Vorsicht, 1. April! Es ist wieder so weit: Wer nicht aufpasst, kann ganz schön reinfallen – und wird danach gnadenlos verspottet. (…) seit es Massenmedien gibt, veräppeln am 1. April auch sie ihre Leser oder Zuschauer. Da herrscht ein wahrer Wettbewerb: (…) Fallen womöglich sogar Journalisten-Kollegen auf die Aprilscherz-Meldung rein – und drucken sie nach?
Und heute berichtet die gedruckte “Bild” auf Seite 1 unter der Überschrift “April, April!” über die Aprilscherze verschiedener Unternehmen.
Direkt unter dieser bunten Meldung steht bei “Bild” noch eine andere, weniger bunte (siehe Ausriss): Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) fordere, dass “unser Jahresurlaub (…) schrittweise von sechs auf fünf Wochen verkürzt werden” solle — “als Beitrag zum Klimaschutz”.
Dadurch kann (…) die CO2-Belastung deutlich reduziert
werden, weil die Bundesbürger vor allem weniger Zeit für Fernreisen haben (…). In Köln hat man ausgerechnet, dass fünf zusätzliche unbezahlte Arbeitstage das Bruttoinlandsprodukt um etwa 30 Milliarden Euro erhöhen würden. (…) Damit die Arbeitnehmer sich auf die neuen Verhältnisse allmählich einstellen können, empfiehlt das Institut, an jedem 1. April den Urlaub um einen Tag zu kürzen, bis 5 Wochen erreicht sind.”
Die gnadenlose Verspottung von “Bild” sparen wir uns.
Der Engländer nennt sie “false friends”: Wörter, die ähnlich aussehen, aber ganz etwas anderes bedeuten. Das englische Wort “gymnasium” ist für Deutsche so ein false friend, weil es “Turnhalle” bedeutet.
Auch die Sprache von “Bild” ist bekanntlich voller falscher Freunde. “Enthüllen” zum Beispiel bedeutet nicht dasselbe wie in der deutschen Sprache, sondern etwa: “längst bekanntes mit Verspätung aufgreifen”. Fast schulbuchmäßig demonstriert die “Bild”-Zeitung in der heutigen Ausgabe den Einsatz, wenn sie titelt:
Das Hörbuch, das “Bild” meint, lässt sich (wie sogar “Bild” selbst bemerkt) längst im Buchhandel vorbestellen. Das Internet ist voll von Besprechungen. Am Mittwoch veröffentlichte die Frauenzeitschrift “Brigitte” ein langes Interview darüber mit Kerkeling. Vor fast zwei Wochen erschien in der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” ein großer Artikel darüber. Und vor über zwei Wochen las Hape Kerkeling selbst auf der lit.Cologne daraus vor.
Und wir merken uns: Etymologisch stammt das “Bild”-Wort “enthüllen” nicht, wie im Deutschen, von der Hülle ab, sondern von der Ente.
Was erwartet eigentlich der Leser von einer Tageszeitung?
Neuigkeiten? Und Hintergründe?
Und was erwartet den Leser bei “Bild”?
Die Beantwortung der Frage “Wie gefährlich sind Mikrowellen?” durch das “Schulprojekt” einer “Schülerin der 6. Klasse” (ein mit microwaved water begossenes Pflänzchen ging nach neun Tagen ein) und zwei Vorher/Nachher-Fotos des “Experiments”, die “im Internet kursieren” (siehe Ausriss).
“Bild” schreibt dazu:
“Ist das der Beweis, dass Mikrowellen doch gefährlich sind?”
Offensichtlich nicht zu erwarten hat der “Bild”-Leser eine Antwort auf diese Frage — beispielsweise diese: Das mutmaßliche “Schulprojekt” wurde irgendwann 2006 durchgeführt, besitzt quasi keinerlei Aussagekraft, und “im Internet kursieren” längst auch einleuchtendereGegenbeweise.
“Wegen Knut?” fragte “Bild” bereits gestern auf der Titelseite.
Denn just, nachdem der populäre Eisbär (wir berichteten) in einem Berliner Gehege der Öffentlichkeit präsentiert wurde, starb im selben Zoo die Pandabärin Yan Yan. Und “Bild” schrieb:
Noch wird über die Ursache gerätselt. Starb sie wegen Knut? War es der Stress durch die plötzlich täglich 30 000 Besucher, die kommen, um Knut zu sehen?
Und eine Antwort auf die vielen Fragen gab es auch. Eine Antwort, wie man sie vermutlich nur in “Bild” finden kann:
Die Todesursache — war es der Stress der letzten Tage? (…) BILD-Reporter hatten in den vergangenen Tagen beobachtet: “Viele Menschen, die wegen der langen Schlangen keinen Blick auf Knut werfen konnten, gingen dann zu Yan Yan. Sie wirkte verunsichert, verschüchtert.”
Wie die Obduktion ergab und der heutigen “Bild” zu entnehmen ist, hatte die Pandabärin einen “kleinen Lebertumor”, starb aber “offiziell an Herzstillstand!” (Bundes-Ausgabe) beziehungsweise “an einer Darmverstopfung, ihr Herz hörte einfach auf zu schlagen” (Ausgabe Berlin-Brandenburg). Oder noch genauer: “Durch die Verstopfung gelangten Darmgifte in die Blutbahn, griffen ihr Herz an” (“Zoobiologe Dr. Ragnar Kühne”). Beziehungsweise: “Durch eine Darmverstopfung wurden giftige Stoffe nicht ausgeschieden. Eine Blutvergiftung führte dann zum Herzversagen” (“Andreas Ochs vom Berliner Zoo”).
Keine Knutitis also, sondern Ileus — “ein unglücklicher Zufall”, wie es der Zoobiologe nennt.
Wie wenig diese Wahrheit der “Bild”-Zeitung gefällt, illustriert sie in folgenden Zeilen, die über dem Yan-Yan-Artikel stehen:
Wer “Bild” verstehen will, sollte dieses Satzpaar eine Weile auf sich wirken lassen.
Das hat sich Buchautor Brandon Hurst sicher nicht träumen lassen, als er alte Zeitungs- und Zeitschriftenarchive nach brauchbaren Zitaten von Angelina Jolie durchsuchte, um eine weitere Biographie über die Schauspielerin damit zu bestücken: Dass die deutsche “Bild”-Zeitung aus diesem recycleten Material einmal eine Titelgeschichte machen und es als “Schock-Beichte” bezeichnen würde und vermeintlich seriöse deutsche Medien den Unsinn auch noch ungeprüft übernehmen würden.
Der “Bild”-Artikel beginnt so:
“Ganz ehrlich, ich mag ganz verschiedene Typen: jungenhafte Mädchen, mädchenhafte Jungs. Ich fühle mich feminin und maskulin. Ich besitze selbst das ruhelose Gemüt eines Mannes.”
(Angelina Jolie in dem Enthüllungsbuch “Angelina Jolie”.)
Mehr müsste man gar nicht lesen, um zu wissen, dass entweder das Buch oder “Bild” oder beide hochstapeln. Denn das Zitat findet sich nicht erst in diesem “Enthüllungsbuch”. Es kursiert seitvielen, vielenJahren im Internet.
Auch dass sie eine langjährige Affäre mit Jenny Shimizu hatte, ist schonlangebekannt. “Bild” behauptet:
Angelina, die lange geschwiegen hatte, bestätigt nun: “Ich wollte sie nur noch küssen und berühren. Ich bemerkte, dass ich sie so ansah, wie ich Männer ansah. Das war toll. Es war nichts, nach dem ich gesucht hatte. Es passierte einfach, dass ich mich in ein Mädchen verliebte.”
Das Zitat scheint allerdings aus einem CBS-Interview von 2001 zu stammen. Darin wird sie allerdings allgemein auf ihre Bisexualität angesprochen:
Yeah, I was open about it because I learned and I wasn’t looking to be promiscuous or looking to be bisexual. I just suddenly looked at a woman and felt these things that I felt when I looked at a man and I understood and I had a beautiful time loving another person who happened to be a woman.
Zur “Schock-Beichte” gehört laut “Bild” auch diese Enthüllung in Bezug auf ihren Ex-Ehemann Billy Bob:
Über ihre Gedanken damals berichtet sie: “Wenn es einen sicheren Weg geben würde, sein Blut zu trinken, würde ich es gern tun.”
Im Original lautet das Zitat: “If there was a safe way to drink his blood, I’d love to.” Angelina Jolie sagte es gegenüber der Zeitschrift “Rolling Stone”, die es vor fast sechs Jahren, im Juli 2001 veröffentlichte.
Auch darüber, dass sie mit vierzehn einen Freund hatte, den sie überredete, ihr mit Messern Schmerzen zuzufügen, berichtete sie damals schon. Und anscheinend 2000 schon in der Zeitschrift “Maxim” und 1999 in der Zeitschrift “Access Hollywood”. Und ähnlich 2003 bei ABC.
Aus einem Buch, das all die alten Zitate wiederverwertet, macht “Bild” eine “Schock-Beichte” auf Seite 1. Und “Spiegel Online”* fällt voll drauf rein. Und die Online-Ableger von “Süddeutscher Zeitung”* und “Rheinischer Post”* haben beim Abschreiben nicht einmal gemerkt, dass der von “Bild” erweckte Eindruck, es handele sich um eine Autobiographie, falsch war.
*) Nachtrag, 26.3.2007: Süddeutsche.de hat den Artikel nachträglich ergänzt. Eingangs heißt es dort nun: “Bei diesem Buch handelt es sich um eine unautorisierte Biographie.” Und am Ende: Aber wie gesagt: Das Buch “Angelina Jolie” zitiert Angelina Jolie rauf und runter, aber Angelina Jolie selber hat dieses Buch nie autorisiert.” Bei rp-online.de ist inzwischen “ein Fehler aufgetreten” und der Artikel “leider nicht verfügbar”. “Spiegel Online” indes bleibt offenbar bei seiner Darstellung.
Nachtrag, 27.3.2007 (nur der Vollständigkeit halber): Süddeutsche.de hat den Artikel inzwischen vollständig, also auch inklusive der zahlreichen kritischen Leserkommentare, aus dem Angebot entfernt. Und “Spiegel Online” hat den ursprünglichen Satz “In wenigen Tagen kommt die Biographie der schönen Schauspielerin in Deutschland auf den Markt” nachträglich um den Hinweis “die allerdings nicht autorisiert ist” ergänzt.
Die Kompetenz der “Bild”-Zeitung in Sachen Harry Potter ist eher nur so mittel. Insofern würden wir der Behauptung der “Bild am Sonntag”, Harry Potter werde entgegen früherer “Bild”-Behauptungen im siebten Band der Reihe nicht sterben, keine größere Bedeutung schenken.
Insbesondere, da “Bild” in dem Artikel sowohl das Erscheinungsdatum des Buches falsch angibt (der Verkauf der englischen Ausgabe beginnt nicht am 7. Juli, sondern am 21. Juli) als auch den Titel: Es heißt nicht “Harry Potter and the Deathly Hollows” (etwa: …und die tödlichen Hohlräume), sondern “Harry Potter and the Deathly Hallows” (etwa: …und die tödlichen Weihen).
Danke an Verena D. und Volker für die sachdienlichen Hinweise!
Von der wissenschaftlichen Forschung immer noch unbeantwortet ist die Frage, ob es theoretisch denkbar ist, eine Nachricht so kurz und schlicht zu formulieren, dass es nicht einmal dem Überschriftenpraktikanten von Bild.de gelingt, sie falsch zu verstehen.
Danke an Florian K. und Thomas R.!
Nachtrag, 22.30 Uhr. Der Überschriftenpraktikant hat sich die Meldung dann nachträglich doch noch einmal ganz genau durchgelesen.
Die Axel-Springer-AG hat gestern einige weitere Wechsel in der “Bild”-Redaktion bekanntgegeben. Interessant ist die Person des neuen Redaktionsleiters von “Bild”-Hamburg: Gerald Selch führte zuletzt für das Magazin der “Süddeutschen Zeitung” ein Interview mit Michael Ballack, in dem der unter anderem erklärte, warum er nicht mit “Bild” spricht.
Vor fast genau einem Jahr musste Selch als stellvertretender Chefredakteur bei der Münchner Boulevardzeitung “tz” gehen, nachdem die behauptet hatte, Bastian Schweinsteiger, Paul Agostino und Quido Lanzaat seien in einen Wettskandal verwickelt. Die “tz” widerrief dies später und entschuldigte sich bei den Spielern, von Selch trennte man sich “im gegenseitigen Einvernehmen”.