Archiv für joiz.de

Ein Stürmer in Gerüchteabwehr

Vergangene Woche wurde der HSV-Fußballer Artjoms Rudnevs bei einem Streit mit seiner Frau verletzt. Es hieß, sie habe ihm in die Zunge gebissen.

Viele Medien stürzten sich mit fröhlicher Empörung auf die Story um die „höchst pikante Verletzung“ (Bild.de), schrieben Sätze wie “Erst verlor er seinen Torriecher und nun fast seine Zunge” (welt.de) und waren sich schnell einig, dass dem Vorfall ein „bizarrer Ehe-Streit“ (“Focus Online”) zugrunde liegen müsse. Doch weil sich der Fußballer zunächst nicht äußerte, oder wie Bild.de es formulierte:

… malten sich die Journalisten die Hintergründe kurzerhand selbst aus.

Die „Hamburger Morgenpost“ brachte nach investigativer Recherche bei “engen Vertrauten” “krankhafte Eifersucht” ins Spiel, „Bild“ vermutete irgendeine peinliche Geschichte (schließlich wollte Rudnevs ja partout nichts dazu sagen und habe sich im Krankenhaus sogar “unter falschem Namen behandeln” lassen) und zitierte einen „Mental-Coach“, der dem Ehepaar zu einem „professionellen Coaching“ riet.

Der “Social-TV-Sender” joiz (der Rudnevs’ Frau Santa konsequent „Santana“ nennt) machte sich einen besonderen Spaß aus der Sache und lieferte am Freitag „fünf Theorien, wie es zu diesem ‘Streit-Zungen-Ungeschick’ gekommen sein könnte“:

Die Privatsphäre des Fußballers wurde zur lustigen medialen Spekulationsspielwiese. Wer hat noch nicht, wer will noch mal?

Artjoms Rudnevs selbst hat gestern auf der HSV-Seite eine Erklärung abgegeben:

Meine Damen und Herren, liebe Fans, 
 
in den letzten Tagen haben Medien viele falsche und leider auch schädliche Informationen über mich und meine Familie verbreitet. Hinter der ganzen Angelegenheit steckt eine sehr persönliche familiäre Tragödie, die bis zu diesem Zeitpunkt von keinem in Zusammenhang mit diesem Vorfall erwähnt worden ist. Daher wollte ich hiermit einiges aufklären, denn die Angelegenheit wurde bislang nur auf Grundlage von Spekulationen dargestellt, die die Familie Rudņevs in einem sehr schädlichen Licht erscheinen lassen. Die mir nahestehenden Familienmitglieder durchleben gerade sehr schwere Zeiten. 
 
Meine Frau Santa und ich hatten die Geburt unseres dritten Kindes erwartet. Am Samstag, den 29. August 2015, wenige Tage vor dem beschriebenen Vorfall auf einer der Straßen Hamburgs, erlitt meine Frau Santa eine Fehlgeburt. Keine Tragödie im Leben einer Frau kann mit dem Tod des eigenen Kindes auch nur annähernd verglichen werden. 
 
Meine Frau Santa kann dies nur schwer verarbeiten, wie übrigens jede andere Mutter nach einem derart dramatischen Erlebnis. Am unglückseligen Abend in Hamburg hat meine Frau daher zwischenzeitlich aufgehört rational zu denken und wurde hysterisch, weil sie zutiefst bestürzt über den Verlust unseres Kindes war.

Ich mache meiner Frau keinerlei Vorwürfe, für das was passiert ist. Wir sind seit elf Jahren zusammen und seit sechs Jahren sind wir ein sehr glückliches Ehepaar, niemals hatten wir Ehekrach und es gab nie Gewalt in unserer Ehe. Das was passiert ist, ist die für viele schwer nachvollziehbare Reaktion einer Mutter nach dem Tod ihres Kindes. Ich habe keinerlei Absicht, meiner Frau Vorwürfe zu machen. Unsere Familie wird zusammenhalten, vor allem in diesen schwierigen Zeiten.

Angesichts der oben genannten Tatsachen bestreite ich vehement Unterstellungen, wonach der Grund für die besagte Meinungsverschiedenheit eine Affäre mit einer anderen Frau gewesen sein soll, wie fälschlicherweise von Medien berichtet. Laut dem Verfasser eines Artikels soll ich zum Zeitpunkt des Vorfalls in Anwesenheit einer angeblichen Liebhaberin gewesen sein. Dies ist absolut erdacht und erlogen. Die besagte Frau, die uns an diesem Abend begleitet hat, war die Tante von Santa, die einige Tage vorher zu Besuch kam, um uns bei der Betreuung unserer zwei Kinder zu helfen, während wir nach dem tragischen Verlust unseres Kindes zu uns kommen wollten.

Es ist zudem unwahr, dass ich nach dem Einliefern ins Krankenhaus, angeblich unter falschem Namen registriert worden sein soll.

Körperlich geht es mir von Tag zu Tag immer besser. Der Schmerz der Zunge schwindet langsam und stört immer weniger beim Verzehr von normaler Nahrung und beim Sprechen. Laut den Ärzten werde ich zudem bereits nächste Woche das Training wieder aufnehmen können. Ich kann jetzt nicht detailliert sagen, an welchem Tag dies passieren wird. Ich will meine Familie in diesen schwierigen Momenten unterstützen und Santa darin helfen, zur Normalität zurückkehren zu können. Ich liebe meine Familie über alles, und ich tue auch alles, damit alles wieder gut wird.

Darüber hinaus möchte ich allen Medienvertretern mitteilen, dass ich mich zu diesem Thema nicht mehr äußern werde. Ich werde keine Stellungnahmen mehr zu diesem Vorfall abgeben. Ich bitte mit Nachdruck darum, die Privatsphäre meiner Nächsten zu respektieren und zu wahren.

Artjoms Rudnevs mit seiner Familie

Man kann nur erahnen, wie schwer es dem 27-Jährigen und seiner Familie gefallen sein muss, diese Zeilen zu veröffentlichen und so viel von dem preiszugeben, was sie eigentlich schützen wollen. Aber offenbar ist selbst dieser Weg erträglicher, als die Spinnereien der Journalisten und Leser auszuhalten, die sich ihre Dramen zur Not einfach munter selbst ausdenken.

Über das Statement wird natürlich auch wieder berichtet, zum Beispiel so:

Die medienkritischen Passagen der Erklärung hat Bild.de aber lieber nicht erwähnt.

Mit Dank an Jonas K., @WobTikal, @max_migu, @maxro39 und @V_83.