Archiv für Vermischtes

Statistik für Anfänger

Nehmen wir einmal an, bei “Bild” würden 100 Redakteure arbeiten. Einer davon (nennen wir ihn Günni) nimmt Kokain, und fast jeder zweite Kollege weiß es. Eines Tages kommen ein paar Studenten von der Uni Münster vorbei und machen eine Umfrage über den Drogenmissbrauch unter Boulevard-Journalisten. Sie fragen jeden einzelnen Redakteur, ob er einen Kollegen in der Redaktion kennt, der kokst. Wahrgemäß antworten 46 von ihnen: Ja. (Und denken sich: der Günni.) Die Studenten fahren nach Hause. In ihrer Studie wird korrekterweise der Satz stehen: “46 Prozent aller ‘Bild’-Redakteure kennen jemanden, der Kokain nimmt.”

Wenn diese Studie dann aber wieder in die Hände der “Bild”-Redakteure kommt, staunen die und denken sich garantiert: “Wow. Fast jeder zweite von uns nimmt Kokain?”

Soweit das Gedankenspiel, jetzt die Praxis:

Laut einer Studie der Uni Leicester behaupten 46 Prozent der englischen Profi-Kicker, einen Kollegen zu kennen, der Drogen nimmt.

Aha. Und was folgt daraus?

Womöglich — wäre aber Zufall.

Tja, wer weiß schon die Antwort darauf. Die Studie jedenfalls nicht. Und “Bild” auch nicht.

Danke an Nils P. für den sachdienlichen Hinweis.

Alter Hut, neu aufgesetzt

“Frankfurter Rundschau: Müssen noch mehr Redakteure gehen?”,

fragt “Bild” Frankfurt am Dienstag und fügt hinzu:

Letzte Woche hatte die zu 90 Prozent der SPD-Presse-Holding gehörende Rundschau das Abschmelzen von derzeit rund 1000 auf 750 Mitarbeiter verkündet. Heftige Reaktionen blieben aus.

Heftige Reaktionen blieben aus? Wieso denn das? Weil’s keinen mehr kümmert?

Oder vielleicht, weil SPD-Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier schon Anfang August, also vor zweieinhalb Monaten, in der “Berliner Zeitung” sagte:

“Die Zahl der Beschäftigten soll Ende des Jahres 750 Vollzeitbeschäftigten entsprechen.”

Aber das ist nur so eine Vermutung.

Geheime “Bild”-Liste gefunden!

Heute vormittag wurde (endlich) offiziell bekannt gegeben, wer denn nun bei der zweiten Staffel der RTL-Unterhaltungsshow “Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!” im sog. Dschungel-Camp dabei sein wird.

Für aufmerksame “Bild”-Leser allerdings war das natürlich keine Neuigkeit. Im Gegenteil stand in der “Bild” bereits am 17. August, also vor mehr als zwei Monaten, dies:

Weiter hieß es damals: “BILD hat die geheime Auswahlliste” bzw. “die geheime Dschungel-Camp-Liste” – und zwar diese:

Désirée Nick,
Jens Riwa,
Verona Feldbusch-Pooth,
Karim “der Knutscher” Maataoui,
Nadja “Naddel” Abdel Farrag,
Carsten Spengemann,

sowie Verena Kerth (nicht mehr online).

Das klang gut damals. Oder wenigstens gut informiert. War es aber nicht. Denn (wie mittlerweile auch “Bild” zu berichten weiß) heißen die Teilnehmer der Dschungel-Show:

Désirée Nick,
Dolly Buster,
Willi Herren,
Isabel Varell,
Heydi Nunez-Gomez,
Fabrice Morvan,
Jimmy Hartwig,
Harry Wijnvoord,
Nadja Abd El Farrag,

sowie Carsten Spengemann (noch nicht bestätigt).

Kurzum: Im direkten Vergleich der “geheimen RTL-Liste” mit der tatsächlichen RTL-Liste finden sich drei Übereinstimmungen. Und man könnte das dürftig nennen – oder den ermittelten Wahrheitsgehalt von rund 30 Prozent als geheimen Richtwert für die sonstige “Bild”Berichterstattung missverstehen…

Allgemein bekannt

“Die traditionelle Rechtschreibung ist noch allgemein bekannt”, stellte “Bild” kürzlich fest, anschließend auf die alte, allgemein bekannte Schreibung um – und macht seitdem vermutlich mehr “ss”- und “ß”-Fehler als “Deutschlands Schüler”.

Nicht nur bei harten “Nüßen“, sondern auch bei einfachen, allgemein bekannten Wörtern – zum Beispiel bei der Frage, wie eigentlich die künftigen Dschungel-Camp-Bewohner entlohnt werden:

Wird fortgeßetzt.

Nachtrag, 10.23 Uhr: Der “Bild”-“ß”-Beaufragte hat seinen Dienst angetreten und hart durchgegriffen. Auch bei den Nüssen.

Der Kannibale ist kein Kannibale

Ja, die Welt ist manchmal kompliziert, und deshalb, liebe Kollegen von “Bild”, gehen wir die Sache langsam und zum laut Mitlesen noch einmal durch. Also: Ein Kannibale ist jemand, der einen anderen Menschen verzehrt. Klar soweit? Gut, dann weiter: Wer keinen anderen Menschen verzehrt, ist kein Kannibale.

Seit Donnerstag steht fest, dass der Berliner, der einen Sexpartner ermordet und zerstückelt haben soll, kein Kannibale ist. Ein Sprecher der Berliner Justiz sagte, es gebe nach der Obduktion keine Anhaltspunkte dafür, dass es zu Kannibalismus gekommen sei. Das berichteten übereinstimmend verschiedene Agenturen. Am Donnerstag, wie gesagt.

Am Freitag ist der mutmaßliche Mörder in “Bild” (Ausgabe Berlin) immer noch “Der Kannibale von Berlin”. “Bild” vergleicht die Straftat mit der des (tatsächlichen) “Menschenfressers von Rotenburg” und spricht vom “neuen Kannibalen-Fall”.

Am Samstag zeigt “Bild” “Das Gesicht des Kannibalen”, nennt ihn weiter den “Kannibalen von Berlin” und verzichtet an keiner Stelle auf die falsche Bezeichnung. Neben einem weiteren Foto steht: “Kannibale Ralf M. (41) wird von Polizisten zum Haftrichter gebracht.”

Man könnte das für eine Kleinigkeit halten, schließlich hat der Verdächtige ja allem Anschein nach sein Opfer aus sexueller Lust und mit kannibalistischen Fantasien getötet. Aber hinter der Entscheidung für die Bezeichnung “Kannibale” steckt mehr als nur eine sprachliche Boulevard-Kurzformel für jemanden, der aus solchen Motiven mordet. Die Information, dass die Polizei keine Anhaltspunkte für Kannibalismus gefunden hat, die andere Zeitungen zu Formulierungen brachte wie: “Der ‘Kannibale von Neukölln’ ist nun doch kein Kannibale”, fehlt konsequent in “Bild”-Berlin. Hier heißt es allein: “Er gab an, nichts von dem Toten gegessen zu haben.” Warum unterschlägt “Bild” die Information, dass diese Angabe des mutmaßlichen Mörders längst von der Polizei bestätigt ist und er also kein Kannibale ist? Ist die Wahrheit nicht aufregend genug?

Übrigens: Auf die Gefühle der Angehörigen des Opfers kann die “Bild”-Zeitung in ihrem Blutrausch natürlich keine Rücksicht nehmen. Neben ein Bild des Toten stellte sie die sensibel formulierte Überschrift: “Waldorfschule ehrt ihren geschlachteten Pianospieler”.

We are the champions IX

Die Musikzeitschrift “Rolling Stone” wird zehn. Und deshalb “Gewinner des Tages” in “Bild”. Wundert Sie das? Nur wenn Sie nicht wissen, dass der “Rolling Stone” seit zwei Jahren im Axel Springer Verlag erscheint. Ob sich die “Bild”-Leute manchmal selbst beim Lesen ihres Blattes langweilen?

Als Service für sie und Sie hier noch einmal alle einschlägigen “Gewinner des Tages” der vergangenen Wochen (und dabei ist Kohl nicht einmal mitgerechnet):

06.09.: Christian Kracht, “Der Freund” (Axel Springer)
10.09.: “Welt kompakt” (Axel Springer)
15.09.: “Auto Bild.de Automarkt” (Axel Springer)
17.09.: “Welt” (Axel Springer)
18.09.: Dieter Stolte (Axel Springer)
21.09.: Claus Strunz (Axel Springer)
28.09.: Hans-Olaf Henkel (Axel-Springer-Autor)
30.09.: Volker Koop (Axel Springer)
05.10.: Georg Kofler (Axel-Springer-Geschäftspartner)
08.10.: Rolling Stone (Axel Springer)

“Bild” ohne Bild

Das “Manager-Magazin” hat mal wieder eine Liste der “reichsten Deutschen” veröffentlicht. Und das ist eine gute Gelegenheit (angeregt vom Weblog automat) eine Kleinigkeit nachzutragen. Denn am Dienstag druckte “Bild” wie viele andere auch die “Manager-Magazin”-Liste nach und hatte tags drauf zudem eine Art Porträt der “reichsten Frau Deutschlands” im Blatt, das wiederum Bild.de zum Anlass nahm, eine Bilderschau der “Zehn reichsten Deutschen” aus dem Archiv zu kramen, die offenbar irgendwann mal anlässlich eines ähnlichen Rankings angefertigt worden war (und bei der gerade mal die Plätze 1 bis 3 identisch mit der aktuellen “Manager-Magazin”-Liste sind, aber egal). Beim reichsten Deutschen jedenfalls, dem ALDI-Süd-Chef Karl Albrecht, hat Bild.de statt eines Fotos nur ein ALDI-Logo abgebildet und wie eine Entschuldigung hinzugefügt:

“Es existieren keine Fotos.”

Was, nun ja, schlicht gelogen ist, wie man beispielsweise schon ein Jahr vorher auf dem Cover der “Wirtschaftswoche” oder bei Forbes.com sehen konnte.

Mit Dank an Wilhelm R. für den sachdienlichen Hinweis.

Rote Karte

1. Der Holländer Marco van Hoogdalem ist seit Januar 1997 bei Schalke 04 unter Vertrag.
2. Im Mai 1997 gewann Schalke 04 sensationell im Endspiel gegen Inter Mailand den UEFA-Pokal.
3. Und Bild.de schreibt über van Hoogdalem, er sei “der letzte der legendären Eurofighter, die 1997 sensationell im Endspiel gegen Inter Mailand den UEFA-Pokal gewannen.”

Klingt einleuchtend, zumal der dazugehörigen Bericht eigentlich nicht vom UEFA-Pokal ’97 handelt, sondern vor allem vom “Krankheits-Drama um Marco van Hoogdalem”: “Heute, 7 Jahre nach der größten Stunde in seiner Fußballer-Karriere, kennt Marco van Hoogdalem nur noch einen Gegner: den Tod!” heißt es irgendwo zwischen Wörtern wie “Todesangst”, “erschüttert”, “brutales Schicksal”, “unheilbare Krankheit”, “Lebensgefahr”, “Todes-Gefahr” und “Sport-Bild”, wo die Geschichte eigentlich herkommt. Und, ja, auch in “Europas größter Sport-Zeitschrift” steht geschrieben:

“Er gewann 1997 den Uefa-Cup”

Und wir sehen: den ehemals sensationellen Gewinner, den Letzten seiner Art, totkrank, wie er (laut Bild.de) “das Ende seiner Karriere … nicht akzeptieren” kann. Schlimm!

Nur, die Sportexperten irren sich (und leider nicht bei van Hoogdalems Krankheit): Die Sache mit dem UEFA-Endspiel stimmt nicht. Da nämlich war van Hoogdalem gar nicht dabei, wie sich nicht nur auf der offiziellen Schalke-Website nachlesen lässt, sondern z.B. auch im Springer-Schwesterblatt “Berliner Morgenpost”.

Und mag sein, das alles wäre nur eine Lapalie, ein Versehen, nicht so schlimm, wenn die (falsche) Info nicht so verdammt überflüssig wäre für den Rest der Story – und gleichzeitig eine Professionalität vorgaukelt, die man von so sensationellen Nachrichtenlieferanten wie Bild.de oder “Sport-Bild” gefälligst auch erwarten kann!

Mit Dank an Michael K. für den sachdienlichen Hinweis.

“Bild” ist vor Ort

Christina Mänz hat einen beneidenswerten Job. Für die Zeitungen des Springer-Verlages kommt sie richtig viel rum in der Welt. Als Britney Spears heimlich heiratete, berichtete sie aus Los Angeles. Als herauskam, dass Prinzessin Diana “keinen Oralsex” wollte, schickte sie ihren Bericht aus London. Und nun fuhr sie eigens nach Oslo, um dieser schlimmen Geschichte nachzugehen und einen Aufmacher für die “Bild”-Zeitung daraus zu machen:

Interessanterweise erschien ein Artikel über das gleiche Thema bereits am vergangenen Sonntag im “Observer”, aber das ist ja nichts Schlimmes: Vermutlich ist “Bild” durch die britischen Kollegen auf das Thema gestoßen und hat dann vor Ort selbst ein bisschen recherchiert; im “Bild”-Artikel werden zum Thema z.B. der norwegische Fischerei-Minister Svein Ludvigsen und die Tierschützerin Gill Sanders zitiert …

… die zufälligerweise auch die Gesprächspartner des “Observer” waren und zufälligerweise in “Bild” dasselbe sagen wie im “Observer”. Wie sich überhaupt im “Bild”-Artikel keine einzige Information findet, die nicht im “Observer”-Artikel steht.

Bleibt die Frage, was Christina Mänz in Oslo gemacht hat. Und ob sie vielleicht keine Journalistin ist, sondern eher sowas wie eine Übersetzerin. Jedenfalls ein beneidenswerter Job.

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