Durchgesteckt und durchgestochen, SW-Denken, Merkwürdiges Porträt

1. Kommunikation in der Krise
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 5:57 Minuten)
In der politischen Berichterstattung scheinen Kontakte alles zu sein, denn sie erhöhen die Wahrscheinlichkeit, vor allen anderen mit Informationen versorgt zu werden. Aktuelles Beispiel sei die “Beschlussvorlage” für den gestrige Corona-Krisengipfel von Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten. Dieses Papier sei bereits einen halben Tag bei bestimmten Medien zirkuliert. Wer es durchgestochen hat, sei unbekannt. Auffällig sei jedoch, dass zu Themen der Unionsparteien und der Bundesregierung Medien wie “Welt” und “Bild” bevorzugt in den Genuss von Vorabinformationen kämen.

2. Nazi oder Gutmensch – und nichts dazwischen: Warum das Schwarz-Weiß-Denken zunimmt
(rnd.de, Imre Grimm)
Anlässlich der bevorstehenden US-Wahl macht sich Imre Grimm Gedanken über die zunehmende Polarisierung, das fortschreitende Schwarzweiß-Denken und die verhärteten Fronten der Debattierenden: “In einer komplexen Welt aber sind es die Zwischentöne, die der Wahrheit noch am nächsten kommen. Denn so wie kein Mensch eine Insel ist, ist keine Meinung die reine Lehre. Doch Zwischentöne und Komplexitäten passen nicht in die 280-Zeichen-Logik der digitalen Welt, die nur die grellsten Radikalpositionen mit Aufmerksamkeit und Reichweite belohnt. Dabei ist Ambiguitätstoleranz einer der wichtigsten Grundpfeiler der Demokratie. Sie bedeutet immer Kompromiss, Annäherung, Interessenausgleich auf der Basis eines stabilen Wertesystems. Das ist anstrengend. Dazu gehört die Bereitschaft, anderer Leute Bedürfnisse, die Realität der Welt sowie evidenzbasierte Fakten anzuerkennen.”
Weitere Lesehinweise: Der Kolumnist Ben Smith von der “New York Times” spricht im Interview mit der “Süddeutschen” über die Bedeutung von Skandalen für den Erfolg des “Mediengeschöpfs Donald Trump”. Und das “Social Media Watchblog” beschäftigt sich in einer frei zugänglichen Ausgabe mit der Frage, wie sich das Silicon Valley auf die US-Wahl vorbereitet. Das ernüchternde Fazit der lesenswerten und mit vielen Verweisen gespickten Analyse: “Die Plattformen rechnen mit dem Schlimmsten, die USA sind auf dem Niveau von Kriegs- und Krisenstaaten angekommen.”

3. Das merkwürdige Holger-Friedrich-Porträt von Spiegel-Reporter Alexander Osang
(kress.de, Markus Wiegand)
Im “Spiegel” erschien Anfang des Monats ein äußerst langes Porträt über Holger Friedrich (Bezahlartikel), den Verleger der “Berliner Zeitung”. Der Beitrag sorgte bei einigen Leserinnen und Lesern für Verwunderung, weil er seltsam einseitig und wohlwollend klang. Als ob es eine Nebensächlichkeit sei, erwähnte “Spiegel”-Autor Alexander Osang gegen Ende seiner Geschichte, dass seine Frau bei der “Berliner Zeitung” beschäftigt sei. Markus Wiegand kommentiert: “Man kann die Kritik an Osang wegen seines Interessenkonflikts natürlich kleinlich finden. Ganz so einfach ist es aber nicht: Auffällig an dem Osang-Porträt ist nämlich, dass überhaupt keine Kritiker zu Wort kommen, die in Redaktionskreisen nicht schwer zu finden sind. Entweder hat Osang schlampig recherchiert oder er wollte wegen Befangenheit nicht mit solchen Leuten sprechen. Beides ist so mäßig cool.”

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4. Was im Diversitäts-Diskurs fehlt
(mdr.de, Judyta Smykowski)
Judyta Smykowski setzt sich bei Leidmedien.de regelmäßig dafür ein, dass Medienschaffende für klischeefreie Sprache und Bildsprache sensibilisiert werden. In ihrem Gastbeitrag für das “Altpapier” verrät sie, was aus ihrer Sicht im Diversitätsdiskurs fehlt, was an “Inspiration Porn” problematisch ist, und warum wir mehr authentische Bilder von Menschen mit Behinderung brauchen. In Sachen Diversität lohne ein Blick auf US-amerikanischen Serien: “An dieser Stelle seien Serien wie Good Wife, Stranger Things, Sex Education und vor allem Game of Thrones positiv erwähnt. Ihnen gelingt es, Menschen mit authentischen Erkrankungen und Behinderung zu zeigen und sie als selbstbestimmte Menschen auftreten zu lassen, die weder ihre Behinderung überwinden oder verneinen müssen, noch ständig leiden.”

5. Minden: Lynchaufruf gegen die “Covid-Presse”
(ndr.de, Nils Altland & Tim Kukral, Video: 5:18 Minuten)
In Minden haben Unbekannte eine unbekleidete männliche Schaufensterpuppe mit einem Strick um den Hals an einer Brücke aufgehängt – vor dem Bauch ein Pappschild mit der Aufschrift “Covid-Presse”. Das Medienmagazin “Zapp” ist nach Minden gereist, hat sich in der Stadt umgehört und mit Benjamin Piel über den Fall gesprochen, dem Chefredakteur des “Mindener Tageblatts”.

6. Türkei kündigt Schritte gegen “Charlie Hebdo” an
(faz.net)
Die Türkei hat juristische und diplomatische Schritte gegen die aktuelle Erdoğan-Karikatur der französischen Satirezeitung “Charlie Hebdo” angekündigt. Erdoğans Sprecher Fahrettin Altun schreibt dazu auf Twitter: “Die antimuslimische Agenda des französischen Präsidenten Macron trägt Früchte! Charlie Hebdo hat gerade eine Reihe sogenannter Karikaturen veröffentlicht, die voller verachtenswerter Bilder sein sollen, die angeblich unseren Präsidenten darstellen. Wir verurteilen dieses äußerst verabscheuungswürdige Bemühen dieser Publikation, ihren kulturellen Rassismus und Hass zu verbreiten.”
Weiterer Lesehinweis: Für die “Süddeutsche Zeitung” ordnet Joseph Hanimann den Vorgang weltpolitisch ein: “Angesichts des Konflikts um Berg-Karabach und der griechisch-türkischen Kontroverse auf Zypern ist die türkische Regierung aber bemüht, Politik, Militäroptionen und Medienaspekte in einem einzigen Stimmungstopf zu verrühren. Der Boykott französischer Produkte, zu dem Erdoğan zu Beginn dieser Woche aufgerufen hatte, wird Charlie Hebdo etwa nicht weh tun. Manche Industrielle, Handwerker und Landwirte in Frankreich lachen aber womöglich etwas verkniffen über die neue Karikatur.”