Archiv für August 14th, 2010

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Die schlechtesten Gründe gegen “Street View”

Die Medien sind voller Meinungsumfragen. Dabei wären Wissensumfragen oft viel interessanter. Wenn die Menschen zum Beispiel nicht gefragt würden, was sie von irgendwelchen Reformplänen der Bundesregierung halten, sondern was sie über diese Reformpläne wissen, über die sie ein Urteil abgeben sollen.

Die “Bild”-Zeitung hat heute so etwas gemacht, unfreiwillig natürlich. Sie hat viele Menschen gefragt, was sie von “Google Street View” halten und ob sie dafür sorgen wollen, dass ihr Haus nicht in dem umstrittenen Angebot gezeigt wird. (“Google Street View” verbindet die Karten von “Google Maps” mit kompletten Straßenansichten, die die Firma fotografiert hat, und soll in diesem Jahr erstmals auch 20 deutsche Städte abbilden.)

Die Antworten vieler Leute, die “Bild” zu Wort kommen lässt, zeigen vor allem eines: Wie wenig die Befragten über das Angebot wissen. Viele scheinen zu glauben, dass es aus Live-Aufnahmen besteht, dass Google quasi rund um die Uhr die ganze Welt überwachen lässt. Das ist nicht der Fall. Zudem werden Personen Gesichter und Autokennzeichen auf den Fotos unkenntlich gemacht.

Das muss man aber offensichtlich nicht wissen, um sich in “Bild” gegen das Angebot aussprechen zu dürfen:

Collien Fernandes (28), Moderatorin: “Ich würde mich ständig beobachtet fühlen mit dem Wissen, dass jeder, der meine Adresse kennt, mein Haus im Internet betrachten kann.”

Juliane Winterberg (19), Sozialfachangestellte aus Gerstungen: “Ich sonne mich oft im Bikini auf der Terrasse. Durch Google finden Spanner doch sofort mein Wohnhaus.”

Jeanette Biedermann (30), Sängerin: “Ich werde mein Haus schwärzen lassen. Ich glaube nicht, dass die Verantwortlichen von ‘Street View’ glücklich wären, dass man ihnen beim Nacktbaden im Garten zuschaut.”

Anni Brandt (78), Rentnerin aus Waltrop: “Es ist praktisch, ich konnte mir zum Beispiel das Haus eines Freundes in Amerika anschauen. Aber wenn mich Leute auf meinem Balkon sehen, finde ich das nicht gut.”

Mirja (34) und Sky du Mont (63): “Wir wollen unser Haus auf jeden Fall schwärzen lassen. ‘Street View’ fördert Kriminalität. Und wir möchten nicht, dass jemand unsere Kinder beim Spielen im Garten sieht.”

Tina Ruland (42), Schauspielerin: “Das ist Verletzung der Privatsphäre. Wenn ich meinen Wohnort entdecken würde, dann würde ich sofort Einspruch erheben. Bedenklich wäre es vor allem, wenn mein Kind zu sehen wäre.”

Manuela Dunkel (36), Angestellte aus Halle: “Die können nicht einfach mein Grundstück ins Netz setzen. Wenn ich mich auf meinen Rasen lege, möchte ich mich nicht im Internet wiederfinden.”

Auch unter den Befürwortern ist ein Ahnungsloser:

Marcus Schenkenberg (42), Topmodel: “Tolle Sache! Wenn ich unterwegs bin, kann ich mich überzeugen, ob meine Häuser in New York, Stockholm und L. A . noch stehen. Eins muss tabu sein – in die Fenster reinzufilmen!”

Nun könnte man natürlich fragen, warum die “Bild”-Zeitung diese Menschen (und die Leser) nicht darüber aufklärt, dass diese Urteile auf falschen Annahmen beruhen. Das ist aber vermutlich die falsche Frage. Unter den bekennenden “Street View”-Gegnern findet sich nämlich auch dieser:

Martin Wichmann (53), BILD-Redakteur: “Ich habe mir bewusst ein Haus gesucht, das nicht von allen Seiten einsehbar ist. Das soll jetzt nicht durch Google auf den Kopf gestellt werden.”

Wie es Google schafft, von der öffentlichen Straße aus Dinge zu sehen, die für andere nicht einsehbar sind; ob die Firma nach Ansicht des “Bild”-Mannes spezielle Kameras hat, die durch Mauern fotografieren können, oder ob sie eigene, sagen wir: “Leser-Reporter” dafür einsetzt, bleibt offen.

Mit Dank an nrwbasti!

Nachtrag, 15. August. Mehrere BILDblog-Leser haben den letzten Absatz kritisiert. Richtig ist, dass die “Street View”-Aufnahmen aus einer Höhe von 2,90 Metern gemacht werden, also einen anderen Blick erlauben, als ihn Fußgänger haben (aber zum Beispiel Busreisende). Schwer zu glauben allerdings, dass “Bild”-Redakteur Wichmann das gemeint haben soll, als er sagte, sein Haus sei bewusst “nicht von allen Seiten einsehbar” und Google stelle das mit seinen Aufnahmen “auf den Kopf”.

Nachtrag, 16. August. Erstaunlich: Heute “klärt BILD die größten Missverständnisse [über “Street View”] auf”, darunter auch die von ihr selbst verbreiteten.

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Ein Herz für Schmutzkampagnen

Das Verhältnis zwischen der “Bild”-Hilfsorganisation “Ein Herz für Kinder” und dem Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) ist — gelinde gesagt — durchwachsen. Während viele andere Hilfsorganisationen sich von der unabhängigen Institution auf die korrekte und transparente Verwendung von Spendengeldern prüfen lassen und dafür das DZI Spenden-Siegel erhalten, sieht “Ein Herz für Kinder” keinen Bedarf hierfür. Entsprechend war nach der Haiti-Spendengala Anfang des Jahres auf Welt.de zu lesen:

Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) kritisierte “Ein Herz für Kinder” als intransparent. “Im Gegensatz zu allen anderen Partner-Hilfswerken der Spendengala veröffentlicht die Organisation keine Finanzberichte”, sagte DZI-Geschäftsführer Burkhard Wilke dem EPD. Dadurch sei nicht klar, wie viel Geld “Bild hilft” etwa für Werbung und Verwaltung ausgebe.

Mehr über
“Ein Herz für Kinder”:

Springer wiederum hält herzlich wenig vom DZI Spendensiegel:

Ein “Herz für Kinder” hat das “Spenden-Siegel” nie beantragt. Mit dem eingesparten Geld (10 000 Euro jährlich) hilft die BILD-Aktion lieber denjenigen, die es dringender brauchen als das halbstaatliche DZI.

Diese Aussage findet sich am Ende eines Artikels, der jüngst unter der Überschrift “Zu teuer, zu bürokratisch — Helfer wollen Spendensiegel boykottieren!” in der gedruckten “Bild”, auf Bild.de und sogar auf der Homepage von “Ein Herz für Kinder” erschienen ist. Die beiden Autoren Einar Koch und Hans-Jörg Vehlewald geben sich darin größte Mühe, das baldige Ende des DZI Spendensiegels heraufzubeschwören:

Es gilt als “TÜV der guten Tat” — doch jetzt droht dem “Spenden-Siegel” nach fast 20 Jahren das Aus!

Begründet wird das folgendermaßen:

Hilfsorganisationen wie DRK, Johanniter und Malteser erwägen einen Boykott des Siegels. Sie befürchten dramatisch steigende Verwaltungskosten zu Lasten von Notopfern. In einem Brandbrief der Johanniter heißt es: “Wissend um die Notwendigkeit von Effizienz und Transparenz müssen wir in Erwägung ziehen, auf das DZI-Spenden-Siegel zu verzichten”. Der Deutsche Caritasverband moniert: “Die mit dem Spenden-Siegel verbundenen Kosten stehen in keinem Verhältnis mehr zum erzielbaren Nutzen!”

Zwar sind oder waren alle von “Bild” genannten Hilfsorganisationen tatsächlich unzufrieden mit den neuen Vergabeleitlinien des Spendensiegels. Von Boykott oder auch nur Boykottdrohungen kann aber keine Rede sein und das wäre auch leicht herauszufinden gewesen, wenn sich auch nur einer der beiden Redakteure bequemt hätte, bei den betreffenden Hilfsorganisationen rückzufragen.

Auf Anfrage von BILDblog erklärte Svenja Koch vom Deutschen Roten Kreuz (DRK), man plane keinen Boykott und sei zudem von “Bild” nicht um Stellungnahme gebeten worden. Christoph Zeller von den Maltesern hat dieselbe Erfahrung gemacht. Er teilte mit:

Eine Bitte um Stellungnahme seitens der “Bild”-Redaktion hat uns nicht erreicht. Wir Malteser sind grundsätzlich für ein Spendensiegel und bleiben weiter im Gespräch mit dem DZI.

Caritas-Sprecherin Claudia Beck erklärte gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd):

Wir werden das Siegel nicht infragestellen. Ein vertrauenswürdiges Siegel hilft den Bürgern, sich auf dem unübersichtlich gewordenen Spendenmarkt zu orientieren.

Und was ist mit dem angeblichen “Brandbrief” der Johanniter? Pressesprecher Patrick Schultheis stellte auf Anfrage von BILDblog klar:

Weder hat die Johanniter-Unfall-Hilfe vor, das DZI-Spendensiegel zu “boykottieren”, noch wurde ein “Brandbrief” an das DZI formuliert. Vielmehr hatte das DZI die Johanniter um eine Bewertung des ersten Entwurfs der neuen Vergabe-Leitlinien gebeten. In dieser Bewertung haben die Johanniter (ähnlich wie andere Hilfsorganisationen) bereits im März 2010 auf einzelne, problematische Passagen hingewiesen. Daraufhin entstand ein intensiver, konstruktiver Austausch mit dem Ziel, angemessene und für alle Seiten akzeptable Kriterien für die Vergabe des Spendensiegels zu entwickeln. Dieser Prozess ist ergebnisoffen und noch nicht abgeschlossen – momentan befindet sich der dritte Entwurf in der Diskussion. Die Johanniter hoffen auf ein positives Resultat und darauf, auch künftig zu den durch das DZI zertifizierten Organisationen zählen zu können. Das DZI-Siegel hat sich aus unserer Sicht in seiner bisherigen Form als Orientierungshilfe für Spender bewährt.

Das von “Bild” verkürzt wiedergegebene Zitat aus der vierseitigen Stellungnahme lautet im Original: “Bei aller Wertschätzung sowie grundsätzlicher Anerkennung des DZI und wissend um die Notwendigkeit von Effizienz und Transparenz müssen wir bei einer Verabschiedung der neuen Leitlinien in der jetzigen Entwurfsform (März 2010) auch in Erwägung ziehen, auf das DZI-Spenden-Siegel zu verzichten oder das Spenden-Siegel nur für einen einzelnen Arbeitsbereich der Organisation beantragen.”

“Bild” hat uns weder vor noch nach Veröffentlichung des Beitrags um eine Stellungnahme gebeten.

Mit Dank an die Hinweisgeberin!