Archiv für Vermischtes

Jede Rüge braucht einen Mutigen, der sie zählt

Wie weit Neugierde und Darstellung gehen dürfen, ist keine Frage von Boulevard-Journalismus. sondern jeder Berichterstattung. Und die Antwort lautet: So weit wie nötig — nötig, um den Leser zu grundlegenden Entscheidungen zu befähigen, um ihm die Möglichkeit der Einschätzung (…) zu geben.

Das jedenfalls behauptet “Bild”-Chef Kai Diekmann in einem Beitrag für das unlängst erschienene, aktuelle “Jahrbuch” des Presserats. Und was “Bild” unter “so weit wie nötig” versteht, wird ebenfalls aus der Veröffentlichung des Presserats deutlich: häufig zu weit nämlich. Schließlich ist “Bild” wieder einmal das meistgerügte Medium.

Inwiefern eine unzulässige Vorverurteilung dem “Bild”-Leser “die Möglichkeit der Einschätzung” gibt oder warum für “Bild” ein einfacher Landarzt “eine Person von herausragender öffentlicher Funktion und gesellschaftlicher Stellung” ist, zeigt unsere Übersicht der “Bild”-Presseratsrügen 2006.

Skandal-Skandal bei Bild.de

Ob Skandal-Rocker, Skandal-Rapper, Skandal-Schiri, Skandal-Star, Skandal-Profi, Skandal-Politikerin, Skandal-Urteil und Justiz-Skandal, TV-Skandal, Briefmarken-Skandal, Schummel-Skandal, Suff-Skandal, Sex-Skandal, Rassismus-Skandal, Kopftuch-Skandal, Prügel-Skandal, Pflege-Skandal, Nazi-Skandal, Internet-Skandal, Puff-Skandal oder Skandal um Harry Potter — Skandale sind in “Bild” beliebt. Allein in der Bundesausgabe finden sich in diesem Jahr bereits über 250 Artikel, die nicht ohne Skandal auskommen konnten.

Nur Bild.de gehen offenbar die Skandale aus. So berichtet der Online-Ableger der “Bild”-Zeitung derzeit über eine junge Frau, die sich heimlich und nackt in einem Schloß der dänischen Königsfamilie fotografiert habe, und schreibt:

"Die Stripperin im Schloss – ein Skandal."

Die “Frankfurter Rundschau” jedoch, auf die sich Bild.de ausdrücklich bezieht (“Das berichtet die “Frankfurter Rundschau”) schreibt über die öffentliche Reaktion in Dänemark:

Ein Achselzucken. Bisschen Schmunzeln, bisschen Verärgerung. Da dringt eine Nackte ins Allerheiligste der dänischen Monarchie ein, lässt sich in aufreizenden Posen knipsen, und die Dänen reagieren erfrischend unhysterisch. (…)

Die (…) Medien reagierten verhalten. Viele ignorierten die Episode, andere stellten die Frage nach der Sicherheit im königlichen Schloss (…). “Überrascht” zeigte sich Schlossverwalter Jens Greve, nicht besorgt.

Und auch im “Spiegel”, der über die Angelegenheit übrigens bereits vor zweieinhalb Wochen berichtet hatte, hieß es bloß:

Bei Hofe nahm man den Zwischenfall eher gelassen (…)

Mit Dank an Christoph E. für den Hinweis.

Zu viele Nullen bei “Bild”

Man könnte meinen, zweieinhalbtausend Verkehrstote in einem halben Jahr auf Deutschlands Straßen wären zu viel. Außer vielleicht für “Bild”. Dort heißt es heute nämlich auf der Titelseite:

"Mehr Verkehrstote -- Wiesbaden. Im ersten Halbjahr dieses Jahres starben auf Deutschlands Straßen 20 477 Menschen -- 7,7% mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum (Stat. Bundesamt)."

Ist die so genannte “Zeitung mit den großen Buchstaben” etwa auch die mit den großen Zahlen, der Verkehrstotenfehler womöglich nur die Spitze des Eisbergs?

Apropos Eisberg: Ein Reuters-Video zu einer Protestaktion auf dem Aletschgletscher kündigt Bild.de seit Tagen an wie folgt:

"Nackt auf dem Gletscher -- 6000 Menschen protestieren so gegen den Klimawandel"
Und jetzt raten Sie mal, wieviele es wirklich waren.

Mit Dank an Dietmar S. und andere für die Hinweise.

Nachtrag, 24.8.2007: “Bild” hat den Verkehrstotenfehler heute in der “Korrekturspalte” berichtigt, Bild.de die falsche Nacktenzahl bislang noch nicht.

Nachtrag, 17.50 Uhr: Na, jetzt hat auch Bild.de die Zahl korrigiert.

In eigener Sache

Wie der “Stern” vorab berichtet, werben Anke Engelke und Christoph Maria Herbst in einem Fernsehspot, der ab morgen zunächst auf MTV, Viva und Comedy Central zu sehen sein wird, für BILDblog. Wir können das nur bestätigen.

Und Bilder von den Dreharbeiten zeigen.

Jetzt XVII

Manche Nachrichten müssen zur “Bild”-Meldung erst reifen.

Vor knapp einem Jahr, am 27. August 2006, berichtete die “Welt am Sonntag”, der Fotograf Mario Testino habe ein Haus in Berlin gekauft:

Star-Fotograf Mario Testino lebt für den Moment. Darum liebt er auch Berlin: "Die Narben, die Menschen, die Szenen auf der Straße". Nun hat sich der Peruaner, der in London lebt, seinen langen Traum von einem eigenen Haus in der Hauptstadt erfüllt: eine alte Villa, wie ein venezianischer Palast mit Riesenballsaal, um die 3000 Quadratmeter Wohnfläche, im Fischerinsel-Kiez, direkt an der Spree.

Am Tag darauf, dem 28. August 2006, freute sich die Boulevardzeitung “B.Z.”:

Testino jetzt Berliner — Willkommen in Berlin, Mario Testino (62)! Im Fischerinsel-Kiez hat sich der Star-Fotograf eine palast-ähnliche Villa gekauft (3000 Quadratmeter Wohnfläche direkt an der Spree).

Am 31. August 2006 schloss sich ein Blog des Schweizer Magazins “Cash” an:

Die Deutsche Hauptstadt hat einen prominenten Neubürger: Starfotograf Mario Testino (…). Der gebürtige Peruaner kaufte sich eine alte Villa mit — man höre und staune und halte sich fest — 3000 Quadratmetern Wohnfläche und Spreeblick an der Fischerinsel. Sein Hauptwohnsitz bleibe aber London, bestätigte Testino, künftiger Besitzer eines Ballsaals im venezianischen Stil. Was Testino an Berlin reizt: “Die Narben und die Szenen auf der Strasse”.

Dann passierte lange, lange nichts. Außer, dass einige Medien in Nebensätzen erwähnten, dass Testino bekanntlich nun auch ein Haus in Berlin habe. Und dass unsichtbare “Bild”-Mitarbeiter im Hintergrund sicher immer wieder prüften, ob die Geschichte schon gut war für ihre Zeitung. Gestern, ein knappes Jahr später, war es endlich soweit:

Der letzte Fotograf von Lady Di wird Berliner. ... Jetzt hat der gebürtige Peruaner, der in London lebt, eine besondere Inspirationsquelle entdeckt: die deutsche Hauptstadt. Warum? "Die Narben, die Menschen, die Szenen auf der Straße", so Testino. Im Fischerinsel-Kiez direkt an der Spree hat er sich eine alte Villa gekauft. Vielmehr einen venezianischen Palast, rund 3000 Quadratmeter groß, mit riesigem Ballsaal

Der “Bild”-Artikel beginnt mit den Worten:

Eigentlich war es nur eine Frage der Zeit, dass DER Starfotograf nach Berlin zieht (…).

Danke an Daniel B. für den Hinweis!

Kurz korrigiert (435)

Ein merkwürdiger Ausruf steht da mitten im “Bild”-Artikel über die Freilassung einer deutschen Frau, die in Kabul entführt worden war:

Zum ersten Mal hatten afghanische Kidnapper eine junge Frau in ihrer Gewalt!

Es ist schon ein Kunststück, nicht zu wissen, dass sich seit über einem Monat eine Gruppe junger Koreaner in der Gewalt afghanischer Geiselnehmer befindet, aktuell sollen darunter noch 14 Frauen sein.

Mit Dank an Georg H. und Olav J.

Nachtrag, 23.45 Uhr. Bild.de hat den Unsinn im Nachhinein entfernt.

Kassen-Ärzte planen neue Hotline

Mit dem Spruch “Wer etwas Wichtiges zu sagen hat, macht keine langen Sätze”, hat die “Bild”-Zeitung früher für sich geworben. Man könnte hinzufügen: Wer mit großen Buchstaben schreibt, benutzt keine langen Wörter.

Manchmal lassen sich Buchstaben auch ganz leicht einsparen: Aus Unzufriedenheit wird “Wut”, aus Informationen “Infos” und aus Klinsmann “Klinsi”.

Klappt aber nicht immer. Die Organisationen der deutschen Ärzte, die die Honorare von den Krankenkassen einsammeln und unter ihren Mitgliedern verteilen, tragen zwar einen Namen, der wirklich schlagzeilenunfreundlich ist: “Kassenärztliche Vereinigungen”. Der lässt sich aber nicht von hinten kürzen. Also, jedenfalls nicht ohne dass dann in der Überschrift völliger Unsinn steht, wie heute auf der “Seite 1” der “Bild”-Zeitung:

Kassen planen neue Ärzte-Hotline

“Bild” lässt Begnadigung vor Recht ergehen

Dass der “Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner sich schwer tut mit Begriffen wie “vorzeitige Haftentlassung” (genauer: Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung) und “Begnadigung”, wussten wir schon. Dass Wagner damit in der “Bild”-Redaktion kein Einzelfall ist, hatten wir geahnt — und bekamen gestern, rund drei Monate nach den vehementen Diskussionen um die vorzeitige Haftentlassung der Ex-RAF-Terroristin Brigitte Mohnhaupt und die Begnadigung des Ex-RAF-Terroristen Christian Klar, die Bestätigung. Da schrieb “Bild” nämlich in einem Text über die “Freilassung des Sedlmayr-Mörders”:

Für den Mord hatte das Münchener Landgericht den Mann zu lebenslanger Haft verurteilt und eine besondere Schwere der Schuld festgetellt. Das sollte eine vorzeitige Begnadigung verhindern. Der zweite Täter im Mordfall Sedlmayr, der in einem bayerischen Gefängnis sitzt, hat seine vorzeitige Begnadigung beantragt.

Das ist Unsinn. Die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld soll keine Begnadigung verhindern, sondern die sonst übliche Haftentlassung nach 15 Jahren (§ 57a StGB).

Und angesichts der abenteuerlichen “Bild”-Konstruktion der “vorzeitigen Begnadigung” fragen wir uns: Wann werden Mörder nach Ansicht von “Bild” denn eigentlich planmäßig begnadigt?

Mit Dank an Eric H. für den sachdienlichen Hinweis.

“Bild” taucht mit neuem Kontinent auf

Vom Nordpol zum Südpol ist nur ein Katzensprung.
(Hans Albers, “Flieger, grüß’ mir die Sonne”, 1932)

Es gibt tatsächlich einige Länder, die Besitzansprüche auf den Nordpol erheben, wie “Bild” heute unter der Überschrift “Nordpol schmilzt immer schneller!” berichtet. Etwas hat “Bild” dabei aber ziemlich falsch verstanden. So heißt es im Text:

Durch den Klimawandel schmilzt das Eis am Nordpol immmer schneller — und schon sechs Länder streiten darum, wem das Land darunter gehört. (…) Unterm Eis taucht ein neuer Kontinent auf, unbesiedelt und voller Bodenschätze (…).

Ähm, ein “neuer Kontinent” unter dem Nordpol? Nicht wirklich. Das einzige “Land”, das es unter dem (geographischen) Nordpol gibt, liegt etwa in 4.000 Metern Tiefe. Man nennt es Meeresgrund. “Bild” hat da wohl was verwechselt.

Mit Dank an Martin S. für den sachdienlichen Hinweis.

Angelina Jolie “nackt” wie der PC sie schuf

“Bild” berichtet heute über den Film “Beowulf”, in dem u.a. Angelina Jolie mitspielt (siehe Ausriss). Naja, “berichtet” ist vielleicht zu viel gesagt. Jedenfalls schreibt “Bild”:

So freizügig zeigt sich Angelina Jolie (32) in “Beowulf” (…) Ihr Kostüm: Nix als nackt mit ein bisschen Gold!”

Allerdings ist Kostüm ein etwas altmodisches Wort für das, was auf dem Bild zu sehen ist. “Beowulf” wurde im “Performance Capture”-Verfahren gedreht, weshalb Jolies tatsächliches “Beowulf”-Kostüm auch deutlich anders aussah.

Oder wie Bild.de bereits vor fast sieben Monaten schrieb:

Die Aufnahmen sind nicht echt, sondern nur computeranimiert.

Mit Dank an Jan W. für den Hinweis.

Nachtrag, 21.20Uhr (mit Dank auch an Peter Z.): Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich in die 21 dünnen Textzeilen, die “Bild” dem “Nackt”-Bildchen beigestellt hat, noch ein weiterer Fehler geschlichen hat, der die Unkenntnis der “Bild”-Redaktion umso offensichtlicher macht. “Bild” schreibt nämlich, Jolie spiele “die Mutter des übernatürlichen Bösewichts Beowulf”, obwohl Beowulf doch der Held der Beowulf-Saga ist und Jolie die Mutter seines Gegenspielers Grendel spielt.

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