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Zisch und fit

Bevor der Presserat vor einem Vierteljahr “Bild” dafür rügte, mit ihrer Berichterstattung über Aldi-Reisen die Grenze zwischen zulässiger Information und unzulässiger Werbung überschritten zu haben, hatte die Zeitung sich gegenüber dem Gremium ja damit gerechtfertigt, dass es einen “publizistischen Anlass” gegeben habe: Erstmals sei ein Discounter ins Reisegeschäft eingestiegen.

Das stimmte zwar nicht, aber “Bild” war auch nach der Rüge nachhaltig unzufrieden mit der Entscheidung des Presserates.

Und fand am vergangenen Freitag einen neuen “publizistischen Anlass” für detaillierte Berichterstattung über ein neues Produkt: Vermutlich erstmals ist eine deutsche Boulevardzeitung ins Sportdrinkgeschäft eingestiegen. “Bild”, äh: informierte exklusiv und auf Seite 1:

Mit Dank an Torsten W., Andreas H. und Andy.

No Logo

Man kennt das. Kommt nach Hause, guckt sich die gemachten Fotos an und merkt, dass gerade die schönsten Aufnahmen nicht zu gebrauchen sind. Auf dem einzigen scharfen Portrait von Monika war vor ihrem Gesicht ein Insekt, das nun wie ein Pickel aussieht. Ins Gruppenfoto mit Brautpaar hat sich rechts die blöde Tante Ulla gequetscht. Und beim Fotografieren des herrlichen Bergpanoramas hatte man die fiese Werbetafel übersehen. Aber zum Glück lässt sich so etwas heutzutage ja leicht retuschieren.

Solche Pannen passieren nicht nur uns, sondern auch den Profis von der “Bild”-Zeitung. Die hatte für ihren heutigen Bericht über Senioren, die im Internet einkaufen, unter anderem einen ehemaligen Werkzeugmacher aus Leipzig fotografiert. Der Mann schwärmt davon, wie gut man im Internet Preise vergleichen kann:

Aber was ist das für eine Seite, mit er so gerne Preise vergleicht? Offenbar eine, die eigentlich so aussieht:

Jede Wette, dass jemand in der “Bild”-Redaktion einen “Oh Gott, da ist ja Tante Ulla im Bild”-Moment hatte, als er das ursprüngliche Foto von dem Internet-Senioren vor seiner mutmaßlichen Lieblingspreisvergleichsseite sah. Denn seit gut einem Jahr besitzt der Verlag Axel Springer die Mehrheit am Preisvergleich Idealo, und das ist ein direkter Konkurrent von guenstiger.de, dessen Schriftzug groß auf dem Bildschirm des Internet-Senioren geprangt haben muss.

Aber zum Glück lässt sich so etwas heutzutage ja leicht retuschieren.

Vielen Dank an Marius M. und D.L.!

In eigener Sache: Der BILDblog-Werbespot

Mit Dank an alle, die uns geholfen haben, und ganz besonderem Dank an Anke E., Christoph Maria H., Tim S. sowie (in alphabetischer Reihenfolge) Tobi B., Alexander D., Chris G., Ralf G., Michael L. und Sascha L.! Wir können es kaum fassen.

Nachtrag, 24. August. Inzwischen gibt es auch eine Stellungnahme der “Bild”-Zeitung zu unserem Werbefilm. Sprecher Dirk Meyer-Bosse sagte dem Medienmagazin “V.i.S.d.P.” (pdf):

“Das ist ein gut gemachter Spot, natürlich haben wir auch darüber gelacht. Er lebt aber von dem alten Vorurteil, BILD würde lügen — was durch eine witzige Wiederholung jedoch auch nicht wahrer wird. Unsere Rechtsabteilung prüft routinemäßig, ob hier möglicherweise markenrechtliche Aspekte berührt sind.”

Sag es treffender

Als Unbekannte vor einem Jahr in Fulda die “Jede Wahrheit braucht einen Mutigen”-Kampagne der “Bild”-Zeitung mit “Bild”-kritischen Sprechblasen beklebten, hielt man das bei “Bild” angeblich für eine “interessante Auseinandersetzung”, die das Blatt (laut osthessen-news.de) nicht weiter störe. Eine ähnliche Aktion in München verstand man bei “Bild” jedoch (laut sueddeutsche.de) als “Aufruf zur Sachbeschädigung”.

Zur Zeit werden in Fulda wieder “Bild”-Plakate nachbearbeitet*:

"Jede BILD-WERBUNG braucht einen Mutigen, der sie BEKLEBT"

*) Laut osthessen-news.de erklärte die Polizei Fulda im vergangenen Jahr, dass es natürlich verboten sei, fremdes Eigentum zu zerstören. Allerdings hätten die vorliegenden Fällen einen geringen Strafcharakter gehabt: Wenn beim Entfernen nichts kaputt gehe, handele es sich um eine Ordnungswidrigkeit, die mit einem Bußgeld geahndet werden könne — andernfalls um leichte Sachbeschädigung. Ermittelt werde aber nur, wenn sich der Eigentümer gestört sehe und einen entsprechenden Antrag einreiche.

Mit Dank an Ben G. für das Foto.

Nachtrag, 18.7.2007: Osthessen-news.de hat mal bei “Bild” nachgefragt, wie man dort die aktuelle “Beklebe”-Aktion finde. Die Antwort: “einfallslos”.

Alice Schwarzer nicht zwangsprostituiert

Bloggen für BILDSchon in der Vergangenheit hatten wir gelegentlich, nicht oft, den Eindruck, dass “Bild” zu Unrecht (oder zumindest mehr als nötig) in die Kritik geraten sei. So naheliegend es in den meisten Fällen auch sein mag, “Bild” die Schuld zu geben: Manchmal glauben wir, “Bild” doch irgendwie in Schutz nehmen zu müssen. Und dann tun wir das auch.

Aber beginnen wir einfach wieder wie so oft:

Seit ein paar Tagen wirbt “Bild” bundesweit nicht nur mit einem legendären Kniefall und einem falsch geschriebenen Namen für sich, "Jede Wahrheit braucht eine Mutige, die sie ausspricht."sondern auch (wie schon einmal) mit…
Alice Schwarzer.

Ebenfalls seit ein paar Tagen erreichen uns Leser- und Medienanfragen, die auf diesen Umstand hinweisen — und uns mit Blick auf Alice Schwarzer fragen:

Ob die sich wohl wehrt?

Im Gästebuch von Alice Schwarzers Homepage finden sich ähnliche Fragen:

Ist das von Ihnen autorisiert?

Wie konnte das passieren?

Wie viel hat die ‘Bild’ geboten, dass Sie sich zu dieser Werbung prostituieren ließen? Oder wurden sie gar nicht gefragt?

Haben sie wirklich zugestimmt für solch eine Werbung/Zeitung ihr Gesicht zu geben?

Ist dieses Photo mit Ihrem Einverständnis genutzt worden oder sind Sie nicht gefragt worden und schlicht als “Person öffentlichen Interesses” verwandt worden?

Ich kann mir die Sache nur so erklären, dass diese Plakate gegen Ihren Willen aufgehängt wurden. Denn Sie würden doch niemals im Leben Werbung, für so ein Drecksblatt wir BILD machen.

Und die Verunsicherung ist nachvollziehbar. Es ist noch nicht sooo lange her, da hatte Schwarzers Zeitschrift “Emma” gegen eine frühere “sexistische” Werbekampagne von “Bild” gewettert und es als “einen der größten Erfolge in der Protest-Geschichte” gefeiert, dass die Kampagne, die “auf eine Verhurung aller Frauen” ziele, “in mehreren Städten gestoppt” worden war. “Emma” zitierte damals u.a. “Bild”-Chef Kai Diekmann (“Eine Massenzeitung kann man nur mit dem Trend, aber nicht gegen den Trend machen”) und stellte fest: “Doch hat er Neigung, seinen sehr persönlichen Trend zur Pornografie mit einem Massentrend zu verwechseln.”

Aber: Anders als beispielsweise bei der Frau, deren (Nackt-)Foto “Bild” gegen ihren Willen benutzte, findet sich auf aliceschwarzer.de folgende “Stellungnahme” Schwarzers zur “Bild”-Kampagne:
"Verständlich, dass viele glauben, dies sei ohne meine Zustimmung geschehen, denn mein kritisches Verhältnis zu BILD (und deren Wahrheitsgehalt) ist kein Geheimnis. Doch ich habe zugestimmt. Ganz einfach, weil ich finde, dass es nicht schaden kann, wenn in so einer Runde -- von Gandhi bis Willy Brandt -- auch mal eine Frau auftaucht. Und eine sehr lebendige noch dazu."
Ganz einfach! Und Sibel Kekilli hätt’s wahrscheinlich nicht gemacht.

Mit Dank an begleitschreiben fürs Foto.

“Bild” lässt Willy Brandt für sich knien

Die “Bild”-Zeitung hat nun auch Willy Brandt zur Werbefigur für sich gemacht. Sie zeigt auf ungezählten Plakatflächen das berühmte Foto, wie der Bundeskanzler am 7. Dezember 1970 vor dem Ehrenmal des jüdischen Gettos in Warschau kniet. Am gleichen Tag unterzeichnete die Bundesrepublik den Warschauer Vertrag, durch den die Oder-Neiße-Linie als Westgrenze Polens anerkannt und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen beschlossen wurde.

Über Brandts Foto hat die “Bild”-Zeitung ihren Werbeslogan geschrieben, wonach jede Wahrheit einen Mutigen brauche, der sie ausspricht.

Es ist nicht ganz klar, was genau “Bild” in diesem Zusammenhang als “Wahrheit”* bezeichnet. Einfacher ist es, zu beschreiben, wie sie darauf kommt, von “Mut” zu reden.

Der damalige “Bild”-Chefredakteur Peter Boenisch schrieb in seiner “Bild am Sonntag”-Kolumne am Sonntag nach dem Kniefall:

"Niemand --- auch nicht Brandt --- kann die Verbrechen der Nazis wegknien."

"Und was sollen die Polen glauben? Dieses katholische Volk weiß, daß man nur vor Gott kniet. Und da kommt ein vermutlich aus der Kirche ausgetretener Sozialist aus dem Westen und beugt sein Knie. Das rührt das Volk. Aber rührt es auch die Opfer des Stalinismus? Sie mußten knien, weil sie einen Gewehrkolben ins Kreuz bekamen."

Brandt soll auf die “Bild”-Kritik, man knie “nur vor Gott”, im kleinen Kreis mit der Frage reagiert habe:

“Woher wissen diese Schweine, vor wem ich gekniet bin?”

 
*) Der Kniefall gilt als wichtigstes Symbol für die neue Ostpolitik Willy Brandts, zu deren schärfsten Kritikern die “Bild”-Zeitung und der Axel-Springer-Verlag gehörten. Am Tag nach dem Kniefall Brandts und der Unterzeichnung des Warschauer Vertrages zitierte “Bild” ausführlich aus einem Artikel, den Verleger Axel Springer in der “Welt” geschrieben hatte. Er nannte das Abkommen darin “die vertragliche Preisgabe eines Viertels des zerteilten Deutschland”:

Zehn Millionen Landsleute erfuhren und erfahren den Schmerz des Verlustes ihrer Heimat. Eine Entscheidung, die einem Friedensvertrag vorbehalten bleiben sollte, wird ohne jeden Zwang vorweg gefällt. Eine kommunistische Regierung wird von einer aus freien Wahlen hervorgegangenen deutschen Regierung ermächtigt, ein Stück Deutschland zu annektieren.

(…) was der Kanzler und seine Freunde für Morgenröte halten, ist die Farbe des Fahnentuches sowjetischer Imperialgewalt, die ganz Europa bedroht.

Wer dabei glücklich ist, riskiert nicht nur eigenes Unglück.

“Bild” verschläft “BILD-Bibel”-Start

Kommt ein “Bild”-Leser in ein Buchgeschäft: “Ich hätte da gerne diese neue ‘Papst-Bibel’! Hab’ ich heute in der ‘Bild’-Zeitung gelesen, dass die ‘da’ ist.”

Verkäufer: “Sie meinen die Benedikt-Bibel von ‘Bild’ und dem Verlag Herder?”

“Bild”-Leser: “Was weiß denn ich… Steht doch hier groß (tippt auf die mitgebrachte Titelseite, siehe Ausriss): ‘Ab heute im Handel’!”

Zufällig anwesender Presserat: (vernuschelt) “Ist das nicht Schleichwerbung?”

Verkäufer: “Was steht da? ‘Ab heute im Handel’?! Wie kommen die bei “Bild” denn darauf? Die Bibel gibt’s doch schon seit letzten Freitag. Stand doch auch überall, dass die… (blättert mit Lesebrille in Unterlagen) …ja, sehen Sie hier, die Pressemitteilung von Springer: ‘Am 29. Juni 2007 erscheint die neue limitierte Bibel-Edition von Europas größter Tageszeitung BILD.’ Und warten Sie mal, ich habe da so ein Déjà Vu — als hätte das auch selbst schon letzten Monat in ‘Bild’ gelesen.”

Zufällig anwesender Presserat: (aufgeregt am Mobiltelefon) “Was…? Doch, doch: Letzten Monat auch schon…!”

“Bild”-Leser: “Ja, und was is’ nun mit meiner ‘Papst-Bibel’?”

Verkäufer: “Na, ich schau mal, ob ich noch eine für Sie bestellen kann. Ist ja schließlich (tippt auf die mitgebrachte “Bild”-Zeitung, siehe Ausriss) ‘streng limitiert’, das Ding. Versprechen kann ich also nichts. Sind halt auch ein bisschen spät dran heute…”

Mit Dank an Norman S. für den Hinweis und den Verlag Herder für die Bestätigung.

“Bild”-WM-Knaller explodiert mit Verspätung

Deutschland vor einem Jahr. Erinnern Sie sich? Wir waren schwarz-rot-geil, wegen der Hitze wollten alle einander nur noch duzen, und die “Bild”-Zeitung machte mit dem Angebot auf, für 99 Cent bei Lidl ein “köstliches Grafenwalder Premium-Pils”, “eine große Tüte knackige Erdnuß-Flips” und eine Deutschland-Fahne zu bekommen. “WM-Knaller” hieß es. Alle waren ganz besoffen vor Glück, und der Presserat erklärte Beschwerden über die Aktion, die Verbraucherschützer einen “besonders krassen Fall von unlauterer Werbung” nannten, kurzerhand für “offensichtlich unbegründet”.

Doch auch der geilste Sommer endet irgendwann, und ein hartnäckiger Beschwerdeführer legte beim Presserat Widerspruch gegen die Entscheidung ein. Er wies das Gremium auf diverse rechtsgültige Urteile in Sachen Schleichwerbung hin und erwähnte das Schleichwerbungsverbot im Gesetz. Eine relevante Täuschung liege bereits vor, wenn dem Leser eine entgeltliche Anzeige als redaktioneller Beitrag präsentiert werde, argumentierte er; Anzeigen müssten sich in Stil und Aufmachung von redaktionellen Beiträgen absetzen.

Das muss den Presserat irgendwie beeindruckt haben. Es wurde Herbst, und der Beschwerdeausschuss beschloss, die Sache zu behandeln. Es wurde Winter, und der Beschwerdeausschuss beschloss, die Sache doch lieber an das Plenum des Presserates abzugeben. Es wurde Frühling, und das Plenum des Presserates beschloss, die Beschwerde wieder an den Beschwerdeausschuss zurückzugeben.

Und nun ist es wieder Sommer, und der Beschwerdeausschuss hat sich zu einer Entscheidung durchgerungen. Sie ist einstimmig gefallen und lautet: “Bild” hat mit der Veröffentlichung gegen die Ziffern 6 und 7 des Pressekodex verstoßen.

Nach Meinung des Gremiums gerät im vorliegenden Fall das Ansehen der Presse (Ziffer 6 des Pressekodex) in Gefahr, wenn eine werbliche Veröffentlichung, die redaktionell gestaltet ist, den redaktionellen Aufmacher auf der Titelseite ersetzt. Der Leser erwartet dort weder einen Eigenmarketingbeitrag noch Werbung.

Dadurch, dass an einer Stelle, an der sonst redaktionell berichtet wird, ein Eigenmarketingbeitrag veröffentlicht wurde, wird zudem die in Ziffer 7 des Pressekodex geforderte klare Trennung von Werbung und Redaktion aufgehoben.

Eine klare Kennzeichnung als “Anzeige” habe gefehlt.

Noch im Jahr 2004, als “Bild” mit Lidl in ähnlicher redaktioneller Aufmachung wie den “WM-Knaller” auf Seite eins einen “Sommer-Knaller” anbot (“Doppelschlecken” / “Heute Eis für alle — Eins kaufen, eins geschenkt!”), hatte der Presserat anders entschieden. Damals urteilte das Gremium, es sei “klar erkennbar, dass es sich bei dem Beitrag nicht um eine redaktionelle Berichterstattung, sondern um reine Werbung handelt”.

Weil der Presserat jetzt von der “bisherigen Spruchpraxis” abwich, konnte er wegen der “WM-Knaller”-Schleichwerbung keine Rüge, sondern nur einen “Hinweis” aussprechen.

Die Pressestelle der Axel-Springer-AG hat die Öffentlichkeit im vergangenen Jahr in einer Pressemitteilung informiert, dass die Beschwerde gegen die “Bild”-Lidl-WM-Aktion als “offensichtlich unbegründet” zurückgewiesen worden sei. Die Information, dass der Presserat sein Urteil jetzt revidiert hat, scheint nicht ganz so dringlich zu sein.

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