Die “Bild”-Zeitung informiert ihre Leser heute über die Alternative, vor der sie bei den morgigenLandtagswahlen stehen.
1,4 Millionen Bürger in Mecklenburg-Vorpommern haben die Wahl: Der bärbeißige Ministerpräsident Harald Ringstorff (66/SPD — Spitzname: “Der Schweiger”) — er regiert seit 1998 — oder Jürgen Seidel (58/CDU).
“Die Symptomatik zeigt typischerweise ein gemischtes und wechselndes Bild, beginnend mit einer Art von “Betäubung”, mit einer gewissen Bewusstseinseinengung und eingeschränkten Aufmerksamkeit, einer Unfähigkeit, Reize zu verarbeiten und Desorientiertheit.” Aus dem Diagnoseschlüssel der “International Classification of Diseases” (ICD) für die Akute Belastungsreaktion (Schock) (ICD-10 F43.0).
Es muss “Bild” schon ziemlich schlimm erwischt haben, denn der “Schock-Bericht der Weltbank” (der eigentlich “Doing Business in 2007” [pdf] heißt und übrigens keine Aussagen darüber trifft, wie “sozialistisch” ein Land ist) wurde schon vorneunTagen veröffentlicht und “Bild” zeigt heute offenbar Schock-Symptome.
Die Titel-Schlagzeile ist jedenfalls ziemlich irreführend und entgegen ihrer Ankündigung sagt “Bild” auf Seite zwei nicht, “wie schlimm es wirklich um Deutschland steht” — jedenfalls nicht, soweit es die Ergebnisse des Weltbank-Reports betrifft. “Bild” hat sich lediglich einen Teilaspekt des Berichts herausgepickt und schreibt:
Schock-Studie der hochangesehenen Weltbank: Deutschland ist starrer, bürokratischer, sozialistischer als das kommunistische China — zumindest was den Arbeitsmarkt betrifft! (…) – dem Zuständigkeitsbereich von Arbeits- und Sozialminister Franz Müntefering (SPD).
Was “Bild” mit “zumindest” meint, erfährt man, wenn man sich die Ergebnisse der Weltbank-Studie mal im Einzelnen anschaut. Deutschland liegt in sieben von zehn Kategorien zum Teil weit vor China, in einer mit China gleichauf und in der Gesamtwertung (“Ease of doing business”) kommt Deutschland unter 175 untersuchten Ländern auf Rang 21, während China Platz 93 belegt.
P.S.: Dass Jugendliche in Deutschland nur zwischen sechs und 20 Uhr arbeiten dürfen, wie “Bild” schreibt (und worin sie einen der “schlimmsten Job-Killer” entdeckt haben will), stimmt zwar, allerdings ist das, anders als “Bild” behauptet, eher nicht “unmöglich für das Gaststättengewerbe, wo deutlich länger geöffnet ist”. Es gibt nämlich Ausnahmen im Jugendarbeitsschutzgesetz. Zum Beispiel dürfen “Jugendliche über 16” im Gaststättengewerbe bis 22 Uhr arbeiten.
Mit Dank an Philipp S. und Thorsten L. für die Hinweise.
In Teilen ihrer Ausgabe berichtet “Bild” heute über “Uschi K.” und “Ursula K.” mit Sätzen wie:
“Ursula K. (64) ist …”
“… knöpfte sie Büffetkraft Uschi K. (58) die Ersparnisse ab.”
“… erzählt Frau K.”
“… lernte dabei Ursula K. kennen.”
“Ende Juli bat sie Uschi K. …”
“Als sie später Uschi Ks. Lebensgefährten aufsuchte …”
“Uschi K. hat per Quittung …”
Und so weiter. Mit anderen Worten: “Bild” hat die beiden Frauen im Text konsequent anonymisiert — zum Schutz ihrer Persönlichkeit, was sonst? Nur istsoeineAnonymisierungbekanntermaßen nichts wert, wenn man sie nicht durchhält und beispielsweise im selben Artikel ein “Beweisstück” mit den vollständigen Namen von “Ursula K.” und “Uschi K.” abbildet:
Dieter Bohlen (52) ist für die “Bild”-Zeitung vielseitig verwendbar: als Motiv für “BILD-Leser-Reporter”, als “Bild”-Schlagzeile — aber auch für ihre tolle “Korrekturspalte”. Heute findet er sich dort bereits zum vierten Mal in vier Wochen wieder. Denn nachdem “Bild” nicht nur Bohlens Alter, sondern auch das seines jüngsten Kindes aus erster Ehe und zuletzt gar den angeblichen Anfangsbuchstaben des angeblichen Vornamen seiner angeblichen neuen Freundin berichtigte, schafft es Bohlen auch heute auf Seite 2 der “Bild”:
Weil Christiane “Ich weiß es!” Hoffmann am Samstag zu berichten wusste, dass die Trennung von Dieter Bohlen und seiner bisherigen Lebensgefährtin Estefania (eigentlich Stefanie Küster) “schon neun Monate” zurückliege, heißt es nun:
“Richtig ist: Die Trennung erfolgte am 9. Juni.”
P.S. Falls “Bild” für die morgige Ausgabe nichts Besseres einauffällt, hätten wir da noch einen Vorschlag:
“Bild” behauptet heute nämlich, Bundestagspräsident Norbert Lammert (57) habe “einen Brief an Polens Parlamentspräsident Marek Jurek” geschrieben. In einer längeren Fassung heißt es sogar stolz, es handle sich dabei um einen “offenen Brief”, “der BILD vorliegt”.
Nach Angaben des Deutschen Bundestages handelt es sich dabei aber peinlicherweise lediglich um einen Artikel Lammerts für die größte polnische Tageszeitung “Fakt”(mehr dazu z.B. hier und hier), wo der angebliche Lammert-“Brief”, der “Bild” vorliegt, bereits am vergangenen Freitag in einer Auflage von mehreren hunderttausend Exemplaren erschienen ist.
Mit Dank an Hyp Nom für den Hinweis.
Danke auch an Matthäus W. für die Unterstützung!
Nachtrag, 5.9.2006: Was Millionen “Fakt”-Leser schon seit vergangenem Freitag wissen, erfahren heute nun auch Millionen “Bild”-Leser.
“Im zuständigen Innenministerium rührt sich so gut wie gar nichts. ‘Die Planungen werden weiter verfolgt und nach und nach umgesetzt’, erklärt die Bundesregierung auf Anfrage von BILD. Wann und wie die Neuregelung kommt, sei ‘noch offen’.”
Und heute? Heute berichtet “Bild” in einem (vergleichsweise kleinen) Artikel:
Genauer heißt es dazu:
“Die Große Koalition hat gestern angekündigt, dass die Pensionen (…) gekürzt werden! (…) Der genaue Termin der Neuregelung ist weiterhin offen.”
Was ist zwischen diesen beiden “Bild”-Meldungen passiert? (Fast) nichts. “Es ist nicht so, dass die ‘Bild’ irgendwas angestoßen hat”, erklärt die Bundesregierung auf Anfrage von BILDblog — und verweist auf ihre gestrige Pressekonferenz, in der Regierungssprecher Thomas Steg (vergleichsweise ausführlich) darlegte, was “Bild” doch schon zuvor, also gestern, mit den Worten “Die Planungen werden weiter verfolgt und nach und nach ungesetzt” zusammengefasst hatte und was “Bild” hernach, also heute, mit zum Teil denselben Worten noch einmal aufschreibt.
Wirklich neu ist an der ganzen Sache nur das “nun doch” in der heutigen “Bild”-Überschrift — als hätte die “Bild”-Zeitung mit ihrer gestrigen Geschichte irgendwas bewirkt.
Angesichts des Entwurfs eines neuen Schulgesetzes in Schleswig-Holstein fragte “Bild” gestern:
Und das ist schon mal eine lustige Frage, denn die geplante Regelung betrifft männliche Lehrer genauso, aber gut.
Eigentlich bemerkenswert ist aber vor allem, dass “Bild” die Antwort auf die Frage im Artikel schuldig bleibt. Ungefähr zwei Drittel des Textes geben den “Riesenkrach” wieder, den das geplante Gesetz auslöst (der in “Bild” schon zum “Gesetz” wird). Aber warum sich die Landesregierung zur Empörung auch der “Bild”-Zeitung dafür entschied, nicht nur Kopftücher im Unterricht zu verbieten, sondern (außerhalb des Religionsunterrichts) alle religiösen Symbole, das erklärt das Blatt seinen Lesern nicht.
Auch der “Bild”-Kommentar von Willi Schmitt stellt zwar nicht weniger als zehn Fragen, beantwortet aber keine einzige davon, und schon gar nicht die zentrale:
Warum fordert die Große Koalition aus CDU und SPD (…) auf einmal: kein Kopftuch mehr in Schulen, dafür aber auch kein Kreuz mehr?
Dabei lässt sich die Frage relativ leicht beantworten. Die “Süddeutsche Zeitung” tat es am Freitag so:
Der Beschluss der Kieler Regierung entspricht dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2003. Das hatte
den Ländern nahegelegt, entweder prinzipiell den Lehrkräften zu erlauben, ihren Glauben symbolisch zu bekennen — oder dies komplett zu verbieten.
(Auch die nordelbische Evangelisch-Lutherische Kirche zum Beispiel ist der Ansicht, dass ein Privileg für christliche Symbole, wie “Bild” es fordert, “verfassungsrechtlich zweifelhaft” wäre: Wenn die muslimische Lehrerin kein Kopftuch tragen darf, dürfte auch der Pastor nicht mit umgehängtem Kreuz über den Schulhof gehen. Ein Gesetz in Hessen, das den Beamten im öffentlichen Dienst das Tragen von Kopftüchern verbietet, christliche Symbole aber erlaubt, verstößt nach Ansicht der hessischen Landesanwältin gegen die Verfassung. Und das Stuttgarter Verwaltungsgericht hat vor kurzem einer muslimischen Lehrerin Recht gegeben, die gegen das baden-württembergische Kopftuchverbot geklagt hatte.)
Natürlich kann man darüberstreiten, wie man am besten mit den symbolträchtigen Kopftüchern in der Schule umgehen soll. “Bild” aber hat sich entschieden, kein Risiko einzugehen, dass die Leser womöglich zu einem anderen Urteil kommen als ihre Zeitung, die diese Debatte über die Grundwerte der deutschen Verfassung für eine “Gespenster-Diskussion” hält, und lässt sicherheitshalber die entscheidenden Fakten einfach weg. “Bild” macht aus der echten Frage, warum Lehrer kein Kreuz mehr tragen sollen, eine rhetorische — und lässt die Beschlüsse der Politiker dadurch, dass sie sie einfach nicht erklärt, schlicht unerklärlich erscheinen.
Die Xenophobie (griechisch ξενοφοβία — Fremdenangst, Fremdenfeindlichkeit, Kompositum aus ξένος, xénos — der “Fremd”, der “Gast” und φόβος, phóbos – “Furcht”) bezeichnet die Scheu oder Furcht vor dem Fremden. Xenophobie ist eine ablehnende Einstellung und Verhaltensweise gegenüber anderen Menschen und Gruppen, die vermeintlich oder real fremd sind (z. B. durch fremde Herkunft, Kultur, Sprache). Sie kann sich durch Furcht, Meidung, Geringschätzung, Spott oder Feindseligkeit ausdrücken, die bis zur Gewalt reicht. Teilweise wird der “Fremde” als Quelle unvorhersehbarer Gefahren gescheut.
Franz Josef Wagner schreibt heute in “Bild” bezüglich der versuchten Bombenanschläge in Deutschland u.a.:
*) Im Brockhaus heißt es zu Xenophobie auch:
“(…) Ursachen von Fremdenfeindlichkeit sieht die Individual- und Sozialpsychologie in Ichschwäche, repressiven Sozialisationsmodellen und mangelnder Gruppenidentität beziehungsweise fehlenden sozialen Stabilisierungen.
Die Soziologie nennt als Bedingungen, die Fremdenfeindlichkeit auslösen (die sich zur Gewalttätigkeit gegen die Fremden beziehungsweise das Fremde steigern kann), mangelnde familiäre Bindungen, berufliche Chancenlosigkeit, die Auflösung von traditionellen Milieus im Zuge beschleunigten sozialen Wandels und die Pluralisierung beziehungsweise den Verlust von gesellschaftlichen Normen und Werten.
Die Politikwissenschaft interpretiert Fremdenfeindlichkeit als Mangel an politischer Bildung, die die Unabdingbarkeit von Toleranz und universellen Menschenrechten gegenüber dem oder den Fremden in einer offenen, zunehmend mobilen pluralistischen Gesellschaft nicht genügend vermittelt. (…)”
Zugegeben, er klingt etwas kompliziert, der Satz, mit dem Klaus-Jürgen Duschek vom Statistischen Bundesamt uns gegenüber ein Teilergebnis des Mikrozensus 2005 erklärt:
“Rund 41 Prozent der Haushalte in Deutschland geben an, dass sie einen Haupteinkommensbezieher haben, der überwiegend von Transferleistungen* lebt.”
*) Arbeitslosengeld I und II, Renten/Pensionen, Sozialhilfe, Pflegeversicherung, Sozialgeld, Grundsicherung, sonstige Unterstützung (z.B. BAföG)
Bei “Bild” wird heute aus demselben Sachverhalt diese Seite-1-Schlagzeile:
Klingt ähnlich, ist aber falsch. Die Daten des Statistischen Bundesamtes, auf die “Bild” sich bezieht, erfassen nämlich Ausländer wie Deutsche gleichermaßen (das hat übrigens auch “Deutschlands klügster Manager” und “Bild”-Kommentator Hans-Olaf Henkel nicht verstanden). Außerdem geht es in der Statistik gar nicht um Einzelpersonen, sondern um “Haushalte” (s.o.). Das weiß (anders als Henkel) auch “Bild”:
Schon 41,5 % aller Haushalte beziehen ihr Einkommen aus öffentlichen Unterstützungsleistungen wie Hartz IV, Sozialhilfe oder Rente. Das geht aus Berechnungen des Statistischen Bundesamtes hervor. (Hervorhebung von uns.)
Leider stimmt aber auch das nicht — jedenfalls insofern nicht, als “Bild” den Eindruck erweckt, diese 41,5 Prozent würden ausschließlich dem Staat auf der Tasche liegen. Denn es geht in der Statistik ja um den “überwiegenden” Lebensunterhalt der “Haupteinkommensbezieher” dieser Haushalte (s.o.).
Zum Vergleich hat das Statistische Bundesamt heute nochmal die Daten auf Einzelpersonen bezogen aufgeschlüsselt. Da ergibt sich ein anderes Bild. Von den rund 82,7 Millionen Menschen in Deutschland leben nämlich bloß 29,2 Prozent “vom Staat” (und 40,9 Prozent bestreiten ihren Lebensunterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit).
Und noch was. Der “Bild”-Text beginnt wie folgt:
Immer weniger Deutsche leben von selbst verdientem Lohn!
Weiter heißt es, dass “nur 55,4 % der 39 Millionen Haushalte von eigenem Einkommen” leben.
Dabei ergab eine Umfrage des Statistischen Bundesamts im April 1996, dass damals 55 Prozent der Haushalte einen Haupteinkommensbezieher hatten, dessen überwiegender Lebensunterhalt aus Erwerbstätigkeit stammte. Die aktuellen 55,4 Prozent sind daher nicht “immer weniger”, sondern doch eher mehr.
P.S.: Das “manager-magazin” machte heute übrigens in seiner Online-Ausgabe eine Meldung aus der “Bild”-Geschichte, präsentiert aber zum Glück inzwischen (unter der Überschrift “Heute leben weniger Deutsche auf Staatskosten als vor zehn Jahren”) auch “die Auflösung für den Statistik-Aufreger” und erklärt, warum die “Bild”-Schlagzeile “zudem grob verkürzt” sei.
Mit Dank an Jason M. für den sachdienlichen Hinweis.
Nachtrag, 22.05 Uhr:“Die Auflösung für den Statistik-Aufreger” bei manager-magazin.de wurde noch einmal überarbeitet. Die Überschrift lautet jetzt treffend “Heute leben kaum mehr auf Staatskosten als vor zehn Jahren”, und andere Ungenauigkeiten im Text wurden korrigiert.
“Bild” lässt sich heute von Michael Wolffsohn die Frage beantworten, ob Israel den Krieg gewonnen hat. Der Professor für Neuere Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der internationalen Beziehungen kommt zu dem Ergebnis “Gewonnen ja, gesiegt nein!”, und begründet das u.a. so:
Die Hisbollah sollte entwaffnet werden. So hatte es die Uno 2004 beschlossen. Im jetzigen Uno-Beschluss zum Waffenstillstand ist von Entwaffnung der Hisbollah nicht mehr die Rede.
Nun ja: Der jetzige Beschluss des UN-Sicherheitsrates (Resolution 1701) bezieht sich nicht weniger als vier mal auf den Beschluss von 2004 (Resolution 1559), in dem die Entwaffnung aller Milizen im Libanon gefordert wurde. Und der jetzige Beschluss wiederholt die alte Forderung ausdrücklich noch: Grundlage des Waffenstillstands und einer langfristigen Lösung sei u.a. “die Entwaffnung aller bewaffneten Gruppen im Libanon” außer der libanesischen Streitkräfte. Generalsekretär Kofi Annan wird aufgefordert, Vorschläge für die Entwaffnung der Miliz zu erarbeiten.
Kurz gesagt: Das Gegenteil dessen, was in “Bild” steht, ist richtig.
Es scheint, als hätte die “Bild”-Zeitung den Überblick über die vielen Schauplätze im Nahen Osten verloren. Gestern formulierte sie in Bezug auf die Waffenruhe im Libanon-Konflikt die Überschrift:
Der Pfeil unter dem Wort “ihn” zeigt auf einen Mann, der als angeblicher Kollaborateur von Mitgliedern der Gruppe “Islamischer Jihad” hingerichtet worden sein soll. Im Westjordanland wohlgemerkt, nicht im Libanon.