Es ist nicht völlig auszuschließen, dass Charlotte Roche vor fünf Jahren nach dem Tod ihrer Brüder nicht von der “Bild”-Zeitung erpresst wurde. Es ist nicht völlig auszuschließen, dass alle Leute gelogen haben, die sich damals als “Mitarbeiter der ‘Bild’-Zeitung” oder “‘Bild’-Reporter” ausgaben oder sagten, sie handelten “für die ‘Bild’-Redaktion” oder seien “für ‘Bild’ tätig”. Das Münchner Landgericht hält es zwar für “eher fernliegend”, dass es sich bei all diesen Menschen, von denen sich die Moderatorin verfolgt fühlte, um “Trittbrettfahrer” handelte. Aber auszuschließen ist es nicht. Einen Beweis dafür, dass die “‘Bild’-Leute” auch “Bild”-Leute gewesen seien, konnten nach Ansicht des Gerichtes weder Charlotte Roche noch der “Stern” vorlegen, der im vergangenen Dezember behauptet hatte, “Bild”-Leute hätten Roche erpresst.
Und deshalb verbreitete die “Bild”-Zeitung heute eine Pressemitteilung, in der es heißt:
“Außer Kontrolle” – “Stern” unterliegt BILD
(…) Nach der Entscheidung darf der “Stern” weder behaupten noch verbreiten, dass BILD-Mitarbeiter Charlotte Roche nach dem schweren Unfall ihrer Brüder angerufen, telefonisch massiv behelligt, ihr für ein Foto nachgestellt, bei dem Sender “Viva” angerufen oder ein Interview verlangt hätten.
In der Pressemitteilung steht nicht, dass ein solches Vorgehen nach Ansicht des Gerichtes “schmierigsten Journalismus auf der untersten Stufe journalistischen Wirkens darstellen” würde. Und den darf man der “Bild”-Zeitung natürlich nicht nachsagen. Es sei denn, man kann es beweisen.
Das Gericht zweifelte in seinen Entscheidungsgründen, ob die Klage der Axel Springer AG gegen den “Stern” “sinnhaft” gewesen sei. Denn der “Stern” habe durchaus das Recht zu behaupten, dass sich mehrere Menschen, die Charlotte Roche zusetzten, als “Bild”-Mitarbeiter ausgaben. Und er habe das Recht, diese Tatsache zu werten. “Journalistisch geschickt aufbereitet”, so das Gericht, könnte dies für die Axel Springer AG “ein weitaus verheerenderes Echo haben” als die ursprüngliche Behauptung des “Stern”.
Die “SZ” nennt den Sieg Springers daher einen “Pyrrhus-Sieg”.
Es ist schon oft geschrieben worden, dass die Entertainerin Charlotte Roche von der “Bild”-Zeitung “erpresst” wurde, damals im Jahr 2001, kurz nachdem mehrere Familienmitglieder Roches bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen waren.
Und “Bild” hat es stets bestritten.
Genauer gesagt, hat “Bild” es nicht öffentlich bestritten, als 2003 der Erpressungsvorwurf erstmals öffentlich gemacht wurde (1). Wohl aber, als der “Tagesspiegel” Roches Vorwurf aus dem “Stern” ein Jahr später wiederholte (2). “Bild” setzte eine Gegendarstellung durch, der “Tagesspiegel” präzisierte daraufhin den Erpressungsvorwurf (3), wogegen “Bild” offenbar wiederum nicht vorging. Als allerdings der “Stern” — abermals ein Jahr später — die nunmehr präzisierte “Bild”-Erpressungsversion wiederholte (4), wollte “Bild” auch dies doch wiedernicht hinnehmen.
Seitdem streiten sich “Bild” und “Stern” vor Gericht — zuletzt am gestrigen Montag vor dem Landgericht München I.
“Erpresst die Bild-Zeitung Promis mit Telefonterror?” fragt deshalb heute die “Süddeutsche Zeitung”, beschreibt noch einmal minutiös, wie “Bild” damals, vor inzwischen fast fünfeinhalb Jahren, vorgegangen sein soll und lässt nicht unerwähnt, dass “Bild” die Schilderung falsch und “verheerend” finde.
Das Gericht allerdings zweifelt laut “Süddeutsche” nicht an Roches Schilderung.
Weil sich aber offenbar die zentrale “Stern”-Behauptung (“Die ‘Bild’-Leute riefen bei Viva an”) nicht beweisen lässt, könne das Gericht nicht ausschließen, “dass etwa freie Reporter unter der Flagge des Blattes [“Bild”] segelten”. Es habe daher einen Kompromiss vorgeschlagen:
Der “Stern” dürfe zwar schreiben, dass sich die Anrufer als ‘Bild’-Reporter ausgegeben hätten — aber nicht, dass sie es auch tatsächlich gewesen seien.*
… auch wenn der “Stern”-Anwalt darauf hinwies, dass es unwahrscheinlich sei, “dass acht Trittbrettfahrer sich nacheinander ausgerechnet auf ‘Bild’ berufen würden”.
*) Laut “Süddeutsche” haben die Verlage bis zum 10. November Zeit, dem vom Gericht vorgeschlagenen Kompromiss zuzustimmen, andernfalls wird am 22. November ein Urteil verkündet.
BILDblog-Leser wissen mehr. Anders als die durchschnittlich über elf Millionen “Bild”– und abertausend Bild.de-Leser wissen sie nämlich nicht nur, dass Charlotte Roche am Mittwochabend als Gast in der “Harald Schmidt”-Show “vor 920 000 Zuschauern plötzlich mit klaffender Zahnlücke in die Kamera” schaute, sondern beispielsweise auch, was über Roches Auftritt bei Schmidt im “Berliner Kurier” steht. Dort heißt es heute nämlich in einer kleinen Meldung:
“Ex-Viva-Girl und TV-Moderatorin Charlotte Roche (…) war ARD-Talkgast bei Harald Schmidt. Dabei glänzte sie nicht nur durch ihre freche Klappe, sondern auch mit ihrer Aufschrift am T-Shirt: BILDblog.de – einem Internet-Forum, das der Bild-Zeitung Paroli bietet.”
Was weder in “Bild” noch im “Kurier” steht, ist, wie überrascht wir selber von Roches Auftritt waren – und wie sehr wir uns darüber gefreut haben. Das steht nämlich nur hier.
Gestern stand in “Bild” ein großer Artikel, der aus drei Gründen ungewöhnlich ist.
Erstens stimmt in ihm jedes Wort.
Zweitens stellt er bundesweit auf breitem Raum eine Lesung vor, die es bereits seit eineinhalb Jahren gibt, was nicht nur für eine Zeitung, die mit den Worten “Informationsvorsprung mit vier Buchstaben” für sich wirbt, ganz schön lange ist.
Und drittens erweckt der Artikel den Eindruck, als berichte er freundlich für eine Veranstaltung von und mit der Moderatorin Charlotte Roche, so als habe Roche ebenso freundlich mit der “Bild”-Zeitung zusammengearbeitet. Was erstaunlich wäre, denn eben jene Charlotte Roche ist eine der schärfsten öffentlichen Kritikerinnen der “Bild”-Zeitung — aus gutem Grund: Sie musste die Methoden der Zeitung auf eine extreme Art kennen lernen.
Aber scheinbar herrscht jetzt eitel Sonnenschein. “Bild” zeigt groß ein freundliches Foto von ihr und ihrem Bühnen-Partner Christoph Maria Herbst und berichtet über die “seltsame Lesung” in der Bonner Kunsthalle aus einer Doktorarbeit mit dem Titel “Penisverletzungen bei Masturbation mit Staubsaugern”. “Bild”-Mitarbeiterin Alexandra Würzbach zitiert nicht nur aus dem Vortrag, sondern hat auch mehrere ausführliche Zitate von Charlotte Roche zu bieten. Etwa über ihre Beziehung zu Staubsaugern oder über die Idee zur Lesereise:
“Wir saßen abends zusammen und haben uns — mal wieder — über Sexunfälle unterhalten. Von leeren Cola-Flaschen bis zu anal eingeführten tiefgeforenen Forellen.” Bitte was? “Das Problem bei denen ist…”
Das “Bitte was?” ist interessant, denn man könnte denken, das wäre die Nachfrage von “Bild” gewesen. Aber das steht nicht da, und so war es auch nicht.
Fragt man Charlotte Roche, sagt sie, dass sie nicht mit “Bild” geredet hat. Nach der Lesung sei sie zwar von einer “Bild”-Mitarbeiterin angesprochen worden, habe die Bitte um ein Gespräch aber abgelehnt. Auch das große Foto ist weder von einem “Bild”-Fotografen, noch aktuell, sondern mindestens acht Monate alt.
Das Management der Lesung-Tournee habe die ausdrückliche Anweisung, sagt Charlotte Roche, Anfragen von “Bild” oder anderen Springer-Medien abzulehnen. Auf vielerlei Arten hätten es “Bild”-Leute und freie Mitarbeiter versucht, in die ausverkaufte Lesung zu kommen, und schließlich auch geschafft. Alle Zitate von Charlotte Roche stammen aus dem Frage- und Antwortspiel mit dem Publikum im Anschluss an die Lesung.
Das steht zwar nicht in dem “Bild”-Artikel, aber das Gegenteil auch nicht. Alles ist völlig korrekt. Und nur Charlotte Roche fragt sich verärgert, wie viele Leute nach dem Lesen des Artikels wohl fälschlicherweise angenommen haben, sie und “Bild”, das sei eine ganz normale Beziehung.
“Nur Moralisten können gute Journalisten sein.”
(Kai Diekmann)
“Man muss ein Zeichen setzen gegen die Angst vor ‘Bild’.”
(Charlotte Roche)
Am 5. September 2004 berichtete der Berliner “Tagesspiegel” ausführlich über die “Methoden der mächtigsten deutschen Zeitung”. Geschildert wurde neben vielen anderen haarsträubenden Fällen unter anderem die Erfahrung, die die Moderatorin Charlotte Roche im Juni 2001 mit “Bild” gemacht haben soll. Einige Wochen, nachdem bei einem Autounfall auf dem Weg zu ihrer Hochzeit drei ihrer Brüder getötet und ihre Mutter schwer verletzt wurden, sei sie von einem Paparazzo lachend mit ihrem Freund fotografiert worden. Ein “Bild”-Redakteur habe ihr gedroht, dieses Foto mit dem ironischen Kommentar “So tief ist ihre Trauer” zu veröffentlichen, wenn sie der Zeitung kein Interview gebe.
Diese Schilderung stimmte offensichtlich nicht. Die Axel Springer AG setzte eine Gegendarstellung durch, in der sie bestritt, dass sich ein “Bild”-Journalist je so gegenüber Roche geäußert habe. Die Redaktion hätte das Foto weder besessen, noch von ihm gewusst, noch es als Druckmittel eingesetzt.
Unter dieser Gegendarstellung korrigierte sich der “Tagesspiegel”, widersprach aber der Darstellung von Springer:
Richtig ist, dass sich kein “Bild”-Journalist gegenüber Charlotte Roche geäußert hat. Dem Tagesspiegel liegt allerdings ein Schreiben eines Mitarbeiters der Presseabteilung von Viva vor, dem Sender, bei dem Charlotte Roche damals moderierte. Darin heißt es: “Kurze Zeit nach dem tödlichen Unfall von Charlottes Brüdern hat sich damals ein ‘Bild’-Redakteur bei mir telefonisch gemeldet. Soweit ich mich erinnere, sagte er, er habe zwar Bauchschmerzen bei diesem Anruf, aber er habe mit der Chefredaktion in Hamburg gesprochen und müsste mir Folgendes sagen: Wenn die ‘Bild’-Zeitung kein Interview mit Charlotte bekäme, würde die ‘Bild’ am nächsten Tag ein Bild von Charlotte bringen und dazu eine Geschichte, die uns nicht gefallen würde. Mir wurde nicht mitgeteilt, um welche Art von Foto oder Geschichte es sich handelt.”
“Bild” bestreitet bis heute, dass es dieses Gespräch mit diesem Inhalt gegeben hat.
Gegen diese Darstellung des “Tagesspiegel” ist die Axel Springer AG in keiner Weise mehr vorgegangen.
Jetzt ist über ein Jahr vergangen, und diesmal hat es nicht der “Tagesspiegel”, sondern der “Stern” gewagt, kritisch über “Bild” zu schreiben. Vor zwei Wochen stand in der Zeitschrift:
Der erste Anrufer nach dem Unglück auf ihrem [Charlotte Roches] Handy war ihr Vater, der zweite ein “Bild”-Reporter. Was folgte, sagt Charlotte Roche, “war Telefonterror — den Rest des Tages hatte ich damit zu tun, die Anrufe von ‘Bild’ wegzudrücken”.
Die Moderatorin sprach mit niemandem. Vier Wochen lang tauchte sie ab, verließ kaum das Haus. Dann gelang einem Fotografen der “Abschuss” — so nennt der Boulevard Paparazzo-Aufnahmen: Charlotte Roche hatte neben ihrem Freund gestanden und gelacht.
Die “Bild”-Leute riefen bei Viva an. Ein Mitarbeiter des Senders hat seine Erinnerungen an das Gespräch notiert: “Kurze Zeit nach dem tödlichen Unfall hat sich ein ‘Bild’-Redakteur bei mir gemeldet. … Er habe zwar Bauchschmerzen bei diesem Anruf, aber er habe mit der Chefredaktion in Hamburg gesprochen und müsste mir mitteilen: Wenn die ‘Bild’-Zeitung kein Interview mit Charlotte bekäme, würde die ‘Bild’ am kommenden Tag ein Foto von Charlotte bringen und dazu eine Geschichte, die uns nicht gefallen würde.” Ein ‘Bild’-Sprecher weist die Vorwürfe zurück: “Diese Äußerungen treffen nicht zu.”
All das darf der “Stern” zur Zeit nicht mehr behaupten. Die Axel Springer AG bestreitet Umstand und Inhalt der Gespräche und hat beim Landgericht München eine einstweilige Verfügung erwirkt, die dem “Stern” die Veröffentlichung vorläufig untersagt. Deshalb ist der gesamte “Stern”-Artikel auch aus dem Online-Angebot der Zeitschrift verschwunden. Beim “Stern” ist man über die Entscheidung des Gerichtes überrascht und will dagegen vorgehen.
Anders als der Branchendienst “New Business” meldet und auch Springer gegenüber dem Gericht behauptet haben soll, hat der “Stern” nicht die ursprünglichen (falschen) “Tagesspiegel”-Angaben wiederholt. Wiederholt hat der “Stern” die Erinnerungen des Viva-Mitarbeiters, die der “Tagesspiegel” in seinem Zusatz der Gegendarstellung Springers wiedergegeben hat. Und dagegen ist Springer, wie gesagt, nie vorgegangen. Beim “Stern” geht man deshalb davon aus, dass die einstweilige Verfügung keinen Bestand haben wird.
“Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann fordert darüber hinaus vom “Stern” den Abdruck einer Gegendarstellung und die Abgabe von Unterlassungserklärungen. Beim “Stern” hat man das Gefühl, “Bild” verfolge eine ähnliche Taktik wie die, mit der die Zeitung vor einem Jahr gegen den “Tagesspiegel” vorgegangen sei: viele nebensächliche Punkte anzugreifen, um die Kritik an den haarsträubenden Methoden von “Bild” unberechtigt erscheinen zu lassen.
Auf Homestories von Politikern will “Bild” zukünftig angeblich verzichten; von Artikeln aus dem Privatleben von anderen Prominenten, um die es im “Caroline-Urteil” im Kern geht, ist nicht die Rede. Schade eigentlich — denkt man, wenn man einen Artikel im heutigen “Tagesspiegel”* gelesen hat, der sich die Arbeit des “Bild”-Unterhaltungsressorts unter seinem Chef Martin Heidemanns genauer ansieht.
Zu lesen ist in der ausführlichen Geschichte unter anderem:
… wie die Methoden von Martin Heidemanns in der Branche beschrieben werden: Anschreien, Drohen, Erpressen.
… wie “Bild” versucht haben soll, Prominente wie Charlotte Roche, Ursula Karven und Esther Schweins in persönlichen Notsituationen zu Interviews zu erpressen.
…wie “Bild am Sonntag” falsche Fotos von Andreas Türck (wie er angeblich nach den Vergewaltigungsvorwürfen zu seiner “Mama” flieht) und Oliver Kahn (wie er angeblich wieder seine Ehefrau betrügt) zeigte.
Die Chefin der Agentur Barbarella, die viele Prominente vertritt, zitiert der “Tagesspiegel” mit dem Fazit:
Journalisten der ,Bild’-Zeitung scheinen darauf trainiert zu werden, jeglichen Ethos abzugeben.
Weder Heidemanns noch sein Chef Kai Diekmann wollten mit dem “Tagesspiegel” reden. Ein Sprecher des Verlages sagte:
Die Unterstellungen des Tagesspiegels gegenüber “Bild” sind so haarsträubend, dass sich darauf eine Antwort verbietet. Genauso wie beim Tagesspiegel sind dies auch für “Bild” keine üblichen Arbeitsmethoden.
Ach ja. Oder wie Kai Diekmann der Zeitschrift “Cover” sagte: “Nur Moralisten können gute Journalisten sein.”
(Verspäteter) Nachtrag, 29. Dezember 2005:
Von Martin Heidemanns erschien am 14. November 2004 eine Gegendarstellung zu dem Artikel im “Tagesspiegel”. Darin heißt es unter anderem:
Durch die Formulierung: “Spricht man mit Prominenten und ihren Managern, mit ehemaligen und aktuellen Kollegen über jenen Mann, der bei BILD für das Unterhaltungsressort verantwortlich ist, fallen drei Worte immer wieder: Anschreien, Drohen, Erpressen”, erwecken Sie den Eindruck, dass ich bei meiner Berufsausübung schreie, drohe, erpresse.
Das ist falsch. Ich schreie nicht, ich drohe nicht, und ich erpresse auch nicht.
*) Nachtrag, 25.1.2006:
Der strittige Artikel ist im Online-Archiv des “Tagesspiegel” nicht mehr (oder nicht mehr frei) verfügbar, aber im Wortlaut hier nachzulesen. Zwei weitere Gegendarstellungen dazu finden sich hier und hier.