Der Fall ist schon traurig und tragisch und schlimm genug: In Hagen soll ein fünfjähriger Junge von seiner Mutter über längere Zeit in einem Zimmer eingeschlossen worden sein. Die Ausstattung des Raums soll lediglich aus einer Matratze und einem Eimer für die Notdurft bestanden haben. Das Kind ist am vergangenen Sonntag aus dem Fenster und auf das Dach des viergeschossigen Hauses geklettert. Dort entdeckten es Nachbarn und alarmierten die Polizei, die den Jungen befreite. Das eingeschaltete Jugendamt nahm ihn daraufhin mit in eine städtische Einrichtung, brachte ihn allerdings am Montag wieder zurück in die Wohnung der Mutter und des Stiefvaters – offenbar aufgrund eines Fehlers. Am Dienstagmorgen ist das Kind dann vom Jugendamt wieder aus der Familie geholt worden.
Wie gesagt: Das alles ist schon schrecklich genug. Die “Bild”-Redaktion aber will es noch etwas schrecklicher haben:
(Links zu sehen ist ein gemeinsames Foto der Mutter, des Stiefvaters und des Kindes. Mehr zur Unkenntlichmachung des Fotos weiter unten im Text.)
Die “Drogen-Hölle”, von der Bild.de auf der Startseite spricht, soll aus “einigen Cannabispflanzen” bestehen. So steht es im dazugehörigen Artikel. Das erfahren allerdings nur jene, die mit ihrem “Bild-plus”-Abo hinter die Paywall schauen können. In einem weiteren Bild.de-Artikel (ebenfalls nur mit “Bild-plus”-Abo lesbar) wird es konkreter: Es soll sich um “drei Cannabispflanzen” handeln. Das erklärt die “Bild”-Redaktion also zu einer “Drogen-Hölle”. Es ist eine völlig unnötige Übertreibung zu diesem schlimmen Fall, die auch den sowieso schon heftigen Fehler des Jugendamts in der Schlagzeile noch mal heftiger wirken lässt.
Zur Bebilderung des Artikels nutzt Bild.de unter anderem ein gemeinsames Fotos des Jungen, der Mutter und des Stiefvaters. Die Gesichter der Erwachsenen hat die “Bild”-Redaktion verpixelt, den Jungen hat sie komplett mit einer weißen Fläche überdeckt. Die zusätzliche, großflächige Verpixelung stammt von uns. In der Bildunterschrift steht:
[Vorname und abgekürzter Nachname der Mutter] und [Vorname und abgekürzter Nachname des Stiefvaters] mit dem Kind am Tag ihrer Hochzeit. Um ihn zu schützen, nennt BILD den Namen des Jungen nicht
Das ist ja erstmal eine für die “Bild”-Redaktion überraschend weitsichtige Idee. Sie hat sie aber so gut wie gar nicht umgesetzt: Wenn Bild.de die Vornamen der Mutter und des Stiefvaters sowie den abgekürzten Nachnamen nennt und dazu ein Foto der beiden zeigt, auf dem zwar deren Gesichter verpixelt sind, sie aber beispielsweise aufgrund der Statur zumindest für Personen, die das Paar kennen, dennoch identifizierbar sind, dann dürfte diesen Personen auch direkt klar sein, um welches Kind es sich handelt.
Nur die “Bild”-Redaktion geht so vor – in keinem anderen Artikel zu dem Fall, den wir gesehen haben, wird ein Foto der beteiligten Personen gezeigt.
Mit Dank an Sabine P. für den Hinweis!