Vom Schweigen

Man könnte natürlich einfach sagen, dass es weder uns, noch die “Bild”-Zeitung irgendetwas angeht, ob Rudi Carrell krank ist und wie krank er ist. Interessanterweise sagt das Gesetz genau das Gleiche:

Die Intimsphäre bildet den engsten Persönlichkeitsbereich und genießt den stärksten Schutz vor öffentlichen Einblicken. Grundsätzlich vor Öffentlichkeit geschützt ist der Sexualbereich des Menschen, und sein körperliches Befinden, wozu auch medizinische Untersuchungen gehören.
(Dorothee Bölke: Presserecht für Journalisten.)

(…) selbst bei Personen der Zeitgeschichte bleibt die Art einer Erkrankung regelmäßig in der Geheimsphäre, es sei denn, die Betroffenen gehen mit dieser Information selbst in die Öffentlichkeit.
(Deutscher Presserat: Umgang mit Krankheiten.)

Bis zum 24. November 2005 hatte Rudi Carrell öffentlich nicht über seine Krankheit gesprochen. Das hatte “Bild” nicht vom Spekulieren abgehalten: “Wie schlimm steht es um Rudi Carrell”, fragte die Zeitung am 15. November in großen Buchstaben und berichtete:

Der Showmaster ist abgemagert, leidet an Haarausfall. (…)

Fragen zu seiner Krankheit möchte Carrell nicht beantworten. Sein Assistent Sören Haensell: “Es gibt von uns keine Auskunft zu diesem Thema.”

Erst, wie gesagt, neun Tage später äußerte sich Carrell öffentlich, in der “Bunten”. Man kann argumentieren, dass “Bild” seitdem das Recht habe, über Carrells Krebserkrankung zu berichten. Aber stimmen muss es natürlich.

Krebskranker Carrell: Stummer Abschied im TVEs spricht wenig dafür, dass das stimmt, was “Bild”-Reporter Daniel Cremer in seinem Artikel über den Auftritt Carrells bei der Aufzeichnung der letzten Ausgabe von “Sieben Tage, sieben Köpfe” suggeriert: dass Carrell nicht mehr sprechen kann. “Ist der Holländer mit dem unverwechselbaren Akzent für immer verstummt?”, fragt “Bild” und zitiert zur Antwort einen anonymen “langjährigen Kollegen”: “Rudi kann nicht mehr sprechen.” Cremer behandelt diese Aussage, als sei sie eine Tatsache, zitiert einen Arzt, der das Phänomen einer “Stimmbandlähmung” erklärte, und behauptet vielsagend: Carrell “kommuniziert über E-Mail”.

Wenige Tage später liest sich das in der “Bild am Sonntag” ganz anders. Cremers Kollegin Angelika Hellemann hat von Bernd Stelter erfahren, dass Carrell das Team “zusammengestaucht” habe, und zitiert Stelter mit dem Satz:

Er darf seine Stimme zwar nicht überanstrengen, kann aber ganz normal mit uns reden.

Und wir merken uns: Wenn “Bild” sorglos über die Krankheit von Menschen berichtet, kann immer auch das Gegenteil stimmen.

Danke an Michael M. für den Hinweis!

“Bild” sieht Gespenster

Am vergangenen Mittwoch berichtete die dänische Zeitung “Frederiksborg Amts Avis”, dass es in dem Schloss Kronborg, das Shakespeare als Vorlage für den Sitz seines Hamlet gedient hat, spuken soll. Eine Hellseherin sei zur Hilfe gerufen worden, die zahlreiche Gespenster vertrieben habe.

Ja. Schöne Geschichte. Die Nachrichtenagentur AP sorgte dafür, dass sie in der ganzen Welt bekannt wurde — mit der nötigen seriösen Distanz natürlich: “Angestellte sagen, in Gebäude spukt es”.

Ja. Warum nicht. Am Tag darauf berichtete die dänische Zeitung “Ekstra Bladet” über die erstaunlichen Ereignisse und ließ die Geisterjägerin Birgitte Graae (“Bild” wird sie Brigitte nennen) ausführlich zu Wort kommen.

Ja nun. Für eine Zeitung, die sich “Bild” nennt, fehlte der Geschichte allerdings noch etwas Elementares: Bilder. Fotos von Gespenstern. Und jetzt sagen Sie nicht, das sei unmöglich — “Bild” hat die Fotos. Und zwar gleich drei.

Unter dem ersten steht:

Zum Erschrecken: Als Schatten geistert diese Dame durchs Wohnzimmer.

Unter dem zweiten:

Zum Gruseln! Dieses Gespenst stürzt sich die Treppe runter. Immer wieder.

Und unter das Dritte schreibt “Bild”:

Zum Spuken! Ist das der deutsche Diener? Sogar im Schloßgarten treiben sich Geister herum.

Zumindest die Frage, ob das der deutsche Diener ist, können wir klar mit Nein beantworten. Er treibt sich auch nicht im Schlossgarten von Kronborg herum. Das Foto zeigt einen Friedhof in Everett, Washington. Es handelt sich nämlich um dieses Foto der Agentur Getty Images, die u.a. für fast jeden Zweck Symbolfotos zum Kauf anbietet — auch zum Thema weiblicher Schatten im Wohnzimmer oder Frauenfigur stürzt sich Treppe hinunter. “Bild” hat offenbar im Archiv der Firma einfach nach dem Begriff “ghost” gesucht, sich drei Ergebnisse herausgepickt und einfach behauptet, es handele sich um Aufnahmen aus dem Schloss.

Offen ist jetzt nur die Frage, ob der Redakteur, der die Fotos betexten musste, womöglich wirklich gedacht hat, es handele sich dabei um echte Gespenster.

Öfter mal was Neues

Manchmal weiß man bei “Bild” wirklich eine ganze Menge. So wie im Fall des sogenannten “S-Bahn-Schubsers” von Hamburg. Mit Datum vom 13.05.2004 etwa kann man bei Bild.de dies nachlesen:

Anja B. (Name von der Redaktion geändert) und ihre Freundin sind auf dem Weg nach Hause.
Hervorhebung von uns

Nun gut, das ist soweit ja nichts besonderes. Da hat man eben, um die Identität des Opfers zu schützen, dessen Namen geändert.

Mit Datum vom 17.05.2004 allerdings steht bei Bild.de über dasselbe Mädchen:

Ugur I. (19) stieß Studentin Anja (21) vor einen einfahrenden Zug
Hervorhebung von uns

OK, möglicherweise heißt Anja also doch Anja, der Hinweis auf eine Namensänderung fehlt jedenfalls.

Möglicherweise heißt Anja aber auch doch nicht Anja. Jedenfalls steht mit Datum vom 1.9.2004 über denselben Fall folgendes bei Bild.de:

Silvia steigt trotz des Horrors von damals jeden Tag erneut in die Bahn.
Hervorhebung von uns

Mehrfach wird “Anja” in diesem und in einem weiteren Text Silvia genannt, wieder ohne Hinweis auf eine Namensänderung (außerdem wird sie als Schülerin bezeichnet, obwohl sie doch zuvor noch Studentin war). Vielleicht heißt Anja also Silvia.

Vielleicht aber auch nicht. Mit Datum vom 15.9.2004 jedenfalls steht bei Bild.de über denselben Fall und dasselbe Mädchen dies:

Jennifer D. hatte einen Schutzengel: Ihre Cousine reagierte blitzschnell, riss sie zurück. Gerettet!
Hervorhebung von uns

Aha. Möglicherweise heißt “Anja” also weder Anja, noch Silvia, sondern Jennifer. Der Hinweis auf eine mögliche Namensänderung fehlt hier jedenfalls auch. Und im jüngst (21.12.2005) erschienenen Text über den “S-Bahn-Schubser” heißt Anja/Silvia immer noch Jennifer.

Und sie ist übrigens auch noch immer 21, obwohl doch seit der ersten Berichterstattung über den Fall schon mehr als ein Jahr vergangen ist. Aber das nur nebenbei.

Interessanter erscheint uns da schon die Frage, ob Anja/Silvia/Jennifer eigentlich tatsächlich von ihrer Cousine zurückgerissen wurde. So wie es in den neueren Texten auf Bild.de steht. Oder ob es vielmehr so war, dass Anja/Silvia/Jennifer im letzten Moment von ihrer Freundin gerettet wurde, wie zwischendurch zu lesen war.

Am wahrscheinlichsten scheint uns allerdings, dass Anja/Silvia/Jennifer sich in Wahrheit im letzten Moment selbst an ihrer Freundin (oder Cousine) festhalten konnte. So, wie es im Text vom 13.5.2004 und in der Bildergalerie steht.

In der Bildergalerie heißt die Anja B. vom Anfang übrigens Anja M. was wiederum …

Aber lassen wir das. Manchmal “weiß” man bei “Bild” einfach zu viel.

Mit Dank für die Hinweise an Rosi R., Hendrik und Niels L.

Allgemein  

Raser

Die “Bild”-Zeitung hatte sich in der Schuldfrage und Unfallursache schnell festgelegt. Am ersten Tag ihrer Berichterstattung über den tragischen Tod der Schauspielerin Julia Palmer-Stoll fragte sie noch: “Achtete sie nicht auf den Verkehr?” Aber schon am folgenden Tag nannte Bild.de den Fahrer des Autos in der Adresszeile “todraser”. Später berichtete “Bild” von einem Gutachten, das der Vater der Toten in Auftrag gegeben haben soll, wonach “der Unfallfahrer mindestens 70 km/h, eventuell noch schneller gefahren sein muß”. “Bild am Sonntag” legte nach: “Der Todesfahrer war viel zu schnell!”

Bewahrheitet hat sich das nicht. Nach einem Gutachten im Auftrag der Staatsanwaltschaft hätte der Fahrer zwar bremsen können, aber, so “Bild” im Oktober:

Das Gutachten hält auch fest, daß sich der Unfallfahrer an die vorgeschriebene Geschwindigkeit (50 km/h) hielt.

Heute nun berichtet die “Bild”-Zeitung, wie andere Zeitungen auch, dass die Staatsanwaltschaft gegen den Autofahrer wegen fahrlässiger Tötung einen Strafbefehl über 150 Tagessätze beantragt hat. Anders als andere Zeitungen schließt “Bild” daraus, dass das Leben von Julia Palmer-Stoll “nur 7.500 Euro wert” gewesen sei. In anderen Zeitungen steht, dass der Unglücksfahrer “mit etwa 50 Stundenkilometern” gefahren sei, also nicht schneller als erlaubt. In “Bild” steht das nicht. “Bild” nennt den Fahrer heute stattdessen:

Raser

Danke an BUG für den Hinweis.

Blondinenwitz

Wenn man bei Bild.de auf diesen Teaser klickt:

Til Schweiger - Er tröstet sich mit 2 Blondinen

… kommt man zu einem Artikel, in dem dieser Satz steht:

Das Geburtstagskind [Til Schweiger] verschwand mit zwei unbekannten Schönheiten (die eine blond, die andere brünett) per Taxi in die Nacht.

Vielen Dank für die vielen Hinweise!

Nachtrag, 18 Uhr Bild.de hat aus den “2 Blondinen” nun “2 Frauen” gemacht. Gute Idee.

K.

Dies ist die Geschichte von Christoph K. In “Bild” trägt sie die Überschrift: “Ich wurde krank gemobbt”, aber sie könnte genauso gut heißen: “Diese Deppen haben einfach meinen Namen genannt”.

Die Geschichte geht laut “Bild” so: Christoph K. war Beamter. Als ein Kollege im Dienst private Geschäfte erledigte, erstattete K. Anzeige beim Arbeitsamt und bat um Vertraulichkeit. Doch das Arbeitsamt schrieb an seine Dienststelle und nannte seinen Namen. Und Christoph K. wurde gemobbt, erkrankte, wurde aus dem Staatsdienst entlassen. “Heute lebt er allein und ohne Perspektive”, schreibt “Bild”.

Jetzt hat er sich offenbar gegenüber “Bild” geäußert. Die Zeitung zeigt ihn groß im Bild, nennt ihn aber immer nur Christoph K. Wir wissen nicht, warum sie das tut. Ob das rechtliche Hintergründe hat. Oder ob er ausdrücklich darum gebeten hat. Aber wenn es etwas gibt, in dem “Bild” ganz besonders schlecht ist, dann ist es bekanntlich, Namen nicht zu nennen.

“Bild” dokumentiert in Auszügen den Brief, in dem sich der Bundesbeauftragte für den Datenschutz dafür entschuldigt, dass der Name von Herrn K. bekannt gemacht wurde. In dem großen Ausriss, den “Bild” zeigt, steht gleich zweimal der Nachname von Herrn K.: komplett, nicht abgekürzt und in keiner Weise unkenntlich gemacht.

Man könnte sagen, dass keine Fehler so schlimm sind wie mangelhafte Anonymisierungen von Opfern oder Beteiligten — weil sie nicht korrigiert werden können. Man könnte deshalb annehmen, dass Redaktionen sich besondere Mühe geben, diese Art von Fehlern zu vermeiden. Bei “Bild” gibt es keine Anzeichen für solche Sorgfalt, im Gegenteil.

Vorgestern berichtete die Zeitung über einen anderen Fall: Ein Mann mit tragischem Schicksal hat sich das Leben genommen. Auch bei Bild.de erschien der Artikel. Anscheinend zum Schutz der Angehörigen war der Nachname des Mannes abgekürzt, der Vorname seiner Freundin “von der Redaktion geändert”, ihr Gesicht auf einem gemeinsamen Foto unkenntlich gemacht. Und mitten in diesen Artikel setzte Bild.de einen Kasten, der dazu aufforderte, einen neun Monate alten Text aus dem Bild.de-Archiv zu lesen. Und darin steht auch jetzt noch alles: Der Nachname, der richtige Vorname der Freundin, dasselbe Foto von den beiden zusammen, nur ohne jede Verfremdung.

Danke an Torsten W. für Hinweis und Scan!

Und auch noch kursiv

“Bild” bringt eine Reihe von Fotos, die die vom Tsunami betroffenen Küsten Asiens zeigen — zum einen unmittelbar nach der Zerstörung und zum anderen heute, ein Jahr danach.

Bei Bild.de kam jemand auf die schlechte Idee, das so zusammenzufassen:

Bilder aus Asien: Vor der Flut im Dezember 2004 und danach, im Dezember 2005

Kurz korrigiert (45)

Alois Riehl ist — laut “Bild” — “Deutschlands beliebtester Politiker”. Einen Beleg für diese Behauptung, eine Umfrage oder ähnliches, liefert die Zeitung nicht. Unsere Vermutung wäre, dass den meisten Deutschen der hessische Wirtschaftsminister gar nicht bekannt ist.

So wie offenbar auch der “Bild”-Zeitung. Sie schreibt seinen Namen konsequent falsch. Der Mann heißt Rhiel.

Danke an Jens P.!

Nachtrag, 22. Dezember. Inzwischen hat Bild.de den Namen (inklusive der URL des Artikels) geändert.

Es gibt Dinge, die gibt es gar nicht

Es gibt nichts, was sich nicht per USB anschließen ließe.

Schreibt Bild.de — und glaubt das auch. Punkt 4 in der Liste der “verrückten Geräte für den USB-Anschluss” ist ein Fondue-Set, mit dem man am Computer stilvoll Käse oder Schokolade schmelzen lassen kann (zum Frittieren reicht die Energie noch nicht aus). Das Gerät nennt sich im Original “Fundue” und ließe sich bei “Think Geek” für 29,99 Dollar kaufen…

…wenn es sich nicht nur um einen Aprilscherz handeln würde.

Danke an Marco S. für den Hinweis!

Nachtrag, 17.23 Uhr: Der Bild.de-Qualitätsbeauftragte hat inzwischen das USB-Fondue-Set durch ein USB-Mikroskop ersetzen lassen [genauer gesagt: das Fondue-Set einfach aus der Reihe gelöscht]. Allerdings war er offenbar sehr in Eile. Im eigentlichen Artikel fragt Bild.de immer noch: “(…) kennen Sie auch das Fondue-Set mit USB-Anschluß (…)?”

Nachtrag, 19.18 Uhr: Ach so, na klar, in der Überschrift steht’s natürlich auch noch:

Nachtrag, 22. Dezember: Der Qualitätsbeauftragte hat sich dann doch noch mal blicken lassen und nun alle Spuren von dem USB-Fondue-Set beseitigt.

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