Am Wochenende haben sie wieder einen erwischt. 26 Jahre alt. Auf der Bundesstraße 301 in der Nähe von Freising. Der Mann hatte eigentlich nichts angestellt. Keinen Unfall verursacht. Nichts getrunken. Keine Drogen im Blut. Aber irgendwas war da. Das spürten die Polizisten. Irgendetwas, das die Kollegen aus der Pressestelle sehr glücklich machen würde. Auch das ahnten sie.
Kurz darauf hielten sie den Wagen an. Und tatsächlich, es war, wie sie vermutet hatten. Ihr Verdacht bestätigte sich. Die Kollegen aus der Pressestelle brachen am Telefon in Jubel aus. Sie versprachen, bei der Weihnachtsfeier am Freitag dafür einen auszugeben. Dann legten sie auf und machten sich an die Arbeit. Endlich konnten sie den Journalisten das liefern, was die unbedingt haben wollten: Meldungen von Menschen, die ohne Führerschein Auto fahren:
Die Nachricht fiel kurz aus. Dem Mann war sonst wirklich nichts vorzuwerfen. Schade eigentlich, fand man in der Pressestelle. Da hatten die Kollegen in Oldenburg anderthalb Wochen zuvor mehr Glück gehabt. Und sie hatten nicht mal jemanden anhalten müssen. Der Mann war zu ihnen gekommen. Er hatte sich am Eingang gemeldet und dabei gleich zugegeben, dass er gar nicht mit dem Auto hätte fahren dürfen. Den gierigen Journalisten hätte das bestimmt schon gereicht. Aber dann erzählte der Mann auch noch, dass er gekommen sei, um sich bei der Polizei zu bewerben. Kurz danach stellte sich heraus, dass er auch noch Drogen genommen hatte. Ein Hauptgewinn:
Als Polizei-Pressesprecher erlebt man so etwas nicht alle Tage. Als Journalist schon gar nicht. Dabei sind Menschen, die ohne Führerschein ein Auto in Bewegung setzen, eigentlich gar nicht so selten. Es kommt sogar öfter vor, dass die fehlende Fahrerlaubnis gar nicht das einzige Problem ist:
Oder noch besser:
Es muss gar nicht zwingend Alkohol sein:
Die Journalisten nehmen ja alles. Der Fahrer kann auch stocknüchtern sein. Dann braucht er eben ein anderes Problem:
Und sei es nur ein kleines:
Am besten ist natürlich, wenn alles zusammenkommt:
Journalisten kriegen nie genug von dem Zeug. Sie müssen nur das Wort “Führerschein” lesen, schon läuft ihnen der Speichel aus dem Mundwinkel.
Auf der Journalistenschule haben sie gelernt: Eine Nachricht muss wie ein Küchenzuruf sein. Jemand ruft aus dem Esszimmer in die Küche, und gleich erscheint ein Kopf zwischen den Türrahmen und fragt ungläubig: “Wirklich?” Ein Satz, der alle Aufmerksamkeit an sich reißt — das ist ein Küchenzuruf. Und wenn “Autofahrer fährt ohne Führerschein” keiner sein soll, dann weiß man’s wirklich auch nicht mehr.
(Foto: Jean-Marie Tronquet)
Das kann jeder zu Hause ausprobieren. Abends aus dem Esszimmer ein paar Neuigkeiten in die Küche rufen. Aber immer dran denken: Wichtig ist der Führerschein. Ohne den kann man’s vergessen. Den Satz “Mann fährt jahrelang ohne Verbandskasten” kann man in die Küche rufen, so oft man will. Da erscheint zwischen den Türrahmen niemand.
Wobei — das muss man dazusagen — man immer Pech haben kann. Führerschein hin oder her. Der Mensch gewöhnt sich an alles sehr schnell. Und wer ständig die gleichen Geschichten in die Küche ruft, darf sich nicht wundern, wenn irgendwann niemand mehr da ist, der antworten könnte.
Das wissen natürlich auch die Journalisten. Sie haben sich längst darauf eingestellt. Irgendwann haben sie sich an einen Tisch gesetzt und zusammen über die Frage nachgedacht: “Wie fesseln wir eigentlich sonst unsere Leser?”
Ratlose Gesichter sahen sich an, bis irgendwer zögerlich fragte: “Mit Meldungen über Jubiläen und runde Geburtstage?”
“Genau. Mit Meldungen über Jubiläen und runde Geburtstag”, sagte der Chefredakteur.
Die anderen nickten. Seitdem wenden sie das Prinzip auch auf die Führerschein–Meldungen an:
Ab dem 40. Jahr — viele wissen das gar nicht — überreichen die Polizisten bei der Kontrolle eine Flasche Sekt:
Ab dem 50. Champagner:
Und ab dem 55. trinken sie sogar mit. Daher ist dieser Fall in den Archiven kaum dokumentiert, denn nach dem gemeinsamen Umtrunk kommt es oft gar nicht mehr zu einer Meldung an die Pressestelle.
Die Journalisten — das sollte man hier auch noch erwähnen — stoßen in der Redaktion schon ab dem fünften Jubiläum mit einem Prosecco an. Wahrscheinlich erklärt das überhaupt erst die große Begeisterung für die Führerschein-Meldungen.
Beim 60. Jubiläum öffnen sie schon nach der Mittagspause eine Flasche Schnaps. Und vielleicht ist das dann eine Erklärung für diese Gewichtung: