1. Carolin Emcke wird gezielt verunglimpft
(sueddeutsche.de, Ronen Steinke)
Die Autorin Carolin Emcke hat auf dem Parteitag der Grünen eine kurze Gastrede gehalten, die von CDU und “Bild”-Redaktion kritisiert und skandalisiert wurde: Angeblich habe Emcke Klimaforscher mit Holocaust-Opfern verglichen. “SZ”-Redakteur Ronen Steinke widerspricht: “Nirgends in ihrer Rede hat sie vom Holocaust gesprochen. Auch nicht indirekt. Die Idee, Kritik an heutigen Virologen oder Klimaforschern ernsthaft mit dem Holocaust gleichzusetzen, ist Carolin Emcke, soweit ersichtlich, auch nicht ansatzweise in den Sinn gekommen, und auch beim Zuhören konnte man auf diese Idee nur kommen, wenn man denn wirklich, wirklich einen ‘Eklat’ konstruieren wollte. Zum Beispiel, weil Wahlkampf ist.”
Judith Liere kommt in ihrem Kommentar bei “Zeit Online” zu einer ähnlichen Feststellung: “Man muss nicht einmal laut ‘Kontext, Kontext!’ rufen, um klarzustellen, dass sie nie gemeint hat, was ihr da unterstellt wird. Sie hat es nämlich nicht nur nicht gemeint, sondern schlichtweg nicht gesagt.”
Weiterer Lesehinweis: In einem Twitter-Thread erklärt Matthias Meisner: “Was den von BILD, WELTAMSONNTAG, CDU, Generalsekretär Paul Ziemiak, Martenstein und anderen angezettelten Shitstorm gegen Carolin Emcke so bösartig und perfide macht: Die Kritiker vermischen unzulässig Vergleich und Aufzählung.”
Weiterer Hinweis: Wer die entsprechenden Passagen nachhören will: Der “Spiegel” hat ebenfalls über den Nicht-Skandal berichtet und Emckes Rede in einem eingebundenen Video dokumentiert.
2. Bange Minuten bei der EM: Das Regie-Versagen der UEFA
(dwdl.de, Alexander Krei)
Am Samstag konnten Millionen Menschen vor dem Fernseher mit anschauen, wie in der Fußball-EM-Partie zwischen Dänemark und Finnland der Däne Christian Eriksen auf dem Spielfeld reanimiert werden musste. Alexander Krei kommentiert: “Dass diese Bilder mehr als nur einmal in den weltweiten Live-Übertragungen gezeigt wurden, ist ein krasses Versagen der UEFA, deren Zentralregie in diesen bangen Minuten komplett daran scheiterte, Eriksens Privatsphäre zu schützen. Stattdessen gingen sogar noch die Bilder der weinenden Ehefrau des Fußballstars um die Welt. Die fehlende Empathie des europäischen Fußballverbands ist nichts weniger als ein handfester Skandal – erst recht, wenn man bedenkt, dass in der Vergangenheit schon harmlose Flitzer genügten, um dafür zu sorgen, dass die großen Verbände blitzschnell den Blick abseits des Spielfelds lenkten.”
(Ergänzender Hinweis auf einen Beitrag bei uns im BILDblog: Bild.de zeigt kollabierten Christian Eriksen.)
Weiterer Lesehinweis: Das übertragende ZDF weist Vorwürfe zurück: “Wir mussten auch dem Informationsbedürfnis der Zuschauer gerecht werden.”
An anderer EM-Stelle gibt es positive Nachrichten: Die russischen Behörden haben eingelenkt und den ARD-Journalisten Robert Kempe auch für St. Petersburg akkreditiert (faz.net).
3. Des Schwurblers Kern
(zeit.de, Daniel Hornuff)
Ab heute sind die ersten zwei Teile einer Podcast-Produktion über den Werdegang des Verschwörungserzählers Ken Jebsen verfügbar (zum Beispiel in der ARD-Audiothek: “Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?”). David Hornuff ist begeistert. Der Podcast sei fantastisch gemacht, erzeuge dennoch Unbehagen: “So bewundernswert sorgfältig der Podcast arrangiert und inszeniert ist: Der Fokus auf die eine ausgewählte Person erzeugt eine unfreiwillige Stilisierung, eine überhöhende Psychologisierung – was wiederum eine seltsam umschmeichelnde Aufwertung nach sich zieht, die passagenweise ins Heroisierende kippt.”
Weiterer Lesehinweis: Anonymous hackt Ken-Jebsen-Website: “Anonymous hat Ken Jebsen ins Visier genommen: Der ehemalige Journalist gilt als Schlüsselfigur der ‘Querdenker’-Szene. Jetzt wollen Hacker die Namen seiner Spender erbeutet haben.” (spiegel.de, Frank Patalong)
4. Ist der Begriff “Doku” noch immer nicht ausgehöhlt genug?
(medienkorrespondenz.de, Christian Bartels)
Der Medienexperte Christian Bartels hat sich die ARD-Doku “Der Milliardenraub” angeschaut. Missfallen hat ihm, dass die 45-minütige “Doku” rund zur Hälfte aus nachgestellten (wenn auch gekennzeichneten) Szenen bestanden habe: “Bedenken ‘Doku’-Autoren überhaupt noch, dass nachgestellte Szenen die Glaubwürdigkeit ihrer Filme immer beeinträchtigen und zumindest alle im Publikum, die die Überzeugungen der Autoren nicht von vornherein teilen, skeptisch machen? Wenn Reenactments in einem Ausmaß eingesetzt werden, das günstigenfalls ermüdet oder gar lächerlich erscheint, müsste Mut, auch mal unbewegte Bilder zu zeigen, leichtfallen.”
5. Wieso ich nicht mehr über “Querdenken” berichten werde
(gaebler.blog, Paul Gäbler)
“Ein Jahr lang ‘Querdenken’ hieß für mich: einmal pro Woche auf eine Demo, Gespräche führen, Fotos machen – und mich beschimpfen lassen. Damit ist jetzt Schluss.” Paul Gäbler zieht ein nachdenkliches Fazit seiner journalistischen Beobachtung unzähliger “Querdenker”- und Coronaleugner-Demos, bei dem er sich auch unangenehmen Fragen stellt: “Heute, wo ‘Querdenken’ massiv an Zulauf verliert, frage ich mich: habe ich das ganze von Anfang an überschätzt? Ist ‘Querdenken’ nur ein Misthaufen in der Geschichte – und ich habe sie mit meiner Twitter-Reichweite auch noch bekannter gemacht?”
6. Georg Thiel: Der Mann, der ins Gefängnis ging, um “GEZ-Rebell” zu werden
(uebermedien.de, Susanne Lang)
Als “GEZ-Rebell” feiert die “Bild am Sonntag” den 53-Jährigen Georg Thiel, der “lieber in den Knast ging, als jeden Monat 17,50 Euro GEZ-Gebühren zu zahlen”. Eine Behauptung, die zwar nicht ganz falsch sei, bei der aber eine wichtige Information ausgeblendet werde: “Thiel hätte seine Inhaftierung selbst verhindern können. Er hätte dafür nicht einmal die Beiträge plus Bußgelder begleichen, sondern bloß seine Vermögensverhältnisse offenlegen müssen.” Susanne Lang hat den Vorgang aufgearbeitet, der von verschiedenen Seiten – vor allem von rechtsaußen – für die eigene Agenda instrumentalisiert wird.