtig zeigten sich die beiden nicht. Zum Prozess kam das Paar 15 Minuten zu spät, fläzte sich frech auf die Anklagebank. Als Richter Bernhard Kugler nachfragte, antwortete Paul R. lässig: „Ich bin wegen dem Verkehr zu spät.“
Mit dem Verkehr hat der junge Mann offenbar so seine Probleme.
(…)
Paul R. zeigt sich weiter uneinsichtig. Deshalb entschließt sich der Richter, die Videos der Unterwasserkameras zu zeigen.
Dafür schickt er die Öffentlichkeit aus dem Saal (was Völkerling erst in einem späteren Artikel erwähnt) und lässt sie erst danach wieder rein.
Er verurteilt Paul R. zu einem Dauerarrest von zwei Wochen, die Angeklagte zu einem Freizeitarrest und zu 32 Stunden Hilfsdienst – so viel Strafe hatte nicht einmal die Staatsanwaltschaft gefordert. Doch in diesem Fall wollte das Gericht wohl ein (S)Exempel statuieren.
So weit Völkerlings Pointenfeuerwerk — erschienen am Dienstagabend in vergleichsweise dezenter Aufmachung:
Im Normalfall hätten die Leute von “Bild” es vermutlich dabei belassen oder höchstens noch die ein oder andere Sammlung heißer Sex-Urteile oder ein paar Promi-Zitate zu pikanten Jugend-Sünden hinterhergeschoben, doch keine vier Stunden später veröffentlichte Bild.de schon den nächsten Artikel zu dem Fall, wieder von Völkerling, aber viel größer aufgemacht. Im Grunde genau der gleiche Text, doch diesmal mit einem ganz speziellen Extra: Fotos!
Von den Teenis!
Beim Sex!
(Verpixelung von uns. Gilt auch für alle folgenden Screenshots.)
Allerdings gab’s die „scharfen Unterwasser-Fotos“ (Bild.de) nur für zahlende Kunden:
Sehen Sie mit BILDplus, wie wild es Paul R. (18) und seine Freundin Lisa M. (19) wirklich trieben!
Am nächsten Morgen dann auch „Porno pur“ für alle Print-Leser, nahezu halbseitig auf dem Titelblatt:
Im Innenteil dann noch mal in aller Ausführlichkeit:
Und am Mittag, endlich:
Über eine Minute lang sind die (unkenntlich gemachten) Sex-Versuche aus mehreren Perspektiven zu sehen — aber wieder nur gegen Bezahlung:
Sehen Sie mit BILDplus die delikaten Videoaufnahmen. Was wirklich geschah, und warum das als Beweismittel so wichtig ist – schauen Sie selbst!
Hereinspaziert, hereinspaziert. Sehen Sie junge Amateure beim Unterwasser-Fummeln, exklusiv bei Deutschlands weltgrößtem News- Informations- Dings-Portal!
Zwischendurch gab’s tatsächlich noch den halbherzigen Versuch einer sinnvollen Annäherung an das Thema, diesmal auch ohne Paywall:
Bebildert — natürlich — so:
Im Text kommt ein Herr “von der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen e.V.” zu Wort und erzählt allerlei vom “Recht am eigenen Bild” und Datenschutz, aber unter Wasser muss man das ja alles nicht so eng sehen:
Unproblematisch hingegen seien die Unterwasser-Aufnahmen. Michael Weilandt: „Die Unterwasserkameras zur Aufsicht sind nicht so ein großes Problem, weil die Qualität nicht so gut ist und die Personen ja nicht wirklich erkennbar sind.“
(Man beachte auch, wie Bild.de aus einem nicht so großen Problem gar keins mehr macht.)
Wie es um die anschließende Veröffentlichung solcher Aufnahmen bestellt ist, erklärt der Mann nicht. Aber danach haben ihn die “Bild”-Leute bestimmt auch nicht gefragt.
Die machen auf jeden Fall munter weiter, so lange das Eisen noch feucht, äh, ja. Völkerling, Ihr Stichwort.
Online gibt’s das alles selbstverständlich wieder nur bei “Bild-Plus”:
Wie es zu dem wilden Unterwasser-Sex kam, was die Teenager über ihr Liebesleben sagen und warum sie sich von den Bademeistern schlecht behandelt fühlen – das lesen Sie hier!
Fehlt eigentlich nur noch die Sammlung heißer … ach, schau an:
Selbst einen Brief von Franz-Josef Wagner hat der “liebe Sex im Schwimmbad” inzwischen bekommen (“Sex ist die Nähe zum Glück. Lassen wir doch die beiden Liebenden schwimmen. Herzlichst”).
Woher „Bild“ die Bilder der Überwachungskameras hat, ist indes unklar.
Das Gericht schrieb uns auf Anfrage, es habe „das fragliche Bild- und Videomaterial nicht an die ‘Bild’-Zeitung oder an Bild.de ausgehändigt“. Auch der Geschäftsführer des Schwimmbads erklärte gegenüber BILDblog, das Video nicht weitergegeben zu haben. Zurzeit werde noch überprüft, wie das Blatt an die Bilder kommen konnte. Ein Anwalt sei bereits eingeschaltet.
Warum „Bild“ die Bilder der Überwachungskameras, die das Gericht bewusst nicht der Öffentlichkeit zeigte, seit Tagen bewusst der Öffentlichkeit zeigt, ist allerdings nicht schwer zu erraten:
Mit Dank an Lukas H., Tobias H., Daniel K. und Thomas D.