Archiv für Politisches

“Bild” verwechselt Deutschland mit Afghanistan

Am 17. September, kurz vor der Bundestagswahl, berichtete “Bild”, was zuvor der “Spiegel” berichtet hatte: dass nämlich CDU, FDP und SPD “einen Teil ihrer Wahlplakate im Ausland drucken” ließen. Und nicht nur das. “Bild” hatte noch eine weitere Quelle zum Thema aufgetan und schrieb (siehe Ausriss):

“Und auch die Ausstattung der Wahllokale kommt nach einem Bericht der ‘Financial Times Deutschland’ weitgehend aus dem Ausland.

Spezialfirmen in Kanada produzieren die 140.000 Wahlurnen, China stellte die Wahlstationsausrüstungen, Firmen in Österreich und Großbritannien druckten die 40 Millionen Stimmzettel.”

Und spätestens bei den “40 Millionen Stimmzetteln” hätte “Bild” eigentlich stutzig werden müssen. Hatte der Bundeswahlleiter nicht längst bekannt gegeben, dass “– nach einer Schätzung des Statistischen Bundesamtes — im Bundesgebiet etwa 61,9 Millionen Deutsche wahlberechtigt” sein werden?

Andererseits: Stand es nicht genau so in der FTD? Aber ja. Wörtlich hatte es dort am Vortag geheißen:

“Spezialfirmen in Kanada produzierten die 140.000 Wahlurnen, China stellte die Wahlstationausrüstungen, Firmen in Österreich und Großbritannien druckten die 40 Millionen Stimmzettel (…).”

Aber vielleicht hätte die “Bild”-Redaktion den FTD-Text doch ein wenig genauer lesen sollen. Schließlich handelte es sich bei dem angeblichen “Bericht” um die Kolumne “Casual Friday” — und die endete (unter Verweis auf die Konrad-Adenauer-Stiftung) ebenso überraschend wie pointiert mit den Worten: “Viel Glück, Afghanistan!”

Und siehe da, weniger humorig (aber wortgleich) finden sich die Infos zu Wahlstationsausrüstung und Stimmzettelproduktion tatsächlich auch bei der zitierten Adenauer-Stiftung wieder — in einem “Kurzbericht” zum Thema “Wahlen in Afghanistan” bzw. so:

Mit Dank an Thomas R. für Hinweis und Scans.

Stasi-Spitzel Lafontaine?

Es gibt viele Möglichkeiten, auf die Nachricht hinzuweisen, dass in der neuen Fraktion der Linkspartei im Bundestag nach Angaben der Stasi-Unterlagen-Beauftragen Oskar Lafontaine / Stasi-Spitzel in Links-Fraktionmindestens sieben bekannte Stasi-Informanten sitzen sollen. Diese hier links, die Bild.de gewählt hat, ist vermutlich die missverständlichste. Oskar Lafontaine ist bislang nicht öffentlich verdächtigt worden, Stasi-Spitzel gewesen zu sein, nicht einmal von “Bild”.

Vielleicht hat die Art der Formulierung etwas damit zu tun, dass “Bild” und Lafontaine gerade in vielerlei Hinsicht miteinander im Clinch liegen. Heute veröffentlicht “Bild” auf Seite 2 folgende Gegendarstellung des Politikers:

In der “BILD-Zeitung” vom 16. Juli 2005 (S. 2), wurde unter der Überschrift “Warum fliegt der Osten so auf Lafontaine?” behauptet, ich hätte nach dem Fall der Mauer gesagt, dass “wir alles dafür tun müssen, um zu verhindern, dass die Wiedervereinigung stattfindet”. Das ist falsch. Richtig ist, dass ich im Dezember 1989 aus Anlass des Zuzugs zahlreicher Übersiedler aus der DDR in das damalige Bundesgebiet geäußert habe, “dass wir alles tun müssen, um zu verhindern, dass die Wiedervereinigung auf bundesdeutschem Boden” — gemeint war Westdeutschland — “stattfindet”.

Damit finden sich in der Berliner “Bild”-Ausgabe heute gleich zwei der ungeliebten Gegendarstellungen. Nach Angaben von Juristen, die mit der Zeitung in ähnlichen Fällen zu tun hatten, versucht “Bild” solche Veröffentlichungen wann immer möglich auf den Samstag zu legen. An diesem Tag ist die Auflage der Zeitung niedriger als unter der Woche.

Mit Dank an Michael K.

Knapp (Wahlkampf X)

Vielleicht hätte “Bild” Hamburg am Montag gerne so etwas geschrieben wie:

Na, vielen Dank, liebe Leser. Wir haben Sie wirklich davor gewarnt, diesen Kommunisten und Penner Niels Annen zu wählen. In zwei riesigen Artikeln. Mit Überschriften wie: “Was bringt so einer im Bundestag?”. Und was machen Sie? Wählen den trotzdem! Wofür machen wir denn unsere Zeitung verdammtnochmal?

Aber sowas kann “Bild” ja als “überparteiliche” Zeitung nicht schreiben. Deshalb erschien in der Übersicht über die Ergebnisse in den einzelnen Wahlkreisen stattdessen folgender Text:

Schwere Schlappe für den Dauer-Studenten und linken Ex-Juso-Chef Niels Annen (32). Auch wenn er in Eimsbüttel einen knappen Sieg einfahren konnte: Er bescherte der Partei schlimme Verluste. 2002 hatte sie hier noch 51,3 % der Erststimmen geholt.

Richtig ist, dass Annen mehr Stimmen verlor als die anderen SPD-Kandidaten in Hamburg. Sein “knapper Sieg” in Eimsbüttel besteht allerdings darin, dass Annen fast 16.500 Stimmen mehr bekam als der CDU-Kandidat und damit 11 Prozentpunkte vor ihm liegt. Und bei den Zweitstimmen liegt die SPD fast 14.400 Stimmen oder 9,8 Prozentpunkte vor der CDU.

Wenn es noch knapper geworden wäre, wäre es fast noch knapp geworden.

Vielen Dank an Fiete S. für den Hinweis und das Foto!

“Bild” hat’s nicht gewusst

NICHT MAL DER KANZLER HAT’S GEWUSST!

So beginnt der Text zum heutigen Seite-1-Aufmacher in “Bild”.

Und so sieht der entsprechende Artikel auf Seite zwei aus:

Im Text selbst steht’s auch noch mal:

Nicht einmal der Kanzler war vorher eingeweiht.

Und bei Bild.de steht schon den ganzen Tag genau das Gleiche.

Das Gegenteil steht da allerdings auch — im Nachrichtenticker, einem kleinen Laufband am unteren Bildschirmrand:

Wenn man da drauf klickt, gelangt man zu diesem Text:

Außenminister Joschka Fischer (Grüne) hat Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vorab über seinen am Dienstag erklärten Verzicht auf Parteiämter bei den Grünen informiert. Beide hätten sich am Montag zu einem einstündigen Gespräch im Kanzleramt getroffen, erklärte Regierungssprecher Béla Anda jetzt in Berlin. An dem Gespräch hätten nur Fischer und Schröder teilgenommen. Anda betonte, daß sich der Verzicht Fischers nur auf Parteiämter beschränke und nicht etwa Regierungsämter einschließe.

Dass Anda damit anders lautende Medienberichte dementierte, steht da zwar nicht, aber hier zum Beispiel.

Mit Dank an Peter K. und Boris S. für die Hinweise.
 
Nachtrag, 22.9., 1.10 Uhr:
Mittlerweile ist die oben zitierte Ticker-Meldung nicht mehr online.

Nachtrag, 22.9.2005, 10:03:
Dafür, dass der Kanzler schon vorab informiert war, sprechen auch seine Äußerungen in der von ARD und ZDF am Wahlabend ausgestrahlten “Berliner Runde”. Wie beispielsweise die “Welt” am Dienstag dokumentierte, hatte Schröder bereits da von “den Nachfolgern von Herrn Fischer” gesprochen.

“Bild” fragt, Politiker antworten (Wahlkampf IX)

Darum ist eine Große Koalition Gift für Deutschland

Wen hat die “Bild”-Zeitung gefragt, um sich ihre seit Wochen wiederholten Warnungen vor einer Großen Koalition bestätigen zu lassen? “Große alte Männer”, “deren Wort Gewicht hat”, “eine Art Ältestenrat in Deutschland”. Ach ja, und alle drei sind Ehrenvorsitzende der FDP.

Noch überraschender als deren Urteil über eine Große Koalition ist nur diese Aussage, die “Bild” bemerkenswert genug fand, um aus ihr am Montag dieser Woche eine Seite-1-Schlagzeile zu machen:

Friedrich Merz & Christian Wulff: Merkel wird eine exzellente Kanzlerin!

Gekaufte Deutsch-Türken

Nur zur Erinnerung: “Bild”-Kommentator Dirk Hoeren sorgte sich in seinem Kommentar am Dienstag um das Zusammenleben von Deutschen und Türken. Er sah es dadurch bedroht, dass Politiker die Interessen von 600.000 Deutschen türkischer Abstammung vertreten. Nicht bedroht sah er es anscheinend durch die — gelinde gesagt — irreführende Berichterstattung der “Bild”-Zeitung.

Wie schon gestern veröffentlicht “Bild” auch heute Briefe von “Bild”-Lesern zum Thema:

Schröder, Fischer & Co. sind für 600.000 Türken-Stimmen bereit, deutsche Interessen zu verkaufen.

Der Schröder schleimt bei den Türken, obwohl er wissen müßte, daß die Mehrheit der Deutschen gegen einen EU-Beitritt ist.

Wie armselig muß ein Mensch sein, wenn er um die Gunst gekaufter Deutsch-Türken bettelt, um sie gegen die eigenen Landsleute auszuspielen.

Eine Schande für Deutschland

Die Redaktion der “Bild”-Zeitung hat sich entschieden, zu ihrem Artikel “Entscheiden Türken die Wahl?” heute die folgenden drei Leserbriefe zu veröffentlichen:

Dem christlich orientierten Europa droht bei einer EU-Mitgliedschaft der Türkei der Untergang durch muslimische Einwanderer. Im Interesse meiner Kinder und Enkelkinder muß ich CDU wählen.

Nun muß auch dem dümmsten Wähler klar sein, weshalb sich der Strahle-Kanzler so immens für den Türkei-Beitritt einsetzt.

Es ist eine Schande für Deutschland, wenn sich ein vertrauenswürdiger Kanzler der Ausländer bedient, um die Wahl zu gewinnen.

“Bild”-Redakteur aus Sommerloch geborgen

Erinnert sich noch jemand an diese “Bild”-Falschmeldung, in der es hieß: “EU schafft Deutsch ab”? Dazu gibt es nämlich jetzt eine neue Pressemitteilung der “Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland”. Darin heißt es u.a.:

“Die Europäische Kommission freut sich, dass sie bei der Bergung des für den Artikel verantwortlichen Redakteurs aus dem Sommerloch helfen konnte.”

Der Rest der Mitteilung ist weniger witzig. “Bild” hat nämlich die Angewohnheit, die eigenen Falschmeldungen nicht nur nicht zu korrigieren, sondern sich auch zu weigern, Gegendarstellungen der Betroffenen zu drucken. Selbst als die EU-Kommission am 25. August eine einstweilige Verfügung erwirkte, die “Bild” zum Abdruck der Gegendarstellung verpflichtete, gab die Zeitung noch nicht auf und legte Widerspruch ein. Heute nun hat das Landgericht Berlin diesen Widerspruch abgewiesen.

In der “F.A.Z.” sagte “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann, er drucke absurde Gegendarstellungen gerne, “weil sie zeigen, wie hier das Recht der Gegendarstellung im Kern mißbraucht wird.” Wir lernen: Weniger absurde Gegendarstellungen druckt er offenbar nicht so gerne.

Jetzt IV

Jetzt ist es bald soweit: In vier Tagen wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Wer die Wahl gewinnt, weiß keiner, aber “Bild”-Leser beispielsweise könnten auf die Idee verfallen, lieber nicht diejenige Partei zu wählen, für die Oskar Lafontaine sein Gesicht hergibt. Denn: Während andere Wahlkampf machen, macht Lafontaine Urlaub, fliegt im Privatjet, lügt, wird abgetupft, lässt sich im Mercedes herumchauffieren, den Wahlkampf von der PDS bezahlen, seine Sekretärin vom Staat und sich selbst von der “Bild”-Zeitung. Außerdem streitet sich dieser Lafontaine mit der “BamS” vor Gericht. Poah!

“Doch jetzt kommt heraus: Lafontaine verhinderte eine 70.000-Euro-Spende zugunsten ostdeutscher Arbeitsloser!”
(Hervorhebung von uns.)

Das jedenfalls schreibt “Bild” heute über einen Rechtsstreit Lafontaines mit dem Autovermieter Sixt. Und weil das Wörtchen jetzt so schön ist, steht es noch ein zweites Mal im Text:

Jetzt liegt der Fall als zugelassene Revision beim Bundesgerichtshof (AZ: I ZR 182/04).”
(Hervorhebung von uns.)

Und es stimmt: Jetzt liegt er da schon seit knapp zwei Monaten, der “Fall”*, wie man einer Sixt-Pressemitteilung vom 17. Juni 2005 entnehmen kann. Alles andere, was laut “Bild” angeblich “jetzt”, also vier Tage vor der Wahl, herausgekommen sei, ist sogar seit dem 16. November 2004 bekannt – und so, wie es in “Bild” steht, nichts weiter als die subjektive Darstellung einer der Streitparteien, die “Bild” hervorgekramt hat und jetzt, vier Tage vor der Wahl, undistanziert nachbetet.

*) Nur zur Info: Lafontaine hatte 2001 gegen eine Sixt-Werbeanzeige aus dem Jahre 1999 geklagt und damit nach einigem Hin und Her vor Gericht Erfolg. Sixt hat das Urteil jedoch nicht akzeptiert und Lafontaine einen Vergleich (also die umstrittene Spende) angeboten, auf den sich wiederum Lafontaine nicht einlassen wollte. Sixt ging in Revision, der Rechtsstreit in die nächste Instanz – und wer gewinnt, ist so offen wie die Bundestagswahl in vier Tagen.

Mit Dank an André K. für die sachdienlichen Hinweise.

Märchen (Wahlkampf VIII)

“Bild”-Kolumnist und Angela-Merkel-Unterstützer Hugo Müller-Vogg hat etwas Aufregendes herausgefunden: Die Menschen, die in einer SPD-Wahlwerbung abgebildet sind (mitsamt der Summen, die sie eine Unions-geführten Regierung angeblich kosten würde), diese Menschen sind gar nicht echt. Jedenfalls müssen sie ganz bestimmt nicht unter dem sogenannten “Merkel-Minus” leiden. Nicht nur, weil die SPD-Zahlen nach Müller-Voggs Berechnungen angeblich falsch sind. Sondern auch, weil es sich nicht um deutsche Familien und Rentner handelt, sondern um amerikanische Models.

Viele, viele Witze und bissige Bemerkungen hängt Müller-Vogg unter der Überschrift “Die heile SPD-Familie — ‘Made in the USA'” an der Tatsache auf, dass die SPD die Fotos einfach von der Agentur Getty Images bezogen hat, unter anderem auch die Schlusspointe, dass nicht nur die Rechnung der SPD, sondern auch die abgebildete “Familie” ein “Wahlkampf-Märchen” sei.

Apropos: Raten Sie mal, aus welchem Land dieses Baby stammt, mit dem die CDU in einem Wahlplakat ausgerechnet die Zeile “Deutschlands Zukunft sichern” bebildert hat. Und bei welcher Agentur die CDU es gekauft hat.

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