“Bild.T-Online zeigt, wie sich Löhne, Steuern und Energiekosten auf die Preise für Getränke, Zigaretten, Computer und Lebensmittel auswirken. Klicken Sie hier!“
Wir empfehlen allerdings: Klicken Sie lieber nicht!
Und rechnet man die aufgeführten Posten zusammen, ergibt sich merkwürdigerweise nur ein Gesamtbetrag von 49,89 Euro. Und 13,79 Euro Mehrwertsteuer entsprächen einem Mehrwertsteuersatz bei Sportschuhen von über 38 Prozent. Dabei liegt er doch nur bei derzeit 16 Prozent, weshalb also das Paar Bild.de-Sportschuhe höchstens 41,88 Euro kosten dürfte.
Dass Bild.de überhaupt auf einen “Gesamtwert” von 51,61 Euro kommt, liegt übrigens daran, dass die Zahl “51,61” auch im Geschäftsbericht des Sportfachhandelverbandes VDS vorkommt, den auch Bild.de als “Quelle” nennt — auf Seite 13 nämlich, die nach Angaben das VDS auch Bild.de vorliegt und wie folgt aussieht:
So. Und, ehrlich gesagt, haben wir von Mehrwertsteuerinkasso, betriebswirtschaftlichen Betriebsergebnissen und Betriebshandelsspannen wenig Ahnung. Wir wissen auch nicht, wie aus den 51,61 Prozent “Gesamtspanne” des VDS bei Bild.de plötzlich “51,61 Euro” werden oder was die Zahlen aus einem Geschäftsbericht des Jahres 2004 jetzt in einer “Warum wird alles immer teuer”-Story eigentlich belegen sollen. Wir wissen nicht, warum bei Bild.de von “Sportschuhen” die Rede ist, obwohl die VDS-Kalkulation über Sportschuhe überhaupt nichts aussagt, sondern für alle Sportartikel gilt. Im Gegensatz zu Bild.de aber (wo man nicht einmal richtig abschreiben kann und aus “Miet und Mietwert” einfach “Miet oder Mehrwert” macht), machen wir aus unserer Unkenntnis aber auch keine komplett blödsinnigen Tabellen.
Und jetzt die gute Nachricht: Anders als Bild.de behauptet, werden Schuhe gar nicht teurer. Im Gegenteil! Fragt man beim Statistischen Bundesamt nach, kosteten sie im August sogar zwei Prozent weniger als noch vor einem Jahr.
Mit Dank an Winfried V., Dirk N., Benjamin W. und insbesondere an den VDS-Sprecher Peter F. Thürl, der uns die ganze Angelegenheit dahingehend zusammenfasst, dass Bild.de “wahrscheinlich auf nicht vollständigen betriebswirtschaftlichen Kenntnissen basierend ein entscheidender Fehler unterlaufen” sei.
Nachtrag, 17. Oktober. Bild.de hat heute endlich einen Mitarbeiter mit vollständigeren betriebswirtschaftlichen Kenntnissen aufgetrieben, der offenbar den gesamten Artikel ersatzlos gestrichen hat.
Heute reden wir über Wölfe. Oder, wie “Bild” sie nennt: WÖLFE.
In der Lausitz gibt es seit kurzem wieder ein paar. In der Lausitz liegt auch Löbau, und irgendwo bei Löbau lebt eine kleine Familie mit ihrer fünf Monate alte Tochter sehr, sehr naturnah in einer kleinen Hütte im Wald. ZweiTage in Folge hatte “Bild” relativ friedlich über den “Waldkauz” und sein Kind geschrieben, aber dann musste wohl ein bisschen Action her. Die Wendung deutete sich schon am Ende des zweiten Artikels an:
Ist ein Leben im Wald gefährlich für Kinder?
“Im Lausitz-Wald gibt es Wölfe”, sagt Jäger Rudolf Schellbach (76). “Zwar meiden sie Menschen. Doch ein Restrisiko bleibt.”
Ein Restrisiko, hoho. Nun könnte man argumentieren, dass für Kinder außerhalb des Waldes das Risiko, vom Auto überfahren zu werden, deutlich mehr ist als ein Restrisiko, aber lassen wir das.
Jedenfalls erschien am dritten Tag der kleinen Waldkauz-Reihe, für die übrigens “Bild”-Redakteur Jürgen Helfricht verantwortlich zeichnet, der schon die Katzen-zu-Benzin-Geschichte erfand, ein Artikel mit der Überschrift:
Jäger in großer Sorge!
Holen sich Wölfe das Wald-Baby?
Der Artikel beginnt im Rotkäppchen-Stil:
Der Waldmensch läuft mit seinem süßen Töchterchen durchs Dickicht. Neugierig schaut sich Johanna (5 Monate) in der wilden Natur um. Alles sieht so friedlich aus. Doch im Unterholz lauert Gefahr. DIE LAUSITZ-WÖLFE!
Als Beleg für die “Gefahr” kommt erneut Rudolf Schellbach (76) zu Wort. Diesmal hat sich sein Zitat leicht verändert, aber nach der behaupteten “großen Sorge” klingt es immer noch nicht:
“Zwar meiden Wölfe die Menschen. Aber ein Restrisiko gerade für ein in Schafspelz eingewickeltes Baby bleibt.”
Aber “Bild” hat noch einen Kronzeugen: Den Jäger Joachim Bachmann. Ihm glaubt “Bild”, dass die zwei Wolfsrudel in der Lausitz “ein Risiko für Menschen” und “die heimischen Wildbestände” darstellten. Bachmanns “große Sorge” laut “Bild”:
Gefährlich wird es, wenn sich diese unberechenbaren Tiere an den Menschen gewöhnen, ihre Scheu verlieren. Wir haben schon Wolfsspuren in Dörfern gefunden.
Bachmann ist, vorsichtig gesagt, kein richtig guter Kronzeuge. Denn Bachmann hat gerade vor dem Verwaltungsgericht Dresden einen Prozess verloren, mit dem er sich das Recht erstreiten wollte, einen freilebenden Wolf in seinem Revier abzuschießen.
Was seine Kompetenz angeht, ist ein Artikel aus der heutigen “Sächsischen Zeitung” zum Thema interessant:
Gleich 27 Wölfe vermutete der Kläger in der Lausitz, erst Anfang September hätten Jagdfreunde die riesigen Fußspuren von fünf ausgewachsenen Wölfen bei Boxberg gesehen, zehn bis zwölf Zentimeter im Durchmesser. Gesa Kluth, die Wolfsbeauftragte des Freistaates, erklärte daraufhin dem Jäger und Träger der Verdienstmedaille des Deutschen Jagdverbandes die Biologie dieser Tiere. Schon die Welpen haben so große Füße wie die Alttiere, allerdings acht bis neun Zentimeter groß (…).
Das Verwaltungsgericht kam außerdem zu dem Ergebnis, ein Angriff auf Menschen sei “mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen”.
Bei den “Jägern”, die laut “Bild” in “großer Sorge” um das Mädchen im Wald sind, handelt es sich also um einen Jäger, der nicht in großer Sorge ist, und einen weiteren Jäger, der nicht sehr viel von Wölfen zu verstehen scheint. Das hat er mit der “Bild”-Redaktion gemein, die tatsächlich dieses Foto rechts mit dem Text versah: “Ein Wolf fletscht die Zähne. Er ist auf der Suche nach Beute.” Wenn uns nicht alles täuscht, muss er, um seine Beute wiederzufinden, nur kurz den Kopf senken und zwischen seine acht bis neun Zentimeter großen Pfoten schauen.
Herrn Dr. Mathias Döpfner
Axel Springer AG
Axel-Springer-Straße 65
10888 Berlin
Sehr geehrter Herr Dr. Döpfner,
in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa haben Sie in der vergangenen Woche die Vermischung kommerzieller und redaktioneller Inhalte “brandgefährlich” genannt. Sie sagten, Medien, die die Grenzen aufweichten, drohten sich damit selbst den Ast abzusägen. Sie plädierten für eine “sehr strikte” Trennung.
Herr Döpfner, kennen Sie das Internetangebot von Bild.T-Online? Es handelt sich dabei um ein Joint Venture, an dem das von Ihnen geführte Unternehmen Axel Springer 63 Prozent der Anteile hält. Es gibt dort eine Rubrik namens “Erotik”, die sich in ihrer Aufmachung in keiner Weise von Rubriken wie “Nachrichten” oder “Sport” unterscheidet. Die einzelnen Menüpunkte sind wie redaktionelle Menüpunkte gestaltet; die einzelnen Teaser in diesem Ressort sehen exakt so aus wie Teaser, die in anderen Ressorts zu redaktionellen Beiträgen führen.
Der “Aufmacher” im Ressort Erotik heißt aktuell (10. Oktober, 21 Uhr): “Richtig dicke Möpse! Dicke HUPEN”. Ein Klick führt zum gleichnamigen Angebot der Firma Telecall unter der Adresse “sexdate.de”, das unter anderem “heißen Livesex” verspricht.
Der im Stil eines Artikelanreißers gestaltete Teaser daneben zeigt eine Frau, die unter der Überschrift “Das Privatcam-Portal” verspricht: “Ich schenk’ Dir bis zu 40 Euro!” Ein Klick führt zum Angebot “Sex and the Web” der Schweizer Firma Aximus, die unter anderem “aufwendig produzierte Erotikfilme in der Hardcore-Version: ungeschnitten und unzensiert” verkauft.
Der scheinbar redaktionelle Teaser darunter lockt mit einer “Neuen Erotik-Videothek: XXX-Movies — 40.000 Filme online”. Er führt zu einem kostenpflichtigen Angebot von Telecall.
Wer auf den Teaser “Nur ein Klick zum Seitensprung” klickt, bleibt zunächst auf den Seiten von Bild.T-Online. In der Aufmachung eines redaktionellen Artikels heißt es dort: “Weil’s so schön anonym ist… Seitensprung bei Bild.T-Online! (…) Mit dem neuen Seitensprung-Service auf Bild.T-Online geht’s jetzt ganz einfach, sicher und unbemerkt!” Das Wort “Werbung” oder “Anzeige” steht nicht auf dieser Seite. Auch nicht über dem Link, mit dem man “zu deinem Seitensprung” kommt. Er führt zum kostenpflichtigen Angebot flirtpub.de der Firma Bosner Onlineservice.
Die weiteren “Überschriften”, die im redaktionellen “Erotik”-Ressort von Bild.T-Online zu finden sind, führen unter anderem zu den sämtlich kostenpflichtigen Angeboten “stripfun.com”, “Lesbenspecial Chrissy & Mia” (Beate Uhse), “Sex Trainingskamp” und “videodevil.de”. Die redaktionell wirkende “Seitensprung-Suche”, bei der der Nutzer eingeben kann, ob er männlich oder weiblich ist, einen Mann oder eine Frau sucht und er Wert auf ein Bild legt — sie führt ebenfalls zu flirtpub.de.
Keiner der genannten Teaser und Artikel ist an irgendeiner Stelle auf Bild.T-Online mit den Worten “Anzeige”, “Werbung”, “Shop” o.ä. gekennzeichnet. Es gibt bei Bild.T-Online keine Trennung von redaktionellen und werblichen Inhalten. Einige Werbelinks sind zwar mit dem Wort “Anzeige” gekennzeichnet. Das führt allerdings dazu, dass die vielen Werbelinks, die nicht mit dem Wort “Anzeige” gekennzeichnet sind, in ihrer Gestaltung noch irreführender sind.
Beim “Erotik”-Ressort handelt es sich übrigens, anders als bei der Rubrik “Shopping”, nicht um ein reines Werbeportal. Einige der redaktionell gestalteten Teaser führen nicht zu kommerziellen Angeboten, sondern tatsächlich zu redaktionellen Texten, etwa über Themen wie “Welche Sex-Pille soll man(n) nehmen?” oder: “Was Männer im Bett wirklich wollen”. Ähnlich vollständig ist die Vermischung im Ressort “Singles”, das gerade eine redaktionell gestaltete “neue Serie” über “Sexy Singles” begonnen hat, hinter der sich in Wahrheit Werbung für “Friendscout24” verbirgt. Auch hier gibt es keine Möglichkeit, Werbung und Redaktion voneinander zu unterscheiden.
Auf den Seiten, mit denen der “Verband Deutscher Zeitschriftenverleger” (VDZ) für “Crossmedia”-Werbung wirbt, finden sich unter anderem die Kampagnen “Kochbuch für Deutschland” und “Küche für Deutschland” von Bild.T-Online mit jeweils einem Werbepartner. Dort wird als einer der Vorteile dieser Aktionen genannt:
“Aktionen für Deutschland” werden im Stil redaktioneller Beiträge erklärt und beworben.
In der “Animation der Kampagnenmechanik” wird die Grenzen verwischende Technik detailliert demonstriert. Zum Angebot gehört ein “Online-Special mit eigener Subnavigation” — gemeint ist ein Menüpunkt in der Seitennavigation, der nicht als Anzeige gekennzeichnet ist, sondern wie ein Menüpunkt aussieht, der zu redaktionellen Angeboten führt. Als Teil der Werbekampagne führte Bild.de (im redaktionellen Teil) ein “Gewinnspiel” durch, bei dem die Bild.T-Online-Leser in einem “großen Foto-Wettbewerb” “Deutschlands schönstes Küchengirl” wählten.
In der Demonstration, wie für das “Kochbuch für Deutschland” geworben werden konnte, ist von der “Anbindung an redaktionell gestaltete, werbliche Artikel zum Thema” die Rede. Das Internetportal Bild.T-Online verwischt also nicht nur die Grenzen zwischen redaktionellen und werblichen Artikeln, sondern wirbt auch noch damit, dass und wie es die Grenzen verwischt.
Herr Döpfner, weil wir gerne glauben wollen, dass es sich bei Ihren Aussagen vergangene Woche gegenüber dpa nicht nur um wohlfeile Worte handelt, die keine Bedeutung für die tatsächliche Arbeit in der Axel Springer AG haben, möchten wir Sie fragen:
Gilt der Trennungsgrundsatz von Werbung und Redaktion, der auch in den “journalistischen Leitlinien” von Axel Springer festgelegt ist, nicht für Online-Angebote?
Inwiefern entsprechen die oben geschilderten Beispiele Ihrer Vorstellung davon, wie Werbung und Redaktion “sehr strikt” getrennt werden?
Wie lässt es sich mit Ihren Vorgaben vereinbaren, dass bei Bild.T-Online nicht nur einzelne Werbebotschaften nicht als Werbung gekennzeichnet sind, sondern anscheinend ganze Bereiche des Angebotes auf einer systematischen Verwechselbarkeit von werblichen und redaktionellen Botschaften aufgebaut sind?
So steht es oben, ganz oben, bei Bild.de über einem “Bild”-Textchen vom letzten Freitag, aus dem wir zunächst mal ein wenig zitieren wollen. Schließlich heißt es dort:
“Das Innere der Dresdner Frauenkirche – es ist längst fertig, und doch darf es noch niemand sehen. (…) Verirrt sich ein Tourist zufällig mit seiner Kamera zur Hauptportale, wird er streng zurückgepfiffen.”
Grund sei, so “Bild”, dass erst am 30. Oktober “die ganze Pracht des Gotteshauses der Weltöffentlichkeit präsentiert werden” solle. Aber lässt sich “Bild” sowas bieten? Nein:
“BILD kam trotzdem rein: durchs Schlüsselloch. Beim Aufstieg auf die 67 Meter hohe Plattform paßte BILD-Fotograf Ulrich Hässler (62) zufällig die Beleuchtungsprobe ab. Für wenige Minuten waren die Planen verschwunden, die Ränge unverhüllt. Dann gingen die Lichter schon wieder aus.”
Dazu gibt’s online “erste Eindrücke” mit sieben Fotos, die “noch nicht an die Öffentlichkeit gelangen” sollten.
Aber jetzt mal im Ernst:
Der “Bild”-Blick in die Frauenkirche ist nicht “welt-exklusiv”. Andreas Schindler aus Flöha beispielsweise hatte ganzähnlicheFotos offenbar schon im Mai 2005 gemacht. Und nicht nur das: Immerhin fünf der insgesamt sieben Fotos (von denen zwei nichteinmal, wie behauptet, “Bilder vom Inneren der Frauenkirche” sind) stammen von der Nachrichtenagentur dpa, weil dpa-Fotograf Matthias Hiekel sie gemacht und dpa sie ebenfalls vergangenen Freitag veröffentlichte. Ein weiteres Foto ist vom Dresdner Erotik-Fotografen Dirk Sukow, ein weiteres mit dem Namen “Stefan Haessler” gekennzeichnet, von dem wohl anzunehmen ist, dass damit “BILD-Fotograf” Ulrich Häßler gemeint ist. “Durchs Schlüsselloch” hat allerdings keiner der Fotografen fotografiert. Stattdessen entstanden vier der fünf Bilder vom Frauenkircheninneren, das “Bild” ja “welt-exklusiv” zu zeigen behauptet, beim Kuppelaufstieg, von wo aus jeder Tourist, jeder Fotograf, soviel er will, fotografieren kann. Denn was laut “Bild” “noch niemand sehen darf” sei “in Wirklichkeit erlaubt”, so Jochen Kindermann, Pressereferent der Stiftung Frauenkirche Dresden.
Was derzeit tatsächlich niemand fotografieren soll oder veröffentlichen darf, sind laut Kindermann “Totalfotos vom Innenraum”. Bis zum 30. Oktober nämlich, wenn also “die ganze Pracht des Gotteshauses der Weltöffentlichkeit präsentiert” wird, wie “Bild” schrieb, besitzt die Exklusivrechte daran die “Welt am Sonntag”.
Mit Dank an Carsten F. für seinen Hinweis.
Nachtrag, 19.10.2005:
Anders als von uns angenommen, handelt es sich bei “Stefan Haessler”möglicherweise nicht um eine falsche Schreibweise Ulrich Häßlers. Das allerdings müsste dann bedeuten, der von “Bild” zitierte “BILD-Fotograf Ulrich Hässler (62)” hätte zufällig eine Beleuchtungsprobe abgepasst – und “Bild” sich anschließend für die dazugehörige Berichterstattung ausnahmslos für Fotos anderer Fotografen entschieden.
“Bild” berichtet, dass heute im Länderspiel gegen China “ein neuer Frings” auftreten wird. Unwahrscheinlich ist dennoch, dass Torsten Frings deshalb gleich von Bremen nach Gladbach wechselt, neun Jahre jünger wird und ihm 43 Länderspiele aus der Statistik gestrichen werden. Dann hätte man ja gleich Marcell Jansen aufstellen können.
Man wird ja noch mal fragen dürfen. Und so scheint die Frage, die “Bild” heute in einer Überschrift formuliert, berechtigt:
“Wird Schröder Berater für Russen-Gas?”
Schließlich hatten verschiedeneinternationaleMedien (unter Bezugnahme auf “diplomatische Kreise”) berichtet, Gerhard Schröder werde in allernächster Zeit ein Angebot unterbreitet, künftig als Berater im russischen Energie-Konzern Gazprom tätig zu sein. “Bild” referiert das Gerücht und beendet die Meldung mit dem bedeutungsschwangeren Hinweis:
“Gasprom hielt sich gestern bedeckt. Ein Sprecher des Unternehmens wollte sich gegenüber der russischen Nachrichtenagentur Interfax dazu nicht äußern — dementierte aber auch nicht!”
Hätte “Bild” allerdings tatsächlich ein Dementi veröffentlichen wollen, es hätte eins gegeben — von Bela Anda nämlich, dem Regierungssprecher. Schon gestern gegen 18 Uhr berichtete der Nachrichtenagentur dpa, laut Anda sei der Wahrheitsgehalt des Gerüchts “gleich null”. Und heute nun zitierte die Nachrichtenagentur Reuters den Regierungssprecher mit den Worten:
“Das stimmt nicht.”
Weiter heißt es bei Reuters:
“Dabei bezog er sich ausdrücklich auf einen Bericht der ‘Bild’-Zeitung, der er vorwarf, trotz Kenntnis seines Dementis dies nicht in ihrer Berichterstattung erwähnt zu haben.”
Aber, wer weiß: Vermutlich fehlte “Bild” einfach der Platz für ein Dementi. Am Ende stand schließlich schon keins.
Nachtrag, 12.10.2005 (nur der Vollständigkeit halber):
Der Dementi-Beauftrage von “Bild” hat seines Amtes gewaltet und dafür gesorgt, dass man heute in “Bild” folgende Sentenz lesen kann: “Eines ist auch klar: Bundeskanzler Gerhard Schröder wird nicht Berater des russischen Energiekonzerns Gazprom.”
Aktuell verlinkt Bild.de wieder einen Artikel von Anfang Juni dieses Jahres. Darin ist “Bild” empört. Es sei kaum zu glauben, mit welchen “fiesen Methoden” sogenannte “Handy-Betrüger” arbeiteten. Die “Abzocker” wüssten, dass “Gefühlsreaktionen” wie Freude, Anteilnahme oder Geschmeicheltsein dazu verleiteten, “einfach zurückzurufen”. Glücklicherweise kennt “Bild” “die Tricks der miesen Betrüger” und teilt sie dem Leser mit (“hier klicken!”).
Unter anderem weiß Bild.de, dass sich hinter der Rufnummer +49137799090269 eine Fangnummer verberge, “die bei Rückruf eine bis zu einer Stunde andauernde Verbindung” aufbaue, die der Anrufer nicht selbst trennen könne.
Das klingt unheimlich “fies” und unglaublich: eine Fangnummer, die die rote Taste zum Auflegen blockiert, die Ausschalttaste deaktiviert und die Klappe zum Akkufach verklemmt, so dass man den nicht mehr herausnehmen kann?
Die Fangnummer, die einen Anruf “bis zu einer Stunde halten” kann, ist nicht nur “fies”, sondern auch eine Legende, ein sogenannter Hoax, ein Jux, Scherz, Schabernack — eine Erfindung für Leichtgläubige. Das kann man seit zweieinhalb Jahren hier oder hier nachlesen oder auch beim Schwesterunternehmen von Bild.T-Online, bei T-Mobile. Dort heißt es:
Noch ein wichtiger Hinweis: Der Anruf wird nicht bis zu einer Stunde gehalten. Dies war fälschlicherweise in einigen Meldungen und Warnhinweisen zu lesen.
Aber wer trotzdem unbedingt sein Geld loswerden will, findet dazu im Bild.de-Erotik-Ressort reichlich Gelegenheit. Einfach auf die Bilder klicken, die “Gefühlsreaktionen” hervorrufen (“Dicke Hupen”, “Die sexy Blondine will jetzt mit Dir chatten”, “Teuflisch gute Nacktfilme”).
Danke an Torsten G. für den Hinweis.
Nachtrag, 14. Oktober: Inzwischen ist der angebliche “Trick” mit der wundersamen nicht-trennbaren Verbindung bei Bild.de spurlos verschwunden.
Erst dachten wir, gut, das kann jedem passieren, in dem ganzen Spekulationswirrwarr um die große Koalition, dass man ein wenig den Überblick verliert. Aber jetzt steht dieser Fehler seit mindestens 12.50 Uhr unkorrigiert im Aufmachertext von Bild.de, und das passiert dann doch nicht jedem, sondern vor allem “Bild”.
Seit mindestens sechseinhalb Stunden also behauptet der Online-Ableger der vermeintlich gut informierten “Bild”-Zeitung in ein und demselben Text, dass die SPD das Umweltministerium bekommen soll und dass Horst Seehofer (CSU) das Umweltministerium bekommen soll.
(Richtig ist: Seehofer ist als Verbraucherminister im Gespräch.)
Danke an René G., Matthias K., Oliver F., Filippo R. und Jan I.!
Nachtrag, 11. Oktober. Inzwischen hat Bild.de den Satz mit Seehofer ersatzlos gestrichen.
Übrigens hätte Bild.de sogar auf zwei Arten merken können, dass mit dem eigenen Text etwas nicht stimmte. Nicht nur, weil er sich offensichtlich selbst widersprach. Sondern auch, weil die Nachrichtenagentur dpa, die fälschlicherweise von Seehofer als möglichem Gesundheitsminister geschrieben hatte, sich selbst in einer Eilmeldung gestern um 12.15 Uhr ausdrücklich korrigiert hatte.
Mist, die Vogelgrippe ist da. Also, noch nicht ganz hier, aber schon vor unserer Haustür. Jetzt sind die ersten Tiere in Rumänien an der Vogelgrippe gestorben, und Rumänien ist ja gleich… ähm… nicht so weit irgendwo im Osten, oder?
Ja, liebe Freunde von “Bild”, das, was ihr hier markiert habt (siehe Ausriss), ist allerdings Moldawien. Rumänien ist der viel größere Block links davon, quasi noch näher an uns dran.
Der gleiche Fehler findet sich auch in der gedruckten “Bild am Sonntag”, dort steht allerdings wenigstens das Wort “EUROPA” in weißen Buchstaben auf dem gleichnamigen Kontinent. Für Bild.de hat jemand die Buchstaben wegradiert und nicht gemerkt, dass dadurch Mitteleuropa merkwürdig grenzenlos geworden ist.
Die “Bild”-Zeitung braucht Schmuddel. Um sich über ihn zu erregen und ihn gleichzeitig groß im Blatt zeigen zu können. Aber nicht immer ist die Schmuddel-Produktion der Welt ausreichend für ein Blatt wie “Bild”. Dann muss “Bild” ein bisschen nachhelfen. Aber das ist ja kein Problem.
“Bild”-Leser, die am Montagabend die neue Sat.1-Hochglanzserie “Bis in die Spitzen” einschalten, werden vermutlich enttäuscht sein. Ihre Zeitung gab ihnen allen Grund zur Annahme, dass es sich mindestens um eine Art Soft-Porno handelt. Sie beschrieb die Serie unter anderem mit den Formulierungen: “Schmuddel-TV”, “‘Bis in die Spitzen’ schamlos!” und “neue Sat.1-Serie setzt auf Sex, Sex, Sex”, fragte: “Wie versaut ist unser Fernsehen?” und “Wie schmutzig darf das Fernsehen noch werden?” und behauptete:
Aufgrund der Freizügigkeit und der Nackt-Szenen in der deutschen Serie werden die Folgen immer erst ab 21.15 Uhr ausgestrahlt — in der Hoffnung, daß Kinder und Teenager dann schon im Bett sind.
In Wahrheit ist “Bis in die Spitzen” nicht halb so “schmuddelig” wie “Bild” sich wünscht fürchtet. Die ersten beiden Folgen sind bereits freigegeben für die Ausstrahlung im Tagesprogramm (das entspricht einer Kinofreigabe ab 6 Jahren). In ihnen gibt es keine einzige Sex- oder Nacktszene. In Folge 3 ist ungefähr eine Sekunde lang eine einzelne weibliche Brustwarze zu sehen. Folge 4 enthält tatsächlich mehrere Sexszenen; zu sehen sind aber ausschließlich die Oberkörper der jeweiligen Partner, und die Frauen tragen BHs. “Bild” behauptet, der “Obergockel im lustvoll bösen Liebesreigen (…) treibt’s mit fast jeder im Laden seiner Frau, und manchmal auch mit zweien, oder dreien…”. Tatsächlich “treibt” er es in den ersten vier Folgen mit niemandem aus dem Laden seiner Frau (allerdings mit Mitarbeiterinnen der Konkurrenz) und kein einziges Mal mit mehr als einer.
Doch “Bild” hat noch mehr zu bieten, um scheinbar zu beweisen, dass es sich um Schmuddel-TV handelt: Eine der Schauspielerinnen habe sich ausgezogen. Oder wörtlich:
Die Erste macht sich jetzt schon nackig. (…) Ein Vorgeschmack auf das, was wir künftig jeden Montag zu sehen bekommen.
Auch das ist quatsch. Erstens haben die Fotos, auf die sich “Bild” bezieht (und die Bild.de natürlich in einer Fotogalerie präsentiert), nichts mit der Serie selbst zu tun, sondern sind Aufnahmen für “Maxim”, einer Schwesterzeitschrift von “Bild”. Und zweitens macht sich Annabelle Mandeng darin keineswegs “nackig”, sondern trägt Unterwäsche aus Spitze. Oder um es deutlicher zu sagen: Kein einziges Mal sind die Brüste von Frau Mandeng unverhüllt zu sehen.
Im Gegensatz zu denen der täglichen Seite-1-Mädchen von “Bild”.