“Wir sind lieber erfolgreich als beliebt”, sagte Kai Diekmann gestern Abend. Er meinte damit die “Bild”-Zeitung, deren Chefredakteur er ist. Aber vielleicht passt der Satz auch auf die Burschenschaft Franconia, deren Mitglied er ist. (Die Franconia ist als Mitglied der “Burschenschaftlichen Gemeinschaft” nach Auffassung des SPD-Bundesvorstandes als rechtsextrem einzustufen.)
Gestern hielt Kai Diekmann im Verbindungshaus an der Himmelreichallee in Münster wieder einmal einen Vortrag.
Selbst, wenn er wollte: Kai Diekmann, Chefredakteur der “Bild”-Zeitung, dürfte nicht SPD-Mitglied werden. Die Partei jedenfalls würde einen entsprechenden Antrag Diekmanns ablehnen.
Aber der Reihe nach:
Obwohl nicht unbedingt dafür bekannt, als Vortragsreisender emsig durch die Lande zu touren, scheint Kai Diekmann in letzter Zeit häufiger amRednerpult zu stehen. Insbesondere sein Vortrag über den “Erfolg der Marke BILD” hat es ihm offenbar angetan. Nach Auftritten beim “PR-Club Hamburg” und dem sog. “Wirtschaftsrat der CDU” hält er ihn am heutigen Donnerstag zum dritten Mal, diesmal in Münster — bei der Burschenschaft Franconia.
Schließlich will die traditionsreiche Studentenverbindung ihren Mitgliedern “das richtige Rüstzeug für die spätere verantwortungsbewusste Teilnahme am gesellschaftlichen und politischen Leben” vermitteln. So steht es auf der Franconia-Homepage. Außerdem steht dort, dass die Franconia “Mitbegründer der Burschenschaftlichen Gemeinschaft” sei, die kurz als “Zusammenschluss von Burschenschaften Deutschlands und Österreichs” beschrieben wird.
Unerwähnt lässt die Franconia allerdings, dass es sich bei der “Burschenschaftlichen Gemeinschaft”(siehe Ausriss) um einen von Burschenschaftskritikern des Rechtsextremismus verdächtigten Zusammenschluss innerhalb des Dachverbandes “Deutsche Burschenschaft” handelt, der (laut “Frankfurter Rundschau”) “mit der Abgrenzung nach rechts schon immer Schwierigkeiten hatte” und laut SPD “eindeutig biologistisch, völkisch und großdeutsch ausgerichtet” ist.
Zu den 22 deutschen Mitgliedern der “Burschenschaftlichen Gemeinschaft” zählen neben der Franconia Münster auch Burschenschaften, die schon in diversen Verfassungschutzberichten auftauchten, weil sie “keine Berührungsängste” zu Alt- und Neonazis zeigten. Und der SPD-Vorstand setzte im Frühjahr einenumstrittenen“Unvereinbarkeitsbeschluss” durch, wonach niemand Mitglied der SPD sein dürfe, der Mitglied einer Burschenschaft der “Burschenschaftlichen Gemeinschaft” sei.
Die Franconia selbst musste sich noch bis in dieses Jahr vorwerfen lassen, dass sie 2004 den angeblichehemaligen Neonazi Oliver Westerwinter in ihren münsteraner Räumlichkeiten beherbergt habe.
Alles das aber dürfte Kai Diekmann, dem “Bild”-Chef, der heute ab 19 Uhr in ebenjenen Räumlichkeiten der Franconia Münster seinen Vortrag hält, ohnehin bekannt sein: Immerhin ist er selbst dort seit seiner Studienzeit* Mitglied.
*) Nachtrag, 27.10.2006: Möglicherweise ist Diekmann nicht, wie wir behauptet haben, seit seiner Studienzeit Franconia-Mitglied, sondern war dort offenbar während seiner Studienzeit Mitglied und ist es seit einiger Zeit wieder.
Na sowas: Es gibt in der Bundesrepublik 2,5 Millionen arbeitslose Männer und über 16 Millionen arbeitende Frauen. Es müsste also nur jede sechste Frau aufhören zu arbeiten, und schon könnten alle Männer in Deutschland einen Arbeitsplatz haben. Warum tun sie das nicht? Warum haben wir keine Männer-Vollbeschäftigung, wenn es scheinbar so leicht wäre? Liegt es daran, dass Männer mehr Geld für die Arbeit wollen als Frauen? Oder haben wir so viele arbeitende Frauen, weil sie besser sind als Männer?
Wie? Sie finden das abwegig? Dann lesen Sie mal, was Claus Jacobi gestern in seiner wöchentlichen Kolumne in “Bild” schrieb:
Zwei Deutungen dieser Kolumne liegen nahe:
Entweder Jacobi findet es grundsätzlich bedenklich, dass Ausländer in Deutschland arbeiten dürfen, solange noch Deutsche arbeitslos sind. Mit dieser Argumentation ist er nicht allein: “Durch den unkontrollierten Zustrom von Ausländern kommt es unmittelbar zu einem Verdrängungswettbewerb auf dem Arbeitsmarkt, der zu Lasten der deutschen Arbeitnehmer geht”, argumentiert zum Beispiel die NPD. Und die rechtsextreme “Deutsche National-Zeitung” formuliert, “in Zeiten knapper Arbeitsplätze müssen die Einheimischen bei der Arbeitsplatzbeschaffung bzw. -sicherung Vorrang haben gegenüber fremden Staatsbürgern.”
Oder Jacobi weiß nicht, dass die meisten Ausländer in Deutschland am Arbeitsmarkt die gleichen Rechte haben wie Deutsche. Vielleicht denkt er, dass Ausländer hier nur Stellen annehmen dürfen, für die sich kein Deutscher findet. Diese Regel gibt es, sie gilt aber nur für Ausländer, die eine befristete Aufenthaltserlaubnis haben. Dagegen dürfen zum Beispiel Ausländer, die eine unbefristete Niederlassungserlaubnis besitzen (das allein sind laut Migrationsbericht rund 40 Prozent), sowie EU-Bürger (mit Ausnahme der meisten jüngsten Beitrittsländer) genau so beschäftigt werden wie Deutsche.
Entweder Claus Jacobi weiß das nicht. Oder es passt ihm nicht. Besonders gefallen einem beide Möglichkeiten nicht.
(Übrigens ist es nicht so, dass Ausländer in Deutschland sich vor Arbeit nicht retten können, wie man nach dem Lesen der “Bild”-Kolumne denken könnte. Die Arbeitslosenquote ist bei Ausländern mehr als doppelt so hoch wie insgesamt (pdf). Aber arbeitslose Ausländer sind vielleicht nicht so Jacobis Thema.)
Wer ist eigentlich verdammtnochmal Schuld daran, dass bald auch auf Computer Rundfunkgebühren fällig werden könnten?
Vor drei Wochen hatte “Bild” schon eine ganze Reihe Schuldiger gefunden: Die “TV-Dinos”! Also die ARD-Intendanten, die laut “Bild” “jetzt” das Internet “zum Abkassieren” “entdeckt” haben. Das war ein bisschen schief, denn die ARD-Intendanten haben das Internet nicht jetzt zum Abkassieren entdeckt. Die Gebührenpflicht steht schon seit 1997 im Rundfunkstaatsvertrag und wurde seitdem nur ausgesetzt. Und Staatsverträge konnte die ARD damals schon so wenig unterschreiben wie heute. Sie kann allenfalls Vorschläge machen.
Heute nimmt “Bild” einen neuen Anlauf: Die Bundesregierung ist schuld! Rolf Kleine, Leiter des “Bild”-Haupstadtbüros, schreibt:
Die von der Koalition geplante Einführung von GEZ-Gebühren auf PCs…
Und:
Die Koalition plant, von 2007 an GEZ-Gebühren für PCs zu erheben — wahrscheinlich 5,52 Euro im Monat.
Okay, das ist ganz falsch. Rundfunk ist in Deutschland Ländersache, und “die Koalition” im Bund hat mit der Rundfunkgebühr überhaupt nichts zu tun.
Aber die Ministerpräsidenten der Länder tagen erst nächste Woche, um sich u.a. mit den Gebühren auf PCs zu beschäftigen. Bis dahin kriegt “Bild” es bestimmt noch hin, den wahren Schuldigen zu finden.
PS: Der heutige “Bild”-Bericht steht unter der Überschrift:
Im Artikel selbst heißt es schon nur noch, sie sei “wahrscheinlich” verfassungswidrig. Und es sind nicht irgendwelche unparteiischen Juristen, sondern die Hausjuristen des Deutschen Industrie- und Handelskammertages DIHK. Der läuft schon seit Monaten Sturm gegen die Gebühren. Und fragt man beim DIHK nach, was genau die Basis für dieses juristische Urteil ist, erfährt man, dass sich die DIHK-Leute einfach ein paar Gedanken gemacht haben.
Und so schnell wird aus der Vermutung einer Lobby-Organisation in “Bild” eine Tatsache und eine Schlagzeile auf Seite 1.
Gibt es wirklich “immer mehr Beispiele dafür, wie wir vor dem Islam kuschen”? “Bild” behauptete das am vergangenen Freitag — und trug immerhin zehn “Beispiele” zusammen, die die Behauptung belegen sollen. Mindestens drei davon belegen allerdings etwas ganz anderes.
Das “Beispiel” mit dem Muezzin der Moschee in Dillenburg zum Beispiel, dem ein Gericht “das Recht” gab, die Gemeinde “per Lautsprecher zum Gebet zu rufen”, belegt irgendein Geknicke und Gekusche nämlich nur bedingt. Ohne näher auf die Einzelheiten dieses Streits einzugehen: Er wurde schon vor vier Jahren beigelegt — und zwar nicht durch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, wie uns der Bürgermeister Dillenburgs, Michael Lotz, erklärt. Vielmehr hatte die muslimische Gemeinde damals signalisiert, von ihrem Recht auf den Gebetsruf per Lautsprecher keinen Gebrauch zu machen. Und tatsächlich hat sie das auch nie. Der Vorsitzende der Moschee in Dillenburg, Babaoglu Cengiz, sagt uns:
Der Lautsprecher wurde noch nie benutzt.
Im Übrigen bezeichnen beide das Verhältnis von muslimischer Gemeinde und Stadtverwaltung als gut.
Ein anderes “Beispiel” von “Bild” betrifft den Baustopp für die Sehitlik-Moschee im Berliner Stadtteil Neukölln. Der sei aufgehoben worden, “obwohl die beiden Minarette jeweils 8,5 Meter und die Kuppel fünf Meter höher waren als in der Baugenehmigung bewilligt”. “Bild” erwähnt allerdings nicht, dass ein Strafgeld verhängt wurde, das laut Baustadträtin Stefanie Vogelsang (CDU) das höchste sei, “das es je in Neukölln gab”, wie sie im August der “FAZ” sagte. Und im November 2003 schrieb die “Welt” zur Verhängung des Bußgelds:
Aus der Sicht von Baustadträtin Stefanie Vogelsang (CDU) ein ganz normaler Vorgang. Reihenweise geschehe dies im Bezirk. Ein Abriss der Moschee sei nicht verhältnismäßig. Denn ihre jetzige Höhe verstoße nicht gegen das Baurecht, sondern nur gegen die eigentliche Erlaubnis. Eine Nachtragsgenehmigung werde bald erteilt.
Eines der angeblichen “Beispiele” taucht sogar schon in der “Bild”-Überschrift auf: “Weihnachtsparty abgesagt”. Im Text heißt es dazu:
In der Heinrich-Heine-Oberschule in Neukölln fiel eine christliche Weihnachtsfeier aus Rücksicht auf die vielen muslimischen Schüler aus.
Nun ja, laut Schulleiterin Cordula Heckmann ist der Anteil musilimischer Schüler tatsächlich so hoch, dass eine christliche Weihnachtsfeier niemals in Erwägung gezogen worden sei. Zur vermeintlichen Absage sagt Heckmann entsprechend:
Das ist totaler Quatsch. Wir haben nie eine Weihnachtsfeier angesagt, deshalb können wir auch keine absagen.
Mit besonderem Dank an Bernd K. für seine Recherche.
“Unfassbar!” findet “Bild”-Redakteurin Katharina Ugowski die Steuerverschwendung in Deutschland, wie sie der Bund der Steuerzahler gerade wieder in seinem “Schwarzbuch” dokumentiert, hat ihren Artikel darüber aber leider offenbar verfasst, bevor sie ihre Fassung wiederfand.
Sie schreibt:
Der Beschwerde-Ausschuss des bayerischen Landtags fuhr ausgerechnet nach China, um vom Beschwerde-Recht des kommunistischen Landes zu lernen. Kosten: 4345,98 Euro für jedes der 13 (!) Ausschussmitglieder.
Richtig ist: 4345,98 Euro ist das Budget, das jedem Ausschussmitglied während der gesamten fünfjährigen Wahlperiode zur Verfügung steht. Dieser Etat ist nach Angaben des Bayerischen Landtages, wie im Schwarzbuch nachzulesen, bislang noch nicht ausgeschöpft, obwohl der Ausschuß in der aktuellen Wahlperiode nicht nur nach China, sondern auch noch nach Rumänien gereist ist. Die China-Reise muss also deutlich weniger als 4345,98 Euro gekostet haben.
Anders als Frau Ugowski behauptet, kostete auch nicht “eine Brücke” über die A14 in Mecklenburg-Vorpommern, die für die Bauern zu schmal geworden ist, 480.000 Euro — das ist nach Angaben des Bundes der Steuerzahler der Preis für “mehrere Brücken”.*
Ugowskis Kollege Einar Koch fordert in seinem Kommentar zum Thema übrigens, Menschen, die Steuergelder verschwenden, “mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren”** zu bestrafen. Nicht auszudenken, wenn auch das falsche Abschreiben von Informationen unter Strafe gestellt würde!
Nachtrag, 18.45 Uhr. Möglicherweise hat “Bild” die Fehler nicht selbst gemacht, sondern aus einer fehlerhaften dpa-Meldung übernommen.
*) Korrektur, 28. September. Tatsächlich sind 480.000 Euro der Preis für eine Brücke. Die Angaben auf der Internet-Seite des Schwarzbuchs, wo etwas zweideutig von “mehreren Brücken” die Rede ist, seien “unglücklich formuliert”, wie der Steuerzahler-Bund auf Nachfrage einräumt.
Vielen Dank an Christoph S. und Arno L.!
**) Nur mal so zum Vergleich (und mit Dank an Robert S.): Eine Freiheitsstrafe “nicht unter drei Jahren” sieht das Strafgesetzbuch u.a. für Körperverletzung mit Todesfolge und schweren Raub vor.
Und es stimmt ja auch: In der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Forsa haben CDU/CSU drei Prozentpunkte gegenüber der Vorwoche verloren. Erstmals seit der Bundestagswahl 2002 liegt die Union hinter der SPD.
Größer noch als der eigentliche Artikel in “Bild” ist die begleitende Grafik:
Die Kurve illustriert tatsächlich eindrucksvoll den “Absturz” von CDU/CSU. Sie hat nur einen Haken: Sie ist falsch. Das wird offenkundig, wenn man sich die “Bild”-Statistik genauer ansieht:
In “Bild” landet die Union nicht bei 29 Prozent, sondern unterschreitet sogar die 27-Prozent-Marke. Und die Kurve, die für die SPD steht, endet in “Bild” nicht bei 30 Prozent, sondern erreicht sogar die 31-Prozent-Linie.
Der Ein-Prozent-Vorsprung der SPD hat wohl nicht genug hergemacht, um den “Bild”-Lesern ein angemessenes Bild von der Dramatik der Lage zu geben. Und so haben “Bild” und Bild.de ihn optisch einfach mal vervierfacht.
Unter der lustigen Überschrift “Sind Raubkopien bald legal?” berichtet Bild.de über das Programm der neu gegründeten Piratenpartei:
Einen Urheberrechtsschutz soll es nach der Vorstellung der Piraten nicht mehr geben.
Im Text wird sogar auf die Internetseite der Piratenpartei verlinkt. Allerdings scheint niemand bei Bild.de das dort erhältliche Parteiprogramm (pdf) verstanden ernsthaft gelesen zu haben. Darin heißt es nämlich:
Wir erkennen die Persönlichkeitsrechte der Urheber an ihrem Werk in vollem Umfang an.
Mit Dank an Mechthild C. und Rabbit Ambulance für den Hinweis.
Nachtrag, 17.40 Uhr: Der Piratenbeauftragte von Bild.de hat sich das Parteiprogramm mittlerweile offenbar etwas genauer durchgelesen und die Formulierung entsprechend angepasst.