Archiv für Vermischtes

Der Silberschatz im See

Tolle Geschichte: Schatzsucher finden einen seit über 60 Jahren verschollenen Silberschatz im Schlossteich. Ein Fotograf und Journalist ist dabei und dokumentiert den Fund. Wenig später sind die Schatzsucher verschwunden und mit ihnen der Schatz.

So berichtete die “Bild”-Zeitung im Januar dieses Jahres darüber:

"Der Silber-Schatz aus dem Schloss-Teich"

Doch die Geschichte hat einen entscheidenden Haken: Stephan Benesch, der Fotograf und Journalist, der angeblich dabei war, als der Schatz gehoben wurde, hat sie offenbar erfunden und die Fotos, die “Bild” abdruckte, gefälscht. Dafür hat er sein eigenes Tafelsilber nicht nur fein säuberlich aufgereiht, sondern es auch in den Schlamm gelegt und beides fotografiert. Außerdem hat Benesch das Landesamt für Bodendenkmalpflege wegen der “Schatzräuber” informiert und zum angeblichen Fundort geführt. Und Graf Hubert Tiele-Winckler, laut “Bild” der Erbe des Silbers, schaltete wegen des vermeintlichen Diebstahls nach Veröffentlichung des Artikels die Polizei ein. Das alles ergaben Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Rostock.

Vorgestern nun entschied ein Gericht, dass Benesch 1750 Euro Strafe zahlen muss. Wegen Betrugs gegenüber der “Bild”-Zeitung und wegen Vortäuschens einer Straftat. Benesch hat den Strafbefehl zwar akzeptiert, wie uns die Staatsanwaltschaft bestätigt. Laut “Schweriner Volkszeitung” (“SVZ”) behauptet er jedoch nun, er selbst sei ebenfalls reingelegt worden — von den vermeintlichen Schatzsuchern nämlich. Die Fotomanipulation gibt er zu und sagt, das “war ein Fehler. Ich habe Mist gemacht.” Dass er überhaupt auf die Idee kam, Fotos zu fälschen, begründet er der “SVZ” gegenüber so:

“Die wollten unbedingt ein Foto, da habe ich ein wenig nachgeholfen”.

Mit “die” ist die “Bild”-Zeitung gemeint. Deshalb fragten wir dort seit gestern mittag mehrfach an, ob niemand bei “Bild” Beneschs Geschichte überprüft habe, ob sie später in irgendeiner Ausgabe korrigiert wurde, ob “Bild” Benesch tatsächlich “seit der Geschichte wieder einige Bilder von Unfällen abgekauft” habe, wie die “SVZ” schreibt, und warum der Artikel bei Bild.de weiterhin online ist.

Bisher erhielten wir von “Bild” keine Antwort.

Verpixelte Panik

Was haben diese drei gemeinsam? Wer sie kennt, erkennt sie sofort.

Soviel dazu. Und Schluss mit lustig.

Denn “Bild” berichtet heute in großer Aufmachung und mit vielen Fotos von einem “Amoklauf im Berliner Hauptbahnhof”:

Ein 26-jähriger Mann hat gestern dem Kellner eines Cafés zwei Stunden lang ein Messer an die Kehle gedrückt. (…) Der panische Blick der Geisel auf die scharfe Klinge lässt viele Augenzeugen erschaudern.

TODESANGST!

So steht’s im Pressekodex
 
(…) Bei der Berichterstattung über Unglücksfälle, Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren (…) veröffentlicht die Presse in der Regel keine Informationen in Wort und Bild, die eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen würden.

(…) Immer ist zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen.

(…) Liegen Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit eines Täters oder Tatverdächtigen vor, sollen Namensnennung und Abbildung unterbleiben.

(…) Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden.

(Aus den Richtlinien 8.1 und 11.3)

Ein Großteil der Fotos, die den ganzseitigen Artikel illustrieren, dokumentiert das Beschriebene. Wir sehen: einen Mann mit einem Messer, der einen anderen Mann im Würgegriff hat. Und auf allen Fotos zeigt “Bild” den Mann mit dem Messer, ohne ihn irgendwie unkenntlich zu machen, was nicht schön, aber laut Pressekodex gerechtfertigt sein könnte (siehe Kasten) oder auch nicht (siehe Kasten). Schließlich hatte der Mann laut “Bild” “offenbar Kokain geschnupft” und wurde “in eine Psychoklinik eingewiesen”.

Aber die Anonymisierungspraxis in “Bild” ist ohnehin undurchschaubar. Und einfallsreich zugleich: mal Verpixelungen, mal kleine, mal größere schwarze Balken über der Augen- oder schwarze Kreise über der Gesichtspartie, mal vollständiges Weißen kompletter Silhouetten… Doch wer heute anonymisiert wird, muss schon morgen damit rechnen, dass “Bild” darauf verzichtet, und umgekehrt. Und es vergeht kaum ein Tag, an dem “Bild” nicht Menschen zur Schau stellt (Opfer, Täter, Betroffene), obwohl berechtigte Zweifel bestehen, ob “Bild” das darf. Erfahrungsgemäß zeigt “Bild” lieber zu viel als zu wenig. Zudem gab es in der Vergangenheit wiederholt Fälle, in denen “Bild”-Anonymisierungen vom Presserat als unzureichend beanstandet wurden.

Und den Mann im Würgegriff des Geiselnehmers am Berliner Hauptbahnhof (“Bild” nennt nicht nur seinen Beruf, sondern auch Vornamen, Alter und Arbeitsplatz) hat “Bild” auf den vielen Fotos, die ihn in “Todesangst” zeigen, unkenntlich gemacht — und zwar ziemlich genau so, wie wir das auf obigen Fotos demonstrieren.

Nachtrag, 23.11.2007: Auch heute zeigt “Bild” wieder Fotos der Geiselnahme — diesesmal jedoch ohne jegliche Unkenntlichmachung, die ja für gewöhnlich dem Schutz der Persönlichkeit des Abgebildeten dienen soll. Was das Opfer anbelangt, ist “Bild” deswegen heute (anders als gestern bei der weniger als halbherzigen Verpixelung seiner Augenpartie) wohl nichts vorzuwerfen, denn: “In BILD spricht er jetzt exklusiv über den Horror, über die wirren Gedanken des Täters, über die Liebe, die ihn stark machte.” Über den Täter wird inzwischen berichtet, dass er möglicherweise wegen Wahnvorstellungen, die eventuell durch Betäubungsmittel verstärkt worden waren, schuldunfähig gewesen und vom Ermittlungsrichter in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden sei. Grund genug also, noch einmal aus dem Pressekodex zu zitieren: “Liegen Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit eines Täters oder Tatverdächtigen vor, sollen Namensnennung und Abbildung unterbleiben.”

Medienjournalismus nach Art des Hauses

Peter Heinlein, 56, ist so eine Art Söldner der Medienbranche. Er stand unter anderem schon in den Diensten von “Spiegel”, “Welt am Sonntag”, “Handelsblatt”, “Bunte” und “Max” und zeichnete sich immer durch Artikel über die Medien- und Werbebranche aus, Ausriss: Bild.dedie seine jeweiligen Auftraggeber ganz besonders glücklich machte. Er hatte keine Skrupel, seine Kolumnen ganz in den Dienst der Verlagsinteressen zu stellen, egal, ob das bedeutete, besonders gehässig über die Konkurrenz zu lästern, besonders üppig die eigenen Erfolge herauszustellen oder besonders ungeniert den Werbekunden zu schmeicheln.

Für die “Bunte” porträtierte er vor einigen Jahren in einer großen Reihe Werber. Die Artikel hatten programmatische Überschriften wie “Das ist ein wirklich kluger Kopf!”, “Der Hugh Grant der Werbung”, “Dieser Typ ist ‘ne echte Marke”, “Ein Turbo-Werber macht Druck” oder “Der smarte Werbe-Künstler”. Für “Max” schrieb er über die Agentur Crispin Porter + Bogusky (“von der die derzeit beste Werbung der Welt kommt”), die Agentur Jung von Matt (“Deutschlands beste Werbeagentur”), die Agentur Heimat (“der kreativste Werberladen Deutschlands”).

Heinlein in seiner Doppelrolle als Medienkolumnist und Verlagssprecher:

“Viele Websites bieten inzwischen bewegte Bilder an. Aber bei Bild.T-Online gibt’s ab sofort eine eigene Web-TV-Show. BILD live sendet zweimal täglich das Neueste von Stars aus Entertainment und Sport.

Das neue Videoformat wird von meiner Hamburger Kollegin Julia Josten präsentiert. Dazu wählt die Online-Redaktion in Berlin das Interessanteste aus der Fülle des internationalen Themenangebotes aus. (…) Es macht richtig Spaß, [mit dem Videoplayer] durch die aktuellen Newsfilme zu “blättern”, sich Kinotrailer, Musikclips oder Videos der Community auf den Schirm zu holen.”

Quelle: Bild.de

Vor gut drei Jahren ist er mit seiner Medienkolumne zu “Bild” gezogen, und man kann nicht sagen, dass ihn ein Rückgrat bei der Arbeit behindere. Er scheut sich zum Beispiel nicht, Interviews anderer Leute so auf Links zu krempeln, dass sie sich als Lob auf die Zeitung verkaufen lassen, für die Heinlein schreibt (wir berichteten). Wenn er für Bild.de über Probleme bei der Münchner “Abendzeitung” berichtet, flicht er, wie als Erklärung, den Satz ein: “Modernen Boulevard bietet in München die BILD-Zeitung.” Und zur Post und ihrer neuen Konkurrenz durch die PIN-AG fällt ihm zufällig exakt das ein, was auch Linie der Axel-Springer-AG ist, der die PIN-AG gehört, was für Heinlein aber anscheinend keine für die Leser relevante Information darstellt.

Heinlein kann nicht nur positiv. Wenn es um die (auch von Chefredakteur Kai Diekmann nicht geschätzte) “Zeit” geht oder den Verlag Gruner+Jahr, findet er gern ein böses Wort, und den “Geo”-Chef Peter-Matthias Gaede scheint er besonders wenig leiden zu können:

Bevor der gern kritische Journalistik-Papst des Hauses Gruner + Jahr und König der “GEO”-Gruppe, Peter-Matthias Gaede, im Aufsichtsrat seines Verlages neue Weihen erhält, darf er abgeben von seiner Machtfülle.

Aber man täte Peter Heinlein Unrecht, wenn man jedem seiner Texte unterstellte, er habe ein erklärtes publizistisches Ziel. Viele sind auch einfach, sichtlich unredigiert, dahingeworfen. Ein Höhepunkt aus dem Genre “Eh-Egal” findet sich in Heinleins heutiger Bild.de-Kolumne:

Das immer beliebter werdende digitale Aufzeichnen mit automatischem Herausschneiden der Fernsehreklame hat TV-Werber in den USA auf neue Ideen gebracht. Dort gibt’s nämlich schon Fernsehen im Supermarkt. In den Läden der “Wal-Mart”-Kette zum Beispiel, wo sich Leute beim Einkaufen im Schnitt eine Stunde aufhalten. Dort werden sie jetzt zunehmend mit TV-Werbung berieselt. Ausschalten geht nicht, pinkeln auch nicht. Die Werbeerinnerung dort ist mit 56 Prozent deutlich höher als beim Zuhause Gucken (21 Prozent), ergab eine US-Studie.

Nach “Ford Unilever” und “Gilette” will jetzt auch die US-Navy diesen Kanal nutzen und für ihr PC-Spiel “Call of Duty” werben.

Offenbar hat Heinlein diesen Artikel aus der amerikanischen Fachzeitschrift “Brandweek” zum Thema gelesen. Oder besser: flüchtig überflogen. Denn mal abgesehen davon, dass Ford und Unilever zwei verschiedene Unternehmen sind, dass sich Gillette mit Doppel-L schreibt und es vielleicht wichtig gewesen wäre, darauf hinzuweisen, dass die “US-Studie” mit den für das Wal-Mart-Fernsehprogramm so vorteilhaften Ergebnissen von dem Produzenten des Wal-Mart-Fernsehprogramms erstellt wurde… also, mal abgesehen davon ist das PC-Spiel “Call of Duty” natürlich nicht von der US-Navy. Die “Brandweek” hatte nur darauf hingewiesen, dass jugendliche Käufer dieses Kriegsspiels doch die perfekte Zielgruppe wären für die eigene Werbung der US-Navy im Ladenfernsehen (bei GameStop übrigens, nicht Wal-Mart).

Da muss man schon sehr schludrig arbeiten, um all das, wie Heinlein, misszuverstehen. Aber es geht in diesem Fall ja auch nicht um “Bild”, die Axel-Springer-AG oder ihre Konkurrenten.

Nachtrag, 22. November: Bild.de hat die Wal-Mart-Meldung aus Heinleins Kolumne ersatz-, wort- und restlos gelöscht.

Asini!

Fast halbseitig berichtet “Bild” über die “Archäologie-Sensation! Höhle von Romulus und Remus entdeckt”.

Rom - Es ist eine der berühmtesten Sagen der Menschheit: Eine Wölfin säugt in einer Höhle Remus und seinen Zwillingsbruder Romulus - den Gründer von Rom (735 v. Christus).

Es ist auch eine der berühmtesten Eselsbrücken der deutschen Sprache. Und jetzt alle im Chor:

Siebenfünfdrei

Und vielleicht noch ein Hinweis in eigener Sache: “lupa” ist nicht, wie “Bild” dann noch schreibt, “die lateinische Bezeichnung für Wölfe”, sondern für die Wölfin.

(Und asini ist die Mehrzahl von asinus.)

Vielen Dank an “fufofa” für den Hinweis!

Nachtrag, 11.47 Uhr. Bild.de ist schnell über die Eselsbrücke gegangen.

Nachtrag, 22.11.2007: Auch die gedruckte “Bild” hat sich über die Eselsbrücke gewagt und in der “Korrekturspalte” sowohl die falsche Jahreszahl als auch die falsche lupa-Übersetzung berichtigt.

“Bild” schreibt, was alle schreiben, bloß “exklusiv”

Dass man sich bei der “Bild”-Zeitung etwas wichtiger nimmt, als bei vielen andere Medien, sieht man manchmal an vermeintlichen Kleinigkeiten.

Als man beispielsweise beim “Hamburger Abendblatt” erfuhr, dass die Elbinsel Kaltehofe zum “Badeparadies” umgebaut werden soll, und allerlei Einzelheiten dazu herausfand, entschied man sich dort für folgende Formulierung:

Am Freitag wird das Projekt offiziell vorgestellt. Das Abendblatt berichtet vorab.

Ähnlich machte es die “Hamburger Morgenpost”, als sie erfuhr, dass die Elbinsel Kaltehofe zum “Badeparadies” umgebaut werden soll, und allerlei Einzelheiten dazu herausfand:

Einzelheiten wollte [Volker Dumann von der Umweltbehörde] nicht verraten. Die MOPO bekam die Details trotzdem heraus: (…)

Als die “Bild”-Zeitung hingegen erfuhr, dass die Elbinsel Kaltehofe zum “Badeparadies” umgebaut werden soll, und allerlei Einzelheiten dazu herausfand, kam offenbar niemandem der Gedanke, dass auch andere dieselben Einzelheiten hätten erfahren können wie “Bild”. Man entschied sich, die Überschrift der fast ganzseitigen Geschichte, mit diesem Wort zu garnieren:

"Exklusiv!"

Vielleicht wurde der Gedanke an andere Medien aber auch einfach ignoriert, weil “Exklusiv!” irgendwie, ähm, exklusiver klingt. Auch wenn’s nicht stimmt.

Das sieht ihm nicht ähnlich

Pascale Hugues, die Deutschland-Korrespondentin des französischen Magazins “Le Point”, hat im “Tagesspiegel” unter dem Titel “Rache der Spießer” eine Abrechnung mit Präsident Nicolas Sarkozy und “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann wegen deren Attacken auf die 68er geschrieben. Sie nennt die beiden “Junggreise” und beschreibt, wie Diekmann auf einem Foto auf sie wirkt, das ihn im vergangenen Sommer im G8-Gipfel-Strandkorb vom Heiligendamm zeigt: “Er ist erst 40 und wirkt schon wie mein Großonkel Louis mit 60 Jahren, als er den Banketten des Lions Club präsidierte.”

Sie fügt hinzu:

Nicolas Sarkozy gehört ebenso wie Kai Diekmann jener seltsamen Gattung von Menschen an, die anscheinend nie jung gewesen sind. Unmöglich, sich die beiden mit struppigem Haar vorzustellen, mit einem Dreitagebart, erhobener Faust und einem Kopf voll wirrer Ideen.

Kai Diekmann reagierte ausnahmsweise mit Humor und schickte dem “Tagesspiegel” “Eine Art Gegendarstellung”, die die Zeitung am Sonntag auf ihrer Leserbriefseite veröffentlichte:

“Unmöglich, sich die beiden mit struppigem Haar vorzustellen, mit einem Dreitagebart … und einem Kopf voll wirrer Ideen”.
Hierzu stelle ich fest: sehr wohl möglich! (s. Foto).

Nur echt mit dem gelben Streifen

Möglich ist natürlich, dass sich über Musikvideos, die Bild.de auf der Startseite zeigt, automatisch diese gelbe “Exklusiv”-Schleife oben links legt. Und dass die Rubrik “Videopremiere” fest voreingestellt ist. Und dass das Redaktionssystem verhindert, dass ein Musikvideo veröffentlicht wird, solange in der Überschrift nicht mindestens zwei der drei Begriffe “brandneu”, “schon jetzt” oder “enthüllt” auftauchen.

Das wäre immerhin eine Erklärung, warum Bild.de gestern und heute auf der Startseite entsprechend die Tatsache bewarb, dass dort das Video von Kate & Ben “Ich lieb’ Dich immer noch so sehr” gezeigt wird, das zweieinhalb Wochen vorher, am Abend des 2. November, in der Sendung “Neu” auf Viva Premiere hatte, und bereits seit dem 3. November zum Beispiel auf MyVideo zu sehen ist.

BILDisch für Fortgeschrittene (2)

Heute lernen wir mal wieder eine neue “Bild”-Vokabel:

bestätigen

Denn “Bild” hat offenbar ein Foto zugeschickt bekommen, das einen Frankfurter Ordnungsamtsbeamten vor einem Einkaufswagen zeigt. Und “Bild” schreibt:

Hier gibt’s ein Knöllchen für den Einkaufswagen!

Kaum zu glauben: In Frankfurt gibt’s sogar Knöllchen für das Abstellen von Einkaufswagen! Ein BILD-Leser-Reporter schoss das Foto eines Hilfspolizisten, der einen Einkaufswagen-Falschparker (…) aufschreibt.

Bild.de ist die kuriose Geschichte heute sogar eine Schlagzeile auf der Startseite wert:

Zitiert wird nicht nur der Laien-Reporter (“Schon komisch: Wir haben überlegt, an wen das Knöllchen wohl geht. Irre!”), sondern auch das Ordnungsamt:

Das Ordnungsamt bestätigte: “Wagen wird zur Registrierung aufgeschrieben und dem Supermarkt zu melden. Das ist üblich – denn solche herrenlosen Einkaufswagen werden oft zweckentfremdet – als Mülleimer.”
(Hervorhebung von uns.)

Uns hingegen bestätigte das Ordnungsamt zwar, “Bild” ungefähr das gesagt zu haben, was in holprigem Deutsch in “Bild” steht*. Aber uns sagte man auch:

Von einem Knöllchen kann keine Rede sein.

Der Beamte habe lediglich den Namen des Supermarkts notiert, der dann (wie übrigens seit Jahren schon) per Fax über die Fundstelle informiert werde, denn: “Da freut sich der Supermarkt.” Ein Bußgeld o.ä. werde dafür nicht berechnet.

Kurzum, die Überschrift müsste also eigentlich lauten:

Und wir merken uns: Wenn “Bild” das Wort bestätigen verwendet, kann damit auch dementieren gemeint sein.

*) Merkwürdigerweise endet der Artikel in der gedruckten “Bild” sogar bloß mit den Worten: “Ordnungsamt bestätigte: ‘Wagen wird zur Registrierung aufgeschrieben.'”

Nachtrag, 17.11.2007: Bei Bild.de hat man sich den kleinen Artikel noch einmal vorgeknöpft und bearbeitet. Allerdings wurde weder die falsche Überschrift geändert, noch das holprige Ordnungsamts-Statement sprachlich geglättet oder gar das Wort “bestätigte” durch ein sinnvolles ersetzt. Nein, Bild.de hat nachträglich die Gesichter der beiden abgebildeten Beamten durch Verpixelung unkenntlich gemacht — und sonst nix. Wie sagte doch der “BILD-Leser-Reporter”: “Irre!”

Noch hat Bohlen nicht verloren

Manche Leute können einfach nicht verlieren.

Dieter Bohlen zum Beispiel. Als die Quoten von “Deutschland sucht den Superstar” im November 2005 richtig gut waren, war der Gewinner des Tages für “Bild”: Juror Dieter Bohlen. Als die Quoten von “Deutschland sucht den Superstar” im Dezember 2003 richtig mies waren, war der Verlierer des Tages für “Bild”: RTL-Chef Gerhard Zeiler.

Als die Firma Müller-Milch im Dezember 2004 einen Werbevertrag mit Bohlen für Buttermilch fristlos kündigte, weil er Buttermilch-Käufer als “50-jährige alternative Bio-Latschen-Trägerinnen” bezeichnet hatte, machte “Bild” deshalb nicht Bohlen zum Verlierer des Tages, sondern den Firmenchef Theo Müller.

Jetzt ist es amtlich: Wenn Dieter Bohlen (53) in der Jury von "Deutschland sucht den Superstar" Sprüche klopft, ist das Kunst! Sechs Stunden sah sich das Sozialgericht Köln Aufzeichnungen der RTL-Show an. Ergebnis: Der Sender muss 173 000 Euro an die Künstlersozialkasse zahlen. Der Richter: "Die Kommentare tragen zum Unterhaltungscharakter der Show bei!" BILD meint: Bohlen-Sprüche geadelt!Und auch heute ist Dieter Bohlen wieder Gewinner des Tages in “Bild”.

Gestern hat nämlich das Kölner Sozialgericht geurteilt, dass es sich bei dem, was die Juroren von “Deutschland sucht den Superstar” in der Show machen, um Kunst handele. Der Sender RTL hatte versucht, Sozialabgaben zu sparen, indem er erklärte, Shona Fraser, Thomas Bug, Heinz Henn und die anderen erbrächten keine eigene künstlerische Leistung. Die Künstlersozialkasse, die freie Künstler absichert, hatte deshalb gegen RTL geklagt und nun Recht bekommen.

Bohlen selbst betrifft das nur indirekt. Aber natürlich hat er es nun, wie “Bild” richtig schreibt, “amtlich”: Seine Sprüche in der Sendung sind Kunst. Und macht ihn das zum Gewinner?

BILD meint: Bohlen-Sprüche geadelt!

Ach ja? Ein nicht ganz unwesentliches Detail aus der Urteilsbegründung hat “Bild” bei seiner Gewinnererklärung weggelassen. Der Richter sagte, für die Einordnung als Kunst sei künstlerische Niveau egal: Schon ein sehr geringer Grad der schöpferischen Eigenleistung reiche aus, um eine Tätigkeit als künstlerisch einzustufen. Auf eine “hohe Qualität” oder das “Niveau des Gebotenen”, so der Richter wörtlich, komme es nicht an.

Bei Englisch kann Bild.de einpacken

Bild.de berichtet seit gestern über ein Tagebuch, das “Schmuddel-Rocker” Pete Doherty geschrieben habe, als er im September in einer Entzugsklinik weilte.

Aus dem Tagebuch “zitiert” Bild.de wie folgt:

Ihm ist klar, wie dreckig es ihm geht: “Wenn ich keine Drogen bei mir habe, vor allem Crack und Heroin, würde ich wahrscheinlich sterben, pleite gehen, verrückt werden oder dauerhaft eingewiesen. Ich bin ohnehin auf dem direkten Weg dahin.”

Das klingt aber ganz schön wirr, denken Sie? Klar, der Mann war ja auch schwer drogensüchtig.

Es wäre natürlich auch möglich, dass der Bild.de-Mitarbeiter, der die Meldung aus der britischen “Sun” abpinnen sollte, ein Vokabelproblem hatte. Laut “Sun” hat Doherty nämlich dieses geschrieben:

“If I don’t pack in drugs, particularly crack and heroin, I am likely to either die, go bankrupt, go mad or end up permanently institutionalised. I’m on a direct course for all four.”

Nun wollen wir nicht behaupten, der zuständige Bild.de-Mitarbeiter habe kein Wörterbuch benutzt. Es ist durchaus möglich, dass er “(to) pack in” nachgeschlagen, dort “einpacken” gefunden und den Text entsprechend übersetzt hat.

Allerdings lernt man schon im Englischunterricht sehr früh, dass man sich nicht auf die erste Variante im Wörterbuch verlassen sollte. Und wenn man dahinter umgangssprachlich aufgeben; hinschmeißen” liest, könnte einem natürlich dämmern, dass “einpacken” nicht so ganz wörtlich (und in Dohertys angeblichem Tagebuch schlichtweg das Gegenteil gemeint) war.

Aber dann hätte man die Geschichte natürlich nicht so anpreisen können, wie Bild.de es tut:

Pete Doherty: "Ohne Drogen würde ich sterben, pleite oder verrückt sein"

Mit Dank an Katja D., Thomas S. und Bidisch.

Nachtrag, 12.10 Uhr: Bild.de hat’s korrigiert.

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