Wenn “Bild” falsche Informationen korrigiert, die zuvor exklusiv im eigenen Blatt standen — was schreibt “Bild” dann oben drüber?
Vielleicht:
(Vorschlag: Bildblog.de)
Oder:
(Vorschlag: Bildblog.de)
In der Mainzer Lokalausgabe von “Bild” hat man sich für folgende Überschrift entschieden:
Im Text steht:
“Eine Stadt atmet auf! Der Mainzer Kardinal Karl Lehmenn [sic!] geht nicht nach Rom. Er bleibt in Mainz. Auf einer Pressekonferenz stellte der Mainzer Oberhirte klar: ‘Ich habe mit niemandem über ein Amt in der Kurie gesprochen. Auch nicht mit dem Papst. Besonders geärgert hatte ihn der Hinweis, daß er sich gegenüber dem Papst-Angebot ‘Bedenkzeit’ ausgebeten habe.”
Liebe Bild.de-Redakteure, heute haben wir einen informativen Lesetipp direkt von Ihrer Seite für Sie: Es geht um diesen Text (bitte lesen Sie zunächst nur den Text) über eine “Amokfahrt” in Kassel, bei der eine Frau zu Tode kam und mehrere Menschen verletzt wurden. Der Fahrer konnte erst durch gezielte Schüsse der Polizei gestoppt werden. Er wurde lebensgefährlich verletzt – und, ganz wichtig: der Fahrer selbst hatte keine Schusswaffe und hat folglich auch nicht geschossen. Nachdem Sie jetzt also Ihren Text kennen, der inhaltlich den Tatsachenentspricht, ist es wohl angebracht, noch einmal über die Überschrift nachzudenken. Denn diese ist wirklich extrem unpassend:
Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an René T.
Nachtrag, 26.4.2005:
Was auf Bild.de im Text steht, entspricht offenbar doch nicht so ganz den “Tatsachen”. Ob der Fahrer nämlich zunächst einer Frau eine Flasche auf dem Kopf zerschlug, wie Bild.de behauptet, war zumindest bis gestern noch ungeklärt, wie sich hier nachlesen lässt.
Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an Marek M.
Manchmal ist “Bild” wirklich prima informiert. Gestern zum Beispiel, als das Blatt (unter der Überschrift “Helmut Kohl: Sein neues Glück”) weltexklusiv enthüllte, der “Einheitskanzler” habe “eine neue Lebenspartnerin”. Aber ja: “Engste Freunde und langjährige Weggefährten (…) hatte Helmut Kohl schon seit einiger Zeit eingeweiht”, hieß es da, aufgeschrieben von einem engsten Freund langjährigen Weggefährten, genauer gesagt von Kai Diekmann, dem derzeitigen Chefredakteur der “Bild”-Zeitung. Kohl war Diekmanns Trauzeuge, Diekmann Kohls Biograph, und darüber, wer wohl der “gute Freund von Helmut Kohl” ist, den Kohl-Freund Diekmann in seiner Verlautbarung Enthüllung zu Wort kommen ließ, kann man jetzt wild spekulieren…
…was übrigens ein gutes Stichwort ist – so als Überleitung.
Schließlich spekulierte am Samstag auch “Bild”. Oder auch nicht. Denn (unter der Überschrift “Kardinal Lehmann jetzt nach Rom?”) hieß es:
“Nach BILD-Informationen will der neue Papst Benedikt XVI. den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Kardinal Lehmann (68), in die Kurie nach Rom berufen. (…) Der Mainzer Bischof Lehmann will bis Montag entscheiden, ob er dem Ruf nach Rom folgt.”
“Das gehört zu den vielen Enten und Spekulationen dieser Tage, die nicht aufhören. Ich weiß von nichts, ich lese das nur in der Zeitung.”
Und dem Radio Vatikan (siehe z.B. FAZ.net) sagte Lehmann:
“Ich weiß gar nicht, woher die Leute sich das aus den Fingern saugen. Denn ich weiß überhaupt nichts davon. Das ist alles erstunken und erlogen, sagt man in Deutschland.”
Kai Diekmann, Chefredakteur der “Bild”-Zeitung, hat der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” ein merkwürdiges Interview über die Entwicklung der “Bild”-Zeitung zur papsttreuesten Zeitung der Welt gegeben. Darin heißt es unter anderem:
Die “Süddeutsche” nannte “Bild” am Freitag einen “Osservatore Tedesco”. Fühlen Sie sich wohl oder unwohl mit dieser Beschreibung?
Das ist ein Kompliment: Der “Osservatore Romano”, die Zeitung des Vatikans, hat in seiner Heimat eine Reichweite von einhundert Prozent. So weit sind wir leider noch nicht.
Die “Bild”-Zeitung hat sich in den vergangenen Monaten als besonders papsttreue Zeitung positioniert. Warum?
Weil ehrwürdige Institutionen sich unterstützen müssen.
Im ersten Quartal 2005, das schon von vielen Berichten über Johannes Paul II. geprägt war, ist die Auflage der “Bild”-Zeitung weiter gefallen. Läßt sich mit dem Papst und Themen der katholischen Kirche womöglich gar keine Auflage machen? Würden Sie das in Kauf nehmen als Preis dafür, eine im Sinne der katholischen Kirche und ihrer Werte bessere Zeitung zu machen?
Ich kann Ihre Frage nur mit einem eindeutigen “je nachdem” beantworten.
Schon möglich, dass der 1. Oktober 2004 nicht Peter Neururers Tag war, und vermutlich ging es vielen Fans des VfL Bochum, dessen Trainer Neururer ist, ähnlich. Schließlich war der VfL am Abend zuvor gegen Lüttich aus dem UEFA-Cup ausgeschieden. Aber das spielte eigentlich gar keine Rolle – wenn “Bild” nicht gestern folgendes geschrieben hätte:
“Dieser 1. Oktober 2004 war nicht mein Tag.” Am Abend zuvor war der VfL gegen Lüttich im UEFA-Cup ausgeschieden. Wir erinnern uns: In allerletzter Sekunde durch das tragische “Luftloch” des Brasilianers Edu…
Das steht in einem Text, darüber, dass Neururer seinen Führerschein für einen Monat abgeben muss, vier Punkte in Flensburg bekommt und 137,50 Euro Bußgeld zahlen muss. Dass der 1. Oktober nicht sein Tag gewesen sei, soll Neururer laut “Bild” als “Entschuldigung” dafür angegeben haben, dass er auf der Autobahn zu dicht aufgefahren war und eine durchgezogene Linie überfahren hatte.
Und möglicherweise hat er das ja sogar zu “Bild” gesagt. Die Drängelfahrt aber, wegen der Neururer seinen Führerschein abgeben muss, fand gar nicht am 1. Oktober 2004 statt, sondern zwei Wochen zuvor, am 17. September (wie beispielsweise die Nachrichtenagentur dpa zutreffend berichtete). Das Datum macht durchaus einen Unterschied. Denn am Vorabend des 17. September hatte Bochum im UEFA-Cup-Hinspiel gegen Standard Lüttich 0:0 gespielt. Neururer war damals, wie sich beispielsweise hier nachlesen lässt, noch “stolz” auf seine Mannschaft und zuversichtlich, dass sie Lüttich im Rückspiel schlagen würde.
Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an www.vfl4u.de
Sie werden es vielleicht nicht gemerkt haben, aber in der vergangenen Woche ist es laut “Bild” zu einem “Künstleraufstand” gekommen, “wie es ihn in der deutschen Musikbranche noch nie gegeben hat!” Nun ja: Ein Dutzend ehemaliger deutscher Teilnehmer am Eurovision Song Contest hatte auf Initiative der Zeitung einen Aufruf an die Sängerin Gracia unterschrieben. Sie solle wegen der Vorwürfe gegen ihren Produzenten, die Charts manipuliert zu haben, nicht am Wettbewerb teilnehmen.
Inzwischen versuchen “Bild”-Redakteure etwas zu organisieren, das sie vermutlich einen Künstleraufstand nennen würden, wie es ihn in der internationalen Musikbranche noch nie gegeben hat. Zu diesem Zweck hat sich “Bild” jetzt die Mühe gemacht, alle Grand-Prix-Teilnehmer dieses Jahres zu kontaktieren. Sie versendet E-Mails, in denen die Künstler aufgefordert werden, gegenüber “Bild” ihren “standpoint” in dieser Angelegenheit deutlich zu machen. Da an den meisten von ihnen der “huge scandal here in Germany” bislang vorbei gegangen sein dürfte, liefert “Bild” in dem Schreiben, das uns vorliegt, eine praktische Kurzzusammenfassung der “Affair” mit:
Gracia only got into the contest because of her good chart-position.
Now that this seems to be a result of manipulation, most Germans don’t want her to represent Germany in Kiev anymore.
Der erste Satz ist falsch, der zweite zumindest unbewiesen.
Sollte es also in den nächsten Wochen in der “Bild”-Zeitung zu einem noch nie dagewesenen, internationalen Künstleraufstand gegen Gracia kommen, wüßten wir, wie “Bild” die Aufständischen rekrutiert hat.
Tja, da wundert sich der Achtklässler. Schwule Killer-Pilze? Das klingt ja nun nicht gerade nach seriöser Wissenschaft. Ist es auch nicht, es ist kompletter Blödsinn. Es stimmt zwar, dass Cryptococcus neoformans (C.n.) ein nicht ganz ungefährlicher Krankheitserreger ist, davon, dass er schwul sei, kann allerdings keine Rede sein. Und das sagt einem ja eigentlich schon das Basis-Wissen Biologie – oder der gesunde Menschenverstand.
(Eine, etwas vereinfachte, wissenschaftliche Begründung wollen wir dennoch nicht unterschlagen: Zunächst mal haben Pilze streng genommen überhaupt keine Geschlechtschromosomen, sondern es gibt auf ihren Chromosomen Regionen, die das Geschlecht bestimmen. Die nennt man “mating type loci”. Auch deswegen unterscheidet sich die Sexualität der Pilze gravierend von menschlicher Sexualität, weshalb es Unsinn ist, hier mit dem Begriff schwul zu operieren. Außerdem verfügen Pilze über zwei verschiedene “mating types” (Paarungstypen). Da wäre “mating type a” und “mating type alpha”. Sexuelle Fortpflanzung zwischen Pilzen kann nur zwischen kompatiblen, also verschiedenen Paarungstyp-Zellen stattfinden. Darin unterscheidet sich C.n. nicht von anderen Pilzarten. Deshalb ist es, selbst wenn man unsinniger Weise das unter 1. gesagte außer Acht lässt, immer noch Quatsch Cryptococcus schwul zu nennen. Warum also kam man bei Bild.de auf die absurde Geschichte? Möglicherweise deshalb: Joseph Heitmann fand heraus, dass die Entwicklung der geschlechtsbestimmenden Regionen auf den Chromosomen von C.n. und deren Anordnung Ähnlichkeiten zum menschlichen Y-Chromosom aufweisen, welches ja bekanntlich mit männlichen Eigenschaften assoziiert wird. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das u.a. deshalb so interessant, weil man an C.n. die genetische Entwicklung von Geschlechtschromosomen studieren und Einblicke in die Ursachen für Unfruchtbarkeit gewinnen könnte.)
Deshalb wissen wir auch nicht, ob Nonsens-Sätze wie die folgenden aus Desinteresse, Dummheit, boshaftem Zynismus entstanden sind – oder schlicht aus Homophobie:
Der hefeähnliche Pilz Cryptococcus neoformans (Foto) ist nicht nur schwul, er zeugt mit seinem gleichgeschlechtlichen Partner sogar jede Menge Nachwuchs!
(…) Gefährlich! Der schwule Pilz ist ein tödlicher Krankeitserreger. Er befällt den Menschen, verursacht lebensgefährliche Infektionen im Gehirn.
Hervorhebungen von Bild.de
Nachtrag, 22.4.2005:
Leider haber wir übersehen, dass es offenbar tatsächlich neue Erkenntnisse gibt, weshalb dieser Eintrag, so wie wir ihn gemacht haben, nicht stimmt. Wir bitten um Entschuldigung.
“Bild” kennt sich aus mit dem Papst. Schließlich hatte sie ihm vor nicht allzu langer Zeit eine Bibel geschenkt. Und wenn etwas passiert, jetzt zum Beispiel, protokolliert “Bild” das Geschehen minutiös.
Vor ein paar Tagen etwa titelte “Bild” auf Seite 2:
“Um 19.12 Uhr verlor der Papst das Bewusstsein”
Das stimmte zwar nicht (weil die Bewusstlosigkeit bereits um 19.11 Uhr von verschiedenen Nachrichtenagenturen ohne genaue Zeitangabe, dafür aber unter Berufung auf den Fernsehsender Sky Italia, der sich seinerseits auf die Nachrichtenagentur Apcom berief, vermeldet worden war) — aber was soll’s: In derselben “Bild”-Ausgabe stand schließlich auch, wann genau die rechte Bronzetür des Petersdoms geschlossen wurde – nämlich wahlweise um “19.12 Uhr” (“Bild”, Seite 1) oder um “19.14 Uhr” (“Bild”, Seite 2).
“Um 20.06 Uhr jubelte die Menge auf dem Petersplatz. Grauer Rauch quoll aus dem Schornstein auf der Sixtina, wurde heller — und färbte sich schwarz. Der erste Wahlgang im Konklave hat keinen Papst gebracht.”
Und wieder hatte es nicht gestimmt, hatten verschiedene Nachrichtenagenturen bereits um 20.05 Uhr vermeldet, was laut “Bild” doch erst um 20.06 Uhr stattfand.
Womöglich ließe sich daraus ableiten, dass “Bild” dann am genauesten berichterstattet, wenn sie sich Sachen ausdenkt. Aber, wie gesagt, was soll’s… Schließlich hat der Erdkreis ja doch noch einen neuen Papst bekommen – und die “Bild”-Redaktion offenbar eine neue Uhr.
Liebe “Bild”-Mitarbeiter, wir haben Ihnen einen kleinen Notizzettel geschrieben. Nur damit Sie nicht irgendwann selbst glauben, was Sie seit Tagen suggerieren. Wenn Sie die Sängerin Gracia, gegen deren Produzenten es Manipulations-Vorwürfe gibt, “Schummel-Gracia” nennen. Oder wenn Sie ihren Namen ganz dicht unter den Begriff “Grand-Prix-Betrug” schreiben. Oder wenn Sie unter ein Foto von ihr den Satz schreiben: “Grand-Prix-Gewinnerin Gracia ist sich keiner Schuld bewußt.” Oder wenn Sie die Frage formulieren: “Glaubt Gracia, daß ihre Karriere nach den Betrugsvorwürfen überhaupt noch eine Chance hat?”
Das ist alles so geschickt zweideutig formuliert. Im Gegensatz zu dem ganz und gar eindeutigen Satz in der Pressemitteilung der deutschen Phonoverbände:
Der Manipulationsverdacht richtet sich ausdrücklich weder gegen die betroffenen Künstler noch gegen die Vertriebsfirmen.